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Adventsgeschichten 2024 - ... und der Mond schaut zu

**********Engel Frau
26.013 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Adventsgeschichten 2024 - ... und der Mond schaut zu
Liebe Freundinnen und Freunde der schreibenden Zunft,

hier ist er, unser mit Spannung erwarteter Rate-Thread des diesjährigen Adventsgeschichtenspiels.
Der Countdown läuft, die Vorfreude steigt und die Tastatur glüht - zumindest hoffe ich das.

Dieses Jahr wird wieder die liebe @*****ena für Euch jeden Tag in der Frühe ein Türchen öffnen und Euch teilhaben lassen an dem, was unsere Autorinnen und Autoren sich zum Thema „... und der Mond schaut zu“ haben einfallen lassen. Sie freut sich schon auf Eure Geschichten *zwinker*

Hier habe ich den Link zum Vorjahresspiel für Euch: Kurzgeschichten: Adventsgeschichten 2023 - Früher war mehr Lametta, die Erklärung für das Spiel und das diesjährige Thema: ... und der Mond schaut zu.

Hier noch einmal eine kurze Zusammenfassung des Regelwerkes, das ich, der Einfachheit halber wieder als Zitat aus dem Text unserer geschätzten Indivisuelle zitiere, wie es all die Jahre schon üblich war:

„Euch“, damit meine ich alle Mitglieder der Kurzgeschichtengruppe; aber auch alle Mitleser und Mitrater, die sich hier im Adventsthread einfinden und mitreißen lassen: Vom Spaß, von der Spannung, von der ganzen wunderbaren Atmosphäre, die wir alle gemeinsam, jedes Jahr, im Kalenderspiel schaffen.

An Euch alle, gleich ob Autoren, Rater oder stille Mitleser:

Ich heiße Euch alle ganz herzlich willkommen zu einer neuen Runde Spaß, Spannung, Spiel, Lese- und Rategenuss!

Kurz nochmal erklärt, worum und wie es geht:

Jeden Tag im Dezember stellen wir eine Kurzgeschichte, passend zu Weihnachten, ein. Das Grundthema ist vorgegeben. In diesem Jahr lautet es „... und der Mond schaut zu“. Der Clou an der ganzen Sache ist: Niemand außer dem Spielleiter weiß, von wem die Geschichten sind!

Und damit sind wir auch schon bei dem Ratespiel, denn es ist dann Eure Aufgabe, den Täter dingfest zu machen. Dabei – und auch beim Schreiben der Geschichten – ist vor allem eines erlaubt: Die drei großen T, Tarnen, Tricksen, Täuschen! Macht Euch also nicht nur auf spannende, lustige, nachdenkliche, gruselige, herzzerreißende Geschichten gefasst, sondern auch auf ein Ratelabyrinth, das sich gewaschen hat!

Die Regeln für unser Spiel sind denkbar einfach. Für Neuankömmlinge und Neu-Mitleser (Herzlich willkommen übrigens!) stelle ich sie nochmal kurz vor:

Jeden Morgen stelle ich eine der Geschichten ein, und zwar ohne den Autor zu benennen. Den dürft Ihr dann bis zum nächsten Tag raten. Jeder hat drei Rateversuche, gemäß einem Ranking.

1. Autor A
2. Autor B
3. Autor C

Wenn Autor A richtig ist erhält der Rater drei Punkte. Ist Autor B die richtige Antwort, sind es noch zwei, bei Autor C dann ein Punkt, der gutgeschrieben wird. Wenn man ganz fest davon überzeugt ist, dass Autor C die richtige Antwort ist, kann man ihn auch an die alle drei Stellen setzen:

1. Autor C
2. Autor C
3. Autor C

In dem Fall würde man dann sechs Punkte erhalten.

Die Geschichtenschreibenden erhalten pro eingestellter Geschichte drei Punkte.

Am Ende des Kalenders, wenn dann alle Punkte vergeben sind, erhalten wir einen Ratekönig.
(Wem der Erklärtext bekannt vorkommt: Kein Wunder, den habe ich vom letzten Jahr kopiert. Warum das Rad neu erfinden, wenn es doch läuft? *grins*)


Wir werden auch wieder ein Register erstellen, in dem dann alle aktuellen Geschichten verlinkt sein werden. Das findet Ihr dann nach Ende des Spiels hier:

Kurzgeschichten: Adventskalender 2024 - das Register!

Bleibt mir nur noch, Euch viel Spaß zu wünschen. Ähm… und mir auch. Uns allen einfach. Schließlich ist das Leben schon ernst genug, gerade kurz vor Weihnachten, mit all dem Stress, der Dunkelheit und den Verführungen von Weihnachtsplätzchen, - märkten und denen vom JC… *zwinker*


Eure Indi


Diesen guten Wünschen schließe ich mich an, das Register findet Ihr hier: Kurzgeschichten: Adventskalender 2024 - das Register!
Es wird aber erst nach dem Spiel vollständig ausgefüllt. Unsere amtliche Registratorin @*****a99 wird das Register außerhalb erfassen und am Ende des Spiels im entsprechenden Thread einfügen.

Ich gehe fest davon aus, dass @*****ena das auch alles wieder ganz toll gebacken bekommt. *g*
Ich hoffe Ihr freut Euch genauso arg auf die erste Geschichte wie ich *zwinker* Noch dreimal schlafen, dann ist es soweit. *freu*

GefallenerEngel - in Vertretung für Flaviena


P.S. Für alle Kurzentschlossenen und damit keiner sagen kann er weiß nicht wohin mit seiner Geschichte....
Schickt @*****ena eine CM, dann verrät sie Euch wo Ihr sie abgeben dürft *zwinker*
**********Engel Frau
26.013 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Achtung Änderung!

Da man keine Threads mehr auf "unendlich" stellen kann, haben wir in diesem Jahr den Rate- und Plauderthread extra. Hier im Adventsgeschichtenthread werden nur noch die Geschichten und die Auflösung gepostet. Somit werden das hier keine 10 oder mehr einzelne Threads.

Zum Raten und Plaudern gehts hier entlang:
Kurzgeschichten: Adventsgeschichten 2024 - der Rate-, Plauder- usw. Thread
*****ena Frau
3.602 Beiträge
Das erste Türchen
Endlich ist es wieder soweit. Das alljährliche Adventskalenderspiel startet.
Und wir steigen gleich richtig interessant ein. Dürfen wir doch den Blick in die, erst kürzlich gefundenen, Memoiren eines Wichtels werfen, der Mitglieder der Chefetage der Nordpolgenossenschaft war.



Zur Taverne mit dem Mondlicht in der Laterne

Es war Mitten im Oktober, irgendwann kurz vor dem abrupten Ende der Blütezeit des Neo-Kommunismus mittels endgültiger wirtschaftlicher Teilöffnung der Binnenmärkte für den Überseehandel mit dem südlichen Hemisphären-Staaten des Neo-Kapitalismus der Erde 2.0.
Es dauerte noch einige Jahre, bis der vierte Weltkrieg ausbrechen würde. Aber das kommerzielle Auf- und Wettrüsten zwischen den kulturellen Filterblasen hatte längst begonnen.

