Brudermord
Ich bleibe auch bei dieser Geschichte historisch, habe versucht, mich an Fakten zu halten und es ist ein Teilgeständnis daraus geworden.Brudermord
Ich hatte ein eigenartiges Gefühl, als der Bote eintraf, wo doch niemand wusste, wo ich mich aufhielt. Doch was heißt hier Gefühl? Es war ein Schatten davon, denn sonst hätte ich es eher bemerkt. So jedoch wandelte ich schnurstracks ins Verderben und meine Familie mit mir. Nun, wer schlussendlich bezahlen muss, das steht noch nicht fest. Ich werde auf jeden Fall nicht gehen, ohne meine Schulden beglichen zu haben und damit meine ich jetzt nicht Geldschulden. Geld ist nichts im Vergleich zu anderen Dingen, die ich Zeit meines Lebens als wichtiger erachtet habe. Meine persönliche Ehre trage ich hoch, auch wenn ich die Ehre meiner Kohorte befleckt habe.
Wie kam es dazu, dass ich in die Falle tappte? Das war im Prinzip einfach. Wer mich, Gaius Cassius, kennt, weiß wie er mich locken kann. Geködert haben sie mich mit Wahrheit und Gerechtigkeit und nun werde ich Rechenschaft ablegen, für die zehn Jahre, die ich in den Legionen Roms als Kohortenführer diente und meine anschließende Flucht.
Heute muss ich mich dafür verantworten, meine Kohorte nicht noch zusätzlich in den Kampf gegen Marcus Antonius geworfen zu haben. Warum hätte ich das tun sollen? Marcus Truppen waren von Anfang an auf aussichtslosem Posten. Meine Soldaten hätten an Octavians Sieg nichts mehr geändert. Hätte ich sie den Haien verfüttern sollen?
Ich habe mich immer gewehrt, gegen einen Bürger Roms die Hand zu heben, solange er ehrlich und redlich ist. Das war schon so, als wir gegen die Republikaner vorgehen sollten. Julius Caesar war ebenso machthungrig wie Octavian und Brutus, die sich bereits vorher eifrig bekämpften. Caesars Tod war unausweichlich, wenn man es rückblickend betrachtet.
Morgen werden wir sehen, was daraus entsteht.
Drei Jahre lang habe ich mich dem Zugriff der Armee entziehen können. Meine Kohorte befahl ich an einem römischen Hafen zu ankern und sie sollten dort meinen Tod melden, was sie offensichtlich nicht getan hatten, denn sonst wäre ich nicht hier. Ich zog mich zurück, ganz weit nach Persien hinein ging ich. Feindesland, wenn man so will. Und dort fanden sie mich.
Ashana, meine Gefährtin wurde vor meinen Augen vergewaltigt und anschließend enthauptet. Jetzt stehe ich als Verräter vor meinen Brüdern. Dabei wollte ich nur nicht gegen sie kämpfen müssen.
Man kann sagen was man will, Marcus Antonius und Octavian haben beide so stark nach der Macht gegiert, dass es nicht anders kommen konnte. Wenn sich alle geweigert hätten, gegen die eigenen Leute zu kämpfen, hätten die beiden es untereinander austragen müssen. Das wäre meiner Meinung nach die beste Lösung des Konflikts gewesen. Ideal, wenn sie sich einig geworden wären und zusammen mit Marcus Lepidus das Triumvirat gebildet hätten. Zusammen haben sie den Dritten dann noch bekämpft, bevor sie sich gegenseitig angriffen und das Schicksal Ägyptens seinen Lauf nahm. Alle sind nur hungrig nach Macht und wer da nicht mitspielen will, den kaufen oder töten sie. Es ist so einfach.
Ach, mein Gefängnis, das ich mir selbst gebaut habe, in jahrelanger Arbeit, ist vernichtet und zu Staub zerfallen. Ashana tot und von den Aasvögeln gefressen und ich stehe hier in Rom und muss meine Schulden begleichen. Bei Ashana werde ich das nie mehr können. Ich habe den Feind geliebt – ja, den Feind. Denn die Perser sind unsere Feinde, von alters her und immer wieder haben wir gegen sie gekämpft und waren siegreich. An die Niederlagen erinnern wir uns nicht.
Morgen wird es heißen: „Gaius Cassius, du hast dich unerlaubt von deiner Legion entfernt, du hast Befehle nicht befolgt und dich mit dem Feind verbrüdert. Du weißt, was du zu tun hast.“
Und ich werde ihnen ins Gesicht lachen und sagen: „Wenn du willst, dass ich sterbe, dann musst du selbst Hand an mich legen, Bruder.“
Ich hoffe, dass er mir dann den Dolch in die Brust rammt, damit es schnell zu Ende ist. Dann werde ich diese letzte Schuld beglichen haben und mein Bruder wird der Erbe der Last sein – Brudermord überdauert Generationen.
(c) Herta 5/2010