Eines nachts im August
Eine Gemeinschaftsarbeit von http://www.joyclub.de/my/1348008.nisham.html und mir, auf Anregung von Nisham.Eines nachts im August
Es ist Sommer. Mitte August. Es ist heiß. Schwül. Ein Gewitter lauert am Horizont. Und es ist Nacht. Schritte auf dem Asphalt, mitten im Industriegebiet. Nur hier und da Lichtinseln vor Lagerhäusern. Die Schritte gehören einem Mann der es eilig hat. Schweiß tropft von seinem Gesicht. Er trägt einen langen Mantel, nein, einen Kittel, so wie sie in Labors getragen werden. Weiß. Ursprünglich – nun aber voller Flecken.
Der Mann geht zügig, nicht zu schnell. „Bloß nicht auffallen“, sagt er sich. An einer breiten Kreuzung bleibt er stehen. Schaut nach links, nach rechts, dreht sich um. Stand das Auto dort hinten, als er vorbeigegangen ist oder nicht? Ein unmerklicher Schauer geht durch den Mann „Ich muss aufmerksamer sein.“ Etwas schneller überquert er die beleuchtete Strasse, verschwindet gegenüber in der Finsternis.
Das Auto setzt sich langsam in Bewegung. Fast unhörbar. Eins dieser neuen Elektroautos. Kein Licht. Es rollt gemächlich über die Kreuzung und verschwindet ebenfalls in der industriellen Schattenwelt.
Stimmen im Dunkeln. Eindringlich: „Ich hab’s nicht dabei, es ging nicht. Glaube mir!“
„Wir hatten das anders besprochen. Was nun?“
„Es tut mir leid, es ging nicht.“
„Sei still! ... Ist das ein Auto? Wer ist dir gefolgt?“
„Niemand, ich bin ganz sicher, habe viele Umwege gemacht und immer geschaut.“
Grelles Scheinwerferlicht!
Der Mann im Laborkittel beginnt zu laufen. Er verschwindet hinter einer Mauer und hält atemlos inne. Dann sieht er sich vorsichtig um. Zu erkennen ist nichts. Es ist viel zu dunkel. Trotz der Schwüle, beginnt er zu zittern. Die Angst sitzt ihm im Nacken. Die Angst, entdeckt zu werden, ebenso zu enden wie die anderen, die, die er in der Firma zurückgelassen hat. Er spürt einen unbändigen Harndrang und erleichtert sich an der Mauer. Dann geht er langsam weiter. Seine Schritte scheinen laut zu hallen und Echos zu bilden. Oder sind das Schritte eines Verfolgers? Er bleibt stehen. Lauscht. Wartet. Geht weiter.
Immer wieder blickt er sich um und versucht etwas auszumachen, zu erkennen, ob er verfolgt wird. Ist da nicht ein Schatten hinter den Schatten? Er beschleunigt seinen Schritt und verflucht sich, weil er sich hierher hat dirigieren lassen.
Abermals hört er hinter sich ein Auftreten, das nicht ganz mit seinem identisch ist. Die Tritte klingen schwerer.
Nun läuft er beinahe und übersieht eine Bodenunebenheit. Darüber stolpert er und fällt. Er unterdrückt einen Aufschrei, kann aber nicht verhindern, dass er stöhnt. Es klingt hohl zwischen den alten Gebäuden und scheint ihn auszulachen. Seine Hände sind aufgeschunden und bluten. Er wischt sie an der Hose ab und humpelt weiter.
Die fremden Schritte sind jetzt näher. Wittern sie etwa eine Chance ihn zu erwischen? Weiter geht er, zwingt sich, nicht zurück zu blicken. Vor ihm tauchen abermals flackernde gelbe Laternen auf. Der Himmel zieht sich langsam zu und ein paar dicke Regentropfen beginnen zu fallen. Leise flucht er vor sich hin. Einen Regenguss kann er jetzt nicht gebrauchen.
Er geht entlang einer Mauer, tastet sich vorsichtig weiter und greift plötzlich ins Leere. Ist das eine Tür? Er späht durch. Dahinter ist es noch dunkler als auf der Straße. Ein Blitz taucht das Industriegebiet in ein unheimliches Licht und die Schatten treten deutlich hervor.
