Kleiner Feind in mir
Die erste Wut ist verraucht, seit dem Du Dich vor einem Jahr bemerkbar gemacht hast. Klammheimlich, still und leise, warst Du auf einmal da. Nein, ich hab es nicht bemerkt, als Du Dich entschieden hattest, in mir zu keimen. Und doch hast Du Dich entschlossen, meine Aufmerksamkeit auf Dich zu ziehen. ‚Warum? Warum? Warum ich?‘ Habe ich mich gefragt, gegen Dich versucht zu kämpfen, es nicht akzeptiert, meinen Körper mit Dir zu teilen. An einer so empfindlichen Stelle hast Du Dich platziert. Du musst da weg, raus aus mir. Mein Arzt gab und gibt sich auch alle Mühe, setzt alle Mittel ein, die es momentan gegen Dich gibt, doch hast Du Dich standhaft in mir festgesetzt, entschlossen, noch nicht aus mir zu weichen. Angst hast Du in mir ausgelöst. Noch bist Du nicht bösartig, doch was wird sein, wenn Du Dich doch dazu entscheiden wirst? Bin ich dann bereit, es zu akzeptieren? Es gibt doch so viel, was ich noch vorhabe, meine neu gewonnene Freiheit endlich anzunehmen und sie auszuleben. Doch Du wirst darauf keine Rücksicht nehmen, stimmt‘s? Eine höhere Macht, wirkt da nun in mir, von der niemand weiß, wie sie wirken möchte. Ich werde mich nicht kampflos ergeben, doch verstehe ich nun, nach dieser langen Zeit mit Dir, dass ich nicht auf diese Art gegen Dich kämpfen darf. Dein Dasein ist eine Ermahnung an mich und an mein bisheriges Leben.
Ich sehe Dich inzwischen als ein Symptom meiner Vergangenheit. Dort wo Du sitzt, so tief in mir, das ist der Ausdruck meiner verletzten Seele. Wie tief in mir ich verletzt bin. Ich gestehe es mir endlich ein, jetzt, wo es sozusagen sichtbar ist, dass ich verletzt bin, dringt es in mein Bewusstsein, ich verstehe.
Habe ich in den letzten Jahren zu wenig Rücksicht auf mich genommen, sämtliche Verletzungen klaglos hingenommen? Alles tief und tiefer in mich eindringen lassen, bis an diese Stelle, die so wehrlos ist und doch meine Weiblichkeit ausmacht. Meine Weiblichkeit, mit der ich, seit ich denken kann auf Kriegsfuß stand, sie erst in den letzten Jahren entdeckte, akzeptierte und begann, sie auszuleben. Und dann kamst Du. Warum?
Ja, Du hast mich zum Nachdenken gebracht, mir gezeigt, was wirklich wichtig ist. ICH. Ich sollte mir das Wichtigste sein, was in meinem Handeln jedoch nicht heißt, mit dem neugewonnenen, gesunden Egoismus andere vor den Kopf zu stoßen. So werde ich wohl auch nie sein. Doch ein klein wenig mehr verlangen. Endlich mehr ausdrücken, was mir gut tut, fordern, was meine Seele heilen könnte, und damit auch mein verletzter Körper. Mit Geld könnte ich Dich nicht wegkaufen. Weder mit Weinen und Klagen, Jammern und Toben. Also werde ich meine vergewaltigte Seele sanft behandeln, von innen heraus. Damit Du und ich zusammen wirken können. Lass uns Deine Kraft nicht gegen mich verwenden, sondern für mich.
Denn eins ist sicher: ohne mich, wirst auch du sterben.