Die Nordpolgenossenschaft der Wichtel des wiederauflebenden Jul-Kultes der Vorfahren der alten nordischen Völker stand aufgrund des menschengemachten Kommerz-Terrors zunehmend unter dem Hochdruck gewisser personeller, aber auch infrastruktureller Produktionsengpässe. Niemand außer deren Chefetage hatte die Entscheidungsgewalt darüber gehabt, dem nachhaltig Abhilfe verschaffen zu können. Doch aus unerfindlichen Gründen schien diese Chefetage, wie sie nebulös vom allgemeinen Wichtelvolk genannt wurde, sich für handlungsunfähig zu halten.
Der allgemeine Wichtel-Mob vermutete, dass die Nostalgiesucht, der längst vergangenen alten Zeiten des früheren sozialistischen Realismus wegen, schuld daran war. Doch definitiv wissen, tat das an der Basis niemand und darüber zu sprechen, war von den linientreusten neuen Politischen, die der Chefetage besonders nahestanden, unter Strafverfolgung der Plaudersüchtigen offiziell verboten worden.

Und so nahm die Geschichte an einem Dienstagabend in der zeitlosen Stimmung der letzten goldenen Herbsttage im Oktober des hohen Nordens ihren Lauf. Und Väterchen Frost ließ in den Nachtstunden dieser Tage auch schon erste Vorboten des nahen Winters vorauseilen:

„Eyh, Breschnew, Alter …“, grunzte der stämmige Chruschtschow und wischte sich mit seinem muskulösen Handrücken über den Dreitagebart. Doch sein Sitznachbar schnarchte nur laut in die Zipfelmütze hinein, die ihm ins Gesicht gerutscht war, während er mit dem Oberkörper auf der Tischplatte lag.
Der Schankwirt schlurfte herüber und murmelte: „Die Chefetage treibts aber auch gerade echt hart mit euch allen und insbesondere mit euch beiden aus der Mannschaft der Werkstätten. Da iss so gar nix mehr übrig von den früher skandierten Werten, finde ich.“
Chruschtschow blickte auf. Seine Augen wirkten klein, so zugeschwollen wie sie waren, und rote Äderchen überzogen die Augäpfel. Seine Zipfelmütze hing ihm nur noch auf halb acht auf dem kahlen Kopf. Sie muss einmal strahlend rot gewesen sein. Doch diesen Zustand hatte sie schon lange hinter sich gelassen.
„Willste mich verarschn? Werte? Welche Werte denn?“, fuhr er den Wirt lautstark an.
Der Schankwirt zuckte mit den schmalen Schultern, strich sich mit den langgliedrigen Fingern das fettige Haar aus der Stirn und schielte zur Laterne hinauf, die an dem zentralen Deckenbalken der Taverne hing und den Hauptraum in fahles Mondlicht tauchte.
„Naja …“, räusperte er sich, „Ich habe mal daran geglaubt, dass ihr vor dem Herrn alle gleich wärt und uns, äh … euch allen alles gemeinsam gehören würde und ihr euch dafür nicht zu Tode schuften müsstet“.
Chruschtschow grunzte erneut. Dieses Mal um einiges lauter und es schien so, als ob er dabei eine Träne im linken Augenwinkel verdrücken würde. „Das Papier, auf dem sie diese Statuten und deren Pläne ursprünglich geschrieben haben und diese nun seit ungezählten Zeiten alle fünf Jahre wieder beteuernd neu aufsetzen, ist geduldig.“
Und einige Augenblicke später wischte er sich erneut mit dem Handrücken über sein unrasiertes, kantiges Gesicht. „Ich habe Durst. Bring mir noch einen Humpen von deinem Kräuter-Met! Vielleicht sehe ich dann die Zukunft rosiger und einen Sinn in dem, dass wir tagaus und tagein in den Werkstätten der Chefetage schuften …“

Als der Schankwirt mit dem neuen Humpen Met vor seinem Tisch zum Stehen kam, blickte Breschnew verschlafen hoch und murmelte: „Scheiß Sucht nach dem schnöden Mammon! Die Menschen sind einfach nur dumm! Und die alljährlich wiederkehrende Konsumschlacht bringt uns Wichtel an den Rand der möglichen Taktung unseres schier unendlichen Pensums an Fließbandarbeit.“
Chruschtschow verzog seine Miene. Er war sauer: „So viel können wir gar nicht mit unseren Weibern und denen der anderen rammeln, wie es nötig wäre, um genügend Nachwuchs für die noch kommenden Jahrhunderte der Maloche in den Werkstätten heranzuziehen. Dabei bräuchten wir dringend handfeste Verstärkung. In allen Lebenslagen und Bereichen, was die Werkstattarbeit und aber auch das Wirken am heimischen Herd und in den Stallungen der Familie Rudolph angeht.“

Der Schankwirt lachte höhnisch: „Ach ja, die Rudolphs … Habt ihr schon die neusten Gerüchte gehört? Die über Rudolph Junior Nummer Neunundsechzig?“
Breschnew grölte und verteilte dabei eine ordentliche Portion Spucke über den Tisch: „Jawoll-Ja. Der soll, wie ich von meiner Olga erst gestern vernommen habe, ein ganz umtriebiger sein … Ja, ja.“
Dabei grinste Breschnew breit und war plötzlich wieder hell wach. Auch er hatte zugeschwollene, rotgeäderte Augen und sein Allgemeinzustand verhieß eine permanente Überarbeitung in Verbindung mit einem chronischen Schlafmangel.
„Der pfeift der Minna auf ihrem letzten Loch den Marsch der Unzucht mit seinem Decker, hat mir die Olga gestern beim Stelldichein ins Ohr geflüstert“, fuhr Breschnew mit gesenkter Stimmlage fort und wischte sich mit seiner schwieligen Hand über das zerfurchte Gesicht. „Und ich kann euch sagen, meiner Olga scheint allein die Vorstellung davon schon irgendwo gefallen zu haben??!!“, fuhr er fort und rutschte dabei unruhig mit seinem muskulösen Hintern auf der Holzbank hin und her.
„Ich fall‘ vom Glauben ab!“, stöhnte Chruschtschow, nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Humpen voller Kräuter-Met. Dabei verschluckte er sich und bekam davon einen ordentlichen Hustenanfall, so dass Breschnew ihm mit seiner grobschlächtigen Hand zwischen die Schulterplätter klopfte.
„Joahr, ich übrigens auch. Meine Olga die überrascht mich da immer wieder. Das kann ich dir sagen … Aber eigentlich iss datt nix für mich. Ich bin da eher konservativ und altmodisch gestrickt und brauche, was das angeht, auch keine fremden Betten und Federn.“

