Prinzessin TamTam
„Es ist zum Verrücktwerden!“ begleitet von diesem Fluch trat ein kleiner Fuß nach dem Tischbein, so dass ein zierlicher Pantoffel quer über den glattpolierten Eichenboden schlitterte und unter dem Bett an die Wand knallte.Prinzessin TamTam sprang von ihrem Stuhl auf und humpelte, ein Füßchen barfuß, das andere noch beschuht, zum Bett.
„Ich habe es satt, das sag ich dir...“ der Rest das Satzes kam nur noch gedämpft unter dem Himmelbett hervor, da sie, Rüschenkleid oder nicht, bäuchlings Richtung Pantoffel robbte,“ ich kann die Worte Bräutigam oder Freier nicht mehr hören.“
Die Amme lächelte und hob die Pergamentrolle vom Boden auf, die vom Tisch gerollt war. Als die Prinzessin mit rotem Kopf und verwuschelten Löckchen wieder zum Vorschein kam, um sie mit vorwurfsvollem Blick und schmollendem Mund anzuschauen, hob die Amme nur die Rolle hoch und sagte:
„ Ob Ihr Euch aufregt oder nicht, heute mittag werdet Ihr wieder mit einem Anwärter auf Eure Hand speisen, und Ihr werdet wohl auch diesmal wieder nicht nur Euren Vater, sondern auch diesen armen Knaben mit Eurem Trotz und Eurer spitzen Zunge zum Wahnsinn treiben. So wie all die anderen Male in den letzten zwei Jahren, seit Eurem achtzehnten Geburtstag. Und das wird so lange weitergehen, bis Ihr endlich einmal Ja sagt. Oder Eurem Vater die Geduld ausgeht und er Euch und den Thron zwangsversteigert.“
Die Amme musste sich das Lachen verkneifen. Ach, wie gut sie die Prinzessin verstand! Ebenso wie sie wusste, dass dieser kleine Wildfang seine Lektion lernen musste, und sich den Gegebenheiten ebenso fügen musste wie jeder andere im Königreich, egal welchen Standes er war.
„Niemals, hörst du, niemals werde ich einen dieser Lackaffen, dieser eingebildeten, polierten Schnösel, dieser Möchtegern-Helden und Brokattroubadouren heiraten!“
„Dann wird Euer Vater an gebrochenem Herzen sterben, denn Euer Königreich wird keinen Erben haben, und alles, was Generationen schufen, wird unter Raubrittern, die weit ungehobelter als Eure Freier sind, aufgeteilt werden.“
Wieder humpelte es mit rauschenden Unterröcken, und der Pantoffel knallte auf den Tisch. „Aber ich bin doch keine Gebärmaschine, die nun endlich ihrer Funktion zugeführt werden muss!!“ Schnaubend beugte sich TamTam über den Tisch zu ihrer Amme.
„Rosalie, habe ich dafür diese kostbare Erziehung genossen, kann singen und Harfe spielen, schneller reiten als mancher Pferdezüchter, die Rechenfehler unseres Verwalters entdecken, drei Sprachen sprechen und darin leidlich Verse verfassen, und verstehe so manches Argument der klugen Philosophen, deren Bücher Vaters Bibliothek füllen? Nur um Jahr ein, Jahr aus mit geschwollenem Leib durch die Gärten zu watscheln...“ und dabei ahmte sie den Entengang der Hofdamen nach, die sie so oft hochschwanger gesehen hatte. Rosalie biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu lachen. Wie hinreißend dieses junge Wesen war, in seinem Zorn, seinem maßlosen Anspruch an Glück und Lebendigkeit. Welcher Freier würde nicht vor Liebe in die Knie sinken, sähe er sie so?
„...nur um dann unter grausamen Schmerzen laut schreiende, hässliche Nachkommen in die Welt zu setzen! Und das so lange, bis meine Jugend und Schönheit...“ und dabei warf sie einen Blick in den großen Spiegel und blies sich eine Locke aus dem Gesicht...“ bis alles runzlig und verdorben ist, und sich mein Gatte mit jungen, frischen Bauernmädchen amüsiert, und mir nichts anderes mehr bleibt als die Zuflucht zu Stickrahmen und Büchern.“
Kopfschüttelnd kickte die Prinzessin auch den zweiten Pantoffel in die Ecke und ließ sich auf das Bett fallen.
