Die, die ich meine
>>Die, die ich meine, sind so.Die anderen nicht, aber die gehören nicht zu meiner Welt.
Ich sehe sie, ich erkenne sie und erkenne, dass sie mich nicht erkennen. Die Anderen erkennen mich nicht.
Die, die ich meine, sind so wie ich.
Wir sind eine ganze Armee von finsteren Lichtblicken; wir sind die, die einander erkennen. Am Blick.
Nicht am Gang, nicht an der Uniform, nicht am alltäglichen Tun. Unter uns gibt es auch solche, denen mitunter das Leben gelingt; die erkennen wir weniger leicht, manchmal zu spät, manchmal gar nicht.
Ansonsten erkennen wir einander am Blick und an der Rede.
Wir, die Hingeworfenen, die Erschlagenen, die Lachenden, die Kopf-nach-hinten-Werfenden. Die Leute, denen das Leben entlang der Finger abrinnt, weil wir es nicht halten; weder in der flachen Hand, noch in den Fäusten.
Und wenn wir noch so gelingend einherschreiten, wenn wir noch so tuend innehalten: an uns bleibt kein Tropfen haften, alles rinnt herab, wie aus einer ignorierten, chronischen Wunde, eine offene Stelle am Horizont, ein Ufer, das nie beankert wird.
Wir erkennen einander, wenn wir einander sehen, auf der Straße; auf offenen Wegen, weil wir dort immer aufrecht und mit pendelnden Armen gehen, weil wir die Weite, die um uns ist, deutlicher, kühler erspüren, als die Anderen.
Wir begegnen einander an Kreuzungen, an Brücken, an Häuserecken und auf den Dächern der Stadt, in den Schaufenstern, wo unsere Blicke sich treffen, derweil wir nur standen, nicht um zu sehen, nur um im Stehen zu halten und zu spüren, dass wir halten.
Dann treffen sich unsere Blicke und wir erkennen: Ach, auch so einer, einer wie ich, einer aus der Armee der finsteren Lichtblicke.
Wir sind die großen Liebenden, die Hingeworfenen und Absurden,
die Strauchelnden, die Baren, die Barfüßge, die Nie-Einsamen, die Alleinigen, die Herrscher und das Fußvolk, die Kettenträger der langen Züge der lichten Nacht.
Wir erkennen einander am Blick, an der Rede, an den Fäusten, an denen das Wasser des Lebens herabrinnt, wie aus einem faulen Pfirsich gepresst.
Unsere Blicke sind von taumelnder, lüsternen Tapferkeit, schräg die Köpfe und geradeheraus die Pupillen und im Mundwinkel stets sowas wie ein jaulender, entflogener, seufzender Kuss.
Wir stehen gerade und wir laufen aufrecht und an uns ist nie einer vorbeigekommen ohne hinzusehen, weil die klare und einfache Verzweiflung so deutlich in unseren Mundwinkeln eingrub.
Wir erkennen einander am Blick.
Dann, wenn wir einander begengnen, unbekannt.
Und dann, wenn wir einander begegnen, schon bekannt.
Dann werfen wir die Köpfe nach hinten, lachen laut auf und nehmen uns in den Arm, so wie es die Anderen tun, exakt so, sogar noch überzeugender, lauter, freudiger.
Wir nehmen einander in den Arm, und keiner der Anderen weiß, auch wir wissen es nicht immer, dass wir grade einander stützen.
Dass wir ineinander sinken und nicht einander grüßen; wir haben keinen Grund einander zu grüßen, denn in uns ist eine stille Gewissheit, egal ob wir uns wiedersehen oder nicht, es bleibt dabei.
Wir bleiben die, die einander am Blick erkennen und an der Rede, die, denen das Leben entrinnt und deren Blut an nichts klebt, an nichts anhaftet, auch nicht an ihrem Herzen, an den Gefäßen, an rein gar nichts, wir sind blutleer und haben rote Wangen vom Steigen, Hinaufsteigen, Hecheln, vom Hecheln, vom Laufen,
den Dingen hinterher, die wir nie haben wollten und...
