Ausgeliefert
Noch eine Gemeinschaftsarbeit von @ Nisham und mir Wer mag kann ja raten, wer was geschrieben hat
LG Herta
Ausgeliefert
Drei Uhr. Tag oder Nacht? Die Uhr an der Wand zeigte auf 3. Doch Leutnant Yril Benidas, der von der Stahlplatte, auf der er festgeschnallt war, diese Uhr im Blickfeld hatte, wusste es nicht. Wie viel Zeit war verstrichen, seit dem Flugzeugabsturz über dem Feindesland? Nicht einmal abgeschossen waren sie worden, sondern der Flieger hatte plötzlich einen vollständigen Systemausfall. Wie lange waren sie schon hier? Der junge, scharfsinnige Leutnant wusste es nicht.
„Jetzt können wir doch unser Gespräch fortführen“, erklang Major Lysander Jostios Stimme plötzlich ganz nah an seinem Ohr, flüsternd und schneidend.
„Wo...?’, mehr brachte Leutnant Benidas nicht hervor.
„Das Ziel der Mission?"
„Ich weiß es nicht.“
„Du hast noch eine Chance zum Antworten.“ Jetzt stand der Major an seiner Seite. Perfekt sitzende Uniform, frisch geduscht und rasiert.
„Meine Vorgesetzten ...“
„Die interessieren mich nicht. Also..."
„Ich ...“ Leutnant Benidas, brachte aber keinen Ton mehr heraus. Er war müde und erschöpft. Er hatte kein Zeitgefühl mehr, immer brannte Licht, mal greller, mal weniger. Doch er konnte nicht schlafen. Immer wieder wurde er geweckt, von irgendetwas, einem Geräusch, nichts wirklich Definierbarem.
„Ich warte!“ Der Major schlug mit der Faust mehrfach auf die Stahlplatte, auf der Benidas lag. .Die Vibrationen übertrugen sich. Schmerzhaft vibriert sein Körper.
Der Major schnippte mit den Fingern und ein Soldat kam dazu, eine ganz banale Schleifmaschine aus dem Supermarkt in der Hand. eine Lieblingsmaschine der Heimwerker. Akku-Schleifer. Ein paar Mal betätigte er den Druckschalter und ein lautes Surren erklang.
Der Major gab ihm erneut ein Zeichen. Daraufhin grinste der Soldat und setzte die Schleifmaschine an.
„Ich weiß nichts, fragen Sie den Hauptmann“, flehte Yril Benidas, seine Stimme klang schrill in den Ohren.
Der Hauptmann war schon vor Stunden beim Major zum Verhör gewesen. Jetzt war er in einer Zelle untergebracht und überdachte noch einmal jedes gefallene Wort.
Gefesselt war er im Büro des Lagerkommandanten gestanden und hatte lange warten müssen. Endlich war er gekommen, hatte hinter seinem Schreibtisch Platz genommen und ihn einige Zeit gemustert. Geringschätzig. Dann hatte er mit den üblichen Fragen begonnen. Kurz und knapp waren sie gewesen: „Name, Rang, Zweck der Mission.“
Er konnte sich noch erinnern, wie er den dicken Kloß im Hals geschluckt hatte. Bei jedem Flug hatte er das gefürchtet und nun war es so gekommen.
„Azen Kubuz, Hauptmann, Leiter der Aufklärungsstaffel Beta“, hatte er ebenso knapp geantwortet.
„Der Zweck Ihrer Mission, Herr Hauptmann!“ Der Major hatte wenig Geduld mit Gefangenen und neigte dazu, zu brüllen um seinen Fragen Nachdruck zu verleihen. Doch Azen hatte nur seinen Namen und den Dienstgrad wiederholt.
Das ging mehrere Stunden so dahin, dann war er in die Zelle zurückgebracht worden. Er fragte sich nun, was mit dem Rest seiner Mannschaft geschehen war. Ihr Auftrag war geheim und nur er wusste alle Details darüber. Die anderen, besonders die Soldaten dienten als Begleitschutz und allenfalls als Kanonenfutter. Es war ihm unangenehm, so über seine Leute zu denken, aber so war es eben beim Militär. Keine Sentimentalitäten.