Rosalie setzte sich auf die Tischkante und verschränkte die Arme vor der Brust. Wie oft hatte sie schon solche Gespräche geführt, um dieses Kind, das sie seit dem frühen Tod der Königin als ihr Kind empfand, auf ihre Aufgabe und auf ihr Leben vorzubereiten?
„Liebste Prinzessin, was würden all diese Gaben, Eure Schönheit und Klugheit, nutzen, gäbet Ihr sie nicht an die nächste Generation weiter? Wozu wären die Bücher gut, wäre niemand mehr da, der aus ihnen lernen könnte? Ich habe Euch schon oft erklärt, dass Ihr von den Freuden der Mutterschaft, der Kindererziehung und auch der Ehe eben nichts wisst und deswegen so schlecht davon denkt. Ihr kennt die Liebe noch nicht, die Liebe zu einem Mann oder zu einem Kind, und ahnt gar nicht, wie sehr es sich dafür zu leben lohnt. Nur weil Ihr ein paar traurige Geschichten gehört habt, heißt das nicht, dass Eure Ehe auch so verlaufen muss.“
Vom Bett kam nur trotziges Schnauben.
„Nun werde ich Euch anziehen und zurecht machen, damit Ihr pünktlich bei Tisch erscheint. Ihr habt es Eurem Vater versprochen, und Ihr wisst: Versprechen muss man halten!“
„Jaja, ich weiß, selbst meine Cousine musste den ekligen Frosch küssen, weil sie es versprochen hatte. Gruselig!!!“
„Und ? Ist sie seitdem nicht sehr glücklich mit Prinz Ferdinand und erwartet ihr drittes Kind voll Ungeduld?“ konterte die Amme.
Vom Bett flog ein Kissen in Richtung Rosalie, die lachend zum Ankleidezimmer lief.
Eineinhalb Stunden später saß Prinzessin TamTam mit wohlgesetzten Locken und einem blaßgrünen Kleid an der Seite ihres Vaters bei Tisch.
Ihr Schmollmund und der arrogante Blick konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine Schönheit war: volles braunes Haar, große grüne Augen, eine gerade Nase und üppige Lippen, ein schlanke Gestalt, der es an den richtigen Rundungen nicht fehlte und besonders schöne Hände. Die nun gerade gelangweilt das Innere des weichen Brotes neben ihrem Teller zu kleinen Kugeln kneteten.
Sie hatte den neuen Heiratskandidaten noch keines Blickes gewürdigt, seinen Handkuss mit abgewandtem Gesicht entgegengenommen und seitdem nur auf das Tischtuch gestarrt.
Wenn sie auch so seinem Anblick entgehen konnte, seiner Stimme entkam sie nicht. Er unterhielt sich entspannt und klug mit ihrem Vater über Weinbau und die Preise in diesem Jahr, die nicht besonders hoch waren. Er erklärte, er werde seine besten Weine noch nicht anbieten, da sie ihre höchste Qualität erst in ein, zwei Jahren erreichen würden. Solange würde er warten. TamTam hörte aufmerksam zu. Nicht nur, weil das eine kluge Vorgehensweise schien, die sie dem Gutsverwalter beim nächsten Gespräch vorschlagen würde, sondern auch, weil ihr diese Stimme gefiel. Dunkel und ruhig, weich und dennoch bestimmt schlugen die Worte an ihr Ohr. Dieser Prinz schien älter zu sein als seine Vorgänger, deren unreifes Gepiepse ihr oft schon nach wenigen Sätzen auf die Nerven ging. Wie wohl das Gesicht dazu aussah?
Doch sie wollte ihm nicht den Gefallen tun, ihn anzuschauen. Also vertiefte sie sich weiter in die Anordnung ihrer kleinen Brotkügelchen.
Das Essen zog sich hin, denn die Männer fanden immer neue Themen, über die sie sich austauschten. Früher oder später würde der Moment kommen, wo ihr Vater die Tafel aufheben und dem Gast anbieten würde, mit ihr im Garten spazieren zu gehen. Wie jedes Mal. Und dann musste sie die Konversation übernehmen und zumindest eine Stunde mit dem Gast zubringen. Auch das hatte sie dem Vater versprochen.
