Kasimir – oder der Zauberstab
Das kommt dabei raus, wenn man zu viel Herta, Rhabia, Olove, Sylvie und so liest. Vorsicht, albern »Also …«, begann der graubärtige Magier, nachdem das letzte Mitglied der Kommission anwesend war, und erhob sich. Er stützte sich auf den Tisch schaute kurz nach links und rechts, vergewisserte sich, dass alle Anwesenden auch wirklich anwesend waren.
»Kasimir – richtig?«
Der junge Mann trat unsicher von einem Fuß auf den anderen und nickte stumm. Er stand mutterseelenallein in der kleinen Aula der Akademie, vier Schritte vor dem langen Tisch, hinter dem ihn sieben Augenpaare ein wenig neugierig, aber auch mit offensichtlichem Unmut ansahen. Es war deutlich zu erkennen, dass sie jetzt lieber woanders wären.
»Und du willst Magier werden«, wieder antwortete ein stummes Nicken, »hier an der Rheinischen Akademie der magischen Künste.«
Das war weniger eine Frage, als vielmehr eine mit beträchtlichem Zweifel vorgetragene Zusammenfassung dessen, was die Kommission mitten in der Nacht aus ihren Kammern und Studierzimmern geholt hatte. Auch dieses Mal war ein wortloses Nicken die Antwort.
»Dann kommen wir gleich mal zu einer der wichtigsten Voraussetzungen. Du kannst sprechen?«
Kasimir setzte zu einem weiteren Nicken an, doch noch bevor der Zeigefinger des Dekans eine Höhe über der Tischplatte erreicht hatte, die als mahnend gelten konnte, besann er sich eines Besseren und sagte zögernd: »… Ja«.
»Schön. Und das sagst du nicht nur wegen den wütenden Bauern vor unserem Tor?«
Wieder brach er eine nonverbale Antwort im Ansatz ab und sagte: »N-nein«.
»Gut. Gehen wir also mal davon aus, dass das so stimmt. Wenn wir das in dem Durcheinander richtig vestanden haben, hast du also magische Fähigkeiten …«
»Eine magische Fähigkeit«, unterbrach ihn Wilhelmine Sonderbar, die Professorin für Alchemie. Sie betrachtete den jungen Mann über den Rand ihrer schmalen Lesebrille, nahm die Schlafhaube vom Kopf und legte sie vor sich auf den Tisch. Sie strich sie sorgfältig glatt und begann sie akkurat zusammenzufalten. Das hier würde noch eine Weile dauern.
»Richtig«, sagte der Dekan nachdenklich, »eine Fähigkeit«. Er kratzte sich kurz den Bauch, der in dem ärmellosen Feinrippunterhemd unvorteilhaft zur Geltung kam.
Friedrich Rübsam, der Chef-Thaumatologe der Akademie, ein dürrer Magier mit grauem, kurzgeschorenem Haar und einer großen, gebogenen Nase beugte sich aufgebracht vor. Bisher hatte er in seinen Hausmantel gewickelt mit vor der Brust verschränkten Armen dagesessen und den Jungen mit unverhohlenem Zweifel in den Augen gemustert. Nun sprang er auf und wandte sich in Richtung des Dekans, dabei verlor er unter dem Tisch einen Schlappen.
»Und selbst wenn er, wie er sagte, ganz alleine, ohne Anleitung eine wiederholbare, magische Fähigkeit entwickelt hätte – was ja an sich schon selten genug vorkommt …«, er holte Luft und wandte sich nun direkt an Kasimir, »selbst wenn das stimmt, ja glaubst du denn das wäre alles, junger Mann? Denkst du wir würden hier nichts anderes tun, als magische Kunststückchen üben? Denkst du vielleicht, das hier wäre wie in schlechten Büchern, dass wir regelmäßig die Welt vor dem Bösen retten? Ringe in Vulkane schmeißen? Teuflische Zauberer niederringen?«
Er sah ihn scharf an.
»N-nein, Herr Rübsam.«
»Ist dir klar, Junge, dass die Magie ein ernsthaftes Studium ist, bei dem es vor Allem um die Bildung des Geistes geht? Wir ziehen nicht mit rattenscharfen Elfenprinzessinnen und muskelbepackten Nordlandkriegern umher und retten die Welt! Wir schlagen uns Nächte und Tage mit dem Studium komplexer magischer Zusammenhänge um die Ohren, lesen Texte in Sprachen, die seit Jahrhunderten nicht mehr gesprochen, geschweige denn geschrieben werden und sind froh, wenn unsere Altvorderen mal ein Bildchen zur Illustration ihrer Riten eingefügt haben, der Fruchtbarkeitsriten, oder der Jungfräulichkeitsfeiern zum Beispiel, so dass wir uns durch die bildliche Darstellung …«
»Schon gut, Friedrich,« der Dekan legte ihm sanft aber nachdrücklich die Hand auf die Schulter, »schon gut, du kannst bald wieder zu deinen Bild … zu deinen Quellen zurück.«
Zu Kasimir gewandt fuhr er fort: »Was Professor Rübsam damit sagen will, ist, dass die Magie bei weitem nicht so romantisch und abenteuerlich ist wie man sich das im Allgemeinen vorstellt. Es ist viel, und es ist vor Allem harte Arbeit.«
»Das weiß ich, Herr Direktor ...«
»Dekan«, unterbrach ihn der Dekan.