Dann läutete die Turmglocke am großen Weiher Sturm.
Der Schankwirt räusperte sich: „Oh-oh! Eure Pause ist schon zu Ende. Ihr müsst wieder an die Arbeit gehen! Sonst bekommen die Politischen noch Wind davon und ihr dürft wieder zusätzliche Strafpunkte abarbeiten.“
„Diese neuen Emporkömmlinge? Also echt mal …“, schnobte Breschnew wütend auf, obwohl er es aus leidlicher Erfahrung besser wissen müsste.
„Ja, ich weiß, die sind alle nur um die dreihundert Jahre jung und im Vergleich zu uns beiden noch echte Grashüpfer in der Wichtellandschaft. Nur leider haben die, im Gegensatz zu uns, einen guten Draht zur obersten Chefetage und wer weiß, was die denen flüstern würden, wenn sie mehr Wind von unseren kleinen Aufmüpfigkeiten bekämen? Wenn sie es nicht eh schon längst alles wissen und uns deshalb die vielen Extraschichten an Arbeit aufbrummen …“, entgegnete ihm Chruschtschow leise. Dann wuchtete er mühevoll sein Hinterteil von der Bank hoch.

Noch bevor er und Breschnew mit einigem Getöse die Schenke verlassen konnte, legte der Schankwirt ihnen beiden im Vertrauen jeweils eine seiner schmierigen Hände auf ihre Schulter: „Habt ihr eigentlich je die von der Chefetage zu Gesicht bekommen? Also ich meine so ganz persönlich von Angesicht zu Angesicht? Ihr zwei gehört doch längst zum Inventar der Nordpol-Genossenschaft, so alt wie ihr beide schon seid. Oder?“
Chruschtschow wieherte leise los: „Mit Freuden würde ich vom Unglauben abfallen und Breschnew zur Strafe von hinten mit meiner Rute nehmen und dabei auch noch Lust empfinden, wenn ich daran zweifeln täte, dass in der besagten Chefetage nur deshalb ein noch viel betagterer, seniler Rauschebart sitzt, weil die Menschen selbst ihn mit ihrer alljährlichen Zelebration und deren Ritualen drumherum zu dem gemacht haben, was er bis heute ist und das Wichteltum, mit all dem Schaffen Kraft ihrer Vorstellung kreiert haben. Genau deshalb malochen wir uns ja am Ende noch zu Tode und genau deshalb werden unsere Wünsche nach einer sozialgerechten Wichtelgewerkschaft wohl nie erfüllt werden.“
„Aber Psssst … haltet bloß eure Klappen! Sonst muss ich am Ende noch zur Strafe bis in alle Ewigkeit den Abort des Alten putzen.“

Der Schankwirt lachte laut auf und klopfte seinem Schankgast extra stark auf die Schulter, während er hinter dem Rücken der beiden sehr offenherzigen Kompagnons zur Laterne hinauf schielte, die am Deckenbalken seiner Schankstube hing. Verwaschen murmelte er: „Ach, wenn es doch nur die Jungspunde wären …“

Und als er schließlich die Türen der Taverne hinter den beiden ältesten Wichteln des Nordpols schloss, kletterte ein Winzling von einem Mann eifrig aus der Laterne unter dem Deckenbalken und morste mit seinem Mondlicht eine eilige Depeche gen neunzigsten Breitengrad des Nordpolreiches, um sich seine Prämie und die Verlängerung der Ausschanklizenz seines Herbergsvaters um mindestens ein weiteres Jahrhundert bei der oberen Chefetage zu sichern.
„Hervorragende Arbeit, mein Großer!“ quickte er mit seiner hohen Stimme zum Schankwirt herüber. „Wir müssen mit dem Takt der Menschenzeit gehen. Sonst landen wir am Ende noch alle am Südpol bei den Pängus. Und wenn dann der Alte gänzlich senil wird, weil sich der Glauben der Menschheit an uns nach und nach überholt hat und sie unserer irgendwann überdrüssig werden, na dann Prost Mahlzeit! …“


Nachwort:

Es ist der Dreizehnte, acht Tage vor dem ehemaligen Julfest der nördlichsten Völker der nördlichen Hemisphäre, im Jahre Siebenundsiebzig des dritten Jahrtausens des ehemaligen Gottvaters der frühen Christenheit. Ich, der zu jener Zeit älteste unter den Wichteln meiner Generation sitze hier im Exil des Vergessens.
Von der ehemaligen Chefetage der Nordpolgenossenschaft in die Hemisphäre des Südpols verbannt, existiere ich nur noch als Schatten meiner selbst zusammen mit den wenigen übrig gebliebenen Pängus im Auffanglager der sich überlebten und insgesamt ad acta gelegten Sagen- und Mythen- sowie Märchen- und Fantasiegestalten.

Und nun sitze ich, der früher Chruschtschow genannt wurde - ein längst verwitweter Wichtel - hier in meiner Filterblase inmitten des Auffanglagers und schreibe an meinen Memoiren. In der Hoffnung, ein Mensch möge diese irgendwann finden, um mit ihrer Hilfe das wahre sich Erinnern wieder zu erlernen, um so vielleicht erneut einen Funken der Hoffnung unter die Reste der Menschheit sähen zu können.

Denn die letzte Heißperiode dieser Welt dauert noch immer an. Die Erde ist mit den verflossenen Jahrhunderten in extreme Zustände geraten, und die Menschheit hat sich dabei fast selbst ausgerottet. Wirtschaftsordnungen wie der Kapitalismus oder der Kommunismus und der Sozialismus haben sich überholt, so auch ihre damals verzweifelt angegangen Versuche der Neo-Wiedergeburten.
Es gibt keine Staatenstrukturen mehr und auch keine Demokratien oder gar Diktaturen und Monarchien.

Die wenigen noch übrig gebliebenen Menschen haben sich ihrer Urwurzeln besonnen und pflegen entweder nur noch kleine, untereinander zersiedelte Sippschaften oder ziehen als kriegerische Horden durch die Einöden dieser Welt.
Den alten Religionen haben sie mit der endlosen Reihe an vergangenen Jahrhunderten nacheinander abgeschworen. Und deren Götter haben sie längst vergessen.
Inzwischen glauben sie nur noch an die ehemaligen Glanzzeiten der vor sich hin rottenden Relikte einer ehemals hochtechnisierten Welt. Denn es geht im verwaisten Volksmund die Mär um, dass man diese Relikte zum Leben erwecken könnte, wenn man gewisse kryptische Symbole an den verwitternden Mauern zu Alt-York irgendwo auf einem der Nordkontinente entschlüsseln und die verlorengegangenen Aggregate wiederentdecken würde, um sie dann irgendwie erneut zum Leben zu erwecken.
Doch nur vereinzelte Ur-Ur-Ur-Ur-…-Urahnen der ehemaligen Ingenieure von damals glaubten noch ernsthaft an diese Mär und hüteten ihre indifferenten Vorausahnungen vom Wissen zu dieser Sache wie einen geheimen Gral vor der Allgemeinheit der Sippen und Horden.