Schnell huscht er hinein und presst sich an die Wand. Sein Atem geht schnell, das Herz in der Brust hämmert als würde es gleich zerspringen und er hat das Gefühl, als würden ihn die Beine keinen Moment mehr tragen. Langsam rutscht er an der Wand hinab.
An die Wand gelehnt sitzt er, versucht flach und lautlos zu atmen, doch ein Stöhnen kann er nicht unterdrücken. Er schaut sich um, versucht in der Dunkelheit zu erkennen wo er sich befindet. Das scheint eine Lagerhalle zu sein, eine, die nicht mehr benutzt wird. Das erzählt ihm sein Geruchssinn.
Sind das Schritte? Er beugt den Kopf in Richtung Türöffnung. Ein Knirschen. Das ist ein Schuh auf dem unebenen Boden. ‚Ich muss hier weg’, denkt der Mann und rappelt sich auf, stützt sich leicht wankend an der Mauer ab und geht langsam, immer eine Hand an der Mauer weiter, die andere Hand streckt er vor sich hin. Da, ein Gitter, Nein, das scheint eine Metalltreppe zu sein. Hoch gehen? Nein, doch lieber nicht. Also weiter.
Tapp. Kratz. Der Mann zuckt zusammen, da kommt eindeutig jemand, und dieser Mensch ist schon dicht hinter ihm. Wie konnte es nur sein, dass er ihn nicht hat kommen hören?
"Stoi!" hört er plötzlich laut und deutlich direkt hinter sich. "Halt!" wiederholt die Stimme. Der Mann bleibt stehen. Reglos und doch zitternd wie Espenlaub.
„Es hat keinen Sinn. Mitkommen“, spricht die gutturale Stimme. Und schon wird er am rechten Oberarm gepackt. Doch der Mann geht nicht zurück, sondern dirigiert ihn weiter in diese absolut dunkle Halle. Er scheint zu wissen wo er hingeht und kann offenbar in der Nacht problemlos sehen.
Mitten in der Halle bleiben sie stehen. „Wo ist es?“, fragt er in leisem Ton.
„Was wo ist? Wovon sprechen Sie?“
„Du weißt schon, was du aus dem Labor gerettet hast.“
„Was Labor? Gerettet?“
„Wir wissen alles. Also, wo ist es?"“
Er fühlt sich in der Falle. Dieser Russe oder was das ist, dem kann er nicht entkommen, auf keinen Fall. Fieberhaft überlegt er, was er tun soll. Er hat das Teil nicht. Es ist weg. Der andere hat es genommen und ihn nicht bezahlt. Nichts hat er für das Risiko bekommen.
„Sprich jetzt endlich“, herrscht ihn einer der Männer an und packt ihn fest am Kragen, zieht ihn zu sich heran und er fühlt, wie er den Halt unter den Füßen verliert.
Neuerlich bricht ihm der Angstschweiß aus. Eiskalte Finger scheinen sich um sein Herz zu biegen und es zum Stehen zu bringen, während er um jeden Atemzug verzweifelt ringt.
„Ich hab es nicht mehr“, flüstert er.
Der Russe lässt ihn wieder auf die Beine, dreht ihm aber einen Arm auf den Rücken und dirigiert ihn ein Stück weiter.
„Wem hast du es gegeben?“
„Ich kenne ihn nicht. Ehrlich!“
„Lüg mich nicht an!“ Eine Hand trifft klatschend sein Gesicht bevor sich eine Faust in seine Magengegend bohrt. Er krümmt sich vor Schmerz und kotzt dem Mann vor ihm genau auf die Stiefel. Die Männer lachen und reden dann etwas in einer Sprache, die er nicht versteht.
Das Geräusch verursacht ihm erneut eine Gänsehaut und er hat das Gefühl, sich jeden Moment anzupinkeln. Der Kleinere der beiden packt ihn jetzt an den Haaren und zieht ihn noch ein Stück weiter nach hinten in die Halle. Dorthin, wo kein Lichtstrahl landet.
