Vielleicht besteht die Abneigung gegen klares Denken beim Thema „Liebe“ darin, daß man befürchtet, sie verlöre ihren Zauber. Das ist aber nur dann der Fall, wenn man überzeugt ist, daß Vernunft der natürliche Feind des Gefühls sei. Dabei sind es Seiten, die zum Menschen gehören wie Denken und Lachen, und sie sind nur theoretisch voneinander zu trennen. Praktisch sind sie miteinander verschmolzen. Es gibt keine Liebe ohne Vernunft und keine Vernunft ohne Liebe.
Man kann zwar Liebe an zuviel Vernunft leiden lassen – sowie auch Vernunft an zuviel Liebe leiden kann – doch das läge nicht an der Vernunft. Es wäre eher so, daß man Vernunft als Gegenmittel zu Liebe einsetzt; aus welchen Gründen auch immer. Man kann sich seinen Gefühlen hingeben, und man kann sich dem Denken hingeben; jedes zu seiner Zeit oder beides zur selben Zeit. Die Fähigkeit, Liebe zu empfinden und zu zeigen, hat vielleicht nicht allzuviel mit Vernunft zu tun. Vernunft aber ist nicht per se eine Gegenspielerin der Liebe; man muss sie schon dazu machen.
Luhmann ist als Wissenschaftler ein Beschreibender, der die Bedingungen zu beschreiben versucht, unter denen nicht die Liebe an sich, sondern die Kommunikation von Liebe steht. Dafür benutzt er selbstredend eine Sprache, einen code, der dieser Beschreibungsebene angemessen ist. Er ist völlig anders als die codes, die er untersucht. Und diese codes sind hier in jedem Beitrag auszumachen. Mit ihnen wird meist nicht beschrieben (deskriptiv), sondern vorgeschrieben (präskriptiv). Wie es sein soll mit der Liebe; das ist das Thema. Sie soll entweder eine geheimnisvolle äußere Macht sein, der die Vernunft entgegensteht und der man sich umso weniger überantworten kann, je mehr man analysiert, oder sie soll eine Art und Weise des Erlebens sein, der man selbst die Form gibt. Ersteres ist romantisch, Zweiteres ist nachindustriell, postmodern oder ähnliches.
Wenn ich postmodern denke, handle und somit fühle, heißt das nicht, daß ich den Zauber des Mysteriums „Liebe“ nicht mehr erleben kann. Im Gegenteil: Ich kann mein Erleben der Liebe selbst mitgestalten, wenn ich weiß, daß ich es eh selbst konstruiere. Das mache ich vor dem Hintergrund meiner ganz persönlichen Geschichte, weshalb mein Umgehen mit Liebe auch eine ganz persönliche Angelegenheit ist. Und wenn ich persönlich eine Vorliebe für die Romantik und ihren Umgang mit Liebe habe, dann lebe ich sie auch so, weil ich es will und mich dafür entschieden habe. Ob ich es reflektiert mache oder nicht, ändert nichts am Entscheidungscharakter.