Die Soldaten waren in einer anderen Zelle untergebracht worden und fragten sich ebenso ängstlich wie die Offiziere, was nun mit ihnen geschehen würde. Man wurde auf so etwas in der Ausbildung zwar vorbereitet, aber dann tatsächlich gefangen zu sein, war eine andere Sache. Sie wussten nur, dass der Leutnant und der Hauptmann zu einem Verhör geholt worden waren.
Yril sagte rasch, als sich das Geräusch der Schleifmaschine weiter näherte und er bereits den Kontakt zu spüren glaubte: „Wir waren lediglich auf einer Aufklärungsmission und sind durch einen Systemausfall in Ihr Gebiet eingedrungen.“
Das Geräusch näherte sich und entfernte sich schließlich wieder, blieb aber weiterhin hörbar. Vor Erleichterung, dass er nicht mit dem Gerät in Berührung gekommen war, schluchzte er einmal auf und schämte sich für diese Schwäche.
„Und wer soll dir das verdammt noch mal glauben?“
Der erste Schlag traf seine Nase und brach sie.
Yril schrie auf. Blut floss über sein Gesicht. Der Schmerz brachte ihn fast an den Rand einer Ohnmacht. Als er das Geräusch, nein das sirrende Kreischen der Schleifmaschine direkt neben seinem Gesicht hörte, versuchte er sich aufzubäumen, doch die Fesseln hielten ihn bewegungslos.
Als er Funken sprühen sah und die Maschine direkt neben einem Ohr fühlte, fiel er in eine Ohnmacht. Der Soldat mit der Schleifmaschine lachte laut auf, hatte er sie doch nur an die Metallplatte gehalten.
Der an die Wand gefesselte Kamas hatte nur die Geräusche und Laute gehört, da seine Augen verbunden waren. Er wurde kreidebleich, seine Hose nass und begann zu stinken. Der Soldat näherte sich dem Gefreiten, hielt ihm die sirrende Schleifmaschine direkt vor das Gesicht: „Nun bist du dran, der Leutnant hat schlapp gemacht - hat ja auch kaum mehr eine Fetzen Haut.“
Der Gefreite schrie auf und brüllte: „Ich weiß doch nichts! Mir sagen die ja nie etwas, ich bin nur als Wasserträger!“
„Was für Wasser?“, fragte der Soldat, nachdem er die Schleifmaschine ausgeschaltet hat. Plötzliche Ruhe. Stille. Nur das Röcheln des Leutnants ist unüberhörbar.
Der Gefreite stammelte hastig: „Das ist doch nur ein Spruch, Wasserträger. ich meine...“ Doch weiter kam er nicht, weil der Soldat ihm die Schleifmaschine - die zum Glück nicht eingeschaltet war - in die Magengrube schlug. Wäre der Gefreite nicht festgebunden, wäre er wie ein Schweizer Offiziersmesser zusammengeklappt. Als er zu würgen begann, machte der Soldat einen Schritt zu Seite, gerade rechtzeitig, bevor die Kotze aus dem Mund des Gefreiten hervorquoll. Wütend drückte der Soldat auf den Schalter, die Schleifmaschine heulte auf, und es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, doch der Soldat heulte vor Schmerzen auf, als das mittelgrobe (80er für die Kenner) Schleifpapier an seinem Oberschenkel eine breite rote Spur hinterließ.
Die Soldaten waren noch unsicherer geworden, als Kamas abgeholt wurde. Er sagte nichts, blickte aber ängstlich immer wieder zurück, bis ihm jemand mit dem Gewehrkolben den Weg wies. Stumm saßen sie auf den Pritschen und stellten sich vor, was mit ihnen der Reihe nach geschehen würde.
Azen Kubuz wurde erneut geholt, damit hatte er gerechnet. Die Müdigkeit war ihm deutlich anzusehen und nur schleppend ging er vorwärts. Entschlossen, sich nicht so rasch unterkriegen zu lassen, straffte er sich. ‚Es ist egal, was die mit uns machen. Ich habe meine Befehle’, dachte er und biss so fest die Zähne aufeinander, dass das Kiefer schmerzte.
