Wo ist Herta?
© Nisham 2010„Herta! Herta!“ Herta schlägt die Augen auf. Das helle Licht schmerzt. Sie schließt die Augen wieder, doch wieder diese eindringliche Stimme: „Herta! Du hörst mich doch?“
Herta will antworten, doch ihr Mund ist trocken, es kommt nur ein erbärmliches Krächzen hervor.
„Warte, ich weiß.“ Und sofort fühlt sie einen feuchten Lappen auf ihren Lippen, Kühles Nass dazwischen, auf ihrer Zunge. Sie schluckt, Kleine Schlucke. Vorsichtig. Ein Schatten über ihrem Gesicht. Herta öffnet die Augen, nur wenig. Schattenhaft nimmt sie die Umrisse eines Kopfes wahr.
„Herta, hörst du mich jetzt? Kannst du jetzt antworten?“
„Ja“, haucht Herta. Sie ist selbst verwundert, wie schwach ihre Stimme klingt.
„Schön, Herta.“ Der Schatten des Mannes, dem diese eindringliche Stimme gehört, verschwindet, das Licht scheint weniger grell. Herta versucht sich zu bewegen, doch außer ihren Augen tut sich nichts. „Was ist? Wo bin ich?“
„Herta, versuch nicht dich zu bewegen. Du bist hier in meinem Labor. Ich habe dich vorsichtshalber körperlich vom Hals an abwärts lahm gelegt und auch dein Kopf liegt in einer besonderen Vorrichtung, damit die E-Kanüle nicht verrutschen kann.“
„Die was?“
„Die E-Kanüle, die ist mit deinem Hirn verbunden.“
„Mit meinem Hirn? Und wo bin ich und warum?“
„Das ist eine lange Geschichte, aber ich fasse mich kurz.“
„Ja?“
„Ich bin Professor Fraktalus. Du bist hier in meinem Labor, weil du für eine ganz besondere Aufgabe ausgewählt worden bist.“
„Ich will nicht ausgewählt…“
„Da hast du jetzt keinen Einfluss mehr“, lacht Professor Fraktalus. „Ich erkläre es dir kurz: wir bereiten eine internationale Expedition zum Mars vor. Die sechs männlichen Astronauten sind ausgewählt und startbereit; wir brauchen jedoch für die Astronauten auf ihrer sehr langen Mission Gespielinnen.“
„Gespielinnen?“
„Ja, liebe Herta, wir haben festgestellt, dass der schwerelose Zustand in einem Raumschiff, oder der Teil-Schwerelose Zustand, den wir in unserem Expeditions-Raumfahrzeug erzeugen, die Libido der Männer stark beeinflusst. Und deshalb haben wir entschieden, dem Rechnung zu tragen und den 6 Astronauten 3 Gespielinnen mitzugeben. Für mehr ist kein Platz.“
„ich will nicht!“
„Da hast du keinen Einfluss darauf, du bist ausgewählt worden.“
„Mein Sohn! Mein Mann!“
„Na ja, die müssen jetzt ohne dich klar kommen.“
„AAAhhh!“
„Also, liebe Herta, du bist ausgewählt und nun bereiten wir dich im Schnellverfahren vor. Dazu nehme ich mit dem von mir entwickelten Verfahren Einfluss auf dein Gehirn, dass du erstens diese lange Reise im Raumfahrtschiff überstehst und dass zweitens deine Libido ständig aktiv und bereit ist, weil wie gesagt, unsere Astronauten ihrer massiv erhöhten Potenz Ausdruck geben müssen. Ansonsten ist die Mission gefährdet.“
„Und dazu braucht es mein Hirn?“
„Ja, Ich habe eine Methode entwickelt, und eine Substanz erfunden – die Cerebromembrakinase. Diese wird dir zurzeit ins Hirn gepumpt…“
„In mein Hirn?“
„Ja, du spürst nichts, es ist eine gallertartige Masse mit einer molekular angereicherten Form von reinem Gold und Diamantmolekülen, das in einfacher Form erklärt.“
„Und was tut das in meinem Hirn?“
„Diese Substamz verbindet sich mit deinem Hirn und erweitert und verstärkt gewisse Fähigkeiten – ach ja, das hätte ich fast vergessen zu erwähnen: dadurch wird auch deine Phantasie angeregt, und du schreibst ja so gerne…“
„Was hat meine Schreiben…“
„Du wirst Zeit haben, zwischendurch, zu schreiben, Geschichten und wir werden die in gewohnter Art in deinem Lieblingsforum veröffentlichen.“
„Nein!“
„Doch doch, so haben wir das vorgesehen.“
„Und warum kann ich mich nicht bewegen?“
„Das ist zu deiner eigenen Sicherheit.“ Herta liegt auf einem Edelstahl-Tisch, wie in einem OP. Ihre Arme, ihre Beine und ihr Oberkörper sind festgeschnallt. Sie ist nackt. Außer der E-Kanüle hinter ihrem rechten Ohr, steckt in ihrer linken Armbeuge ein Port, der ihre Blutbahn mit Flüssigkeit und Nährstoffen veersorgt. Am Handgelenk überträgt eine Manschette ihre wichtigsten Organfunktionen. Zudem sind Urinaltrakt und Enddarm kathetrisiert.
