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Verfall

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****ia Frau
22.263 Beiträge
Themenersteller 
Verfall
Verfall

In der Gluthitze des Tages war das Wohnghetto in flirrender Stille gelegen. Abfalltonnen verrieten bereits von weitem ihren anrüchigen Charakter, umschlichen von einigen, von der Hitze trägen Ratten. Ein verwaister Sandkasten fand seine Bestimmung als Toilette für ebenso verwaiste Katzen, rissige Asphaltwege verbanden verlassene, leblose Türen und Plätze.

Nun floss das letzte Abendrot wie eine Blutspur über den grauen Beton der tristen Häuserzeile, zelebrierte dabei das allabendliche Spiel, mit seinen Farben das Bild des Verfalls zu entstellen und ihm einen markerschütternden Anschein von Leben zu geben. Ein letztes Aufatmen.

In der Dunkelheit würde wieder Licht aus einer defekten Neonröhre lecken, wie aus einer Talgkerze vor dem Erlöschen, würden Nachtschatten den Anblick auf uringetränkte Durchgänge und weggeworfene Spritzen gnädig verbergen.

Ich wende mich ab und weiß, wie ich es jeden Abend weiß, dass ich morgen von hier weggehen werde.

Im Treppenhaus herrscht dumpf drückende Lautlosigkeit, die in den Ohren wie eine Glocke tönt ‚geh leise!’, als ich nach unten ins Parterre gehe um zu kontrollieren, ob die Eingangstür verschlossen ist. Ich gehorche wie jeden Abend und verlangsame meine Schritte, die trotzdem die Stille wie mit einem Messer zerschneiden. Einen Hausmeister gibt es hier schon lange nicht mehr. Auch er ist weggegangen, wegrationalisiert von einer gleichgültigen Wohnungsbaugesellschaft, geflohen vor dem unabänderlichen Verfall.

An einer Wohnungstür hängt noch ein verblasster Blumenkranz. ‚Willkommen’ schreit das kleine bunte Schild darauf die Einsamkeit früherer Bewohner heraus, als sei hier irgendwann irgendjemand willkommen gewesen, eingeladen, sich Bilder von röhrenden Hirschen oder dem Mann mit dem Goldhelm über abgewetztem, speckigem Sofa anzusehen.

Die nächste Wohnungstür zieht wie jeden Abend meinen Blick mit ihren bunten, jetzt brüchigen Windowcolour-Bildern an. Hier halte ich ein wenig inne und vernehme mit Wohlwollen die Stille, die jetzt sanft ist, wie eine Decke und nicht verrät, dass diese Wohnung immer mit lautem Fernsehgedudel angefüllt war, das die schrillen Schreie und das Gekeife, das auch bis in die Nacht anhielt, nie überdecken konnte.

Akribisch drehe ich den Schlüssel der Glasgittertür am Hauseingang zwei mal im Schloss und drücke die Klinke, um sicher zu sein, dass sie auch wirklich verriegelt ist. Jetzt bin ich hier die Hüterin des Hauses und ich darf nicht zulassen, dass Penner und Fixer hier eindringen und sich der Wohnungen bemächtigen, mit ihrem Unrat und ihrem Gestank, so wie sie sich schon über die Außenanlagen hergemacht haben.

Heute Abend verschließe ich noch die Tür. Aber ich weiß, dass ich morgen von hier weggehen werde.

Mein Weg führt mich die Stufen wieder hinauf, bis zum Dachboden, der über dem Haus thront, als dürfe es ihn hier eigentlich gar nicht geben. Die Decke ist erdrückend niedrig und die Hitze staut sich im schummerigen Licht einer nackten Glühbirne, das die Holzverschläge nur kläglich beleuchtet, als wolle es Gnade walten lassen vor dem Anblick der von den ehemaligen Hausbewohnern schmählich zurückgelassenen Gegenstände. Ich öffne mein Abteil. Den Gestank von Erbrochenem, Kot und Urin nehme ich nur entfernt wahr, ebenso die Fliegen, die sich auf dem toten Kind versammelt haben. Endlich ist hier Ruhe. Endlich kein Klagen, Stöhnen und Wimmern mehr. Ich nehme das Bündel totes Fleisch auf und stecke es in einen Müllsack, entsorge es in einem der Nachbarverschläge.

Morgen werde ich von hier weggehen.


© Rhabia 08-2010


Eigentlich begann ich diese Geschichte als 8-Worte-Story. Aber sie hielt mich dann so gefangen, dass ich sie weiterspinnen musste.
Tristesse
Verschlag
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Ich bin
fast sprachlos. Ich sehe die Häuser direkt vor mir, diese von allen guten Geistern verlassene Gegend und diese Person, die hier einsam ein grausames Werk vollführt.

Ich bin beeindruckt und habe eine Gänsehaut.

Herta
Uff ! Bombastische Sprache und niederschmetternde Situation.
Mich fröstelt und die Schwere bedrückt mich.
Bravo.

Joe
****is Frau
9.947 Beiträge
sprachloserschlageneGänsehaut...
Das ist...
...die allererste Feder die ich hier vergebe. Und sie ist hoch verdient, wie ich meine.

