Durchgeknallt - (Endgültige Lösungen 5)
© Nisham 2009Willie ist ein komischer Kauz, ein Amerikaner, war mal Soldat in einer Spezial-Einheit. Als die Army ihn endlich aus ihren Fängen liess, travellte er durch die Welt. Nur mit ganz leichtem Gepäck: etwas Unterwäsche, einigen T-Shirts, einem Pullover, einer Ersatzjeans und einem Toilettenbeutel. Alles in einem kleinen, handlichen Rucksack, der keine 6 Kilo wiegt. Immer einen verwaschenen, ehemals olivgrünen Schlapphut auf dem Kopf. Nicht zu vergessen, diese verspiegelte Sonnebrille. Willie – so wurde er seit Jahren genannt, obschon dies nicht sein richtiger Name ist.
Annie hat er irgendwo im Süden getroffen, an einer wackeligen, heruntergekommenen Strandbar: einige Bretter und Schilfmatten, rostiges Wellblech und einem ratternden Kühlschrank, der mehr krach macht als er das Bier kühlt. Nein, Annie arbeitet da nicht, sondern sie steht am Tresen – einem abgewetzten, verschmierten Holzbrett - eine Flasche Bier in der Hand, ihren Körper in ein buntes Tuch gewickelt, die sonnengebleichten blonden Haare ganz kurz geschnitten. Strahlend blaue Äugen, die doch verraten, dass Annie viel von der Welt gesehen hat. Vieles, das sie nie sehen wollte. Und das hinterlässt Spuren.
Willie schlurft durch den warmen Sand; der Strand ist so gut wie leer. Die Ferienzeit ist vorbei. Der Herbst nicht mehr weit. Und dennoch, es ist immer noch spätsommerlich warm an diesem Nachmittag. Willie stellt seinen Rucksack auf den Boden, so sorgfältig wie immer. Eine alte Gewohnheit, als er darin öfters mal heiklen Sprengstoff transportierte. Er richtet sich auf, lässt seinen Blick schweifen.
„Mann, wenn du mich anschaust, dann schau mir in die Augen, zieh deine Spiegel aus!“ raunzt ihn Annie an. Langsam lässt Willie seinen Blick von oben nach unten und zurück gleiten. Dann erst zieht er noch langsamer seine Sonnebrille von den Äugen. Grüne Äugen nehmen Annies blaue Augen augenblicklich gefangen. Nie würde Annie zugeben, dass sie von diesem ersten Blick weiche Knie bekommt. Das hat sie seit ewigen Zeiten nicht mehr erlebt. Damals war sie wohl noch ein Teenager.
Ein Lächeln überzieht Willies Gesicht, als er ihr seine Hand hinstreckt: „Ich bin Willie. Und du?“
„Äh, ich bin Annie,“ stammelt sie mit einer leicht krächzenden Stimme.
„Freut mich Annie. Wie ist das Bier?“
„Pisswarm, aber besser als kein Bier.“ Seufzt sie und trinkt den letzten Schluck aus ihrer Flasche.
So beginnt die Begegnung zwischen Annie und Willie. Beide sind von einander fasziniert, regelrecht gefangen. Sie trinken ein Bier, dann verschwinden sie – ohne große Worte. Tage später treffen wir sie mehr als 2000 Kilometer weiter. In einer Grosstadt. Willie immer noch in Jeans und T-Shirt, darüber eine leichte Jacke, die vor Regen schützt. Annie trägt eine schwarze Hose. Ein schwarzes Top und eine etwas wärmere Jacke. Auch sie trägt nun einen leichten Rucksack. Willie trägt in seiner Hand einen länglichen, schmalen Metallkoffer. Mit einem Taxi fahren sie in die Altstadt. Steigen an einer kleinen Piazza aus; in einer Seitengasse ziehen sie sich auf einen kleinen Hinterhof zurück. Willie öffnet den Koffer. Sorgfältig packt er eine Mossberg Pumpgun aus, reicht sie Annie. Sie füllt das Magazin und steckt sich noch etliche Patronen in die Jackentaschen. Derweil bereitet Willie ein kurzläufiges Schnellfeuergewehr aus. Ein israelisches Modell; das Beste, was es derzeit überhaupt gibt. Käuflich nicht zu erwerben. Er setzt ein Magazin ein und steckt sich zwei weitere in die Jackentaschen.
Die Beiden schauen sich an. Die Rucksäcke haben sie auf ihre Rücken geschnallt, den Koffer hinter einigen Mülltonnen versteckt. Ein Handschlag, ein Blick tief in die Augen und sie gehen los. Nebeneinander, die Waffen senkrecht, sichtbar. Von der Seitengasse geht es wenige Schritte um die Ecke. Da steht das Schild, klein, diskret: „Ristorante da Capo“. Mit wenigen Schritten stehen sie an der Tür. Willie öffnet sie, tritt ein, das Schnellfeuergewehr im Anschlag, Annie leicht seitlich hinter ihm. Sie schießt zuerst. Direkt auf den hinteren Tischt, wo einige Männer sitzen und tafeln. Der hall des ersten Schusses aus der Pumpgun verliert sich im Stakkato des Schnellfeuergewehrs. Nach fünf Schuss lädt Annie blitzschnell nach und feuert weiter, während Willie schon das zweite Magazin auf die Gäste leert.
Alles geht so schnell, dass kaum Schreie zu hören sind. Es ist ein Blutbad. Niemand überlebt. Ruhig schauen sich die Beiden nach dem letzen Schuss um. Nichts bewegt sich. Eine Kopfbewegung von Annie und sie treten aus dem Lokal, ziehen die Tür hinter sich zu und gehen den Weg, den sie gekommen sind. Schnell sind die Waffen im Koffer verpackt. Drei Strassen weiter steigen sie in ein vorbeifahrendes Taxi. Kein Mensch hat etwas gesehen, oder keiner will etwas gesehen haben.
„Endgültige Lösungen“ hat zugeschlagen. In einem Revier, das diese Firma üblicherweise meidet. Doch das Honorar war einfach zu hoch um ignoriert zu werden. Willie und Annie gehen schnell getrennte Wege. Drei Wochen später sind sie wieder zusammen. Viele tausend Kilometer weit, in einem fernen Land, treffen sie sich in einer heruntergekommenen Bar, wo sonst nur LKW-Fahrer anhalten, oder ignorante Touristen. Annie ist in einem rostigen Pick-Cup unterwegs – einem „Ute“, wie sie diese Fahrzeuge hier nennen. Wie Willie hergekommen ist, interessiert niemanden. Sie haben eingekauft. Die Ladefläche ist voller Kartons, als sie in nördlicher Richtung fahren, auf einer Piste, die irgendwann im Nirgendwo an einem einsamen Strand endet.