Der letzte Anruf
Zum Einstand möchte ich euch etwas Kurzes von mir zum Lesen geben. Ich bin gespannt auf euer Urteil.==
Der letzte Anruf
Angespannt, nervös, fast ängstlich. Nie zuvor habe ich mich so gefühlt, wenn ich Dich anrief. Niemals zuvor in den acht Jahren unserer Freundschaft.
„Hallo?“ Du scheinst überrascht, meine Stimme zu hören. Überrascht, nach so vielen Monaten wieder von mir zu hören. Überrascht, dass ich an Deinen Geburtstag gedacht habe. Du klingst weit entfernt, viel weiter als die 800km, die uns trennen.
Ich frage Dich, wie es Dir geht. Früher haben wir einander nie gefragt, wie es uns geht. Schon am Klang des ersten Wortes des ersten Satzes erkannten wir, wie der andere sich fühlte. Jetzt kann ich es nicht mehr spüren. Und Du verrätst es mir auch nicht, sondern antwortest mit einer Gegenfrage und wickelst mich ein in Phrasen und Plattitüden.
Minuten vergehen. Wir reden über die Arbeit, Deine neue Wohnung, gemeinsame Bekannte. Doch alles klingt grau, ohne Herzblut, ohne Witz, ohne Magie. Dieses Gespräch könnte ich mit jedem beliebigen flüchtigen Bekannten führen. Ich spüre, wie die Pausen länger, die Themen immer banaler werden.
Ich weiß, dass ich es jetzt sagen oder mich von Dir verabschieden muss. Verabschieden von unserer Freundschaft. Einem Rad, das sich immer langsamer dreht, bis es schließlich mit einem leisen Ächzen zum Stillstand kommt.
Und so sage ich, wie sehr ich Dich vermisse. Und ich spüre zum ersten Mal die bekannte, geliebte Wärme in Deiner Stimme. Du sagst, dass es nicht an mir liegt. Du redest über Deine langen Arbeitszeiten und wie wenig Zeit Du mit Deinem Freund hast. Und dass Freundschaften natürlich noch mehr darunter leiden, wenn schon nicht genug Zeit für die Beziehung ist. Ich gebe Dir recht, obwohl ich nicht weiß, ob Du recht hast. Ich weiß nicht mal mehr, ob Du mir die Wahrheit sagst, oder wenigstens eine humane Variante der Wahrheit.
Es bringt nichts, um eine Freundschaft zu betteln, und so sage ich, dass Du Dich jederzeit melden kannst, wenn Du wieder mehr Zeit haben solltest. Und dass ich nicht sauer bin. Das bin ich auch wirklich nicht. Ich bin enttäuscht und traurig, aber das zu sagen, würde auch nichts ändern.
Du willst mir ein Bild von Dir und Deinem Freund per Email schicken, damit ich auch endlich weiß, wie er aussieht. Ja, das wäre nett, antworte ich. Und wir verabschieden uns.
Keiner von uns beiden sagt „bis bald“...