Fernbeziehung
FernbeziehungSie ist glücklich.
Nachdem sie sich einen Tag vorbereitet hat, ist sie nun auf dem Weg zu ihm. Sie sitzt grade, lächelt.
Beim Beobachten der anderen Menschen in der Bahn fühlt sie sich wohl.
Ihr Haare sind nicht zu rot und ihr Bauch ist nicht zu dick. Ok, ist er doch, aber wenn sie ihn einzieht geht es. Findet heute sogar sie.
Die Stationen fliegen vorbei und je näher sie ihrem Ziel kommt umso ruhiger wird sie.
Beim Aussteigen verrät der Blick auf die Uhr, dass zeitlich knapp wird und sie ärgert sich, als sich in der Bäckerei jemand vor sie drängelt.
Denkt: „Frechheit! Ich will auch nicht zu spät kommen!“.
Wobei...
Sie lächelt wieder. Manchmal ist es gar nicht so verkehrt. Er ist in letzter Zeit sowieso sehr lieb gewesen. Eine kleine Verspätung könnte da vielleicht gut tun und ihm in Erinnerung rufen, dass sie manchmal ein bisschen, oder auch viel, Strenge braucht.
Sie beeilt sich trotzdem.
Ist zehn Minuten über die Zeit. Klingelt.
Er macht auf, versteckt sich in Shirt und Unterhose hinter der Tür. Lächelt.
Sie freut sich, traut sich aus unerfindlichen Gründen nicht ihn zu Küssen. Obwohl sie so gerne möchte.
Die beiden haben heute viel Zeit zu zweit. Und doch ist sie viel zu schnell um.
Vor ihrer Haustür, im Auto, ein letzter Kuss zum Abschied. Und Magenschwere.
„Wann hast du wieder Zeit?“ „Morgen nicht. Vielleicht übermorgen.“
Noch ein Kuss, dann steigt sie aus, sucht ihre Schlüssel.
Sie bleibt in der offenen Tür stehen, sieht ihn fahren und winkt ihm zu. Sieht seine Hand den Gruß erwidern und geht hinein.
Die nächste Nacht schreiben sie. Er überliest wieder mal einige ihrer Zeilen, oder will nicht antworten.
Sie hofft er überliest. Oder ist eingeschlafen.
Genervt, verletzt, einsam macht sie den Computer aus.
Am nächsten Tag ruft sie ihn an. Weckt ihn. „Entschuldige, schlafe weiter. Ich melde mich wieder.“
Das zweite Telefonat. „Hast du heute Zeit?“ „Nein.“
Ob er hört, dass sie mit den Tränen kämpft? Sie hofft, er bemerkt es nicht. „Ich melde mich, wenn ich weiß wann ich Zeit habe.“
Aufgelegt.
Sie denkt an den vorherigen Abend.
Eigentlich hätte sie bei ihm sein können.
Einfach nur da sein. Lesen. Wäsche aufhängen. Ihm zusehen und ihn mit ins Bett nehmen, wenn er auf dem Stuhl einschläft. Ok, vielleicht auch ein ganz kleines bisschen Sex.
Neben ihm aufwachen.
Unsichtbar sein, wenn er es will, ganz da, wenn er aufschaut.
„Unsere Vorstellungen sind wohl sehr weit von einander entfernt.“ denkt sie.
Und wartet auf seinen Anruf.