Kollektiv-Vision
© Nisham 2010Tagträumend auf einer Bank am Ufer sitzend. Meine Finger auf der Banklehne leise einen betörenden Rhythmus trommelnd. Mein Blick so gut wie leer auf das Wasser schauend. Ein leichter wirbelnder Wellenschlag über dem tiefen Wasser. Durch meinen Körper dringt ein Vibrieren, das ich nicht erkennen kann. Ich verstehe nicht, was mit mir geschieht. Doch es ist, als würde mir etwas mitgeteilt.
Leise trommeln meine Finger weiter, ob ich es will oder nicht. Meine Augen werden zu Schlitzen, versuchen zu sehen; doch außer einem unruhigen Oberflächenwasser, gibt es nichts. Mein Körper pulsiert stärker, mein Herz pocht, als wolle es einen fremden Herzschlag aufnehmen. Und plötzlich vor mir, nur wenige Armlängen weg, erscheint ein Wesen, der Kopf eines Wesens. Andere würden sagen - nein, schreien! – eines Monsters! Zwei riesige Augen beäugen mich, ein Maul in das ich doppelt verschwinden könnte öffnet sich. Ein brennend heißer Atemhauch hüllt mich ein. Doch ich bleibe sitzen, fast reglos. Nur meine Finger trommeln weiter, als würden sie nicht zu mir gehören. Der Kopf kommt näher, der Atem wird zum heißen Sturmwind. Ich halte mich fest, um nicht weggeblasen zu werden. Rings um mich vernehme ich verhaltenes Schreien, rennende Füße. Doch diese beiden Augen halten mich in ihrem Bann.
Ich schaffe es, meine rechte Hand zu heben, von mir zu strecken, diesem gigantischen Maul entgegen. Zwei Nüstern, aufgebläht und so groß, dass mein Arm darin eintauchen könnte, stups sanft an meine Hand. So weich und zart. Und so sanft nimmt das Wesen Kontakt mit mir auf, nimmt meinen Geruch in sich auf, den Blick nicht von mir lassend.
Lange bleiben wir so. Lange? Keine Ahnung! Es ist eine innige Verbindung, eine Kommunikation, die über Worte hinweg geht, tief im Gedankenaustausch in einer anderen, mir unbekannten und doch absolut vertrauten Dimension.
In der Ferne höre ich Sirenen. Aus allen Richtungen. Meine Gedanken berühren das Wesen. Ein heftiges Schnauben, das mich fast mitsamt der Bank wegpustet, ist die Antwort. Und doch gleich wieder ein so sanftes Berühren meines Seins. Leicht streichelt meine Hand über die geblähten Nüstern. Ein Abschied. Für immer und doch nicht für die Ewigkeit. Die Sirenen werden ohrenbetäubend laut. Da versinkt das Wesen in die Fluten. Mit einem letzten alles sagenden Blick zu mir. Glatt liegt das Wasser, nur sanfte Wellen kräuseln die Oberfläche. Hektische Menschen in Uniform überall, Um mich herum. Tausend Fragen auf mich gebrüllt. Ich zucke mit den Schultern: „Was ist?“
Ein Wortschwall aus multiplen Kehlen. Ich kann nur den Kopf schütteln, mit den Achseln zucken und auf das stille Wasser deuten. Kameras und Mikrofone strecken sich mir entgegen. Worte und Fragen gebrüllt. Ich hülle mich in das Schweigen der Leichtigkeit, des tiefen Wissen, das ich nie teilen werde. Stehe auf. Mir wird Platz gemacht. Nicht ganz freiwillig, doch ich habe nichts zu verbergen. Langsam gehe ich meinen Weg. Menschen verfolgen mich, Kameras und Mikrofone. Den Kopf nach rechts zum Wasser wendend, erhebe ich meine rechte Hand und winke leicht aufs offene Wasser…