Apfel Birne Pflaume
Olivia stand nachdenklich vor der Taberna. Den Besen in Hand betrachtete sie das alte Schild. Es machte nicht mehr viel her, genauso wenig wie sie selbst. Alles wirkte alt und schäbig, verbraucht, heruntergekommen. Einzig die Bäume waren schön, aber die wurden mit zunehmendem Alter nicht unbedingt unansehnlicher.Olivia dachte an ihre Jugend. Sie war nicht eben eine gefeierte Schönheitskönigin gewesen, aber auch nicht hässlich. Einige Bewerber hatte es gegeben, doch Tata hatte jeden möglichen Gatten mit seiner brutalen Art vertrieben. Keiner war ihm gut genug gewesen für sein einziges Kind. Nun war Tata schon lange im Grab und sie selbst ergraut.
„Tata“, seufzte sie. „Siehst du, was aus mir geworden ist? Ich bin eine einsame alte Frau, zwei Sklaven sind mir noch geblieben, die nicht wegwollen, weil sie ebenfalls zu alt sind. Niemand kommt in unsere Taberna. Wir werden hier bald nicht mehr leben können.“ Entschlossen sich doch noch nicht unterkriegen zu lassen, begann sie den Vorplatz zu fegen, dann kontrollierte sie, ob das Futter im Stall noch frisch war. Alles war so wie immer.
Nur als sie aus dem Stabulum trat, fiel ihr eine Änderung auf. Der Himmel wirkte dunkel, irgendwie fremd und die Gebäude schienen wie von Wetterleuchten umgeben zu sein. Sie rieb sich über die Augen. Es war alles wie immer. Wie es ihre Art war, vergaß sie diese Erscheinung bald wieder.
Vor der Tür stand eine kleine Statue von Merkur, zärtlich strich sie darüber. Dann pflückte sie einige Blumen, die hinter dem Haus wuchsen, stellte sie in eine Vase und schenkte sie ihm. „Du freust dich sicher über etwas Farbe“, sagte sie zu der Steinfigur und für einen Moment hatte sie den Eindruck, sie würde lächeln.
Kopfschüttelnd ging sie nun in die Gaststube, kontrollierte die Gläser, die Tische und die Stühle, so wie sie es jeden Tag machte. Anschließend stieg sie in den Keller hinab, zählte die Weinfässer und trank ein Glas voll des guten alten Rotweines, den ihr Vater noch aus Hispania geordert hatte. Damals hatten sie noch Geld und konnten sich solch teure Weine leisten. Nun gab es nur mehr Wein aus den Restbeständen und Ziegenmilch oder Wasser, sollte sich einmal ein Gast in ihre Taberna verirren, was selten bis nie vorkam.
Nachdem sie ausgetrunken hatte, warf sie einen Blick in die Vorratskammer für die Speisen. Ein Schinken hing von der Decke, in einigen Amphoren hatte sie jede Mengen Oliven lagern und zahlreiche Säcke mit getrockneten Früchten standen an der Wand. Bündel voll trocknender Kräuter baumelten von der Kellerdecke und verströmten einen angenehm würzigen Geruch. Sie sog ihn tief ein. Nachdenklich strich sie die Schürze glatt. Dann ging sie wieder hoch.
In der Küche saßen Flavia und Myria, beide waren älter als sie selbst und dem Tod schon näher als dem Leben. Deshalb sagte Olivia auch nichts, weil sie sich nicht bewegten. Sie schienen erstarrt zu sein.
Olivia ging weiter. Leise raschelte der Stoff der Tunika und die Sandalen machten klatschende Geräusche auf den abgenutzten Steinfließen. Irgendwo summte eine Biene, ein Fensterladen schlug gegen die Wand. Geräusche des täglichen Lebens und doch irgendwie anders. Lauter, ferner oder doch näher? Sie kümmerte sich nicht darum.
Durch die Hintertür ging sie in den Garten hinaus. Zahlreiche alte Obstbäume standen dort. Einige waren in Blüte, andere trugen bereits Früchte und wieder war der Himmel von sonderbarer Farbe. Olivia beachtete es nicht weiter, schüttelte den Apfelbaum und biss in eine Birne, die vom Baum gefallen war.
Kauend wandte sie sich um und betrachtete das verfallene Haus von hinten. „Domina war ich einst, dieses stolzen Hauses – nun bin ich die Alte, Serva des Verfalls.“ Aber sie war nicht traurig deswegen, über dieses Stadium war sie schon weit hinaus. Dennoch blinzelte sie eine verräterische Träne weg. Die Piri war saftig und schmeckte nach Prunum. Sie wusste wie diese Früchte schmecken mussten, denn im Garten stand ein Pflaumenbaum.
Plötzlich musste sie lachen. Sie setzte sich ins Gras und rief: „Ach Hades, warum hast du mir nicht eher gesagt, dass ich tot bin? Diese Malumpiriprunum hätten mir schon viel früher geschmeckt.“
(c) Herta 7/2010