Date Doctor
Heute ist mein erster Tag in meinem neuen Job. Ich arbeite jetzt sozusagen als Date-Doctor. Da ist spannend. Einen Monat Schulung habe ich hinter mir und jetzt ist der große Moment, wo der Frosch ins Wasser rennt: Ich werde auf meinen ersten Klienten losgelassen. Ich soll einen Herrn Anfang Dreißig coachen, der Probleme hat, die geeignete Partnerin zu finden. Wir werden uns in einem Café treffen, um die Rahmenbedingungen so authentisch wie möglich zu gestalten.Sechzehnuhrdreißig. Ich habe mir im Cafè einen netten Platz ausgesucht, von dem aus ich einen guten Überblick habe. Ich bin absichtlich eine Viertelstunde zu früh da. Schließlich will ich das Terrain ein wenig sondieren und mich akklimatisieren, bevor mein Kunde eintrifft.
Sechzehnuhrfünfundvierzig. Ich sitze bei meinem zweiten Cappucino und bin ein wenig aufgeregt. Schließlich ist das kein Allerweltsjob und ich will ihn nicht gleich bei meinem ersten Kunden versieben.
Sechzehnuhrfünfundfünfzig: Jetzt ist er schon zehn Minuten zu spät. Aber so was kann ja mal passieren.
Siebzehnuhrzehn: Ich mag keinen Cappuchino mehr. Steige jetzt auf Mineralwasser und Espresso um.
Siebzehnuhrfünfzehn: Ich rufe in der Agentur an, um die Sekretärin zu fragen, ob der Kunde eine Nachricht für mich hinterlassen hat. Die Tussie am anderen Ende der Leitung reagiert genervt und herablassend. Ich frage mich, ob das Wort Sekretärin von ‚Sekret’ kommt. Sie ist fast so nett, wie eitriger Nasenschleim währen einer Nebenhöhlenentzündung.
Siebzehnuhrzwanzig: Der Cappucino ruft. War wohl ein bisschen viel Flüssigkeit und ich muss mir mal dringend die Nase pudern gehen. Hoffentlich verpasse ich meinen Kunden nicht.
Siebzehnuhrzweiundzwanzig: Wieder zurück an meinem Platz bestelle ich mir entnervt einen Prosecco und nehme mir fest vor, ganz cool zu bleiben.
Siebzehnuhrvierzig: Ein großer, etwas bulliger Mittvierziger betritt das Café und geht zielstrebig auf meinen Platz zu. Das kann er doch nicht wirklich sein? Er passt nicht wirklich auf die Beschreibung, die mir meine Chefin von dem Mann gegeben hat. Aber sei’s drum! Ist ja nicht mein Date, sondern mein Auftraggeber.
Ich lächle ihn an.
„Sind sie die Coachingfrau?“ fragt er.
Ich nicke.
„Ja. Nehmen sie doch bitte Platz. Nett, sie kennenzulernen. War viel Verkehr?“
„Nö, aber ich hab’s nicht so mit der Pünktlichkeit, Lady!“
„Oh… Das ist aber schade. Das wirkt nicht sehr nett. Aber darüber können wir gerne später noch sprechen. Wer ich bin, das wissen sie ja bereits aus den Vorgesprächen mit meiner Kollegin. Jetzt können wir gemeinsam mal erörtern, was ich eigentlich für sie tun kann. Erzählen sie mir doch ein bisschen von sich selbst.“
Er kratzt sich ausgiebig und genüsslich am Sack. Na sowas! Was ist denn das für ein Benehmen?
„Was soll ich erzählen? Ich weiß auch nicht…“
„Nun, wo waren sie denn in Urlaub?“
„In Spanien.“
„Oh, Spanien, das ist schön. Kennen sie Gaudi?“
„Ja, Gaudi hatten wir da. Ich war mir meinen Kumpels am Ballermann.“
„Oh… eigentlich meinte DEN Gaudi. Aber macht ja nichts…“
Wieder sein Griff zum Gemächt. Hm… Ob er nicht merkt, was er da tut? Ich werde wohl besser versuchen, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.
„Ich lese gerade den Faust. Was halten sie davon?“
„Faust? Ist das nicht der Film über diesen Boxer? So was wie Rocky. Nur mit mehr Sex. Das finde ich cool!“
„Eigentlich dachte ich eher an Goethe.“
Schon wieder kratzt er sich am Sack. Ob er wohl glaubt, Frauen damit zu beeindrucken? Eigentlich kann ich mir das kaum vorstellen.
„Was erwarten sie sich eigentlich von dem Coaching?“
„Oh, ich will endlich ne wirkliche Klassefrau aufreissen. Man sagt, die, die äußerlich so verklemmt sind, wären viel schärfer im Bett. Sie wissen schon!“
„Ja, verstehe…“
„Sagen sie mal, wie wär’s denn mit uns beiden?“
„So leid es mit tut, aber das darf ich nicht. Schließlich sind sie mein Klient und nicht mein Date!“
Ich muss das schnell beenden. Der will gar kein Coaching! Ich muss hier raus!
„Tut mir leid, aber für heute ist unsere Zeit beendet. Wenden sie sich doch bitte für einen neuen Termin an unser Sekretariat!“ Ich verabschiede mich schnell.
Meinen Job bin ich jetzt sicher los. Aber wenn das jeden Tag so geht, verzichte ich gerne darauf. Dann schreibe ich eben ein Buch. Einen Titel habe ich schon:
"Die Überbewertung der erotischen Wirkung des Sackkratzens bei Männern mit omnipräsenter Bildungsresistenz"
© Rhabia 05-2010