Ich selbst, Chruschtschow, weiß auch nur darüber Bescheid, weil ich mich jedes Jahr zum Julfest nachts aus dem besagten Auffanglager schleiche und die alte Tradition meiner ehemaligen Chefetage wieder aufleben lasse. Dann suche ich heimlich die nahegelegenen Lagerfeuer der vereinzelten Horden sowie die verfallen Kamine der alten Siedlungen, in denen die wenigen Sippschaften wieder hausen, heim und schaue den Ur-Ur-Ur-Ur-…-Urahnen beim Schlafen zu und höre ihre Träume.
*****ena Frau
3.602 Beiträge
Das zweite Türchen
Es tut mir leid, hier war um sieben Uhr großer Trubel, darum etwas verspätet die Auflösung.
Vielen Dank lieber @****lie für das Türchen von gestern.

Heute geht's leicht philosophisch weiter.
Vielleicht ist Weihnachten doch nicht nur ein Tag. Vielleicht ist es ein Gefühl, eine Erinnerung, die man mit sich trägt.
Habt Ihr Euch das auch schonmal gedacht?
Die Protagonistin der heutigen Geschichte hängt diesen Gedanken nach.



Und nur der Mond schaut zu


Erika weint still. Vielleicht ist es gar kein richtiges Weinen, aber aus ihren Augen fließen Tränen und tropfen auf ihre Knie. Warum sollte sie auch weinen? Nur, weil heute Weihnachten ist und die Motten ihre Lieblings-Alpakasocken offensichtlich auch so wunderbar fanden wie sie?

Vielleicht ist es aber eben auch genau dieses Weihnachten. Es ist sechs Uhr abends, und es ist schon wieder schwarz vor dem großen, schalldämmenden Glasfenster ihres Hotelzimmers mit der blauen Decke. Dem Fenster gelingt es nicht, den Lärm und ein klein wenig Schwärze vor dem Hotel zu lassen. Sie schlingt die Arme um die hochgezogenen Knie, zieht die mit weißer Hotelbettwäsche bezogene Bettdecke enger um die Schultern und blickt auf das Teelicht, das auf der Fensterbank steht.

Was für ein Scheiß. Dies ist wirklich nicht das Werbungs-Narrativ von der besinnlichen, weißen Weihnacht im verschneiten Holzhaus, vor dem Kaminfeuer, im Kreis der Liebsten. Das verlorene Teelicht auf der Fensterbank hat so gar nichts mit einem prasselnden Kaminfeuer gemein. Im Hotelzimmer gibt es noch nicht einmal eine Heizung, and der sie sich wärmen könnte, sondern nur eine Klimaanlage. Wenn sie aus dem Fenster blickt, kann sie sich entscheiden zwischen einer verlassenen Großbaustelle und dem glitzernden Strom der Autos, der unablässig vor dem Hotel sein Geschäft verrichtet.

Sie fröstelt. Ein Frösteln, das tief in ihrem Inneren beginnt, in kleinen Wellen bis auf ihre Haut aufsteigt und in einer grandiosen Gänsehaut endet. Eben jene Gänsehaut, die ihr ihren Fotomodell-Job hier in Hamburg eingebracht hat. Die letzten zwei Tage hat sie für „Gänsehaut“ geshootet. Ein Erotikshooting, das im Sommer bei der Auftragsvergabe noch ganz spannend geklungen hatte und ihr, dank ihrer eindeutig sichtbaren Hautreaktion auf Kälte, den Job verschaffte. Ein eiskalter Job. Bittere Kälte, Schneeregen und ihr nackter Körper vor der Kulisse der Speicherstadt. Besonders die Gänsehaut an der Innenseite der Oberschenkel hatte es dem Fotografen angetan. Die Aufnahmen waren grandios, aber all die Decken, Heizlüfter und heiße Schokolade hatten nichts gegen die wahre Kälte geholfen, die in sie gekrochen war.

Natürlich war sie zeigefreudig und sehr stolz auf ihren Körper, aber diesmal, ja diesmal, hatte sie das Shooting wirklich eingeholt. Allein, entblößt und frierend hatte sie im Schneeregen gestanden, und die Einsamkeit war ebenso wie die Kälte in sie gekrochen und hatte sie verletzt. So wie die kleinen Stiche der Graupelkörner auf ihrer nackten Haut hatte jede Minute des Shootings ihr Innerstes verwundet. So deutlich, so drastisch hatte sie es noch nie empfunden, entblößt zu sein. Nackt, allein, ungeschützt und frierend hatte der Wind ihren Körper und ihre Seele erstarren lassen. Etwas, das auch eine prasselnde, heiße Dusche nicht hatte beheben können.

Sie muss schniefen. Ein kleiner Akt, der sie wieder zurückbringt ins Hier und Jetzt. Vielleicht ist sie nicht so allein. Sie hätte zu ihren Eltern fahren können, zu ihren Freunden, aber nicht zu Paul. Dem wunderbar grandiosen Paul mit seinen warmen Händen, bei dem sie immer so glücklich ist. Sie ist hier geblieben, weil ihr der Flug zu teuer und die Bahn zu voll war. Hier in dem Zimmer mit der blauen Decke.

Sie blickt auf das goldene Paket von Paul, das neben dem Teelicht steht, und die Tränen, die ihre wollenen Leggings an den Knien schon ganz durchnässt haben, versiegen. Es ist das Paket, das er ihr schon vor zehn Tagen gegeben hat, als sie nackt in seinen Armen lag. Seitdem hat sie es betrachtet wie die Katze die Maus. So wie jetzt, im Kerzenschein auf der Fensterbank. Was mag nur in diesem Paket sein? In einem Paket von einem Mann, der einer anderen Frau gehört und der sie in ihrem Innersten berührt. Der ihr ein Paket für Weihnachten gegeben hat.

Da beginnt es zu schneien. Dicke, weiße Flocken trudeln lautlos aus dem Schwarz des Himmels, und sie blickt hinaus auf die Stadt. Der Verkehr ist weniger geworden. Offenbar sitzen die meisten inzwischen vor ihrem Weihnachtsbaum. Der Schnee macht die Welt ein wenig stiller und bedeckt mit seinem reinen Weiß das Grau des Asphalts. Ihr Herz wird ein wenig leichter, und ihre Finger streichen über das Paket. Es ist Trauer, die sie spürt. Vielleicht doch ein Grund für Tränen? Morgen, beschließt sie, ja, morgen wird sie es öffnen, dieses Paket.