„Gib ihnen eine Chance, ich bitte dich! Ich lasse dir die Freiheit, Nein zu sagen, aber nur, wenn du dem Kandidaten die Möglichkeit gegeben hast, ein wenig von seiner Person zu zeigen.“
Meistens war „ein Wenig“ auch schon alles gewesen, was an der Person zu entdecken war. Ihr entwich ein verächtliches Schnauben bei der Erinnerung an die quälend langsam vergangene Zeit mit belanglosem Blabla. Sie spürte die Blicke der beiden Männer auf sich, die ihr Schnauben aus dem Gespräch gerissen hatte, und sie errötete mit gesenktem Kopf. Sollte er doch gleich wissen, dass sie schlechter Laune war, dachte die Prinzessin trotzig.
Ihr Vater nahm die Unterbrechung zum Anlass, dem Prinzen den Spaziergang mit seiner Tochter vorzuschlagen. Doch der lehnte höflich ab. Er sei müde von dem langen Ritt, da er seit Tagesanbruch unterwegs gewesen sei, und wolle nach seinem Pferd sehen. Außerdem sei er sich sicher, dass die Prinzessin sich noch ein wenig ausruhen sollte, um für den Ball am Abend wieder ebenso frisch und munter zu sein. Prinzessin TamTam war sich sicher, ein deutliches Maß an Spott aus dem letzten Teil des Satzes herauszuhören, und sog erzürnt Luft durch ihre kleinen Nasenlöcher. Wie konnte er es wagen, einen Spaziergang mit ihr auszuschlagen? Dafür hätten andere ihr halbes Königreich gegeben.
Sie knallte ihre Serviette auf den Tisch, und nur die schnelle Reaktion eines Lakaien bewahrte ihren Stuhl vor dem Umfallen, so plötzlich war sie aufgestanden und aus dem Speisesaal geeilt.
„Rosalie, Rosalie, wo bist du?“ rief sie durch ihre Gemächer, als sie türknallend hereingestürmt kam.
Rosalie sah verwundert von ihrem Stickrahmen auf. „Ihr seid schon vom Spaziergang zurück?“
„Ach, Spaziergang, pahh, er wollte nicht spazieren gehen, er will lieber nach seinem Gaul sehen... „ und damit eilte sie ans Fenster. Tatsächlich, da ging eine Gestalt über den Kies im Hof. Groß, dunkelhaarig, mit weiten Schritten. Plötzlich blieb der Mann stehen, drehte sich um und hob den Kopf nach oben. Sie wich schnell vom Fenster zurück. Hoffentlich hatte er sie nicht gesehen!
Prinzessin TamTam riss sich die Schleifen und Spangen aus dem Haar.
„Er hat kein Wort an mich gerichtet, keine Freundlichkeit und kein Kompliment, er hat die ganze Zeit mit Vater geredet – als ob ich nicht da wäre!“ Sie zerrte an den Bändern ihres Mieders, bis Rosalie aufstand und ihre Finger festhielt, um ein Zerreißen der kostbaren Seide zu verhindern.
„Und wie sieht er aus?“ fragte die Amme, als sie der Prinzessin aus dem Kleid half.
„Keine Ahnung, ich habe ihn nicht angeschaut – die sehen ja doch alle gleich aus!“
„Oh, Ihr habt also mal wieder Prinzessin Trotzig gespielt? Und da wundert Ihr Euch, dass er Euch nicht ansprach und den Spaziergang ablehnte? Recht hatte er...“
Prinzessin TamTam drehte sich so schnell zu ihr um, dass Haare und Unterröcke nur so flogen.
„Du verteidigst ihn auch noch? Du hättest es hören sollen, wie er Papa mit seiner Schmeichelstimme einwickelte, und so klug über die Güterverwaltung sprach, als ob...“
Rosalie sah sie fragend an.
„...als ob er wirklich Ahnung davon hätte!“ gab die Prinzessin kleinlaut zu.
„Hat er auch, mein süßer Trotzkopf. Hättet Ihr die Pergamentrolle bis zu Ende gelesen, wüsstet Ihr, dass er der Prinz von Moretania ist, einem der reichsten Königreiche in unserer weiteren Nachbarschaft. Und dieser Reichtum ist beträchtlich gewachsen, seitdem er die Staatsgeschäfte übernommen hat. Denn sein Vater ist schwer krank und kann seinen Pflichten als Herrscher nicht mehr nachkommen. Deswegen muss der Prinz dringend heiraten, um die Krone auch offiziell übernehmen zu können. Er will seinen Vater nicht sterben sehen, bevor er ihm nicht eine Königin und besser noch einen Thronerben präsentiert hat.“
Prinzessin TamTam schwieg betroffen.