LG
Joe
****is Frau
9.947 Beiträge
ja das ist sie!!!

Applaus!!!!
Ein gänzlich anderer Stil, sehr dicht, dramatisch und spannend. Erstaunlich.


… Abfalltonnen verrieten bereits von weitem ihren anrüchigen Charakter …

… wegrationalisiert von einer gleichgültigen Wohnungsbaugesellschaft …

Dies sind Beispiele für Passagen, die mich wirklich stören. ich empfinde sie als sehr einengend.
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****ia Frau
22.263 Beiträge
Themenersteller 
Whow, Joe, dankeschön!
Darauf bin ich stolz wie Oskar! *freu2*

Hm... das mit dem wegrationalisiert... da hast du vielleicht recht, Interzone.
Die Worte passen nicht so ganz rein.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Die Feder ist mehr als verdient.
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****ia Frau
22.263 Beiträge
Themenersteller 
Danke, Ihr lieben!
Vielen Dank, für das Riesenlob!
****is Frau
9.947 Beiträge
Das hast du verdient, nie hat es mich beim lesen so durchfahren, erschüttert bewegt und wortlos gemacht
Jepp!
Und wehe, du klaust mir die anrüchigen Tonnen!

dannteerspend *bravo* laf
Bin sehr, sehr beeindruckt,
berührt, sehe die Bilder, die Du gemalt hast, vor meinem inneren Auge und traue mich kaum noch, meinen "Erguss" zu posten.

Schön. Wortgewaltig. Ich bewundere Menschen, die Bilder beSCHREIBEN können!
@ AnnaK
Nicht erschrecken, ich habe Deinen Beitrag in das Geschichtenspiel verschoben, den mit den 8 Worten gehört er dort vermutlich hin.
Wenn Du sonst eine neue Geschichte postest, dann bitte in einem eigenen Threat.

LG
Joe
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Mir fällt nichts Kluges oder Neues mehr dazu ein - es ist alles gesagt bzw. befedert. Und die Fotos gefallen mir auch, passen verdammt gut.

*anbet*

(Der Antaghar)
Dass Du so viel Lob und Anerkennung für diese Geschichte kriegst,
finde ich absolut berechtigt und an gemessen. Und da mir keine
neuen Superlative einfallen, schließe ich mich dem Gesagten einfach an.

*blume*

Dieter
Tja...
...darauf muß man wohl eine Antwort schreiben!
Du hast da etwas geschildert was immer häufiger anzutreffen ist. Ist das jetzt das Ergebnis dieses Globalisierungsprozesses bei dem die Schwachen auf der Strecke bleiben?
Deine Geschichte ist bedrückend und gleichzeitig ist es doch auch wieder erfrischend zu sehen, daß es wache Menschen gibt, die den Mut haben zu betrachten was viele vielleicht gar nicht sehen wollen. Seine Betrachtungen so stark widerzugeben ist dann noch extra beachtenswert! Ich kann auch nur sagen... *anbet*
Was mir durch den Kopf geht....
Reaktionen kriegt dieser Text in der Hauptsache von Männern.
Ist das Zufall - oder ist er für Frauen "schwerer verdaulich ?... *gruebel*
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Hä? Jetzt müsste ich aber mal nachzählen ...

Ist es nicht egal, wer einen Geschichte liest und etwas dazu schreibt *gruebel*
Na, dann möchte ich mich mal outen. Mir hat sie insgesammt nicht gefallen, auch wenn das Ende doch sehr überraschend war.

Aber ich bin ja auch eine Frau *haumichwech*

Luna
@ anhera
Ist es nicht egal, wer eine Geschichte liest und etwas dazu schreibt.

Wahrscheinlich ist das für jeden anders - und ja, ich lese diese Geschichte
und die Reaktionen darauf vor einem ganz bestimmten Hintergrund.
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****ia Frau
22.263 Beiträge
Themenersteller 
Ich denke mal, dass Frauen diese Geschichte schon anders aufnehmen, als Männer. Vor allem, wenn sie selbst Kinder haben. Ich könnte mir vorstellen, dass das Ende auf eine Frau nochmal ungleich schockierender wirkt.
Oder?

Liebe Grüße
Rhabia
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Jemand tötet ein Kind und "entsorgt" es in der Mülltonne - mach die Zeitung auf, das steht dort doch alle Naselang geschrieben.

Dieser Jemand dreht durch, weil das Kind schreit, er keine Perspektive sieht - mit Kind noch wenger als ohne. Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun - denke ich mal.

Warum sollte ein Mann über diese Tat weniger schockiert sein als eine Frau? Nur weil Frauen die Kinder zur Welt bringen heißt das nicht, dass sie die Kinder zwangsläufig mehr lieben als die Väter es tun.


Ich dachte beim Lesen der Geschichte, besonders des Schlusses: sehr realistisch, leider.
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****ia Frau
22.263 Beiträge
Themenersteller 
Gesellschaftlich hast Du recht, Herta.
Doch die Stammhirninformationen von Frauen sagen da schon etwas anderes, als die von Männern.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Welche meinst du? Den Überlebensinstinkt?
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