Familienfrühstück
Familienfrühstück„Juno! Wo hast du in diesem Sauhaufen meine Pfeile versteckt?“
Ein lautes Seufzen antwortete ihm. Dann trat sie mit einem Köcher aus der Kochnische.
„Was hast du damit vor, Jupiter?“
„Ach, nur eine kleine Seuche, mein Schatz. Mir ist so langweilig“, brummte der Gott kaum verständlich.
„Mein Lieber, du weißt doch, dass der andere das verboten hat.“ Noch ehe sie weiterreden konnten, kam Venus schmollend aus einem Kabinett und raunzte: „Jupi, sag endlich Vulcanus einmal, dass er mich in Ruhe lassen soll.“
„Aber mein Schatz, ihr seid doch verheiratet“, antwortete stattdessen Juno.
„Pah! Das bildet der sich aber auch nur ein.“
„Ruhe! Ich muss mich konzentrieren!“ Jupiter saß mit einem Fernglas in der Hand am Fenster und starrte hinaus, ein Auge hatte er konzentriert zugekniffen, das andere visierte sein Ziel an. Mit der rechten Hand ergriff er einen Pfeil und schwupps warf er ihn zur Erde. Gelächter folgte dem Pfeil auf seinem Weg nach unten oder oben (je nach Perspektive)
„Was hast du ihnen geschickt?“, fragte Mars, der sich träge auf der Couch erhob und nach der Chipstüte griff.
„Hihi, ach nur eine Scheinseuche. Ihr werdet sehen, wie sie nervös durcheinanderlaufen werden, sich nach einem Heilmittel umsehend, das sie nicht brauchen.“
Mars legte die Tüte zur Seite, spülte die Brösel mit einem Schluck Energydrink hinunter, er trank nur den, der Flügel verleiht, schob Jupiter zur Seite und starrte nun seinerseits zur Erde. Nun begann er damit die Panik etwas mehr zu schüren. Lachend drehte er sich um, ergriff den matt gewordenen Helm bevor er grußlos davonging.
Eben jetzt kam gähnend Vulcanos aus dem Kabinett. „Guten Morgen, ihr Lieben.“ Sein Humpeln war an diesem Tag sogar noch ausgeprägter als sonst. „Wo ist …? Ach, da bist du ja meine Liebe. Magst du nicht noch einmal zu mir ins Bett kommen? Es ist so langweilig geworden.“
„Wie soll ich die Liebe unter die Menschen bringen, wenn du mich dauernd von meiner Arbeit abhältst und so berauschend ist es mit dir auch wieder nicht“, konterte sie und verzog ihre hübschen Lippen zu einem Schmollmund.
„Ach, du bist sooooo süß, wenn du ärgerlich bist.“
„Pah! Mach es dir zur Abwechslung einmal selbst. Juno! Hier ist es viel zu eng für uns alle.“ Venus beschwerte sich jeden Tag darüber.
Vulcanus ging wieder ins Bett und besorgte es sich tatsächlich selbst. Lautes Hämmern und Stöhnen drangen aus dem kleinen Zimmer. Nach mehr als einer Stunde kam er befriedigt grinsend heraus und überreichte Venus einen kleinen Becher. „Es hat gut funktioniert, ich kann es jetzt auch alleine. Aber … mit dir ist es viel schöner.“ Er drückte Venus einen Kuss auf die nackte Schulter.
„Vesta! Frühstück ist fertig!“, brüllte Juno. „Ich hasse es, wenn alle immer irgendwann auftauchen.“
„Ich hoffe Bacchus pennt noch. Der hat gestern so lange gesoffen, dass ich schon dachte, der trinkt den Ozean aus. Wieso wirfst du ihn nicht raus? Soll er doch sehen, ob er auf dem Olymp noch Platz bekommt“, sagte sie, während sie das Bett wieder im Kasten verstaute. „Es ist zu eng hier. Jupi! Kannst du nicht dafür sorgen, dass wir eine bessere Wohnung bekommen? Das ist doch Sub-Standard, total unter unserer Würde.“
„Ach, Mädel, sei froh, wir haben hier Elektrizität, warmes und kaltes Fließwasser, sogar eine Badewanne und einen Gasherd – was willst du mehr?“
„Einen Flachbildschirmfernseher“, brummte jemand. Apoll kam nun ins Wohnzimmer, Bacchus und Minerva hinter sich herziehend.
„Hat jemand Diana gesehen?“, fragte Jupiter. „Die Frage erübrigt sich.“ Jupiter war noch immer am Fernglas und erweckte den Eindruck als würde er sabbern. „Isch habsch funden“, nuschelte er.