„Dann geht es also gar nicht um mich, sondern nur um einen Erben?“
Rosalie nickte.
„Oh, das ist ja nicht zu fassen – also bin ich auch für ihn nichts als eine Zuchtstute?“
„Das, meine liebe Prinzessin, liegt allein an Euch - ob Ihr ihm mehr sein wollt und könnt!“
„Pahh, nichts werde ich herausfinden! Der kann gerade so heim reiten wie er gekommen ist. Apropos – gib mir mein Reitkleid, das alte, ich muss hier raus!“
Wie meist bei ihren Ausritten landete Prinzessin TamTam an ihrem Lieblingsplatz an der Klippe. Der Wind vom Meer und der weite Blick ließen sie tief durchatmen. Am Horizont zog ein Segelschiff entlang. Oh, wie sie sich wünschte, an Deck zu sein. Als Passagier, noch besser als Schiffsjunge, ohne Namen, ohne Titel, ohne Gedanken ans Morgen und ohne die Last von Verantwortung. Aber sie wusste auch – selbst wenn sie das niemals zugegeben hätte - dass das nicht ihr Leben war und nie sein würde. Freiheit war ein Traum – für sie ebenso wie für einen Sklaven. Sie hatte einen Platz vom Schicksal zugewiesen bekommen, und an dem musste sie ihre Aufgabe erfüllen: den der folgsamen Tochter, der pflichtbewussten Königin – ja, und auch als Thronerbenproduzentin. Dabei war es kaum von Bedeutung, wie sie als Individuum war; entscheidend war nur, dass sie ihre Rolle gut spielte.
Seufzend setzte sie sich an einen Felsen.
Und ihre Träume?
Ihre Bilder von Liebe, von Kameradschaft und gemeinsamen Abenteuern, von Lachen und geteilten Geheimnissen, von Sternennächten und Sonnenwiesen, von einem Gefährten, der sie liebte, weil sie so war, wie sie war, und nicht nur ein Königreich und Macht...
am besten schickte sie diese Träume mit dem Schiff auf weite Fahrt, bis hinter den Horizont ihrer Erinnerung.
„Man hat mir viel von euch erzählt, aber dass Ihr ein so stilles Wesen habt, hat man mir verschwiegen!“
Die Stimme traf sie wie ein Blitzschlag. Sie hatte ihn nicht kommen hören und auch nicht den Hufschlag seines Pferdes. Sie sah zu ihm auf.
Und betrachtete sein Gesicht: die hohe Stirn, in die der Wind Strähnen seines dunklen Haares wehte, eine lange Nase, die Narbe auf einer seiner Wangen, die spöttisch lächelnden Lippen, das kantige Kinn, und dann die Augen: warm und dunkel, sehr wach und mit einem Hauch von Traurigkeit. Augen, die sie bannten.
Schnell suchte sie nach einem Satz, der sie ablenken würde.
„Und was hat man von mir erzählt?“ fragte sie, ihr Ton glücklicherweise schnippischer als ihr eigentlich zumute war.
Er ließ sich neben sie nieder und schaute auf´s Meer.
„Oh, dass Ihr ein verwöhntes Mädchen seid, schön und von sich selbst überzeugt, dass ihr kein Blatt vor den Mund nehmt, dass Eure Zunge schärfer ist als mancher Dolch, und dass Ihr keine Gnade mit den bisherigen Bewerbern kanntet.“
Dabei schlug er lässig die Beine übereinander, und ihr Blick glitt von den sandigen Stiefeln über seine Schenkel. Schnell blickte auch sie zum Horizont.
„Das klingt ja nicht gerade schmeichelhaft!“
„Nein, so sehr man Euch auch in Eurer Anwesenheit geschmeichelt haben mag, die Herren schienen heilfroh, dass Ihr sie abgewiesen habt. Vielleicht übertrieben sie ein wenig, um ihren gekränkten Stolz zu retten, aber nach unserem Mittagsmahl scheint mir doch mehr als nur ein Kügelchen Wahrheit daran zu sein. Mehr als EIN Brotkügelchen auf jeden Fall ... „ und dabei lachte er. Ein herzhaftes, tiefes Lachen.
