Die Dienstbesprechung
Dienstag, 13 Uhr und 15 Minuten:Alle Mitarbeiterinnen, leider gibt es keine Mitarbeiter, warum auch immer, liegt wahrscheinlich am Gehalt, treffen sich pünktlich vor dem Speisesaal im Krankenhaus, wo wir unsere wöchentliche Besprechung abhalten.
Bussi hin Bussi her und später fällt einem die Axt ins Kreuz. Heute verzichte ich auf das Bussi von den Damen und begnüge mich mit einem Winken. Ich fühle den Schlag noch, den ich letztens in den Rücken bekam. Davon muss ich mich erst erholen.
Vierzehn Altenbetreuerinnen gackern wie die Hühner um mich rum, ich bin doch kein Hahn, fragen mehr oder weniger scheinheilig, wie es meinem Knie geht. Das kann ihnen egal sein, solange ich meine Arbeit mache. Ich lächle und wir gehen in den Saal. Das erste was ich an diesem Tag sage: „Boah, hier stinkt es aber! Wie könnt ihr nur hier essen? Da würde mir alles wieder retour kommen, nein danke.“ Etwa fünf Krankenschwestern blicken mich erstaunt an, dann widmen sie sich wieder dem Inhalt ihrer Tabletts. Gulasch, dem Geruch nach zu urteilen. Sehr zwiebellastig und irgendwie schaut die Farbe so künstlich aus, liegt sicher am Licht.
Ohne die anderen zu beachten stürme ich zum nächsten Fenster und einige meiner Kolleginnen tun es mir lachend gleich. Warum sagt hier sonst keiner was zu diesem muffeligen Gestank?
Als endlich etwas Sauerstoff unsere Hirnzellen erreichen kann, beginnen wir damit, die Tische zu richten. Aber nicht, wie man meinen sollte, hübsch nebeneinander, nein, es ist ganz wichtig, dass ein „O“ entsteht. Seit einem Jahr frage ich mich nach dem Grund dieser unnötigen Schlepperei, weil wir deswegen immer mehr Tische brauchen, bekomme aber keine Antwort. Ich frage mich, warum ich mich das noch frage.
Als das geschafft ist, gehen wir alle noch einmal hinaus, vom Speisesaal führt eine Tür in den Garten, der momentan mit Gerümpel verziert ist, weil das Haus umgebaut wird. Die Deponie im Krankenhausgarten, könnte man fast sagen. Dort angekommen, beginnen die ersten über ihre Klienten herzuziehen. Na schön, das ist eine Methode, den eigenen Frust loszuwerden. Ich mache mit, bin genug gefrustet und lasse gleich noch eine unbedachte Bemerkung über meine Vertretung fallen. Die giftet jetzt. Soll sie ruhig, denke ich mir, dieses kleine Schandmaul.
Das ganze dauert etwa zehn Minuten.
13:35 Uhr:
Die Einsatzleiterin betritt die Szene. Wir sitzen schon auf unseren Plätzen mit Wasser versorgt, Kaffee bekommen wir keinen mehr, der ist zu teuer. Wie bitte schön, soll man dann wach bleiben?
13:40 Uhr: Die Show beginnt
Die Einsatzleiterin thront gewichtig am Kopf des „O“, lässt unsere Unterlagen austeilen und beginnt gleichzeitig von ihren Kämpfen mit der Obrigkeit zu berichten, was mir ehrlich gesagt, ziemlich egal ist, solange ich nur am Monatsende meinen Sklavenlohn erhalte. Aber es macht nichts, sie muss sich auch irgendwie Luft verschaffen, diese arme Seele. In vier Jahren geht sie in Rente, wenn wir Pech haben, schon früher, denn wer weiß, wen wir dann vor die Nase gesetzt bekommen. Doch warum so weit voraus denken? Ich bin in der Besprechung. Die Chefin berichtet, was noch alles auf uns zukommen wird, in den nächsten Wochen. Das wären: wir zahlen die Parkgebühren selbst, obwohl wir für die Stadt arbeiten (fand ich toll und angemessen, bei unserem Salär – übrigens die anderen auch), wir haben genug Kapazitäten für weitere Überstunden (riesig – ich darf mehr arbeiten, da lacht das Herz, aber wirklich. Warum arbeite ich eigentlich Teilzeit?).
