Die Pun-Heilerin
Trotzig stand sie in der Schmiede, das Zaumzeug des kleinen Puns locker in der Hand haltend und funkelte den Mann vor ihr zornig an. Er hatte das Tier zu schwer beladen, nun lahmte es und sein Rücken war wund. Valmidea brauchte nichts zu sagen, der Bauer wand sich auch so unter ihrem harten Blick, als hätte sie ihn geschlagen. Sie war die Pun-Heilerin und ihr Gefährte der Schmied, Jarhag Udger. „Kannst du es heilen?“, fragte der Bauer nach mehrmaligem Schlucken und den Blick zu Boden gerichtet. Valmidea brummelte vor sich hin, streichelte dem Tier den Kopf, tätschelte die breiten Nüstern, dass es schnaubte und eine lange schmale Zunge herausstreckte, mit der es Valmidea das Handgelenk leckte. „Pfui“, sagte sie geistesabwesend, denn die Zunge war so rau, die zog einem beinahe die Haut ab. Dann nickte sie und schickte den Bauern weg. „Nach fünf Sonnenaufgängen kommst du wieder und holst es ab. Was es dir wert sein muss, sage ich dir, wenn du kommst. Geh!“ Wie von einem Magneten angezogen drehte sich der Bauer um und rannte aus der Schmiede.
„Musst du immer so brummig sein?“, fragte Jarhag grinsend.
„Ja“, kam ihre knappe Antwort. Es machte sie wütend, wenn jemand ein Lebewesen mit so wenig Achtung behandelte, dass es verletzt wurde.
„Du hast ja recht, Geliebte, aber es sind auch unsere Kunden. Wenn keine mehr kommen, dann klingeln keine Münzen in unserem Beutel und wir müssen hungern.“
„Ja“, brummte sie. Dann schaffte sie das Pun in den Stall und begann damit, es gründlich zu untersuchen.
Kurze Zeit später trat Jarhag hinter sie. Er war nur mit einem Lendeschurz bekleidet, seine braungebrannte Haut glänzte vor Schweiß und er strömte Testosteron aus, dass es Valmidea beinahe riechen konnte. „Wie geht es dem Pun?“, fragte er besorgt, dabei umschlang er ihre zierliche Gestalt mit seinen kräftigen Armen. „Sieh dir mal die Hufe an, Schmied“, sagte sie doch sie lächelte dabei. Jarhag nickte. Bedauernd ließ er sie los und wandte sich dem linken Vorderhuf des kleinen Puns zu. „Wer, zu Chatar, hat das Pun beschlagen?“ Jarhag brüllte beinahe. Das Eisen war mit dem Huf verwachsen, was für einen Großteil der Probleme des Tieres verantwortlich war. Valmidea streichelte die Nüstern des kleinen weißen Tieres, dabei murmelte sie beruhigend auf es ein. Schließlich hob das Pun den Fuß. Mit großen roten Augen starrte es auf Valmidea, als wusste es, von ihr war Erleichterung zu erwarten.
Jarhag griff zu einer schmalen Brechstange, diese schob er unter das Hufeisen und hob es an einer Stelle an. Jetzt wechselte er das Werkzeug und die Zange befreite das Pun schlussendlich von seiner Pein. Grünes Blut tropfte aus der Wunde und verströmte einen unangenehmen Geruch. „Wie lange es das wohl schon draufgehabt hat? Chatar soll diesen Verbrecher mit Eidanadeln peitschen!“ Jarhag schrie so laut, dass das Pun scheute und zu tänzeln begann. Valmidea sprach weitere beruhigende Silben in einer unbekannten Sprache, die nur sie beherrschte. Aber sie war auch kein Mensch aus Umidar, sie war nicht einmal von dieser Welt, aber darüber sprach sie nicht. Nur Jarhag wusste es.
Heilerin und Schmied wechselten die Positionen. Dann begann Valmidea den verletzten Fuß zu behandeln. Es dauerte nicht lange, dann war es geschehen. Sie führten das Pun in eine leere Box, gaben ihm Feuergras zu fressen und füllten Wasser in einen Eimer, dann gingen sie zurück in die Schmiede.
Es waren noch einige Tiere zu beschlagen und Jarhag hatte noch andere Aufträge zu erledigen. Valmidea beobachtete ihn, wie er gekonnt auf das heiße Eisen einschlug. Nach einiger Zeit nahm eine Sichel gestalt an. Sie bewunderte seine Fähigkeit, mit dem Metall zu spielen und ihm eine völlig neue Form zu geben. Im Laufe vieler Jahre hatte er diese Gabe perfektioniert.
Als er fertig war, gingen sie zusammen über den Hof nach hinten, wo sie ihren Wohnraum hatten.
„Valmidea?“ Schon den ganzen Tag über brannte eine Frage in ihm. Nun wollte er sie endlich stellen, aber noch immer war er nervös. So ging er zuerst zum Waschzuber und entfernte den Dreck von seiner Haut. Stumm betrachtete sie ihn und wartete. Sie ahnte, dass er ihr eine wichtige Frage stellen wollte, ließ ihm aber wie gewohnt die nötige Zeit. Für sie war Zeit weniger ein Problem als für die Umidar.
Als er so weit war, saß sie am Tisch, auf dem Fladenbrot, Honig und Früchte einen hungrigen Magen erwarteten. Doch erst nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, stellte er die Frage.