Doch was sie nicht weiß, aber vielleicht spürt, ist, dass ihre Trauer aus ihr fließt, sich vermengt mit dem tosenden Weiß und wirbelnd durch die Stadt treibt. Es ist ein Wirbeln, das sich nährt von unzähligen Emotionen, das ganze Land erfasst und mit Weiß bedeckt. Es sind Gefühle in ihrer reinsten, weißen Form, die aus dem Himmel fallen. Gefühle all jener, an denen das Wirbeln vorbeistreicht, sie aufnimmt und klärt, damit sie an einer anderen Stelle zu Boden fallen können. Ein leises Rieseln, das das Land weiß, die Herzen klar und die Seelen ruhig macht. Es ist, als würde das Land aufatmen und auf etwas warten, während eine Flocke nach der anderen das Land bedeckt.

Und dann, nachts, kurz nach zwei, hört es auf zu schneien. Alle Emotionen sind verteilt, und der Himmel wird klar. Ein abnehmender Mond, im letzten Viertel, wirft sein Licht über ein schneebedecktes Land. Die Welt steht still, Wasserhähne hören auf zu tropfen, Herzen auf zu schlagen, der Wind auf zu wehen. Es wird so still wie nie zuvor. Es ist eine vollkommene, tiefe Stille, die sich über alles legt und alles, wirklich alles, zur Ruhe bringt. Eine karge, weiße, mondbeschienene Welt in totaler Ruhe.

Das Verharren wird zu Zögern, und der Takt des Seins beginnt wieder zu schlagen. Als der Morgen anbricht, ist der Himmel ein strahlendes Blau, und die Sonne tastet mit goldenen Fingern nach den ersten Flocken. Als sie schmelzen, erhebt sich ein Wind von Emotionen, der die Menschen erfasst und ihr Leben verändert, denn im Erkennen wahrer Gefühle verblasst das trübe Grau falscher Verlockungen und Wünsche. Manche lächeln, manche weinen, andere verzweifeln.

Erika steht am Fenster des Hotelzimmers. Nach der Nacht fühlt sie sich gut. Vor ihr steht das offene Paket, und sie lächelt. Vielleicht, denkt sie, ist Weihnachten doch nicht nur ein Tag. Vielleicht ist es ein Gefühl, eine Erinnerung, die man mit sich trägt. Sie blick hinaus auf die schmelzende Schneedecke und die klare, sonnendurchflutete Stadt. Heute fühlt es sich so an, als sei die Welt voller Möglichkeiten, und sie spürt, dass auch in ihrem Leben noch Wärme und Liebe auf sie warten.
*****ena Frau
3.602 Beiträge
Das dritte Türchen
Lieber @*********ested vielen Dank für deine schöne Geschichte gestern.

Nachdem mein Tag im Krankenhaus gestern etwas doof war habe ich ein bisschen was mit Liebe und Romantik ausgesucht und das teile ich mit Euch.



Unter Palmen

Das würde sicher kein Weinnachten werden. Nicht wie letztes Jahr, als die Gans verkohlt und der Christbaum abgefackelt war, noch bevor die Familie „oh du fröhliche“ auch nur hatte anstimmen können.


Drei Wochen Sommer, Sonne, Fröhlichkeit auf dem Kreuzfahrtschiff durch die Karibik. Das hab ich mir gegönnt, von der Abfindung meines Ex-Arbeitgebers. Über Weihnachten und Silvester und nur für Erwachsene.

Gedanken versunken greife ich nach einem der Gläser, das auf dem Tresen steht, nippe daran und verziehe angewidert das Gesicht. Erst jetzt werfe ich einen Blick auf das kleine Schildchen, das neben den Gläsern steht. Premium Iced Soja-Dinkel-Grünkohl-Smoothie mit Da‑haben-wir-den-Salat.

Rasch stelle ich das Glas auf den Tresen, ganz weit von mir entfernt.

„Kann ich bitte einen Sex on the Beach haben.“ Der Barkeeper nickt meine Bestellung ab, als ich gleichzeitig ein Raunen in meinem linken Ohr vernehme.

„Das wird hier auf dem Schiff etwas schwierig, aber wir können es Mal im Pool versuchen.“

 
Oh mein Gott, wie ich derartige Sprüche hasse. Langsam drehe ich mich zum Verursacher des Ohrgeräusches um und erstarre.

Sein Anblick übersättigt das Auge so sehr, dass ich befürchte Sehnerv-Adipossitas zu bekommen.

 
Natürlich weiß das männliche Wesen ob seiner Wirkung auf Frauen, was das schiefe Lächeln auf seinem Gesicht beweist.

Dieses Lächeln, das mein Herz dahinschmelzen lässt, wie die Butter in der Sonne. Ja, genau so kitschig wie in den Liebesromanen, die meine Oma Trude immer ließt.

Mensch Melli, reiß dich zusammen. Der meint das mit Sicherheit nicht ernst. Was will der Adonis schon mit ner Pummelelfe wie mir.

 
„Am Pool ist mir um die Zeit zu viel los.“ Mit diesen Worten greife ich meinen Cocktail und verlasse den Barbereich in Richtung Promenadendeck.

 
Das Alleinsein genießend, lausche ich den Salsaklängen, die zu mir herüber wehen, während der Feuerball glühend im Meer versinkt.


Plötzlich stellen sich meine Nackenhaare auf, als mir bewusst wird, dass ich nicht mehr allein bin.

„Immer wieder beeindruckend, nicht wahr.“  Zwei Arme legen sich, wie selbstverständlich, um mich.

So, dass ich meinen Rücken an seine Brust lehnen musste.


Die Wünsche eines Mannes sind unten tastbar, heißt es und seine waren deutlich zu spüren.

Ich versuche mich aus seinem Griff zu befreien, aber er dreht mich nur geschickt zu sich herum, wodurch ich dazu gezwungen bin, zu ihm auf zuschauen.

„Hey, ich bin Torben, gibst du mir eine Chance dich kennenzulernen?“

„Ist das dein Ernst?“ Frage ich den Adonis vorsichtig.

Immer positiv denken, Melli, sonst klappt es mit den Enttäuschungen nicht so gut.

„Naja, schon, sonst würde ich nicht fragen. Ich hab keinen Bock auf Partymäuse. Das ist es doch, was du denkst, oder.“

Seine Ehrlichkeit und Direktheit machte mich gerade sprachlos.

„Äh, ja…nein…Melli…ich bin Melli. Ich glaub ich brauch noch was zu trinken.“ Dabei habe ich meinen Drink noch nicht mal angerührt. Ich versuche mich an ihm vorbei zu schieben, aber er nimmt meine freie Hand und beginnt, mich zu den Klängen von LEA’s „Wenn du mich lässt“ sanft hin und her zu wiegen.

 
Mittlerweile steht der Mond rund am Himmel und taucht die Umgebung in ein sanftes Licht.