Juno trat zu ihrem Gatten, klappte seinen Mund zu, wischte den Sabber von seinem Kinn, drehte ihn um und drückte ihm einen Tasse heiße Schokolade in die Hand. „Das beste was diese verdammten, du weißt schon, aus Südamerika mitgebracht haben.“
„Abgesehen von Kaffee und Tabak“, meinte Apoll gelassen. „Wo ist Merkur? Hat er einen Auftrag?“
„Ja, ich habe ihn zu unserem Vermieter geschickt. So geht es nicht. Wir brauchen eine größere Wohnung.“
Noch während sie darüber debattierten, wie sie so schnell so weit sinken hatten können, trat der staubige Merkur ein.
„Jupiter! Ich halte den Kerl einfach nicht mehr aus! Statt mich würdig zu empfangen, schickt mir der Kerl seinen Erzengel an den Hals! Ich als unbewaffneter Unterhändler, als Bittsteller musste mich dann mit dem geflügelten Volltrottel schlagen.“
„Und? Hast du gewonnen?“, fragte Minerva mit vollem Mund.
„Sehe ich so aus als würde mich so ein samtweicher Wichser mit Flügeln am Rücken schlagen können?“
Minerva lächelte statt einer Antwort. Man sah Merkur an, was los gewesen war. Der Erzengel hatte ihm eine Tracht Prügel verpasst und ihn in die Hölle geschickt.
„Wo ich dann schon mal dort war, wollte ich Hades einen netten Besuch abstatten, aber der war so in seine Arbeit vertieft – irgendwie füllt sich die Unterwelt so rasch, das glaubt man kaum. Nun Satan sah ich auch. Die beiden ergänzen sich vortrefflich und sie sind sexy wie eh und je – hätte mich glatt zu einer Schandtat verleiten lassen.“
Müde ließ er sich auf die Couch plumpsen. Lässig streifte er die Flügelschuhe von den Füßen und verlangte Kaffee.
„Ich werde zu diesem namenlosen Ungeheuer gehen“, bot sich Minerva an. Doch sie erntete nur Gelächter.
Juno drehte sich jetzt um, starrte die Götterschar an, dann lächelte sie breit. „Mini, geh und hol Oma Ceres, die will vielleicht auch noch ihren Senf dazugeben.“
Doch Minerva kam nicht dazu, denn die Muttergöttin trat nun ein, sie hauste in der Abstellkammer. „Bekomme ich auch ein Wiener Würstchen zu meinem Senf?“, fragte sie unschuldig aus blauen Augen blickend.
„Ach Oma! Setz dich, dein Süppchen ist fertig.“
Nun wurde es still am Tisch. Jeder war mit seinem Frühstück beschäftigt. Kau- und Schlürfgeräsuche waren zu hören, dazwischen das Rascheln von Papier, Jupiter las die Bild Zeitung, oder eher er betrachtete die Bilder in der Zeitung.
Nach und nach standen die Götter auf und gingen wieder ihren Beschäftigungen nach. „Ich geh mal Amor suchen“, meinte Venus und stapfte zur Tür hinaus.
„Ich geh wieder ins Bett“, meinte Vulcanus.
„Tschüß“, meinte Minerva. „Jupi, wo hast du Diana gesehen? Ich will mir etwas Bewegung verschaffen.“ Doch sie bekam keine Antwort. Er glotzte bereits wieder aus dem Fernrohr. „Na schön, ich finde sie auch so.“
„Wo ist Iustitia? Die wird sich doch bei unserer gestrigen Wanderung nicht verirrt haben? Ich sehe mal in ihrer Wohnung nach“, meinte nun auch Merkur. Er war nie lange zuhause, immer auf Achse.
Bald leerte sich das Wohnzimmer. Bacchus schnarchte auf dem Sofa, Vesta hatte ihre Sachen geschnappt und rief von der Tür her: „Ich ziehe zu Iusti, hier ist es doch nicht zum Aushalten!“
„Mach das, mein Kind“, hörte sie noch, dann knallte die Tür und es war ruhig. Nun ja, fast. Oma Ceres lauter Atem war zu hören, die genüsslichen Schmatzer von Jupiter am Fenster, Geschirrklappern aus der Küche und das leise Schnarchen von Bacchus. Aus dem Kabinett drang Gehämmer. Ansonsten war es ruhig geworden in der Götterwohnung.
Ein typisches Sonntagsfrühstück eben.
(c) Herta 7/2010