Treväsh – Der Bruch
Valmidea fühlte, wie sie sich aufzulösen begann und ihr Wesen in Induro strömte. In diesem Moment störte es sie nicht. Sie wollte es sogar. Die wilden roten Blumen schrien ihr Verlangen immer lauter hinaus und berührten selbst die Krüppelbüsche, die sich im Takt der wilden Vereinigung zu wiegen schienen. Ihr Seufzen vermischte sich mit dem Stöhnen der Liebenden und Jarhag wusste noch immer nicht, wie er dem Einhalt gebieten konnte. „Manlokka“, sagte sein Geist, aber nichts geschah. Er versuchte es erneut, immer wieder, aber die Gedanken erreichten weder seine Stimmbänder noch den Mund. Da sah er, wie sich Valmidea wild aufbäumte, so als wollte sie sich gegen die Gier stemmen und er ließ seine Gedanken abermals laut rufen: „Manlokka! Manlokka! Erwacht doch endlich oder wir gehen hier zugrunde!“ Kurz, nur einen Lidschlag lang lösten sie sich von einander, aber es genügte Jarhag um eine weitere Warnung zu rufen: „Manlokka!“ Da richtete sich Valmidea zitternd auf. Sie rollte von Induro herunter, dessen Manifestation sich als Nebel aufzulösen begann und zurück in den Körper des sterblichen Mannes kehrte. Tief war der Atemzug den Jarhags Lungen taten und langsam kehrte wieder Leben in seine erstarrten Muskeln. Valmidea kauerte unterdessen weinend unter dem Strauch und schalt sich selbst eine Närrin, weil sie nicht besser achtgegeben hatte.
Die Nacht hüllte sie ein und es war kalt geworden. Schnell zog sie sich an, schlang die Arme um die Knie und lehnte sich an die knorrigen Zweige. Avashna Valmidea merkte einen Wandel an sich selbst. Ein Teil von ihr sehnte sich unerwartet nach Induro, seiner Wildheit und der uralten Vertrautheit zwischen ihnen. Jarhag bemerkte das und es bekümmerte ihn. Wie ein kleiner Stachel, kaum merklich und doch vorhanden, bohrte sich die Eifersucht in ihn. Das Gefühl der allumfassenden Liebe wich. Aber er erkannte auch, wie stark er selbst war. Er würde Induro besiegen können und seinen Körper zurückgewinnen. Nur das durfte jetzt zählen. Erst danach konnte er sich um seine Gefühle für Valmidea kümmern. ‚Val, er hat sogar einen Kosenamen für sie. Wie lange kennen sie sich wirklich?’ Induro vernahm diese Gedanken und lächelte darüber, dann dachte er scharf: ‚Was, es gibt dich noch immer? Du bist ganz schön stur. Ja, Val und ich, wir kennen uns eine Ewigkeit. Halte dich zurück oder es wird ihr schlecht ergehen.’
Eng umschlungen kauerten sie unter dem seufzenden Busch und warteten, dass die Nacht verging. Jarhag hatte sich zurückgezogen. Für eine direkte Konfrontation mit Induro fühlte er sich noch nicht bereit. Aber die Stunde nahte.
Währenddessen trübte Staub die Sonne in Gründland und Hass die Herzen der Menschen. Kriege wurden heftiger geführt, Streitsucht saß in den Köpfen der Umidar. Sogar kleine Kinder wurden davon erfasst. Das Flammenschwert ließ ihnen gerade Zeit, sich von den Wunden zu erholen bevor es einen erneuten Streich führte und Chaos rollte heran.
Nur eine kleine Ahnung dieser Unordnung in der Welt drang bis zu Jarhag. Doch auch darum konnte er sich jetzt nicht kümmern. Das Schwert lag nicht mehr in seiner Macht. Er musste warten und hoffen, dass sie die neue Waffe führen würde.
Die Sonne hatte das Land noch nicht erhellt, da wanderten sie bereits weiter. Induro drängte, er fühlte sich bereit, die Macht der Steine herauszufordern. Doch der Weg war noch weit.
Nach Manlokka fühlte sich Jarhag kurze Zeit in einer Hochstimmung, doch nun wich es einer schier bodenlosen Einsamkeit. Er betrachtete wie Valmidea und Induro Hand in Hand einher schritten und über ihre gemeinsame Vergangenheit sprachen. ‚Lass mich raus’, drängte er, doch Induro ignorierte ihn geflissentlich. ‚Du willst mir alles nehmen – meinen Willen, meinen Körper und nun auch noch die Liebe Valmideas.’
„Mein Guter, das alles habe ich doch längst“, antwortete der Gott herablassend. „Dein Wille und dein Körper sind in meiner Hand. Du kannst nichts tun, wenn ich es dir nicht erlaube. Und was Valmidea angeht …“ Vielsagend brach er ab und ließ das Schweigen für sich reden. Jarhag zog sich zurück, doch Induro hatte etwas Neues entdeckt. Er ließ den Geist des Mannes durch die Augen in die Welt schauen und er freute sich daran, wie Jarhag litt.
„Willst du meine Partnerin werden, Val? Du weißt schon, so wie früher: wir teilen die Arbeit und dann unsere Körper.“
Darüber dachte sie eine Weile nach. Das Angebot war verlockend und sie kannte Induro. Er war der Mächtige, der Vater der meisten niederen Götter und sie beide hatten eine lange, starke Verbindung geführt. Ohne etwas zu sagen, griff sie nach seiner Hand und drückte sie leicht. „Ich werde dir später antworten. Erst lass uns unsere Aufgabe bewältigen.“
Induro lächelte abermals und es wurde breiter als er die Bedeutung ihrer Worte bedachte.
