Fade Fassaden
Ja, ich habe mich mal wieder in die Welt der Freunde und guten Bekannten gewagt. Nur selten bin ich da noch zu Gast; lauwarmen, weil vorababgefüllt, Prosecco auf großen Tablett und noch abgestandeneres Blabla habe ich mit Scheidung, Tangotanzen und bissigen Kolumnen erfolgreich hinter mir gelassen. Aber Charly und seine Frau Ruth sind wirkliche Freunde, solche, die man bei Wasserrohrbüchen anrufen kann – ihn, wenn die Wände nasse, gelbe Flecken aufweisen, weil er ein Installationsgeschaäft hat, und sie, wenn man kein trockenes Kleenex mehr findet und zum Heulen endlich eine Schulter braucht, um dort seine Wimperntuscheflecken zu hinterlassen. Also mache ich mich um 19.30h auf zu seiner 48. Geburtstagsfeier. Weiße, Bluse, lange Kette, enge Jeans und Highheels –so stehe ich mit meinem Fahrrad an der roten Ampel und lächle in die vorbeifahrenden Autos. Einem Fahrer kann ich das `Wow` von den Lippen lesen, als er mich anstarrend langsamer vorbeifährt. Ich muss grinsen.
Man hat ein Kellergewölbe gemietet und der Gastgeber selbst steht am Holzofen und schwitzt vor Pizzaböden, die er liebevoll mit roter Soße und Kochschinken belegt. Küßchen hier und da, rechts und links, mit und ohne Lippenstift. `Ich hab dich ja ewig nicht gesehn´und `wie schön, dass du da bist´. Kurz mit dem lauen Prosecco anstoßen und zunicken – schon kommt die Konversation ins Stocken.
`Ich hätt`dich beinah nicht erkannt – hast du so abgenommen oder machen das die hohen Schuhe?´ Rosi sieht noch einmal an mir rauf und runter.
`Außer, dass ich noch grauer geworden bin, hat sich meines Wissens an meinem Äußeren wenig verändert´ antworte ich nippend und auf den Stöckeln wippend. Was man offensichtlich sieht, gibt Rosi dann auch gleich bekannt: `Seit Fred pensioniert ist, habe ich 7 Kilo zugenommen´.
Claudia erzählt, dass sie jetzt als Verkäuferin bei Peek und Cloppenburg jobbt, weil sie `ihre drei Männer` - der Gatte und zwei pubertierende Söhne – nicht mehr aushält. So, so. Ich kämpfe mich weiter durch die Begrüßungen, küsschen, küsschen, und die Blicke.
Wieso fühle ich mich so anders?
Weil ich der einzige Single bin?
Oder weil ich nicht von der nachmittäglichen Gartenarbeit spreche – es wurde Zierkies um die frisch beschnittenen Buxbäume gestreut – oder vom bevorstehenden Gardaseeurlaub. Das macht man nämlich schon seit Jahren immer zu Pfingsten.
Wieso sind eigentlich alle außer mir noch verheiratet?
Die naheliegendste Erklärung wäre: weil sie so glücklich sind.
Aber wieso sehen sie nicht so aus?
Claudia gibt mir eine andere Antwort, als ich ihr von meiner freundlich verlaufenen Scheidung berichte. Denn sie fragt mich, ob ich nicht wahnsinnig Angst um meine finanzielle Sicherheit und vor dem Alleinsein habe. Beinahe wäre das ein interessantes Gespräch geworden, aber Monika kommt dazu, und will lieber über den Brustkrebs von Sara sprechen, die mit Kopftuch da ist. Die Chemo hat ihren Tribut gefordert.
Nach drei Sätzen weiß ich, dass ich nicht mehr aus drittem Mund von Ärzten und Krankenhäusern wissen möchte und unterdrücke ein Gähnen.
Ich gehe nach oben und raus, um zu rauchen. Allein mit meiner Zigarette auf der Eingangstreppe weiß ich um meine Ängste, aber auch um meine Freiheit. Die sind in guter Balance. Gerade vermisse ich nichts als mein Laptop.
Einige Gäste stehen in Gruppen um mich. Ich höre zwangsläufig mit. Was die Kinder studieren. Welche Schule die beste ist. Ob das eine oder andere Auto sinnvoller ist. Gespräche, wie ich sie seit zwanzig Jahren kenne.
Ich gehe wieder nach unten und probiere den Kuchen von Schwiegermama. Der Biskuit ist klasse, aber die Creme ein fades braunes Geklebe. Ich stelle meinen Teller weg und beschließe, die Party unhöflich früh schon vor zweiundzwanzig Uhr zu verlassen. Ich habe einen Titel für eine Geschichte – was ich jetzt noch möchte, ist in dieser Umgebung nicht mehr zu finden.
Ruth versteht mich, als ich mich von ihr verabschiede. Ein Kaffee zusammen nächste Woche wird unserer Freundschaft gerechter.
Zuhause erwartet mich mein Rechner, ein guter Rotwein und das Ende von `Sex in the City´ - alles andere als Langeweile.
©tangocleo 2010