„Knien!“, befiehlt er und er kniet sich hin. Alles wird er machen, um hier mit heiler Haut herauszukommen. Nur er weiß nichts! Er ist sich nicht einmal sicher, was das genau gewesen ist, das er aus dem Labor mitgenommen hat, bevor es in die Luft flog.
„Ich weiß nichts“, sagt er wieder, flehend jetzt und den Tränen nahe.
„Du weißt gar nicht, was du alles nicht weißt.“ Die Stimme des Kleinen ist eisig. Sie schneidet in das Trommelfell und verstärkt die Angst des Laboranten.
Der Mann geht und lässt ihn alleine zurück. Er hört noch, wie sich eine Tür schließt und scharrend ein Riegel vorgeschoben wird. Vor Angst wie gelähmt bleibt er wo er ist, wagt keine Bewegung. Er hat genau gesehen, was der Kleine machte, als er ging.
„Ich weiß nichts“, flüstert er und Tränen beginnen über seine Wangen zu laufen.
Dann gibt es eine Explosion und Flammen schlagen in die Dunkelheit.
Das gleißende Licht der Explosion blendet ihn; die Druckwelle wirbelt ihn durch die halbe Halle. dumpf schlägt er auf und rutscht auf dem Kahlen Beton weiter, bis eine Mauer seinen hilflosen Körper stoppt. Alle Knochen tun ihm weh, sein Trommelfell ist vielleicht geplatzt. Die Explosion hat den vorderen Teil der Halle weggeblasen. die Flammen finden bald keine Nahrung mehr, flackerndes Licht, dann nur noch hier und da ein Glimmen.
Langsam atmet der Mann durch, die beißende Luft verbrennt ihm fast die Lunge. Doch er lebt. Alles tut ihm weh. Er versucht, Arme und Beine zu bewegen. Alles schmerzt, aber es ist wohl nichts gebrochen. Mühsam rappelt er sich auf, stützt sich an der Wand ab. Der prasselnde Regen verschluckt jegliches Geräusch. Die Gewitterblitze erhellen ab und zu die gespenstischen Überreste der Halle. Da, links ist eine Öffnung; mit hastigen Schritten geht er darauf zu, tritt hinaus in den Regen.
Schwaches Licht einer einsamen Straßenlaterne erleuchtet eine Sackgasse, also gibt es nur einen Ausweg. Humpelnd und das eine Bein leicht nachziehend geht er los. Nach wenigen Schritten ist er völlig durchnässt, doch der Regen kühlt seine Wunden.
„Was hab ich da wohl geklaut?“, fragt er sich immer wieder. „Und warum ist das Labor dann in die Luft geflogen?“ Auch da hat er keine Antwort. „Und wieso hat mir dieser Typ mein Geld nicht gegeben?“
Langsam geht er weiter. Nach einer Weile kommt er zu der Stelle, wo er den Mann getroffen hat, mit dem er den Tausch hätte vornehmen müssen, als sie ja gestört wurden und er davongerannt ist - ohne alles.
Ein greller Blitz blendet ihn. Er sieht das Hindernis nicht und stolpert darüber. Er fällt hin, flucht. Dreht sich um und sieht - den Koffer mit seinem Geld.
Rasch greift er danach und eilt weiter. Der Brand im Hintergrund und die Blitze geben den Blick frei auf eine Ruinenstadt. Der Regen lässt alles noch gespenstischer erscheinen.
Schon hört er in der Ferne die Sirenen der Feuerwehr erklingen. Blaulicht mischt sich mit dem Orange der Flammen. Langsam versucht er in dem Wirrwarr aus Gassen und alten Gemäuern einen Weg hinaus zu finden. Ständig muss er anhalten, weil er keine Luft mehr bekommt. Irgendetwas hat ihn doch getroffen und er greift sich an die Seite. Da ragt ein Holzsplitter zwischen den Rippen hervor. Die Finger sind nass – von seinem Blut. Ihm wird übel und er fällt kotzend auf die Knie. Dann kippt er zur Seite, genau auf den Koffer und der Splitter bohrt sich weiter hinein. Er bleibt röchelnd liegen, spuckt Blut und …
(c) Herta und Nisham 5/2010