Schweigend schritten sie nun zwischen den welkenden roten Blumen und den seufzenden Krüppelbüschen einher. Das Steppengras unter ihren Füßen knackte wie brechendes Glas, doch keiner achtete darauf.
„Wie hast du die Blumen zum Welken gebracht?“, fragte Valmidea schließlich, wobei sie ihn erstaunt anblickte. Einem ersten Impuls folgend hätte er ihr beinahe die Wahrheit gesagt, doch er konnte sich gerade noch bremsen und tischte ihr eine Lüge auf, die sie bereitwillig glaubte. Und tief in seinem Versteck sagte Jarhag traurig und beständig: „Manlokka – erwache, kalte Seele.“ Der Weg nach Uballa war frei.
Je länger sich Valmidea und Induro unterhielten, desto fremder fühlte sich Jarhag. Er war lediglich ein geistiges Gepäckstück, nutzloser Ballast. Das war es, was ihm Induro immer wieder zuflüsterte.
„Was hat dich an diesem elenden Schmied so fasziniert oder überhaupt daran, als Sterbliche zu leben?“ Induro klang ehrlich interessiert, so war es auch. Er wollte mehr über Jarhag erfahren.
Auch jetzt dachte Valmidea eine Weile über die Frage nach. „Ich weiß es nicht genau“, begann sie endlich langsam zu sprechen. „Zuerst war es eine Strafe, du weißt schon, dafür, dass ich dich verließ. Dann lernte ich Jarhag kennen und die Strafe wandelte sich in eine freudige Übung. Du weißt, was Mutter danach versuchte, doch Jarhag hat sie vertrieben.“
„Und deshalb bist du bei ihm – es ist ein Schuldgefühl. Er hat dich gerettet und nun meinst du, das hätte dich zu irgendetwas verpflichtet. Sei nicht dumm, Val. Du bist frei! Sieh es doch so, du bist eine Göttin, wenn auch nur eine kleine und eher unbedeutende in der Hierarchie, aber dennoch … keine dieser Sterblichen, die sich so leicht manipulieren lassen.“ Auch darüber dachte sie lange Zeit nach. Immer wieder blickte sie Induro an und Jarhag glaubte zu erkennen, wie sich Valmidea von ihm entfernte.
Ganz für sich in seiner einsamen Nische dachte er bitter: ‚Ich werde sie nicht halten. Sobald ich meinen Körper wiederhabe, gehe ich weg. Alleine, wenn es sein muss. Wie konnte ich auch so vermessen sein und denken, sie würde mich lieben?’
‚Ja, wie konntest du nur?’, höhnte Induro.
Mehrere Tage schritten sie durch die Stöhnende Ebene, das Wasser war zur Neige gegangen, da fanden sie endlich eine Oase. Jarhag hatte sie entdeckt und Induro darauf hingewiesen, denn das Schwert zeigte nur den Zielpunkt der Reise an. Es brauchte weder Wasser noch Nahrung. So pulsierte es jetzt unruhig in der Scheide und versuchte sich zu befreien. „Ruhig Schwert, wenn wir unsere Körper verlieren, dann hast du niemanden, der dich schwingt“, sagte Induro und das Schwert verharrte still an seiner Seite.
Müde schleppten sie sich unter die hohen Federbäume, deren weite blau schimmernde Federblätter ein Dach bildeten. „O wie schön“, flüsterte Valmidea ehrfürchtig, nachdem sie ihren Durst an einer Quelle gelöscht hatte und an die samtige Rinde eines Federbaumes gelehnt saß. Es war tatsächlich ein erhebender Anblick und nur wenigen Sterblichen war es bislang vergönnt, den zweiten Himmel zu betrachten. Treväsh wurde die Oase genannt, der Ort des Brechens. Hier wurden Versprechen gebrochen, Bündnisse nicht mehr eingehalten, Freundschaften verwandelten sich und Herzen brachen. Aber der zweite Himmel entschädigte mit seiner Schönheit dafür. Valmidea betrachtete die Federn, die leicht im Wind zu flattern schienen und eine leise, sanfte Melodie sangen. Ihre Bewegungen schienen wie Wolken zu sein, die über einen azurblauen Himmel zogen. Die Wiese unter ihr war von einem satten Grün, wie frisch gemalt und dennoch ehrlich und von fester Substanz.
Treväsh war nicht böse aus sich heraus. Jeder, der hierherkam, brachte den Bruch bereits mit sich, war erledigt durch den langen Marsch in der Hitze und dem ewigen Seufzen der Krüppelbüsche. Wessen Herz hier stark blieb, der war es wert, ungebrochen und als Einheit weiterzugehen.
Jarhag haderte mit sich und seiner Liebe für Valmidea. Er fragte sich, ob ihr Gefühl für ihn ebenso stark war. Schon sah er sie im Geiste mit Induro fortziehen und ihn als lebende Leiche zurücklassen. ‚Nein schrie alles in ihm, das ist eine Lüge! Hör nicht hin! Die Bäume wollen dir das weismachen.’ Doch er hörte nicht auf sich selbst, sondern gab sich dem Zweifel und dem Selbstmitleid hin.
Valmidea ihrerseits dachte nichts mehr. Sie fühlte sich leer und frei, ungebunden an die sterbliche Hülle. Induro neben ihr erkannte die Veränderung und trieb den Keil weiter. Der Mondstein in ihrer Tasche weinte. Doch auch das merkte sie nicht.
Sie verbrachten den restlichen Tag und auch die ganze Nacht in der Oase, versorgten sich mit Trinkwasser und Nahrung. Die Früchte der Federbäume waren schmackhaft und es gab reichlich davon.
Am nächsten Morgen füllten sie ihre Vorratsbeutel und die Wasserflaschen, dann zogen sie weiter. Das Schwert hatte ungeduldig gewartet und nun trieb es sie vorwärts.