„Na, immerhin scheint es Euch ja zu amüsieren. Und wieso werbt Ihr um eine Prinzessin, deren Kratzbürstigkeit in aller Prinzen Munde ist?“
Sie spürte seinen Blick von der Seite. Sie war dankbar, dass der Wind ihr die Locken ins Gesicht blies.
Er antwortete ernst.
„Staatsräson, meine Teure. Es gibt im Umkreis von mehreren Tagesritten keine Thronerbin, deren Ländereien annähernd so ertragreich sind wie die von Tamariskia. Vor allem Eure Weinberge sind interessant. Außerdem stammt Ihr aus einem edlen und fruchtbaren Geschlecht. Da mein Vater sehr krank ist, drängt die Zeit, eine Königin heimzuführen und einen Thronerben zu zeugen.“
Prinzessin TamTam wollte schon aufspringen, um ein „ich bin doch keine Zuchtstute, und erst recht kein Weinberglieferant“ zu schreien, da ergriff er ihre Hände und presste sie fest.
„Ich weiß, dass auch Ihr nur aus Liebe zu Eurem Vater immer wieder Brautwerber empfangt. Und vielleicht seht Ihr sogar ein – denn man pries mir auch Eure Klugheit – dass wir uns in unser Schicksal fügen müssen. Wir müssen heiraten und Erben produzieren, wir müssen unserer Aufgabe und Rolle gerecht werden, auch wenn uns der Sinn vielleicht nach etwas ganz anderem stünde.“
TamTam riss sich aus seinem Griff los und stand auf.
„ Mein Herr, Ihr mögt mit den Pflichten eines Königskindes recht haben und auch mit der Liebe zum Vater. Ich aber habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, meinen Gatten lieben zu können und von ihm geliebt zu werden, und eine Ehe nicht nur aus Pflichtgefühl und Staatsräson zu führen. Ich fühle, dass ich doch ein wenig mehr wert bin als meine lukrative Ansammlung von Ländereien und fruchtbaren Weinbergen. Also verschwendet Eure Zeit nicht weiter mit einer Kratzbürste, die ihre Träume nicht für eine Krone und einen dicken Bauch aufgeben will.“
Damit schwang sie sich auf ihr Pferd und ritt davon.
Rosalie fand sie am Fenster sitzend, in die Dämmerung und die immer dunkler werdenden Wolken starrend.
„Prinzessin, Ihr müst Euch für den Ball ankleiden.“
„Nicht nötig – es wird keinen Ball geben. Ich habe den Prinzen fortgejagt,“ sagte TamTam mit tonloser Stimme.
„So so... bei welcher Gelegenheit, wenn ich fragen darf?“ Rosalie nahm eine Bürste und begann das Haar der Prinzessin zu kämmen.
„Ich traf ihn bei meinem Ausritt – oder viel mehr, er traf mich. Wir unterhielten uns kurz und er gab unumwunden zu, dass er hier ist, um möglichst schnell fruchtbare Weinberge und eine Zuchtstute zu heiraten. Selbst wenn die ganze Welt inzwischen „Prinzessin Kratzbürste“ zu seiner Auserwählten sagt...“
Ganz gegen ihren Willen zitterte dabei die Stimme der Prinzessin und ihr stiegen Tränen des Zorns in die Augen.
Rosalie schwieg und glättete weiter Tresse um Tresse.
„Und da habe ich ihm gesagt, er solle seine Zeit nicht weiter verschwenden, denn zu solch einem Handel würde ich nie und nimmer ja sagen. Wahrscheinlich ist er schon auf dem Weg zur nächstbesten Kandidatin, denn er hat es ja sooo eilig!“
Rosalie lächelte und kämmte weiter. Sie spürte, wie sich der Nacken der Prinzessin langsam entspannte. Sie legte die Bürste weg und begann das weiche Haar zu streicheln. Plötzlich wurden die Schultern der Prinzessin von Schluchzen geschüttelt, sie stand auf und warf ihre Arme um den Hals der Amme.
„Wieso muss ich so ein Biest sein?“ weinte sie in die Schulter von Rosalie. „Das bin doch gar nicht ich!“
Rosalie sreichelte ihren Rücken, bis die Prinzessin sich wieder beruhigt hatte.