„Meine Liebste Valmidea, was geschieht, wenn ich gestorben bin? Du bist noch genauso jung und hübsch wie an dem Tag, an dem du zu mir gekommen bist.“ Diese eine Frage hatte sie gefürchtet. „Ich weiß es nicht, Jarhag. Wahrscheinlich wird mich Mutter wieder abholen wollen und irgendeine Seuche auf Umidar schicken. Sie weiß, solange du das blütengetränkte Schwert schwingen kannst, hat sie keine Chance.“ Er blickte sie nachdenklich an, fuhr sich durch das lange graue Haar, dann seufzte er tief auf. „Ich werde es nicht mehr lange können. Sieh, Valmidea, ich bin alt geworden.“
Langsam umrundete sie den Tisch und kniete sich an seine Seite, wobei sie seine rechte Hand in ihre nahm. „Für mich bist du noch immer der gutaussehende junge Mann, in den ich mich verliebt habe.“ Sie klang völlig ernst, denn es war die Wahrheit. Für Valmidea änderte sich nichts. Alles um sie herum erschien ihr so, wie sie es wollte. Beinahe alles, die Zeit auf Umidar konnte sie nicht aufhalten, sie war das letzte alles verändernde Element, das nicht einmal sie selbst aufhalten konnte.
Chatar hatte es vor langer Zeit versucht und war kläglich gescheitert, was ihm einen Platz als Herrscher der Unterwelt eingebracht hatte. Nun musste nur noch Valmidea ihren rechtmäßigen Sitz einnehmen. Doch das wollte sie nicht. Sie wollte bei Jarhag bleiben. Er hatte vor vielen Jahren sein Leben riskiert, um sie zu retten.
Sie überlegte eben was sie für ihn tun konnte, als er sie mit seiner Stimme, die noch immer so rein war, wie vor vierzig Jahren, aus ihren Gedanken riss: „Ich weiß, was du vor hast, Liebes. Mach es nicht. Lass deine Familie aus dem Spiel. Wenn ich gehen muss, dann werde ich sterben. Es ist das Los von uns Umidar, unsere Zeit in diesem Körper ist begrenzt.“
„Aber ich werde dich nicht gehen lassen“, flüsterte sie. „Irgendetwas wird mir einfallen und ich …“
„Valmidea, bitte. Damit machst du es viel schwerer – nicht nur für dich, sondern auch für mich. Sieh es mal so …“ Er betrachtete sie lange und sie erwiderte seinen Blick mit der gleichen strahlenden Intensität, die einst Lamira ausgestrahlt hatte, als sie versucht hatte, ihn zu betören. „Es tut mir Leid“, flüsterte Valmidea, die diese Erinnerung mit ihm teilte.
„Du kannst doch nichts dafür. Bitte nicht um Verzeihung, es ist nicht nötig, war es nie und wird es nie sein.“
„Die Zeit schmiedet uns, Valmidea und du heilst ihre Wunden, ist es nicht so?“
„Du hast Recht.“
Einige Monde zogen ins Land. Ein Pun zum Heilen folgte dem nächsten, dazwischen waren auch Mekah, die keine Milch mehr geben wollten oder Probleme beim Kalben hatten. Allen half Valmidea, und der Schmied hämmerte unterdessen unverdrossen, trotz seines hohen Alters, weiter auf den Amboss. Doch abends fühlte er sich müde und ausgelaugt, alt, ausgehöhlt.
„Die nächste Kaltperiode werde ich nicht mehr erleben“, sagte er eines Abends. Ein starker Husten schüttelte ihn seit Tagen und Valmidea versuchte, ihm mit allen ihr bekannten Mitteln beizukommen. Doch Jarhags Tage auf Umidar waren gezählt. Beide wussten es und so hörte sie schließlich auf, ihm ihre Tränke einzuflössen sondern blieb still an seinem Bett sitzen.
Die Schmiede war geschlossen, alle Puns zu ihren Herren gebracht. Valmidea trug weiß, die Farbe des Todes in Umidar.
Alle Erinnerungen gaben sie sich zum Geschenk. Die zahlreichen Stunden in lustvoller Vereinigung, die sie einander näher gebracht hatten. Valmidea hatte nach ihrer ersten Liebesnacht begonnen, ihre Gedanken mit seinen zu verschmelzen und so konnten sie die Bilder, die der andere in sich trug, sehen. Lächelnd sah sie, was er dachte, als sie sich kennenlernten.
Es war ein heißer Sommertag gewesen und er hatte soeben den Kopf in einen Wasserbottich getaucht. Als er hervorkam, schlug vor ihm ein Blitz ein und Valmidea stand vor ihm. Ein blaues Glühen umgab sie, das sich langsam auflöste und mit der wabernden Hitze verschmolz. Sie hatte ihr langes schwarzes Haar geschüttelt, war sich mit den Händen durch die Mähne gefahren und ein breites Grinsen entblößte eine Reihe strahlender Zähne. Jarhag war nur fähig zu starren. Fast zwanghaft musste er sich daran erinnern, wie atmen funktioniert, dann war es ihm gelungen und das Leben hatte ihn wieder.
Nun lag er blass im Bett, rang um jeden Atemzug, die Lippen bereits blaugefärbt und um die Augen dunkle Ringe.
„Die Zeit braucht einen Schmied“, flüsterte Valmidea, „wie sonst sollte sie alle Wunden heilen können? Was ist die Heilerin ohne den Schmied? Nichts! Was bin ich ohne Jarhag? Nichts!“
Sie hob den Körper des sterbenden Mannes hoch und ging mit ihm hinaus. „Es tut mir Leid, Jarhag. Ich kann dich nicht gehen lassen – kehre mit mir in die Dämmerung zurück, in das Dazwischen – dort wo nichts ist, außer dem Schmied und der Zeit.“ Das blütengetränkte Schwert nahm sie mit, denn niemals sollte es ein anderer als Jarhag in die Hand nehmen.
(c) Herta 7/2010