Neulich mit Tom
Neulich mit Tom, einem alten Freund aus Studienzeiten.„Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen?“
„Das muss jetzt...lass mich rechnen... so ziemlich genau sechs Jahre her sein.“
„War ne ziemlich harte Zeit, damals, die Krise mit deiner Frau. Du warst total fertig, als sie für 3 Monate auszog. Ich war ziemlich überrascht, dass sie dann doch so schnell wieder zu dir zurückging – eure Differenzen schienen doch ziemlich gravierend.“
„Ich wundere mich noch heute darüber, dass sie wiedergekommen ist.“
„Und? Wie läuft es seitdem?“
Tom lacht und schaut kurz zum Himmel.
„Da würd ich gerne eine wenig weiter ausholen, wenn ich darf - wenn du Zeit hast, meine ich.“
„Klar, du weißt, ich höre gerne zu und mag Geschichten aus dem Leben“
„Also, Inge hatte mich und die Kinder verlassen, weil ihr ihr Leben nicht gefiel. Das Hausfrauenleben mit den zwei Kindern ging ihr auf den Geist, und sie fühlte sich dafür nicht geschaffen. Nach den drei Monaten kam sie wieder, weil sie die Kinder doch sehr vermisste, und die Familie und damit auch ihr Zuhause nicht aufgeben wollte.“
„Ja, daran kann kann ich mich noch erinnern, so habt ihr das den Freunden mitgeteilt.“
„Ich habe mich natürlich gefreut wie ein Schneekönig – denn du weißt, ich liebte sie, liebe sie noch heute und mich interessiert keine andere Frau. Aber geändert hat sich nichts – im Gegenteil. Lass mich das mal an einem Punkt erläutern; nicht unbedingt, weil er der Wichtigste, aber vielleicht weil er der Deutlichste ist. Wir haben seitdem im Schnitt drei mal im Jahr Sex, und nur, wenn sie sturztrunken ist.“
Ich atme als Kommentar mit einem lautem phhhh aus.
„Versteh mich recht, Sex ist wirklich bloß EIN Teil einer Liebe, einer Ehe, aber das ist doch auch objektiv ein bißchen zuwenig – wenn man nicht grade gravierende körperliche Gebrechen hat.
Weißt du, ich hab noch immer ein schönes Leben – ich verdiene ganz gut, bin gesund, hab ein schönes Zuhause und hatte ja schon immer ein positives Naturell. Und mit meinen Kindern ist es auch wirklich ganz wunderbar: wir sind uns schon immer nah gewesen, weil ich ja auch viel zuhause war und mich immer um sie gekümmert habe. Noch heute stehe ich morgens auf, mache Frühstück, wecke sie und mach ihre Schulbrote. Nicht wegen oder für meine Frau, sondern weil ich das gerne mache. Ich kuschle viel mit meinen Kindern. Und jetzt, wo sie etwas älter sind, gibt es mit ihnen auch schöne Gespräche. Wir lachen oft miteinander. Grad mit meiner Großen – die ist ja jetzt vierzehn – da würd ich sagen, ich bin ihr bester Freund. Das macht einen Vater natürlich stolz. Und glücklich.“
Tom lächelt mich selig an. Er ist mit seinen achtundvierzig Jahren noch immer erfrischend jungenhaft und sympathisch.
„Lieber Tom, wenn du das jetzt nicht über deine Kinder, sondern über deine Frau gesagt hättest, würde ich dich wirklich glücklich nennen.“
Da huscht ein Schatten über sein frohes Gesicht.
„Meine Frau? Zero, meine Liebe, absolut zero! Wir streiten kaum, das kann ich sagen, aber ansonsten? Wir leben einfach nebeneinander her.
Keine Gespräche, kein Lachen, keine Zärtlichkeit. Maximal Maulen über Geld – auf hohem Niveau, versteht sich, denn sie hat ja alles, ich teile alles mit ihr.
Ich habe auf ihren Wunsch zwei Zimmer im Dach nur für sie eingerichtet – Fernseher, Stereoanlage, Büro, Schlafcouch – alles, was sie wollte. Sie kann mit ihren Freundinnen ausgehen, wann sie will. (Wann WIR das letzte Mal zusammen ausgegangen sind, nur einfach so, ohne Freunde oder Einladung, kann ich dir nicht mehr sagen). Als sie wieder arbeiten gehen wollte, habe ich das mit meinen Arbeitszeiten vereinbart. Als sie nach vier Monaten wieder aufhörte, war auch das ok für mich. Sie hat ne Putzfrau, und ich geh zwei bis drei Mal in der Woche einkaufen. Glaub mir, ich tu alles, damit es gut ist. Aber es ist nicht gut. Als wir dieses Jahr im Urlaub waren, habe ich das erste Mal bei meinem Sohn im Zimmer geschlafen, und die Frauen hatten ein Doppelzimmer. Ich hatte einfach keine Lust mehr, wieder als Bittsteller vor dem Ehebett zu stehen.
Und überhaupt: Ich habe festgestellt – dieses Jahr das erste Mal – das mich die Situation nicht nur traurig, sondern wütend macht. Ich habe einfach keinen Bock mehr, so weiter zu machen. Ich bin jetzt fast fünfzig – das kann doch nicht mein Leben gewesen sein! Ich weiß, da gibt es noch mehr – auch wenn ich das vielleicht noch gar nie erlebt habe und auch gar nicht so genau benennen kann.“
Das Gespräch mit Tom ging noch weiter – an dieser Stelle möchte ich aber einhaken und sagen, wie oft ich das in letzter Zeit von Männern, die in Langzeitbeziehungen leben, gehört habe: keine Partnerschaft mit der Frau, keinen oder kaum Sex, durch Routine ereignisloses Leben und kaum Gespräche, Freude und Lachen zwischen den Partnern. Und die Kinder dienen als Ersatz für Zärtlichkeit und inspirierende Partnerschaft.( Nicht, dass ich es falsch finde, dass man ein gutes, auch körperlich zärtliches Verhältnis zu seinen Kindern hat.) Aber dass dabei die schöne Gemeinsamkeit mit dem Partner, mit dem man es ja noch länger als mit seinen Kindern aushalten sollte, auf der Strecke bleibt, ist tragisch. Und dass diese Entwicklung über Jahre weder wahrgenommen noch angesprochen, geschweige denn verbessert wird, muss zwangsläufig zu innerer Emigration oder auf Trennung hinauslaufen.
Warum lassen es intelligente, wache, sensible Menschen so weit kommen?
©tangocleo 2010