Der Hauptmann wurde nun ebenfalls in den kleinen Raum gebracht, in dem sich bereits Leutnant Yril und Gefreiter Kamas befanden. Er war furchtbar heiß in diesem aus Wellblech zusammengebauten Gebäude. Der Geruch nach Erbrochenem, Urin, Angst und etwas noch Unbekanntem schlug ihm entgegen, als er an eine Metallliege geführt und dort festgebunden wurde. Bevor er gefesselt wurde, konnte er sich noch im Raum umschauen. Er sah, dass hier noch Platz genug war, um seine Mannschaft hier zu martern. Trotzdem, er würde nichts sagen, darauf war er gedrillt worden, in dieser lange zurückliegenden Sonderausbildung.
Schweiß tropfte ihm in die Augen, als ihm ein Soldat das Hemd öffnete. Danach ging er.
Azen versuchte sich zu beruhigen. Er fühlte sein Herz im Hals schlagen und im Bauch, sogar in den Schläfen schien es zu sein. Die Augen brannten, er kniff sie zu, was es auch nicht besser machte.
„Leutnant?“, flüsterte Kamas.
„Der Leutnant, ist weggetreten. Wie geht es Ihnen, Kamas?“
„Geht schon, Herr Hauptmann. Blöder Absturz. Dämlicher hätten wir uns nicht anstellen können.“
„Ja. Seien Sie jetzt still, die wollen nur Geheimnisse hören und wir haben keine“, log der Hauptmann, aber der Gefreite schwieg sofort. Er fühlte sich etwas besser, auch wenn sein Oberschenkel wie die Hölle brannte, als er den Hauptmann gehört hatte. Der war nämlich wirklich ein Fels. Er hatte alle nach dem Absturz in Sicherheit gebracht. Für die Panne in der Luft konnte er natürlich nichts, auch nicht, dass sie im Dschungel entdeckt worden waren. Sie waren ja mitten im Feindesland verlorengegangen. Kamas wusste, dass sie hier wahrscheinlich nicht mehr herauskommen würden. Noch nie war jemand so weit über fremdes Territorium geflogen, abgestürzt und wieder heimgekommen.
„Wir kommen nicht mehr heim, nicht wahr Herr Hauptmann?“, fragte er deshalb.
„Ja, Kamas, ich fürchte, dass wir hier sterben werden“, antwortete Azen ruhig und gefasst.
„Dachte ich’s mir. Gut, wenn ich das weiß.“ Er nickte vor sich hin, sehen konnte er nichts und der Geruch, der von seiner Uniform ausging, brachte ihn immer wieder zum Würgen.
Dann traten Major Jostios, gefolgt von Meiser Nazarios, er war Meister einer ganz speziellen Befragungstechnik, ein.
Langsam ging der Major von einem zum Anderen. Lange schaute er jeden Mann an. Rieb sich dabei die Hände, sprach kein Wort. Zwischen Hauptmann und Leutnant blieb er stehen: „Bringt die Anderen!" schrie er plötzlich mit einer sich fast überschlagenden Stimme, die seine Wut und Ungeduld verriet.
Ja, der Major hatte keine Zeit zu verlieren. Befehle von Oben. Versprechen seinerseits.
Nun standen und lagen sie da, gefesselt und versammelt in einem Raum, in dem das Atmen schwer fiel. Stille. Nur Nazarios drückte immer wieder auf den Schalter seiner Schleifmaschine, so dass ein irres Sirren den Raum erfüllte. Der Major trat zum Leutnant, gab ihm zwei schallende Ohrfeigen. Langsam kam der aus seiner Ohnmacht wieder zu sich. Die Augen seiner Männer auf ihn gerichtet.
Das erste Wort des Leutnants war: „Wasser.“
Der Major lachte laut auf, beugte sich über das Gesicht des Gefesselten: „Wasser kriegst du wenn du uns gesagt hast, was deine Mission war.“
„Wasser“, wiederholte der Leutnant.