Dieses Bild sieht sie, als der Professor ihr einen Monitor vor die Augen hält. Hier sieht Herta auch, dass hinter ihrem rechten Ohr eine Art Schlauch wegführt; oder besser gesagt, hineinführt. Professor Fraktalus sieht ihren Blick und erklärt: „Genau, direkt hinter deinem rechten Oher habe ich ein kleines Losch in deinen Schädel gebohrt und da die Kanüle eingeführt, zudem haben wir eine Art elektronischen Port eingesetzt, so dass wir dich direkt an einen Rechner anschließen können, um zu überwachen, wie deine Gehirn nun erweitert wird und wie schnell der gesamte Prozess abläuft. Und ich muss sagen, es läuft viel besser, als ich mir das ausgerechnet habe. Ich bin sehr zufrieden mit dir – und natürlich auch mit mir.“
„Wie soll ich das verstehen?“ Hertas Stimme ist etwas zittrig geworden.
„Du bist nun seit zehn Tagen da, und ich dachte wir bräuchten mindestens 30 Tage, doch ich denke in drei oder vier Tagen wirst du soweit sein, dass wir dich zur Startrampe überführen können.“
„Ich will nicht!“
„Ob du es willst oder nicht, das liegt nicht in deiner Macht. Du darfst stolz sein, dass du zu den Auserwählten gehörst!“
„Wie bin ich hierher gekommen?“ Ganz diffus erinnert sich Herta, dass sie bei Freunden waren, es war eine tolle Par, und dann ist es wie ein Filmriss, nur dieses Gefühl von toller Party…
Bald versinkt Herta wieder in tiefen Schlaf.
Als sie wieder erwacht, merkt sie, dass irgendwas in Bewegung ist.
„Schau schau, unsere Herta ist endlich erwacht. Hat länger gedacht, als ich es mir vorgestellt habe. Aber schön so, Herta meine Liebe, wir bereiten dich gerade für den Transport vor.“
Herta ist stumm, sie liegt immer noch völlig reglos auf dieser Edelstahl-OP-Tisch. Ihr ist nicht kalt und sie spürt nichts, kein Gefühl, kein Fühlen. Nichts.
Dann wird sie auf diesem OP-Tisch in einen kleinen Container geschoben. In dem sich allerhand Geräte und Computer befinden. Schnell wird sie angeschlossen, die Monitore flackern kurz und zeigen dann die kontrollierten Werte auf. Und schon wieder fliesst Flüssigkeit durch Kanülen in ihren Körper, Ausscheidungen durch die beiden Katheter werden ausgeschieden. In einem Sessel, direkt neben ihr sitzt Professor Fraktalus. Herta nimmt ein dumpfes Geräusch wahr. Der Container ist verschlossen worden. Hermetisch.
„Wir sind hier im sterilen Transportcontainer, und ich bin bei dir, weil ich dich während der Überführung unter Kontrolle haben möchte, denn wir erreichen jetzt bald das Ende der Transfusion und Infusion. Ein sehr wichtiger und manchmal auch heikler Moment.“
„Transportcontainer?“
„Ja, wir werden einige Stunden im Flugzeug unterwegs sein, denn mein Labor befindet sich nicht dort, wo der Start der Raumfähre erfolgen wird.“
Herta muss wieder eingeschlafen sein. Sie erwacht, weil Professor Fraktalus mit lauter Stimme spricht: „Was? Was ist? Was für Probleme? Einen Ausfall? Triebwerke? Notlandung? Wir sind doch überm Ozean! Und jetzt entfaltet gerade die Cerebromembrakinase ihre volle Wirkung. Die Synapsen verbinden sich gerade damit!“
Plötzlich dreht sich der Professor um, sieht Herta an, sieht, dass sie wach ist. „Wir scheinen ein Problem zu haben. Die Elektronik des Flugzeuges spielt irgendwie verrückt, die Triebwerke laufen nur noch mit 13% Leistung. Verrückt. So können wir nicht fliegen, die Piloten wollen nicht über dem Ozean niedergehen, sie meine, sie schaffen es bis zu Festland. doch da ist nichts! Und das gerade in dem Augenblick, wo dein Gehirn, deine Synpasen mit meinem Cerebromembrakinase die Verbindung eingehen!“
Der Professor scheint erst jetzt, als er diese Worte ausspricht zu realisieren, was er gerade gesagt hat. Wieder spricht er zu den Piloten: „Was sollen wir denn über dem Festland? Da ist doch nichts! Was? Strand? Ihr wollt auf dem Strand eine Notlandung vornehmen? Ja, ich kann mir vorstellen, dass es besser ist als auf dem offenen Meer. Ja, ich bereite mich vor. Nein, die Patientin ist voll angeschnallt. Und ihr habt mit der Zentrale gesrpchen?“
Der Professor schlägt seine Hände vors Gesicht. Dann richtet er sich auf, überprüft die Monitore, gibt einige Befehle in Computer ein indem er auf Bildschirme mit einem krummen Finger tippt. Herta hat das Gefühl, dass sich ihr Gehirn entleert. Sie blickt wild und verstört zum Professor.