 
„Wir lieben jemanden nicht, weil er schön ist, sondern wir finden jemanden schön, weil wir ihn lieben. Und du bist wunderschön für mich, Melli. Ich hab dich in den letzten Tagen beobachtet, nein nicht gestalkt, sondern, deine Art mit den anderen umzugehen. Du bist ein feiner Mensch, das gefällt mir und das hat mich neugierig gemacht. Sorry, dass ich so offen bin, aber ich möchte keine Barbie die nur auf Äußerlichkeiten fixiert ist.“ Leicht schwankt der Mann bei diesen Worten und ich greife reflexartig seinen Ellenbogen um ihn zu stützen.

 
„Wollen wir uns da drüben hinsetzen?“ Mit einem Kopfnicken deute ich auf die Sonneninsel.

Ich warte bis sich Torben auf der Liege niedergelassen hat. Dann setze ich mich so hin, dass sein Kopf auf meinen Oberschenkeln zu liegen kommt und streiche sanft darüber.

„Danke Melli, dass du immer für mich da bist, jede andere hätte sich schon lange verabschiedet.“

„Schhhh, Torben, erstens bin ich nicht jede andere, das solltest du langsam wissen und zweitens, in guten wie in schlechten Zeiten, dafür brauche ich keinen Ring. Und jetzt treffen wir eine Vereinbarung für die nächsten Wochen.

Unsere Verabredung mit dem Leben findet im gegenwärtigen Augenblick statt. Und der Treffpunkt ist genau da, wo wir uns gerade befinden. Heißt, wir genießen unsere gemeinsame Zeit und um die Sorgen des Alltags kümmern wir uns wieder, wenn wir zu Hause sind. Du musst jetzt Kraft tanken und ich auch.“

Sanft küsse ich meinen geliebten Mann auf die Stirn um dem Gesagten so Nachdruck zu verleihen.

 
*****ena Frau
3.602 Beiträge
Das vierte Türchen
Ich hab damit gerechnet, dass Ihr sofort alle auf mich tippt bei der Thematik.


Heute sind wir Zaungäste auf einer weihnachtlichen Hochzeit und blicken dem Fotograf über die Schulter.


Der Hochzeitsfotograf

„Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand…“
Ja ja, die Liebe. Wenn das alles mal so literarisch schön und einfach wäre wie im Hohelied der Liebe vom alten Paulus an die Korinther 13. Wie oft schon hatte er diesen Text gehört, immer wieder samstags, wenn er in irgendeiner Kirche schmorte und auf seinen Einsatz wartete. Vorne zwei Menschen voller Erwartungen und Hoffnungen für die Zukunft, hinter sich die Angehörigen und Freunde: Entweder unerfahren oder bereits komplett desillusioniert.

Harald fotografiere Hochzeiten. Seit 10 Jahren, von März bis Oktober fast jedes Wochenende ausgebucht. An einen Kurztrip mit Kumpels von Freitag bis Sonntag war selten zu denken. Festivals, Konzerte und Partys fanden meist ohne ihn statt. Doch er beklagte sich nicht. Während andere von Montag bis Freitag schufteten oder Dinge an den Mann brachten, die kein Mensch brauchte, konnte er in Ruhe den einen oder anderen Fotoauftrag erledigen, seine Hochzeitsbilder bearbeiten und hatte ansonsten freie Zeiteinteilung. Harald kam damit ganz gut über die Runden – abgesehen von der mangelhaften Vermögensbildung. Ein Zukunftsgedanke, den er seit seiner Scheidung vor zwei Jahren gemütlich in einem See aus Selbstmitleid, Bier und Porno ertränkte.

Innerlich schüttelte er oft den Kopf über Sprüche, Fürbitten und Segnungen, die auf Hochzeiten formuliert wurden. Zwar fühlte er sich nicht verbittert, aber das Lebensmodell der monogamen Zweierbeziehung auf Lebenszeit hielt er mittlerweile für einen Anachronismus der moralischen Instanzen Kirche und Staat. Jetzt hockten da vorne wieder zwei verunsicherte, junge Menschen mit den geballten Erwartungen des Publikums im Rücken, und vor sich die salbungsvollen Worte des Pfarrers, der - im Zölibat lebend - von Dingen redete, von denen er eigentlich keine Ahnung haben dürfte.

Harald hatte schon so viele Paare gesehen. Selbstsichere und tapsige, blutjunge und abgeklärte, solche, die ihre erste Sandkastenliebe heirateten und welche, die nach mehreren Ehen endlich die richtigen Partner ehelichten – in diesem Fall natürlich nicht kirchlich. Mal führten sie sich auf wie kleine Kinder, die zum ersten Mal ins Kino gehen dürfen, mal vermittelten sie einem das Gefühl, diese Ehe sei das Resultat langer Diskussionen und Beschlüsse auf Basis der reinen, steuerlichen Vernunft. Mal ganz abgesehen von den Hochzeiten, die zügig abgewickelt wurden, bevor die Braut mit wachsendem Babybauch das teure Hochzeitskleid sprengen würde.

Dieser Termin fand ausnahmsweise im Dezember statt, kurz vor Weihnachten. Im Vorgespräch mit dem Brautpaar hatte der Hochzeitsfotograf erfahren, beide hatten zufällig am 24. Dezember Geburtstag. Diese Erkenntnis hatte beim ersten Flirt in einer Bar dazu geführt, dass sie sich erneut trafen und an einem 24. Dezember einen ersten gewaltigen, gemeinsamen Orgasmus erleben durften. Wahrscheinlich lächelte Jesus Christus zufrieden vom Himmel herab, als die beiden Verliebten sich durch das große Hotelbett wühlten. Die Liebe ist schließlich von Gott gegeben. Leider konnten es die Stellvertreter Christi auf Erden nicht ermöglichen, einen kirchlichen Hochzeitstermin zu Jesus' Geburtstag zu ermöglichen, da das Gotteshaus gebraucht wurde für Krippenspiel der Kindergartenkinder, Andacht, Rosenkranz und Christmette. So wurde es der Samstag, 23. Dezember, denn Weihnachten fiel in diesem Jahr auf einen Sonntag.

Gerade hatte eine Frau, mit einer umwerfenden Figur im grünen Kleid, eine endlos lange Fürbitte vorgelesen. Ihre viel zu glatten Haare von undefinierbar brauner Farbe und die knubbelige Nase rundeten das Erscheinungsbild, welches der Körper versprach, nicht ab. Harald hatte ihren Text nicht komplett erfasst. Die letzten Worte, die er registrierte, zeugten jedoch von einem sehr hohen Anspruch an die Zweierbeziehung, die er als Geschiedener nur noch belächeln konnte. Egal, die Figur der Vorleserin war knackig und verführte ihn zu Gedanken, die alles andere als heilig waren. Standen ihre Brustwarzen wegen der kühlen Luft in der Kirche, so hart unter ihrem Kleid ab oder war sie aufgeregt?

