Die Zeit ist nicht mein Freund
Die Zeit ist nicht mein FreundSie vergeht einfach und niemand kann sie aufhalten. Sie macht uns zu Sklaven und treibt uns beständig vorwärts, dem eigenen Tot entgegen. Und was gibt man uns an Weisheiten mit auf den Weg ? Eben jene, deren Zeit fast abgelaufen ist raten uns, sie zu „nutzen“, zu „verbringen“, zu „genießen“ und „das Beste draus zu machen“.Ironie ? Oder ein gut gemeinter Rat ?
Kaum hast Du das Licht der Welt erblickt, beginnt die Zeit für Dich zu laufen, unabdingbar dem Ende entgegen.
An Anfang spielst Du noch gegen sie, weil für Kinder beinahe alles ein Spiel ist. Du schreist, weil Du noch nicht ins Bett willst. Bettelst, noch etwas länger aufbleiben zu dürfen. Möchtest noch etwas mehr vom Tag sehen, erleben, „Zeit“ haben. Du lernst die Uhr zu lesen, was wichtig ist. Warum ? Um dich an den Strom des Lebens, der gleichbedeutend ist mit dem „Rhythmus der Zeit“ an zu passen. Um sieben gibt es Frühstück, um zwölf Mittagessen und um achtzehn Uhr Abendbrot. Dein Wecker klingelt und die Uhr läuft und treibt Dich an. Zur Schule. Zur Arbeit. Zum Arzttermin. Kleine schwarze Bücher bestimmen Dein Leben, Terminkalender. In der U-Bahn schrecken Dich schrille Töne aus dem Dämmerschlaf der Lethargie, wenn völlig fremde Menschen von ihren Handys und Smartphones an wichtige und manchmal auch verpasste Termine erinnert werden.
Zuhause füllt der Kalender eine ganze Wand. Kaum ein Tag an dem nicht irgendetwas in säuberlichen, kleinen Buchstaben eingetragen ist. Feste, Veranstaltungen, Geburtstage. Geburtstage. Jedes Jahr wird ein Jahr hinzu gezählt, was eine tolle Sache ist, bis man achtzehn wird. Dann sind der erste Tag im Kindergarten, die Einschulung, die Kommunion, Firmung, Schulabschluss und Führerschein erledigt und der Ernst des Lebens beginnt. Die Dinge auf die man sich freuen konnte, weil sie an ein bestimmtes Alter gekoppelt waren, werden zu Selbstverständlichkeiten.
Ab sofort verbringst Du die meiste Zeit des Tages mit Arbeiten um Geld zu verdienen, dass Du brauchst um Deine Freizeit finanzieren zu können. Die einen stecken ihr Geld in ein Hobby, andere sparen oder versaufen es.
Irgendwann gehst Du vielleicht eine Verbindung ein und dann brauchst Du Geld für Deine Familie. Du willst Deinen Lieben ein schönes Leben ermöglichen, also machst Du Überstunden, arbeitest am Wochenende und selbst im Familienurlaub klingelt das Handy. Dann macht es bei Dir „klick“, vielleicht gerade noch rechtzeitig bevor Deine Familie Dich verlässt, weil Du einfach keine „Zeit mehr für sie hast. Denn eigentlich sind ihnen die schönen, teuren Sachen gar nicht so wichtig und sie würden lieber ein paar Stunden mehr mit Dir verbringen.
Also, keine Überstunden mehr. Dafür etwas weniger Luxus, aber es ist auszuhalten.
Das ist der einzig echte Luxus, den sich reiche Leute verschaffen können. Sie kaufen sich Zeit. Freizeit. Weil sie nicht mehr für ihr Geld arbeiten müssen, sondern soviel davon haben, dass es anders herum funktioniert.
Das ist auch das einzige was wir ihnen wirklich neiden. Nicht die Villa, die Sportwagen oder die Jacht, nur die Zeit.
Nun ist die Zeit natürlich keine Person und man kann ihr schlecht böse sein. Früher standen die Menschen mit der Sonne auf und gingen schlafen, wenn sie am Horizont versank und gearbeitet wurde den ganzen Tag.
Vielleicht sollte man dem Menschen böse sein, der die Uhr erfunden hat ? Der die Zeit in Stunden, Minuten und Sekunden geschnitten und auf eine kleine Feder gespannt hat. Warum ?
Seitdem können wir die Zeit zwar nicht festhalten, aber wir können dem „Tag“ noch ein paar Stunden abtrotzen, wenn wir bis zum nächsten Morgen durch tanzen. „Sekunden“ kommen uns wie „Stunden“ vor, wenn wir unsere erste Liebe küssen. Wir „vergessen die Zeit“ wenn wir glücklich sind. Niemand, dessen Arbeitstag sich nicht schon mal wie eine Ewigkeit angefühlt hat, würde je die kleinen, kurzen Momente des Glücks zu schätzen wissen.
Ich bin ein Mensch der alt werden und sterben muss und die Zeit ist nicht mein Freund.
Aber ohne sie hätte ich viele Momente des Glücks nicht messen können und daher, ist die Zeit auch nicht mein Feind. Ich werde weiterhin versuchen das Beste aus der Zeit zu machen, die einem geschenkt wird und gelegentlich, wirklich nur gelegentlich, werde ich ihr einfach nur beim verstreichen zusehen. Der Zeit.
© 08.2010 by Biker_696