„Nein, so seid Ihr nicht wirklich. Aber das wolltet Ihr bisher den Freiern nicht zeigen. Deswegen habt Ihr nun diesen Ruf. Und es ist gut, dass Euch das einmal einer gesagt hat. Ihr wisst auch, dass Ihr besser als Eure Weinberge und kostbarer als Eure Krone seid. Das solltet Ihr den Prinzen wissen lassen, wenn er Euch etwas bedeutet.“
Die Prinzessin richtete sich auf.
„Nun, diese Gelegenheit habe ich wohl verpasst. Einer mehr, der außer der Kratzbürste nichts gesehen hat.“
„Da irrt Ihr Euch! Der Prinz ist noch da, der Ball beginnt in einer Stunde und wir sollten uns jetzt für ein Kleid entscheiden.“
Prinzessin TamTam flog mit einem Freudenschrei ihrer Amme um den Hals. Die wirbelte sie froh in Richtung Anleidezimmer.
Prinzessin TamTams Herz schlug bis zum Hals, als sie den Festsaal betrat. Wie sollte sie dem Prinzen jetzt begegnen, was zu ihm sagen, nach ihren harten Worten vom Nachmittag? Seit einer Stunde rang ihr Stolz mit ihrem Bedürfnis, von ihm verstanden zu werden. Er hatte ja recht. Wer durfte schon sein so naiv sein, sein privates Glück über das Wohl eines Volkes und die eigene Lebensaufgabe zu stellen?
Also nahm sie ihre Schultern zurück und ging ihm lächelnd entgegen. Er sah ihr nach dem Handkuss in die Augen.
„Teure Prinzessin, was immer ich über Eure Schönheit gehört haben mag, war eine Untertreibung. Und ein scharfer Ritt am Nachmittag scheint sie noch zu fördern.“
Dabei sah sie ein spöttisches Flackern in seinen Augen und seine Hand drückt die ihre leicht.
„Darf ich um diesen Tanz bitten?“
Die Musiker hatten bei ihrem Eintreten ihr Spiel ausgesetzt und begannen nun einen Walzer.
Er nahm sie um die Taille und zog sie an sich. Sie sog seinen Duft ein, eine Mischung aus frischer Wäsche und herber Zeder. Sie spürte seine Arme, seine Kraft und seinen sicheren Halt. Vielleicht würde ihre zukünftige Rolle doch nicht nur mühsame Pflichterfüllung sein?
„Ich möchte mich für meinen Ausbruch heute Nachmittag entschuldigen“ flüsterte sie in sein Ohr.
„Das müsst Ihr nicht,“ flüsterte er zurück, „denn auch ich ließ es an Eleganz vermissen.“
„Das vielleicht, aber Ihr wart ehrlich – und das ist wichtiger als Eleganz. Von eleganter Schmeichelei habe ich genug. Und von dem ganzen Freierzirkus auch. Da wir beide also die Vor – und Nachteile des Geschäftes so deutlich sehen, habe ich mich dazu entschlossen, Eurer Werbung um meine Hand zuzustimmen. Falls Ihr Euren Thron noch immer mit einer kratzbürstigen Schönheit teilen wollt.“
Erstaunt blieb der Prinz stehen und hielt sie um Armeslänge von sich. Die ganze Ballgesellschaft hielt den Atem an. Sollte die Prinzessin wieder einmal eine Werbung mit einem Eklat enden lassen?
„Ihr wollt also meine Königin werden?“
Sein Blick drang so tief in den ihren, dass sie eine heiße Welle durch ihren Körper wogen fühlte. Was, wenn er jetzt Nein sagte? Vor Scham ließ sie ihren Kopf sinken.
Doch er nahm sie wieder nah zu sich und tanzte weiter.
„Und was ist mit Euren Träumen?“ fragte er mit rauer Stimme.
TamTam schloss die Augen.
„Die fahren auf einem Schiff dem Horizont entgegen.“
Da begann der Prinz zu lachen. So laut und so herzlich, dass nicht nur sie, sondern die ganze Hofgesellschaft mitlachen musste.
Als der Tanz zu Ende war, zog der Prinz TamTam zu ihrem Vater.
