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Am Kanal

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Am Kanal
Es ist zwar jetzt nicht wirklich eine Kurzgeschichte - oder vielleicht doch *gruebel* nun ja, entscheidet selbst *zwinker*





Am Kanal


Ich laufe über eine Weise. Der Himmel ist von einem wunderbaren Blau, das Gras duftet nach Kräutern und Leben. Bienengesumm erfüllt die Luft und es ist warm. Ein leichter Wind liebkost mein Haar und küsst meine Wangen. Alles ist schön, wie neu und es fühlt sich an, wie eine Umarmung mit sich selbst und der Welt.

Ich gehe weiter in diesem Freudentaumel und gelange schließlich in die Stadt.

Nein, denke ich, hier will ich nicht sein. Doch meine Schritte kennen kein Pardon, sie ziehen weiter, ziehen mich dorthin, wohin ich nicht will, wo die Angst lauert und das Grauen.

Von Weitem sehe ich sie schon.

Sie liegen in der Gosse. Ohne Augen starrt mich einer an und lächelt wissend, der nächste läuft mir auf amputierten Oberschenkeln nach, greift mich am Arm und bringt mich zu Fall. Nun liege auch ich im Straßendreck, sehe die anderen, die zahlreichen gesichtslosen Wesen, die uns bevölkern, ohne dass wir es wissen.
Ich sehe den Mann ohne Stimme, der unablässig spricht, in jeder nur denkbaren Sprache. Der ohne Beine, springt auf meinem Bauch herum, als wäre er ein Trampolin. Die Frau ohne Augen liest die Zukunft aus den Wasserpfützen und sie sagt nichts Gutes voraus. Es wird für alle nur ein Ziel geben – und das ist das Ende. Das wiederholt sie in einer Endlosschleife, als Mantra.

Ich sehe an mir hinunter und erstarre vor Entsetzen. Ich bin wie diese Wesen! Ich bin sie! Weder Augen, noch Stimme, noch Beine habe ich und dennoch starre ich aus lidlosen Augen auf mein Kind, das lachend an mir vorüber läuft.
„Mein Kind!“, rufe ich immerzu. „Mein Kind! Ich bin hier, lauf nicht weg!!“ Dann bin ich alleine und diese Gestalten lachen über mich, weil ich etwas versucht habe, das sie schon lange aufgegeben haben.

Ich weine mich in den Schlaf, kann nicht glauben, was aus einem schönen Tag auf der Wiese geworden ist. Kein Sonnenstrahl trifft hier in dieses Rinnsal in dem wir liegen, die Kanalisation der Menschheit – alles Überflüssige wird weggeschwemmt.

Ich sehe das Schwemmgitter bereits auf mich zukommen. Mit rasender Geschwindigkeit nähert es sich und droht mir, den Schädel einzuschlagen.
Oben am Kanal sehe ich mein Kind laufen. Abermals rufe ich: „Mein Kind!“ Doch ich habe weder Stimme noch Substanz.

Ich gehe unter, bin weg –

und erwache zitternd. Sofort taste ich mein Gesicht ab – es ist noch alles da, dann eile ich ins Kinderzimmer.
„Mein Kind“, seufze ich und lege mich neben das Kinderbett.

(c) Herta 5/2010
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Wie schrecklich...

Hast Du so etwas tatsächlich geträumt?

Ich habe auch oft schlechte Träume, die mit meinem Kind oder meinem Muttersein zu tun haben, aber so etwas...

Ich glaube, in gewisser Weise gehört so etwas zum Muttersein dazu, es ist ja belegt mit vielfältigen Freuden, aber eben auch mit vielfältigen Ängsten. Auch solchen, die man zuvor gar nicht kannte...

Was genau bedeutet dieser Traum von den verkrüppelten Menschen, die in der Gosse liegen?

Soll es heißen, dass wir Erwachsenen automatisch eine Art Verkrüppelung erfahren, wenn wir herangewachsen sind? Dass wir die Welt nicht mehr richtig sehen oder erfahren können?

So ganz weiß ich das nicht zu interpretieren, glaube ich.
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Ein Albtraum, deine Geschichte!
Aber ich glaube weniger, dass es direkt etwas mit dem MutterSein zu tun hat.
Interpretieren möchte ich das hier nicht öffentlich.

Liebe Grüße
Rhabia
Ganz tief in uns, nehmen wir manchmal das erschreckende Leiden auf unserer Erde wahr.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Themenersteller 
Nein, der Traum hat nichts mit dem Muttersein zu tun - es ist eher das Verlorensein, Angst vor Verlust der Identität, dem Bild, das man von sich selbst hat und die Menschen um uns herum von uns.
Das Kind symbolisiert die Menschen, die ihrem Leben einfach so nachgehen, seien sie nun mit uns in irgendeiner Weise verbunden oder nicht.

So interpretiere ich diesen Traum, den ich tatsächlich hatte, auch, wenn das hier nicht die Originalniederschrift ist - denn das Original ist viel persönlicher und das hat meiner Meinung nach nichts in einer Kurzgeschichte zu suchen.


Liebe Grüße
Herta
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