Hochzeiten waren ein Wunder. Wie war es möglich, das so viele Verwandte und Freunde, die gelangweilt, ergriffen, gerührt, lächelnd oder weinend in den Kirchenbänken hockten, nicht den Mut aufbrachten, den beiden Opfern vor dem Altar die Wahrheit zu sagen? Warum sprach keiner eine Warnung aus? Glaubten die wirklich nach Jahrzehnten gelangweilter Ehen daran, dass es die Jüngeren besser machen könnten? Harald forderte den wandernden Zyniker auf der Leber seiner Seele auf, die Klappe zu halten. War es nicht ein schönes Bild? Die aufgebrezelte Braut, mit Perlen im Haar und Glamour auf der Gesichtshaut? Der Bräutigam in einem Anzug, den er nie wieder tragen würde?

Es war gleich so weit. Harald bekam immer wieder ein wenig Lampenfieber, auch nach vielen Jahren Erfahrung mit solchen Events. Er hatte bereits routiniert Schnappschüsse gemacht: Ankommende Gäste, Begrüßungen, der Bräutigam einsam und nervös vorm Altar wartend, die Braut wird eingeführt vom Vater. Jetzt stand das finale Ja-Wort mit anschließendem Ringe anstecken und Publikumskuss kurz bevor. Akku der Kamera war geladen, ISO-Einstellung hochgedreht, um ohne Blitz halbwegs verwacklungsfreie Verschlußzeiten zu erreichen. Eine Ersatzkamera hängte er sich über den Rücken – der wichtigste Moment durfte nicht wegen einer technischen Panne in der Fotosammlung fehlen. Jetzt strahlten alle. Das Brautpaar strahlte, der Pfarrer strahlte, die Ministranten lächelten präpubertär-schüchtern ihre Zahnspangen weg. Eltern schluchzten, Gäste freuten sich, viele richteten ihre Augen zustimmend auf Harald, denn er spielte dort vorne auf der Bühne eine nicht unbedeutende Nebenrolle. Er war jetzt dafür verantwortlich, der ganzen Verwandtschaft ordentliche Bilder vom wichtigsten Moment im Leben des jungen Paares zu liefern – egal wie sehr die Brautleute diesen Moment in ein paar Jahren verfluchen würden. In Bruchteilen von Sekunden schoss die Kamera Aufnahmen, von denen er später viele löschen würde. Hauptsache, die eine oder andere Momentaufnahme war, trotz typisch katholischer Dunkelheit des Kirchenschiffs, deutlich und ohne Bewegungsunschärfen abgespeichert. Hände der Brautleute gezoomt, er wollte nicht zu aufdringlich nahe kommen, zum einen aus anerzogenem Respekt vor kirchlichen Handlungen, zum anderen aus reiner Höflichkeit, die so etwas wie sein Markenzeichen geworden war. Der finale Kuss der Liebenden unter Aufsicht des Pfarrers wirkte echt, liebevoll und innig. Jemand im Publikum jauchzte laut, was den Beifall aller Anwesenden auslöste. Tatsächlich ein Moment mit Gänsehautfaktor, der auch einen alten Hasen wie Harald nicht kalt lies. Er hielt das Objektiv ins Publikum und fotografierte freudige Gesichter. Jetzt war die beste Gelegenheit dazu, denn die Musik hatte angestimmt und kaum jemand achtete auf ihn. Er wollte die ungestellten Schnappschüsse, emotionale Momente aus den Zuschauerreihen. Die Sängerin auf der Empore stimmte den Klassiker „Halleluja“ an, sehr nah an der Fassung von Jeff Buckley, begleitet von einem begabten Gitarristen.

Jetzt konnte sich Harald entspannen. Die wichtigsten Momente der Trauung waren im Kasten, der Rest war nur noch die Kür. Draufhalten, wenn Reis durch die Luft fliegt, Tauben in den Himmel starten, Nägel in Holzstämme geschlagen oder Balken zersägt werden. Mittlerweile kannte er alle Spielchen, die regelmäßig einem Brautpaar von Freunden und Verwandten zugemutet wurden. Wichtig war nun, möglichst jedes Gesicht der Gratulierenden zu erwischen. Damit konnten sich die Brautleute später einen Überblick darüber verschaffen, wer eigentlich alles anwesend war. Im Eifer des Gefechts und im Rausch der Gefühle ist es für die frisch Verheirateten nicht möglich, alle Gäste zu registrieren.
Der Fotograf war bereits auf dem Weg nach draußen, während der Pfarrer den Schlusssegen sprach. Tauchte vorm Kirchenportal aus, durch den Spalier aus Gratulanten halb besoffener Feuerwehrleute, um bereit zu stehen, wenn das Brautpaar vor die im Freien wartenden Gäste trat.
Sie hatten Glück mit dem Wetter. Es war mit 12° Celsius unnatürlich warm im Dezember, die Luft war trocken und die strahlende Wintersonne stand im richtigen Winkel für schöne Gegenlichteffekte. Wer keine Lösung dafür gefunden hatte, festliche gekleidet zu sein und trotzdem nicht frieren zu müssen, wärmte sich bereits von innen, mit vor der Kirche bereitgestellten Schnäpsen und dampfendem Glühwein. Selbstbewusst stellte er sich vor die versammelten Hobbyfotografen. Er hatte die Platzhirsch-Lizenz, auch wenn manche Hobbyisten mit weit teureren Kameras aufwarteten. Ihm machte das mittlerweile nichts mehr aus, die Kamera als Statussymbol war ihm nicht mehr wichtig. Er wusste, er hatte das bessere Auge und mehr Gefühl für Gestaltung. Eigenschaften, die keine Kamera ersetzen konnte.

Das Paar trat blinzelnd und freudestrahlend ins Licht. Keiner weiß, worüber sie sich mehr freuten, ob über die überstandene Zeremonie oder den Spalier aus Feuerwehrleuten und Rosen, fliegender Reis inbegriffen. Es formierte sich eine Schlange aus gratulationswütigen Gästen, Harald zielte, hinter den Brautleuten stehend, mit dem Teleobjektiv routiniert auf die Gesichter. Nach dieser Ausdauerübung wurde der Sekt geöffnet und den Gästen die Gläser gereicht. Schöne Schnappschüsse von goldgelben Gläsern, die in der Sonne glitzerten. Das Brautpaar stieß an auf einen schönen Tag. Mit einem Lächeln nahm sich Harald einen Sekt vom Tablett der Servierdame: „Jetzt kann ich mir auch mal ein Gläschen gönnen, das wichtigste ist Kasten“ teilte er nebenstehenden Gästen mit und prostete ihnen zu. Der Sekt schmeckte köstlich und der perlende Alkohol machte sich schnell in seiner Blutbahn breit.
Ein junger Mann in klassischer Zimmermannskleidung erzählte etwas von „Jetzt werden wir sehen, wer in Zukunft die Hosen im Haus an hat“ und erklärte ein Spiel mit Hammer und Nagel. Wer vom Brautpaar zuerst den Drahtstift im Holz versenkt, wird Chef im Haus. Dumm für den Bräutigam, dem ein viel kleinerer Hammer gereicht wurde mit der Androhung, für jeden verfehlten Schlag einen Schnaps heben zu müssen. Asketen waren die Menschen hier alle nicht. Harald fotografierte die schweißtreibenden Mühen des Bräutigams, die Braut hatte ihren Nagel mit dem großen Zimmermannshammer bereits versenkt. Drei Fehlschläge sind bereits gezählt worden, wenn der Bräutigam den Tag überleben wollte, musste er jetzt aufpassen.
Während der Bräutigam seine Schnäpse in den Hals kippte, betrachtete Harald die letzten Fotos auf dem Display.
„Wie oft im Jahr machen Sie diesen Wahnsinn mit?“ überraschte ihn einen angenehm rauchige Frauenstimme von links. Er drehte den Kopf – die Frau im grünen Kleid hatte immer noch abstehende Brustwarzen, aber Harald bemühte sich, ihr ins Gesicht zu sehen, während er antwortete:
„Oft, viel zu oft!“ Jetzt, wo er in ihre Augen blickte, erschien ihm die Knubbelnase gar nicht mehr so störend und das undefinierbare Braun der Haare bekam im Gegenlicht der Sonne einen raffinierten, rötlichen Schimmer. Ihre Augen leuchteten fast so grün wie das Kleid unter der offen übergeworfenen, schwarzen Lederjacke.