„Keine Bange, ich habe nur den Kontakt verstärkt, sicherheitshalber. Tut es weh?“
„Nein, nein - ein komische Gefühl.“
„Kein Problem. Ich muss mich jetzt festschnallen.“ Kaum sind diese Worte ausgesprochen ertönt eine schrille Sirenen und eine Automatenstimme erklingt: „Festschnallen zur Notlandung, Gebückte Haltung annehmen. Brace! Brace! Brace!“
Der Professor beugt sich nach vorne, Herta blickt wild um sich.
Da erkling ein metallisches Geräusch, sofort gefolgt von einem Scheppern, ohrenbetäubenden Krach. Der Container wird hin und her geworfen. Es ist unerträglich. Herta verliert das Bewusstsein.
Später, Wie viel später? Keine Ahnung.
Herta schlägt die Augen auf. Es ist so halbdunkel, sie liegt ziemlich schief, immer noch fest angeschnallt, den Kopf und die linke Seite nach unten. Allmählich gewöhnen sich ihre Augen an das diffuse Licht. Von ferne hört sie ein gleichmäßiges Geräusch. Es reicht verbrannt. Metallisch und sonst noch irgendwie undefinierbar. Herta fröstelt. Ihr Körper ist völlig gefühlslos, ihr Kopf hämmert leicht.
Der Transportcontainer scheint halb aus dem zerborstenen Flugzeugrumpf gestürzt zu sein und ist oben aufgerissen worden. Herta sieht jetzt etwas von einem dunkeln Himmel, wenn das Sterne sind…
„Hallo. Hallo,“ sagt Herta einige Male. Stille. Nur irgendein Rauschen. Herta lauscht. Langsam erkennt sie dieses Rauschen, die leichte Brandung von Wellen an einem Strand.
Was ist jetzt? Fragt sich Herta. Unser Flugzeug hat eine Notlandung gemacht, das glaube ich verstanden zu haben. Fühlt sich eher, wie eine Bruchlandung an. Wo ist denn der Professor? Und wo sind wir und was ist und die Rettungskräfte?
Mehrfach erwacht Herta, schaut in einen Strich eines nächtlichen Sternenhimmels. Ihr ist kalt, sie liegt ja völlig nackt auf einer Stahlplatte, und nichts funktioniert mehr.
Als sie wieder erwacht sieht der Himmel anders aus, heller. Schnell wir es immer heller. Ein neuer Tag scheint anzubrechen.
Herta ist wieder eingeschlafen. Ein komisches Geräusch weckt sie. Das hat sie noch nicht gehört. Eine Art heulen. Sehr laut und durchdringlich.
Später hört sie Stimmen, hört, wie auf den Container geklopft wird. Nimmt einen Schatten in der Öffnung wahr. Weitere Stimmen. Herta kann nicht klar genug denken, Ihr ist kalt. Sie hat durst, ihr Mund ist völlig ausgetrocknet. Ihr Kopf schmerzt. Sie kann gar nicht mehr richtig denken.
Doch nimmt sie wahr, wie sie von dieser Stahlplatte gehoben wird. Starke Männerhände, Männerarme. Sanft wird sie niedergelegt, zugedeckt. Sie fühlt, die die Kanüle in ihrem Arm wieder aktiviert wird. Wasser auf ihren Lippen.
Schattenartig nimmt sie schwarz vermummte Gestalten um sich wahr. Ihre Trage wird angehoben. Mit weit aufgerissenen Augen sieht sie in einen tropisch blauen Himmel. Dann wird es dunkel. Sie wird irgendwo hinein geschoben, ihre Trage festgezurrt. Ein maskiertes Gesicht beugt sich über sie, und spricht zum ersten Mal zu ihr: „Du bis Herta? Wir haben dich gerettet und wir werden uns nun um dich kümmern.“
Dann hört sie ein infernalisches Heulen, merkt, wie sich alles dreht. Doch die Stimme neben ihr spricht in einem beruhigenden Ton: „Wir sind in einem Hubschrauber, bald, ganz bald sind sie in Sicherheit.“