Fragen
FragenAch du lieber Himmel schon wieder Zeit, sich Gedanken zu machen. Die wichtigen Fragen nämlich: was koche ich heute Mittag, was ziehe ich an, soll ich gleich einkaufen fahren oder erst etwas später …? Sie wissen schon, alle diese weltbewegenden Fragen, die einen morgens beim Aufstehen bereits quälen und einem den Tag vermiesen können, oder heißt es vermissen? Manchmal vermisse ich – die dummen Fragen nach dem Wetter oder dem Befinden.
Heute habe ich beschlossen, einmal etwas anderes zu fragen. Jawohl! Ich frage mich eben, warum treffen sich in Toronto Politiker zu einem Wirtschaftsgipfel und schotten sich derart ab, dass man meinen könnte, in einem schlechten Film zu sein? Ich dachte, bei diesem Gipfel geht es um die Menschen. Ich habe so den Eindruck, das ist ein Selbstbeweihräucherungsaktionismus der herrschenden Kaste – jawohl Kaste, ist doch alles ein und dasselbe. Geld regiert die Welt und welche Farbe Geld hat, hängt immer von der Menge ab, die man übereinander stapelt.
Die armen Kanadier mussten die Politiker auf ihrem Gipfel durchfüttern und noch dazu mit vielen, vielen Polizeieinheiten schützen und beinahe wäre diese sauteure Angelegenheit an mir vorübergegangen. Wovor wurden die eigentlich geschützt? Vor einer handvoll Demonstranten, die sich fragen, was dieser Mist eigentlich soll? Warum gehen die Politiker nicht einfach her und reden was Sache ist? Warum geben sie nicht einfach zu, dass sie keine Ahnung haben, wie es weitergeht? Warum probieren sie nicht einmal etwas ganz Neues aus, auch auf die Gefahr hin, zu scheitern? Denn so wie es jetzt aussieht, geht ohnehin alles zum Teufel. Es wäre also nicht allzu tragisch, daneben zu liegen. Aber auf Altbewährten zu beharren ist auch keine Lösung – nur viel bequemer.
Also, was soll ich mir heute anziehen? Lieber die Sandalen oder die Ballerinas? Ich weiß noch nicht und verharre mit der Hand über den Stöckelschuhen. Springerstiefel, kommt mir in den Sinn. Warum eigentlich nicht? Damit müssten sich die Fragen gut zertreten lassen.
Aus dem Fernseher dringen laute Geräusche. Ich gehöre zur Morgensendungsfernschauendenbevölkerungsschicht – zugegeben, ist sehr amerikanisch, aber das macht mir nichts. Er läuft ohnehin nur so nebenbei, wie übrigens bei den meisten Menschen. Ablenkungsmanöver fällt mir jetzt ein. Ich brauche Ablenkung, vielleicht kann ich mich dann entscheiden, welches Schuhwerk heute meine Größe 40 Füßchen zieren darf. Entschlossen noch keine Entscheidung zu treffen hole ich mir eine weitere Tasse Kaffee und lasse mich auf dem Boden vor dem Fernseher nieder. Was sehe ich da? Ach ja, das ist auch Toronto. Ich schließe die Augen und fühle mich wie im alten Rom, Circus Maximus – Schläge auf Schilde – welch ein bedrohlicher Laut. Ich öffne die Augen und sehe schwarz gekleidete Polizisten, die mit den Schlagstöcken im Takt ihrer Schritte gegen die Schilde klopfen. Gänsehaut lässt die feinen Härchen an meinen Armen aufrichten.
Während ich meinen Kaffee trinke und den schlagstockbewährten Polizisten bei der Bewachung des G 20 Gipfels zusehe, die Demonstranten niederknüppeln – sind die überhaupt schon erwachsen? – überlege ich, was ich heute für meine Lieben kochen werde. Soll ich überhaupt etwas zubereiten? Es ist heiß – schon jetzt um 6 Uhr morgens brennt die Sonne. Ich mag das. Sollen wir heute schwimmen gehen oder lieber zuhause bleiben? Schon wieder eine Frage, stöhne ich.
Ich blicke auf die Uhr und mit einem Ruck erhebe ich mich, schalte den Fernseher ab und schlüpfe in die Laufschuhe, denn nun habe ich es eilig und bin für einige Stunden aller wichtigen Fragen enthoben. Nur eine stellt sich noch: Werde ich in den Morgenstau fahren?
(c) Herta 6/2010
Passende Musik gefällig? YT-Link: "Stellt die Banker vor Gericht"
Wem diese kleine Story zu plakativ ist, dem gebe ich voll und ganz recht.