Dann verkündet sie, dass sie bereits wieder neue Mitarbeiter sucht. Das finde ich mal eine echte Überraschung, denn das sagt sie jeden Dienstag. Warum will niemand bei uns arbeiten? Ich habe da so meine Theorien: 1. Bezahlung (unter jeder Sau, entschuldigt den Ausdruck), 2. wir dürfen mit dem eigenen Auto fahren (wer keins hat, hat Pech gehabt), 3. damit die Bezahlung nicht noch besser wird, bezahlen wir in Hinkunft die Parkgebühren selbst.
Ich finde das immer so toll, diese schönen Aussichten, die einem das Arbeiten so viel leichter machen und das Sozialamt hat schon wieder einen Tätigkeitsbereich an uns abgewälzt, dafür darf ich jetzt niemanden mehr die Beine bandagieren, was in meinen Bereich fallen würde. Also, das ist so was von, mir fehlen die Worte, sonst müsste ich ausfällig werden. Nur gut, dass wir uns alle im juristischen Bereich nicht auskennen, das erleichtert uns die Arbeit wieder einigermaßen, denn so müssen wir erst recht die Sozialarbeiter anrufen und sie um Rat fragen. Anscheinend ist das alles nötig, damit wir unsere Arbeit den alten Menschen gegenüber gut erfüllen.
Warum regt sich eigentlich keiner auf? Die meisten nicken wichtig mit ihren Köpfen, irgendwie sehen sie aus wie kleine Blumen, die mit ihren Blütenköpfen im Wind wippen. Ich muss aufhören, solche Bilder zu sehen, sonst kommt mir noch das Lachen oder das kalte Grausen. Nein, denn das ist schon da.
Alle sitzen vor ihrem Glas Wasser und ich sehe in ihre sonnengeröteten Mienen (wobei ich Mine bevorzugen würde, manche meiner Kolleginnen sind tief wie ein Flöz). Ich fürchte, die sind so in ihrer Sucht gefangen. Der Sucht zu gefallen, lieb zu sein, nicht aufzufallen und ja einen Job zu haben. Helferleinsyndrom. Ich gebe es offen zu, ich habe meinen Beruf gelernt, um Arbeit zu haben und ich will herumfahren, auch wenn es mich manchmal anstinkt. Aber um zu helfen, wurde ich keine Altenbetreuerin.
14:30 Uhr:
Endlich ist der Großteil der Besprechung geschafft. Aber jetzt haben wir nur noch eine halbe Stunde Zeit, unsere Dienste einzuteilen. Der Einfachheit halber machen wir das selbst. Auch so eine Unart. Eigentlich ist das Arbeit der Einsatzleitung, weil die aber unter ständiger Arbeitsüberlastung leidet, hat sie das an uns delegiert. Die kann das. Hut ab und gibt einem dabei noch das Gefühl von Wichtigkeit. Mancher schwillt die Brust vor Stolz, wenn sie eine Sonderaufgabe übertragen bekommt. Ich mache mich jetzt mal etwas kleiner. Aber ich habe freie Kapazitäten, also hebe ich die Hand und übernehme eine Reihe von Diensten, aber keine Sonderaufgaben der Einsatzleitung.
14:54 Uhr
Mit platzt gleich die Blase. Ich glaube ich habe jetzt eine ganze Flasche Wasser ausgetrunken, deren Inhalt nun einen Ausgang sucht. Es ist mir gleich, ich muss jetzt aufs Klo, soll sie ruhig noch reden.
14:58 Uhr
Als ich vom Klo zurückkomme, werde ich abermals umringt. Ich habe die zweifelhafte Ehre erhalten, in meiner Abwesenheit wohlgemerkt, eine Praktikantin mitzuführen, die des Deutschen kaum mächtig ist. Schön, ich darf ihr in den nächsten beiden Wochen die Arbeit einer mobilen Altenbetreuerin näherbringen. Meine Kolleginnen freuen sich mit mir.
Es reicht. Ich muss zum Auto!
15:00 Uhr Ende der Show
(c) Herta 8/2010