Wo ist Herta? VIER
© Nisham 2010
Herta blickt von Einer zur Anderen. Sie kann es nicht fassen. Drei Frauen! Und was für Frauen! Exotinnen! So schöne Frauen hab ich noch nie gesehen! Darob verliert Herta sogar einen Augenblick lang diese Panik, die sie in sich hochsteigen lässt – ist sie doch so klaustrophobisch, und jetzt in einem U-Boot. Die eine Frau ist dunkelhäutig, mit einer scharfen Nase, wohl äthiopischen oder vielleicht doch indischen Ursprungs? Eine ist eindeutig Chinesin, aber eine ganz Besondere, eine Schönheit. Und die Dritte – da stutzt Herta; exotisch ja. Schönheit? Nicht wirklich, aber eine Ausstrahlung, die Herta zuerst frösteln lässt und ihr dann gleich ein heißes Gefühl durch den Körper strömen lässt.
„Herta“, sagt die eine Frau zu ihr, doch dann versteht Herta nur noch Bahnhof, denn es ist ein Schwall von einem recht gefärbten englisch. Herta schüttelt nur den Kopf. Die Frauen lachen, stellen sich um sie herum und nehmen ihr sanft das Badetuch, in das sie immer noch gehüllt ist, weg. Herta steht nackt zwischen drei Frauen, die alle in medizinischen Kitteln gehüllt sind. Herta hat sehr gemischte Gefühle. Sie weiß nicht so recht, was sie nun tun soll, was das Ganze soll. Die Frauen streicheln Hertas Haut, betasten sie – Herta kommt sich vor, als würde sie beim Fleischbeschauer sein… Und doch, es hat auch etwas unheimlich erotisches; Herta kann es kaum verbergen, sie errötet sogar leicht; die Frauen lachen sanft, streicheln weiter, packen auch mal fester zu um die kleinen Pölsterchen zu spüren. Herta will sich gehen lassen, da erklingt eine metallische Stimme aus einem Lautsprecher: „Herta, keine Angst, wir haben dich gerettet. Doch es sind auch andere Mächte an dir interessiert. Es blieb uns nichts anderes übrig, als dich in diesem U-Boot zu verstecken. Wir hoffen, dass wir nun weder entdeckt noch verfolgt werden. Wir werden etwa drei Tage unterwegs sein, dann schauen wir weiter. Was immer du brauchst, frag einfach danach.“
„Ja“, sagt Herta mit halblauter Stimme. Die Frauen lachen. Soll ich jetzt sagen, ich hätte lieber einen potenten Mann, als diese drei Frauen, geht es Herta durch den Kopf. Sie schüttelt den Kopf, merkt erst dann, dass die Frauen sie anschauen und nicht verstehen, was sie meint. Herta lacht, und die Frauen streicheln sie weiter. Dann beginnen sie sich zu entkleiden, eine nach der anderen…
Herta erwacht. Ein fahles Licht nur erhellt diese kleine Kabine. Sie liegt in einem schmalen Bett, einer Koje, besser gesagt, nackt, nur mit einem dünnen Tuch bedeckt. Es ist warm und das nun vertraute Brummen einer Maschine ist zu hören, ein leichtes pumpt. Herta ist ein wenig müde, diese Stunden – Tage? – waren… Was waren die eigentlich? Anstrengend? Nein, einfach wunderbar, unerwartet und so geil… Wenn das der Toni wüsste! Sie hat sich mit den Geräuschen des Ü-Bootes vertraut gemacht, obschon sie nur wenig davon gesehen hat. Ihre Glieder schmerzen auf eine wohltuende Art. Als sie grad wieder einschlafen will öffnet sich die Tür und Marga tritt herein, schließt leise die Tür hinter sich und zieht Herta aus dem Bett, schiebt sie in die winzige Duschkabine.
