Moosgeflüster
MoosgeflüsterPause! Ich lasse den Fugenkratzer fallen und wundere mich nicht über das fehlende Klirren. Rings um mich liegen in dicken Schichten entwurzelte Kuhblumen und Moosfetzen, die ich mühsam aus dem steinernen Gitternetz der Terrasse herausgearbeitet habe; ein Kunstwerk aus im Rondell gesetzten Pflastersteinen. Es gibt keine einzige gerade Fuge!
Das ist Fleißarbeit, sagte mein Opa immer.
Jetzt ist es eher Schwerstarbeit. Ich bin seit zehn Jahren das erste Mal wieder im Haus meiner Großeltern. Das Anwesen gehört nun mir - zusammen mit dem großen Garten und natürlich der Terrasse. Die alte hölzerne Hollywoodschaukel, auf der ich als Kind so gern gelegen und Mittagsschlaf gehalten habe, ist morsch und zugewuchert, der gemauerte Grill, bei dessen Bau ich meinem Großvater damals die Ziegel gereicht habe, ist mit Flechten überdeckt kaum mehr als solcher zu erkennen.
Seufzend hole ich den Besen und kehre das gerupfte Grünzeug zusammen. Ich habe keine Lust mehr.
Der Appetit kommt beim Essen, höre ich meine Großmutter.
Ja, ja - Hunger habe ich auch. Plötzlich muss ich lächeln.
Ein Moosstück auf dem Steinboden ist ungewöhnlich groß. Als ich genauer hinschaue, erkenne ich verschiedene Schattierungen: Saftig grün mit Blütenfäden wie Wimpern in der Mitte, am Rand gelblich und welk. Ich glaube, die Umrisse eines Gesichts zu erkennen. Oh, und daneben noch eines! Meine Großeltern zwinkern mir zu.
Wohlige Wärme strömt durch meinen Körper. Ich beschließe, den Moosteppich an dieser Stelle unberührt zu lassen.
Wenn ich mich beeile, schaffe ich es bestimmt noch, den Grill freizulegen und mir zum Abend ein saftiges Steak zu braten.
Na siehst Du, ist doch alles gar nicht so schlimm, säuseln die Moosgesichter.
Aber das war sicher nur der Wind.
© C.G.
Mein Beitrag zu einen "Postkarten-Wettbewerb" im Deutschen Schriftstellerforum - also alles, was auf die Rückseite einer Postkarte passt, 150 - 300 Wörter.
Zum Thema: Auf der Postkarten-Bild war irgendwas Grünes zu erkennen...
LG, Ana