Polier meinen Heiligenschein

Ich mag diese Tage, die mit schlechten Nachrichten anfangen. Also mag ich jeden Tag, denn jeder Tag beginnt so. Zeitung geholt und noch kaum ein Auge offen, erschlägt einen schon die Schlagzeile mit seiner dummen Schlechtnachricht. Ich meine nicht, dass es dumm ist, was die schreiben, aber ich finde es dumm, immer das Schlechte extra noch zu betonen. Es gibt genug Leid und Elend auf der Welt, das im täglichen Chaos der schlechten Nachrichten untergeht.

Ich polier mir jetzt den Heiligenschein, denn ich habe gespendet. Jawohl.

Ein netter Koreaner war eben hier, von amnesty international. Früher war ich dort mal aktives Mitglied, jetzt auch noch oder wieder. Aber das steht nicht an. Also dieser nette Koreaner hat mich auf Elend aufmerksam gemacht, was ich lieber nicht wissen wollte – insgeheim aber gewusst habe, so wie es die meisten von uns wissen, aber geflissentlich ausblenden, unser Hirn ist ja nicht blöd und kann sich schützen. Man würde sonst wahnsinnig bei der täglichen Flut an Informationen oder sollte ich besser Desinformationen sagen?

Worum ging es nun bei dem Gespräch?

Es war einfach nur schauderhaft. Der junge Mann sichtlich nervös, klammerte sich an seine gelbe ai-Mappe und berichtete von den Kindersoldaten, bis ich schlucken musste und ihn unterbrach. Wollen Sie wissen, was er berichtet hat?

Auf die Gefahr hin, dass Sie es nicht wissen wollen, ich erzähle es Ihnen trotzdem. Vielleicht überleben Sie es, so wie ich und beginnen damit Ihren Heiligenschein zu polieren oder wenigstens den Schlaf aus den Augen zu reiben.

Kindersoldaten, das schlimmste, was einem Kind angetan werden kann. Mit ca. fünf Jahren werden die Kleinen aus ihren Familien gerissen, entweder entführt oder gekauft und dann in Lager geschleppt. Dort angekommen, werden sie geschlagen, missbraucht, vergewaltigt, mit Drogen vollgepumpt bis sie nur noch Marionetten sind und in die Ausbildungslager der Armee weitergeleitet werden. Dort lernen sie, wie man Menschen abknallt. Meistens sind die Kinder gerade mal acht bis neun Jahre alt! Es sind gebrochene Menschen, denen das Leben gestohlen wurde und die zum Töten missbraucht werden, weil die Erwachsenen zu feige sind, es selbst zu tun. Viele dieser Kinder erschießen sich selbst, um diesem unerträglichen Leid zu entgehen.

Ist Ihnen schon schlecht?
Mir auch.

Ist Ihnen auch bewusst, dass dies nicht nur in Afrika geschieht? Nein? Sehen Sie mal nach Asien, Südamerika. Die meisten Guerillatruppen arbeiten mit Kindersoldaten, Terroristen bedienen sich immer jüngerer Kinder, um sie als Kanonenfutter zu verheizen.

Was machen wir?

Wir regen uns wegen jedem Kinkerlitzchen, wegen jedem kleinen Wehwehchen auf und blasen es auf, nur damit es größer und wichtiger erscheint.

Lasst doch die Amis aus dem Irak abziehen!
Warum wollen die dort weg?
Ganz einfach, damit sie in den Iran einmarschieren, oder anders gesagt, die Atomanlagen bombardieren können, ohne die eigenen Leute zu gefährden. Ist doch irgendwie logisch und passt auch zeitmäßig gut zusammen.

Ich poliere jetzt meinen Heiligenschein! Machen Sie mit! Ihrer hat auch schon einmal mehr geglänzt, gell.

In Pakistan heißt die Hölle jetzt Wasser. Diese armen Menschen ersaufen dort im Regen und können sich nicht mehr selbst helfen. Was macht die Welt? Die Augen zu – sind doch ohnehin nur Taliban dort. Ich krieg das Kotzen! Und wenn schon, wen interessiert die Religion eines anderen, wenn er in Not ist? Sollten wir im Sinne dieser allseits gepredigten Globalisierung nicht etwas näher zusammenrücken und auch dort helfen, wo uns das Regime nicht passt? Vielleicht passt es für die Leute, die dort wohnen. Unsere Lebensart ist nicht der Weisheit letzter Schluss, wie wir vor nicht allzu langer Zeit erfahren haben und die uns wahrscheinlich noch mit einer Keule ins Gesicht schlagen wird.


Ich polier jetzt meinen Heiligenschein!

Und werfe ihn weg.

(c) Herta 8/2010