„Gut, wenn du so stur sein willst, ich werde nun all deine Männer vor dir häuten lassen. Nazarios ist ein wahrer Künstler mit seiner Schleifmaschine, in wenigen Minuten hat er einen Mann nackt - nackt, ohne einen Fetzten Haut.“ Nazarios schwang die Schleifmaschine in die Luft, die auf vollen Touren den Raum in ein Inferno von Kreischen erfüllte.
Der Leutnant öffnete seinen Mund, der Major brachte Nazarios zum Abschalten. „Was ist? Willst du reden?“
„Ja“, stöhnte der Leutnant. „Lassen sie meine Männer, die wissen nichts."
„Mach schon, rede!“ Der Major, in voller Ungeduld versetzt dem Leutnant erneut eine schallende Ohrfeige.
„Wasser ist unser Geheimnis.“
„Halt die Klappe, Leutnant!“, herrschte ihn der Hauptmann an.
„Ach so ist das?“, die Stimme des Majors war jetzt zuckersüß, als er sich an Azen.
„Herr Hauptmann!“, die Stimme des Leutnants klang verzweifelt. „Sie können doch nicht …“
„Und wie …“, brüllte er zurück, sich der schrecklichen Lage in der sie sich befanden durchaus bewusst. Das Kreischen der Schleifmaschine füllte erneut den Raum.
„Es gibt keine Geheimnisse, Major“, sagte er stur. „Sie können von mir aus alle hier umbringen, der Reihe nach und gleich bei mir anfangen. Es gibt nichts zu sagen.“
Seine Mannschaft hielt den Atem an. Sie hatten nicht gewusst, dass der Hauptmann so brutal sein konnte und sie dem Tod ausliefern würde. Also musste der Auftrag wichtig gewesen sein, wichtiger als ihrer aller Leben.
„Na, wer wird denn einen Heldentod sterben wollen?“, fragte der Major erneut, winkte Nazarios heran, der hielt die Maschine an einen der gefesselten Soldaten.
Azen biss die Zähne aufeinander und schloss die Augen. ‚Nichts sagen. Bleib hart’, sagte er sich immerzu. Doch der Leutnant konnte das Geschrei nicht mehr mit anhören und flehte: „Hören Sie auf! Ich bitte Sie.“
„Deine Mannschaft steht aber auch nicht hinter dir, Hauptmann“, verkündete der Major, gab Azen eine Ohrfeige, der diese ohne Regung wegsteckte und wandte sich dann an Yril, der mit Tränen in den Augen, um Gnade flehte.
„Du wirst also reden! Dann los, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, mich mit euch, stinkendem Haufen, zu befassen!“
„Es geht um Wasser“, begann Yril flüsternd. „Immer nur darum.“ Und er sprach über die Heiligen Quellen des Hochlands, den Wasserspeicher mit seinen Millionen von Kubikmetern Wasser, den sie sprengen hätten sollen. Damit wäre das Land unter ihm verwüstet worden und die Hochlandbevölkerung wäre von der Wasserversorgung abgeschnitten gewesen.
Jedes Mal, wenn er stockte, schaltete Nazarios die Schleifmaschine ein, was dem Leutnant Ansporn genug war, weiter zu reden.
Azen versuchte ihn öfter zu stoppen, aber der Redefluss des Leutnants war nicht mehr zu bremsen.
Endlich war er fertig und der Major verließ befriedigt grinsend den Raum. Nazarios legte sein Werkzeug bedauernd zur Seite, er hätte es gerne einmal so richtig ausprobiert, aber so lief es immer.
Die sechs Soldaten atmeten erleichtert auf und der Hauptmann begann schallend zu lachen. „Mann, Yril, was zum Henker …?“
„Ja, Herr Hauptmann, was zum Henker …“, erwiderte er matt und war noch immer erstaunt darüber, dass er das Programm durchgehalten hatte.
Sie wussten nicht, wie lange sie hier noch warten mussten. Endlich kam ein Offizier, öffnete die Fesseln und sagte: „Ihr habt alle die Prüfung bestanden. Aber Leutnant Kubuz, Sie müssen noch an Ihren Lügengeschichten arbeiten. Zur Missionsbesprechung finden Sie sich alle in drei Stunden ein – gehen Sie jetzt duschen.“
(c) Herta und Nisham 5/2010