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-Jetzt -
reicht´s!-
sagt er...,
bewegt sich
von der Seite auf den Bauch
und starrt mich mit strengen Augen an, mit offenen.
Ich schnaufe,
und lege das Heft beiseite.
Sein Einwurf kommt brüsk und drosselt mir die Worte im Hals, die am Sprudeln waren. Ich schnaufe, seufze,
lege das Heft auf den Boden, neben das Bett ,und wechsle die Position meiner Beine.
Er sieht mich weiter an, mit dem gleichen starren, gleichen geweiteten Blick, ohne etwas zu sagen.
Ich sehe nach unten, zu meinen nackten Beinen,
und zu dem Fleck, der langsam unter meiner Scham entsteht und das Bettlaken dunkler färbt. Die unterbrochene Rede kitzelt noch in meiner Kehle, ich fühle mich matt und ernüchtert, wie ein Sprinter, der hinfällt, und sich nicht hochstemmen kann.
Ich warte. Unter mir ist das Laken kühl geworden;
er sieht mich weiter an, aus der Bauchlage heraus, mit dem gleichen aufmerksamen, strengen Blick.
Halb seitlich liegt er da, sein Körper leicht gewunden, die Arme stützen ihn, der Nacken zu mir, die Augen zu mir... die Fragen, die er nicht stellt , an mich.
• Scheiße..., ich komme mir vor wie früher, wenn man aus dem Tagebuch vorlas, sage ich, und versuche einen lachenden Schnaufer zu modulieren.
Etwas verlegen schaue ich,
verlegener, als ich mich fühle;
ich fühle mich nur matt und will plötzlich nur noch gehen. Will mich anziehen und gehen. Es ist mir nicht peinlich den Text vorgelesen zu haben; peinlich ist mir eher, in ihm einen der Unsrigen erkannt haben zu wollen, der keiner war, keiner ist.
Ich Idiot, hab mich vertan, der gehört gar nicht dazu... wie konnte ich mich so entblößen, ich lese ihm aus meinem Hirn
und aus meinem Herz vor,
dabei ist er ein Fremder.
Kann das sein?
ich sehe ihn nochmal an;
der gleiche Blick, die gleiche Körperhaltung, leicht verdreht, leicht gewunden, das Gesäß zeichnet sich schön ab, sein Rücken mündet so sanft, so keck in die Wölbung.
Ich sehe hin
und der Anblick tut gut.
Ich sehe an ihm hinauf, in die strengen, beinahe kalten Augen, die mich immer noch fixieren.
Ich kann nun gar nicht mehr unterscheiden: was ich sehe und wie er sieht.
Ich streife mit dem Blick über seinen Körper...
Mit einem Mal
ist es mir gleich, was ich vorlas,
dass ich vorlas;
der Text ist vergessen,
ich lande im Nun
und bin nur noch da, bar jeden Gedankens,
nur gewahr,
das ist dieser schöne, geschwungene Körper, das sind schöne, schöne dunkle warme kalte unerschrockene Augen, und die Augen sehen mich an.
Ich möchte weinen;
ein kleiner, behutsam hingeschlängelter Krampf wartet hinter meiner Kehle; ich fühle mich innerlich aufgeweicht, erlöst und aufgehoben; in Sicherheit. Ich fühle mich in Sicherheit.
Ich prüfe, wieso; sehe an diesem Rücken entlang und auf die Kurve, die den Rücken am Gesäß abgrenzt. Meine Tränen gurgeln hinter meinem Kehkopf, ein Seufzer entgleitet mir, so dass mich auf die Knie setze und in die Hocke komme.
Ein warmer Rinnsal streift meine Oberschenkel und verliert sich zum Knie hin; ich habe alle Mühe, den Kampf hinter meinem Brustbein zu beherrschen. Es muss ein irrer Blick sein, den ich ihm zuwende, denn nun löst er einen Arm los und lässt ihn langsam zu mir herübergleiten.
