Vorgesorgt 2.
Jetzt bin ich aber gespannt, ob ich diese kleine Geschichte nun verschandelt oder verbessert habe, denn ich habe keine Meinung mehr dazu
Vorgesorgt
Edwin Krieger war schon lange kränklich. Immer wieder kam er wegen irgendetwas ins Krankenhaus und wurde verschiedentlich behandelt. Bei jedem Aufenthalt bekam er neue Medikamente verordnet. Er wurde gründlich untersucht und nach drei Tagen ging er scheinbar genesen wieder nachhause. Die Tabletten, Kapseln und Säfte nahm er, wie sie verordnet wurden und hinterfragte nicht, ob er denn nicht einige davon weglassen könnte. Wenn er das Gefühl hatte, dass sie nicht halfen, nahm er zusätzlich noch einige Tabletten, denn seine Devise lautete: „Nua füh hüft a füh.“ Er nahm gerne mehr als er verordnet bekommen hatte, denn es bereitete ihm ein gutes Gefühl, die Pflegerin so besorgt zu sehen.
Edwin saß alleine in der kleinen Küche und dachte daran, wie schlecht es ihm ging. Morgens war die Schwester eine halbe Stunde lang dagewesen, hatte ihn gewaschen und den Toilettenstuhl geleert. Danach hatte sie alle Fenster aufgerissen und Edwin dachte, erfrieren zu müssen, bis sie sie endlich wieder geschlossen hatte. Der hatte er aber danach seine Meinung über die Schädlichkeit von zuviel Zugluft gegeigt. Ihre betretene Miene hatte ihn etwas besänftigt. Aber er hatte wieder einen dieser Tage, wo schon beim Wachwerden nichts passte.
Oft fragte er sich, womit er dieses lange Leben verdient hatte und er dachte an die Vergangenheit. Sein ganzes Leben schien aus warten zu bestehen. Als Kind wartete er, dass die öde Schulzeit zu Ende ging und er nicht mehr der Tyrannei des kriegsinvaliden Vaters ausgeliefert war. Die Kriegszeit verging ihm dann aber nur allzu rasch. Hier hatte er Kameradschaft, Treue und Pflichtgefühl erfahren. Bis er vom Kriegsausgang enttäuscht, wieder lernen musste, zu warten. Die Zeit, bis zum Ende der Gefangenschaft, schien sich ins Unendliche zu dehnen. Wieder daheim arbeitete er und schuf sich einen Platz im Leben und er wartete auf eine Frau, die nie kam, weil er zu sehr wartete.
Jetzt kam jeden Tag eine Frau, seine Betreuerin und es passte ihm wieder nicht. Denn die musste er bezahlen und das wollte er schon überhaupt nicht.
„Imma woatn oda zoin. Da Votta hot scho recht ghobt. Der oide Depp, der Gscheade.“
Er stöhnte als er sich vom Küchenstuhl erhob und zum Sofa schlurfte. Jeder Schritt bereitete ihm Mühe. Die Müdigkeit der Jahre lastete schwer auf ihm. Es drückten die Vergangenheit und die Gegenwart auf seine Schultern und beugten seinen Rücken. Um seine Beschwerden zu überdecken, keifte er auf Randgruppen, zu denen seiner Meinung nach jeder gehörte, der nicht seine Ansichten teilte.
Für sein Ableben hatte er jedoch gut vorgesorgt, besser als für sein jetziges Leben. Er hatte eine hervorragende Sterbeversicherung, denn er wollte ein ehrenvolles Begräbnis haben, mit allem Drum und Dran. Aber das ließ auf sich warten.
„Oida Depp“, sagte er jetzt. „Wos hoist mi denn ned endlich, du Sau von Herrgott, du.“ So fluchte er dahin, schluckte die bunte Pillenmischung und machte es sich auf dem Küchensofa bequem. Aber vorher drückte er noch vorsorglich den kleinen Knopf der sich an einem Armband befand und wartete auf die Leute vom Samariterbund, die ihn ins Krankenhaus bringen würden.
(c) Herta 4/2010