»... Herr Dekan. Aber ich kann zaubern. Und ich will lernen, das besser zu machen. Und ich will mehr lernen.«
Ein kurzer Moment des Schweigens trat ein.
»Also, das hörte sich vorhin alles etwas, nun, sagen wir, seltsam an ...« sagte der Dekan nachdenklich. »Deshalb musst du verzeihen, wenn wir etwas skeptisch sind. Und jetzt sag uns nochmal was deine magische Fähigkeit ist.«
Verlegen sah Kasimir zu Boden »Ich ... ich habe einen ... Zauberstab« sagte er leise.
Einige Mitglieder der Kommision räusperten sich, tauschten belustigte Blicke aus.
»Die Bauern, die übrigens alle ziemlich lädiert aussahen, schrien etwas von der Unschuld irgendeines Mädchens ...«
Kasimir sah auf »Rosalind! Wie geht es ihr? Wo ist sie?«
»Es geht ihr gut. Wir haben sie durch einen Hinterausgang nach Hause geschickt. Sie selbst sagt übrigens, du hättest sie gerettet.«
Erleichtert atmete Kasimir auf.
»Was war da los?« fragte der Dekan, »Du wirst verstehen, dass wir nicht nur auf das Wort eines jungen Mannes hin, der auch noch von einer aufgebrachten Meute bis vor unser Tor verfolgt wird, oder wegen des hysterischen ›Hexerei! Hexerei!‹-Geschreis dieses Mobs jemanden in unsere Akademie aufnehmen können. Wenn wir da jedesmal was drauf geben würden, hätten wir Ratzfatz die Hütte voll.«
»Die Leute vor dem Tor sagen nämlich, du hättest diese Rosalind belästigt, hättest ihr erzählt, du wärest ein großartiger Magier und wolltest sie damit ins Heu schwatzen«, rief Rübsam gehässig.
»Nein, so wars nicht!«
»Wie war es denn dann?«
»Also …« druckste er »also da war dieser Junge …«
»Das muss der Hannes Dünnbrett gewesen sein, der Älteste Sohn eines reichen Kappesbauern aus der Gegend, wenn ich das richtig mitbekommen habe« warf der Bibliothekar ein, »Ne janz fiese Möpp, wie sin Vatter« fügte er noch hinzu.
»Genau, Hannes hieß der, dem hat nicht gepasst, dass ich mit Rosalind gesprochen habe und da hat er einen Streit angefangen.«
»Soweit ganz normal. Aber was ist dann passiert?«
Kasimir druckste wieder herum, »Ich … ich habe meinen Zauberstab rausgeholt.«
Rübsam kicherte albern.
»Und damit rund zwanzig Bauern vor den Kopf gestoßen? Oder was war da los?«
Kasimir schwieg und nickte nur.
»Dann zeig' ihn uns doch einfach mal« schlug der Bibliothekar vor.
»Ich … ich kann nicht« entgegnete Kasimir kleinlaut.
»Und warum nicht?« fragte Rübsam scharf.
»Weil … weil er nur rauskommt, wenn …«
»Na was?«
»Wenn … wenn ich … erregt bin« brachte Kasimir hervor.
»Wo hast du ihn denn jetzt?«
Kasimir druckste wieder herum und sah auf den Boden »In … in meiner … Hose.«
Einge Kommissionsmitglieder verdrehten die Augen, Unmutsäußerungen waren zu hören.
Der Dekan schloss die Augen, atmete tief durch und sagte dann: »Also … ich weiß nicht, wer uns da einen Bären aufbinden wollte, die Bauern oder du, und schließlich gab es einiges, was auf unkontrollierte Magie hindeutete …« er drückte kurz Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel, »… aber sei's drum. Man hat uns an der Nase herumgeführt und jetzt ist Schluss damit.« Er winkte den breitschultrigen Saaldienern.
»Geleitet den jungen Herrn hinaus.«
»Nein wartet! Ihr versteht nicht …!« rief Kasimir.
Und dann ging alles sehr schnell.
SSST-KLATSCH-AUA!-WHUPP-WAAAH!-KLOPP-RUMS-WATSCH-RÖCHEL-BONK
Die Kommissionsmitglieder erstarrten mitten im Aufbruch, sahen mit großen Augen auf das Schauspiel in der Mitte der Aula. Wie aus dem Nichts hatte der schmächtige junge Mann einen fast armdicken Knüppel in der Hand, der länger als er selbst groß war. Der Knüppel schien nur so dahinzufliegen und wenige Augenblicke später lagen die schwergewichtigen Saaldiener, allesamt mehr als doppelt so breit und um ein vielfaches schwerer als Kasimir, auf dem Boden.
Er hakte den Daumen in den Hosenbund, und schob den hölzernen Stab, wie es aussah, in ein Hosenbein.
Der Dekan fasste sich als erster wieder. Langsam, mit weit aufgerissenen Augen sagte er: »Ich denke, wir können dich aufnehmen, Junge«.