Sein Blick wird härter, wacher, strenger.
Eine gigantische Hingeworfenheit packt mich,
ich sause hinauf und hinunter durch alle meine Lebensalter und Zeiten und Wenden und Träume
und in menem Hirn ist kein Raum mehr.
Der Arm erreicht mich und eine warme, sichere Hand berührt mein linkes Knie und umfasst es sanft.
Die Berührung ist so heilsam, dass der Taumel für einen Augenblick anhält.
Erschreckt, blicke ich nochmal hoch, in seine Augen.
Und entdecke etwas Neues,
eine Art wilder Sanftmut,
eine Art stillen Wartens,
wie das Lauern eines Tieres, das eben aufwachte, aber keine Angst kennt.
Ich wage es nicht, meinen Blick abzuwenden;
versenke mich in seinen Blick; versenke mich tropfenweise in seinen Blick, wie einer.. der eine Schlucht an einem Seil herabsteigt.
Versenke mich lange, versenke mich jetzt.
Seine Augen warten, es sind Augen,
die warten können.
Das macht mich nun unsicher.
Hab ich ihn doch nicht verkannt?
Ist er,
kann er,
versteht er
meinen wilden Text über das hingeworfene Leben? Kennt er es? Erkennt er es?
Mein Instinkt, meine Übung sagen mir, ich kann auf den Zweifel anders nicht Gewissheit bekommen:
Ich sehe hin und mir wird vom haltenden, vom unbestechlichen Blick seiner Augen beinahe schwindlig; ich glaube, ich schwebe beinahe, denn ich spüre fast nichts mehr an meinem Körper, als eine wohlige,
eine unendlich wohlige und schauervolle Selbstvergessenheit.
Mein Instinkt, meine Übung im Erkennen, sagen es mir, sie sagen: tu´s:
Und, ich wage es:
abermals beuge ich mich zu ihm, nun anders als vorher, als wir bestürzt ineinandersanken und uns verloren...
ich beuge mich zu ihm, mit dieser hellwachen Aufmerksamkeit, die sein Blick so lange auf mich übertrug, bis ich sie verstand.
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Und als sich sein Mund öffnet
und ich ihm mein Leben in den Schlund hauche und
er ohne Gier, aber mit Gewissheit,
Gewissenhaftigkeit und wachen Augen meinen
Kuss
in sich aufnimmt,
als
ich mich aushauche und spüre, dass ich wieder da bin, wieder ganz bin und meine Tränen
werden zum Schrei und mein ganzes Ich wird zum Schrei und ich werde und ich atme und sein Schlund ist weit auf und seine Lippen nehmen mich auf,
ohne Gier,
nur mit Weite, mit strenger, tränenloser, verstehender Weite:
da weiß ich, ich habe mich nicht getäuscht!
Ja, er ist einer von uns. Einer aus der Armee der finsteren Lichtblicke; einer, dem das Leben entlangrinnt; durch die Finger, wie aus einer offenen Wunde.
Wir erkennen einander doch: wir, die Durstigen, wir die Hungernden, wir, deren Schlünde offen
und Lider zu sind.
Mein zweiter Rausch an diesem Abend wird den ersten auslöschen;
beim ersten Mal trafen unsere trunkenen Körper aufeinander.
Jetzt, nun:
da trinke ich und da trinkt er,
und aus meinen Tränen wird ein Rinnsal des Lebens und ich gebe mich hin, ich gebe mich hin, als ob ich das Leben hätte, je hatte und nun herschenken könnte.
Und mit jedem Atemzug, den ich von seinen Lippen hole, werde ich wacher, wahrer und lebendiger.
Wir erkennen einander.
Wir sind die großen Liebenden, die Hingeworfenen und Absurden...
(C) Maerzmond; 19.04.2010