Harald war für den gesamten Tag gebucht worden, mit allen Programmpunkten, die ein Hochzeitsfest beinhaltet: Vorbereitung der Braut, Trauung, Sektempfang mit Gratulation, Fotoshooting mit Brautpaar, während die Gäste sich im angemieteten Saal einfinden, Essen, Torte anschneiden, erster gemeinsamer Tanz des Brautpaares, Reden, Gesellschaftsspiele, Party mit Band und DJ. Sein Honorar fiel fürstlich aus, ein Weihnachtsgeld, das er gut gebrauchen konnte. Leider gab es nur noch selten Feiern, bei denen die Höhe des Fotografenhonorars keine Rolle spielte. Haralds Herz schlug höher, als sich herausstellte, dass die Frau im grünen Kleid, die beste Freundin der Braut, dazu eingeteilt wurde, ihm bei der Fotosession mit dem Brautpaar zu assistieren. Ihr Name war Samantha. Der Name passte gut zu ihrer rauchigen Stimme, dachte sich Harald. Es war angenehm, sie an seiner Seite zu haben. Sie war aufmerksam und korrigierte Details wie einen falschen Faltenwurf im Kleid der Braut oder eine schief sitzende Krawatte des Bräutigams. Ihr brachiales Lachen sorgte für gute Stimmung am Set und lockerte die angespannte Atmosphäre schnell auf. Gelegentlich stand sie ihm, in gemeinsamer Betrachtung des Brautpaars, so nahe, dass ihre Berührungen ihn elektrisierten.

Im Verlauf des Tages mutierte der Fotograf immer mehr zum Gast. Die Gäste waren fröhlich und offen, er erledigte seine Arbeit, zunehmend aufgelockerte durch Sekt, Schampus und Sachertorte. Dieser Auftrag machte Freude, er konnte Bilder locker aus der Hüfte schießen. Dabei scharwenzelte er ständig um Samantha herum. Oder sie um ihn? Bis zum nächtlichen Discotanz hatte er die Kamera bereits abgelegt, wild und ekstatisch tanzend, stahlen Samantha und er dem Brautpaar die Show. Sie rieb ihren Körper mit gespreizten Beinen über seinem zuckenden Schenkel, wild flogen ihre Haare durch die Luft, schwitzend glänzten ihre Körper im flackerten Licht der Discokugel. Saturday-Night-Fever bei 45°, ganz ohne Last Christmas.

Weit nach Mitternacht suchten sie keuchend nach einem geheimen Ort, um der Lust endlich freien Lauf lassen zu können. Beide hatten kein Hotelzimmer gebucht, der Verlauf des Abends war so nicht geplant. Samantha zerrte Harald zur nahe gelegenen Kirche. Das Portal war nicht verschlossen. Haralds Wahrnehmung war benebelt von Geilheit und Alkohol, weshalb er sich bereitwillig mitschleifen ließ. Beide schleppten gemeinsam, kichernd und prustend, einen Teppich auf das im Boden eingelassene Gitter, aus dem warme Luft in die Kirche geblasen wurde. Die mitgebrachte Flasche Schampus stellten sie daneben ab. Als Leichentuch der Unzucht rissen sie eine Vorhang vom Altar, um sich darunter zu lieben, als wäre der jüngste Tag bereits angebrochen. Harald sah reizvolle Engel durch die Kirche flirren, deren Nippel von goldenen Sternchen blitzten. Ein riesiger Phallus bekam Flügel und umkreiste die flügelschlagende Pfingsttaube. Der Teufel stand in Flammen über dem Altar und tanzte mit dem Dreizack in der erhobenen Hand seinen Pferdefußtwist. Der Rock´n Roll pulsierte wie ein Dampfhammer durch Haralds Venen. Samantha wand sich wie die biblische Schlange um Adams Baum. Sie hechelte, stöhnte und schrie vor sündiger Lebenslust. Sie verbiss ihm den Hals und zerkratzte seinen Rücken. Sie feierten das Fest des Lebens, gemeinsam mit den in eine Jahrhunderte alte Kirche eingeschlossenen Seelen der einst Verstorbenen und verkümmerten Bekümmerten. Der Mond grinste fies durch die bunten Butzenglasfenster.

Samantha war nur noch eine Erinnerung, als Harald, nackt und notdürftig eingewickelt in einen Vorhang, auf einer unbequemen Unterlage erwachte. Um ihn herum standen Kinder in Verkleidung: Eine Kuh, ein Esel, ein paar Schafe, drei Könige und ein Junge mit dem Schlapphut eines Zimmermanns, an seiner Seite ein Mädchen im langen Gewand mit einer Puppe auf dem Arm.
„Bist du ein Obdachloser“?, fragte eines der Schafe.
„Wahrscheinlich ist er auf der Herbergssuche“, mutmaßte der Junge mit Schlapphut.
„Sollen wir es dem Pfarrer sagen?“, überlegte die Kuh.
„Müsst ihr nicht“, grinste Harald verunsichert: „Könnt ihr euch alle mal umdrehen?“
Erstaunlicherweise folgten die Kinder seiner Bitte. Hektisch wühlte er sich aus dem Vorhang und schlüpfte in seine Kleider.
„Danke“, stöhnte Harald erleichtert und ging, mit der leeren Schampusflasche in der Hand, zum Ausgang. Im Portal stehend drehte er sich nochmal um: „Frohe Weihnachten, Kinder … und ...“ er hielt den gestreckten Zeigefinger an die zugespitzten Lippen: „Pssssssst!“
Maria und Josef blinzelten ihm verschwörerisch zu.
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