„Verehrter König, ich bitte Euch um die Hand Eurer schönen und klugen Tochter.“ Dabei verneigte er sich leicht vor dem König und zwinkerte TamTam zu. Der König sah mit bangem Blick zu seiner Tochter.
„Was sagst du dazu, mein Kind?“
„Liebster Vater, ich nehme die Werbung des Prinzen von Moretanien an und bin bereit ihm meine Hand zu geben.“
Ein Strahlen breitete sich auf dem Gesicht des Vaters aus, und der Hofstaat begann zu klatschen.
Der Prinz presste einen Kuss auf TamTams Hand. Dann wendete er sich wieder an den König. „Ich bin überglücklich über die Zustimmung der Prinzessin. Deswegen bitte ich, dass Ihr mich sogleich nach Hause reiten lasst, um meinem Vater die frohe Botschaft zu überbringen und alle Hochzeitsvorbereitungen zu treffen.“
Der König nickte, noch immer lachend.
„Geht nur, mein Sohn, und beeilt Euch, ehe sie sich´s anders überlegt.“
Zu TamTam gewandt, die ihn verblüfft ansah, sagte der Prinz:
„Wollt Ihr mich noch nach draußen begleiten?“
Ohne ihre Antwort abzuwarten, zog er sie schon hinter sich her und aus dem Ballsaal hinaus.
„Wie schnell kannst du im Sattel sitzen?“ fragte er sie draußen, atemlos.
„Aber, ... ich verstehe nicht... jetzt? Wollt Ihr mich zu Eurem Vater mitnehmen? Jetzt, noch vor der Hochzeit?“
„Nein, ich will nicht zu meinem Vater. Ich will zu deinen Träumen, bevor sie hinter dem Horizont verschwinden. Hast du dich nicht nach gemeinsamen Abenteuern gesehnt, geteiltem Geheimnis und einem Gefährten, der dich liebt? Ich erwarte dich in fünf Minuten bei deinem Pferd...“ Und damit eilte er die Treppe hinab und hinaus in den Hof.
TamTam rannte zu ihren Gemächern und schrie nach Rosalie.
„Oh nein, nicht schon wieder...“ murmelte die Amme, als sie die aufgeregte Stimme ihres Kindes hörte. Doch als sie das Lächeln und den Glanz in TamTams Augen sah, begriff sie, dass es kein „schon wieder“ war.
„Schnell, mein Reitkleid, ich muss in zwei Minuten auf dem Pferd sitzen!“
Zu zweit zerrten sie an Seide, lösten Bänder und Schleifen, streiften das graue Wollkleid über den Prinzessinnenkopf, und schon rannte TamTam die Treppen hinab. Rosalie sah sie über den Kies des Hofes zu den Stallungen eilen, gelöstes Haar und fliegende Röcke. Und ihr Herz hüpfte vor Freude. Endlich!
Der Prinz saß auf seinem Rappen und hielt die Zügeln ihres Pferdes.
„Und wohin...?“ wollte sie fragen, doch er trabte schon los.
„Frag nicht, sondern folge mir einfach!“ rief er ihr lachend über die Schulter zu. „Sie sagten auch, du seist eine gute Reiterin.“
In fliegendem Galopp rasten sie durch die Nacht bis an die Klippen.
Dort hielt er an, sprang vom Pferd und hob sie aus dem Sattel.
Er zog sie an sich und küsste sie. Vorsichtig, zärtlich.
Dann zeigte er zum Strand. Beim Schein einiger Fackeln sah sie ein Ruderboot. Weiter draußen wartete ein Schiff, dessen dunkler Rumpf sich kaum vom Nachthimmel abhob. Der Prinz flüsterte in ihr Ohr:
„Bevor wir unsere Pflichten erfüllen, lass uns ein bisschen unsere Träume leben. Bevor wir König und Königin werden, lass uns Gefährten sein. Bevor wir die Eltern von Thronerben werden, lass uns erfahren, was Mann und Frau Sein bedeutet und Sternennächte erleben. Willst du mir auf mein Schiff folgen und in das Abenteuer der Liebe?“
TamTam strahlte ihn an und fiel ihm mit einem Ja um den Hals.
Dann rannten sie Hand in Hand und lachend zum Strand und bestiegen das Boot.
so, das musste sein, gegen das Dauergrau und die Kälte – ihr dürft mich gerne Rosamunde schimpfen!
©tangocleo 2010