Ein wenig später steht Herta da, in einem leichten, weißen Overall, mit Flip-Flops an den Füssen. Es dauert nicht lange, und die drei Frauen holen sie ab, eskortieren sie einen kurzen Weg, bis zur Leiter, die durch den Turm nach draußen führt. Das Luk ist offen, doch kein Tageslicht zu sehen; Herta steigt etwas mühsam die Tritte der Leiter hoch, oben angekommen schaut sie sich um. Das U-Boot ist in einer riesigen Grotte aufgetaucht, und an einem Pier festgemacht worden. Überall Menschen, die hin und her wuseln, in verschieden farbigen Overalls gekleidet. Ein Mann in einem ebenso weißen Overall kommt ihr auf einem Steg entgegen, streckt Herta die Hand hin: „Willkommen bei uns, liebe Herta, ich bin Doktor Jim, komm bitte mit, wir sind froh, dass du hier bist und ohne weitere Zwischenfälle. Das mit dem Flugzeugunfall tut mir leid, aber es ging nicht anders.“
„Was, es ging nicht anders?“ entfährt es Herta, die neben dem Mann hergeht, weil er sie am Oberarm gepackt hat. „Ja, wir mussten dich ja abfangen, sonst wärst du auf diese lange Reise geschickt worden; und dieser Eingriff in die Elektronik des Flugzeuges, war die einzige Möglichkeit, weil wir dich ja lebend haben wollten.“
„Das hätte doch schief gehen können,“ sagt Herta entsetzt.
„Ja, durchaus, ein Restrisiko ist immer, aber damit leben wir, und du lebst ja auch.“
„Was ist denn los? Da spielen Menschen mit mir, als wäre ich nur ein Objekt! Ein Spielzeug!“ Herta ist stehen geblieben und stampft mit dem Fuß auf. Der Arzt wendet sich zu ihr, lacht sie an: „Ja, dass du Temperament hast, das wissen wir, aber reg dich nicht auf, du bist hier in eine Maschinerie geraten, ohne unser zutun. Wir sind da sozusagen während der Fahrt eingestiegen.“
„Und was passiert nun mit mir? Wann darf ich wieder nach Hause zu meinem Sohn und meinem Mann?“
„Nicht so schnell, junge Frau, ich hab dir doch gesagt, dass du nun in eine Maschinerie geraten bist, aus der wir dich nicht entlassen können.“
„Ich will nach Hause!“
„Vielleicht, aber wann kann ich dir nicht sagen.“ Herta laufen Tränen über das Gesicht. Sie kommt sich vor, als wäre sie zu einer Sklavin geworden, wie im alten Rom. Verschleppt, gestohlen und nun… Wortlos steigen der Arzt und Herta hinten in ein kleines Elektrofahrzeug, das von einem bärtigen Mann gefahren wird. Durch ein Labyrinth von Tunneln geht die Fahrt. Das ist ja ein riesiger Höhlenkomplex, denkt Herta. „Darf ich fragen, wo wir hier sind?“
„Fragen darfst du, doch ich darf dir keine Antwort geben. Nur, dass du in guten Händen bist.“
„Das hat doch dieses Arschloch von Professor auch gemeint, ich sei in guten Händen, seinen guten Händen. Was ist mit ihm?“
„Der hat anscheinend die Notlandung nicht überstanden habe ich mir sagen lassen.“
„Auch gut so! Tote Scheiß-Professoren sind mir sehr lieb.“
Die Fahrt ist zu Ende; sie steigen aus und gehen durch eine Tür, die mit einem roten Kreuz gekennzeichnet ist. „Unsere Klinik.“
„Ich will nicht in eine Klinik!“ Herta ganz trotzig.
„Wir müssen ja überprüfen, was der olle Fraktalus mit deinem Gehirn gemacht hat. Da kommst du erst mal in den Kernspin, dann sehen wir weiter.“
„Ich will nicht in so eine rRöhre! Davor habe ich panische Angst!“
„Och, das ist nicht so schlimm, du wirst ja da angeschnallt, und das dauert nicht lange, so eine knappe Stunde nur.“
„Ich will aber nicht! Ich habe panische Angst! Verstehe sie das nicht?“
„Doch“, auf einen Wink des Doktors tauchen zwei Männer in weißen medizinischen Anzügen auf, packen Herta an den Oberarmen und ziehen sie in einen Raum. Herta merkt schnell, dass jeglicher Widerstand sinnlos ist, und die beiden Männer sehen ja recht lecker aus… Die fackeln nicht lange, ziehen kommentarlos Herta den Overall aus und legen sie auf eine schmale Bahre, wo sie auch gleich mit Klettbändern festgeschnallt wird. Ihr Kopf wird in einer Art Zwinge festgeschraubt. „Damit die Bilder nicht verwackeln,“ erklärt der eine Mann in gebrochenem Deutsch.
Herta hat resigniert, doch innerlich spürt sie wie diese unsägliche Angst in ihr aufsteigt. Sie weiß, was eine Röhre ist. Und schon geht’s los, die Liege setzt sich in Bewegung, ganz langsam und nach und nach verschwindet Herta in einem immer dunkler werdenden Tunnel.