Zufriedenheit
Frau Trellerer schwingt den nassen Feudel im Rhythmus ihrer ausladenden Hinterfront über die Stufen. Oder es ist umgekehrt –der Schrubber bewegt ihre Masse langsam vom vierten Stock ins Erdgeschoss. Dabei summt sie leise vor sich hin.
„Guten Tag, Frau Trellerer. So fleißig?“
Frau Trellerer lässt den Schrubber ins graue Wasser des Eimers sinken.
„Was soll man machen, Frau Zwitscher, von allein wird halt nix sauber – dreckig schon!“ Sie lacht, schaut dann aber auf die Kleidung der Nachbarin.
„Aber, sie sind ja ganz in Schwarz...?“
„Ich komm grad von ner Beerdigung – Sie wissen doch, der alte Neumeier ist letzte Woche gestorben. Und ich kenn die Neumeier aus dem Kirchenchor...“
„Ja, ich hab die Todesanzeige gelesen – der war wohl lange leidend.“
„Und wie!... Jahrelang hat sie ihn gepflegt. Und dabei immer so geduldig, fast froh... manchmal ging sie mir damit recht auf die Nerven. Ich hab dann immer bloß gedacht: wie gut, dass ich nicht so einen Klotz am Bein habe. Einen alten, kranken Mann pflegen – ne, da bin ich doch lieber allein und kann machen, was ich will.“
Frau Trellerer lehnt den Schrubberstiel an die Wand und ihr Hinterteil ans Geländer.
„Aber, wenn man dann so plötzlich allein ist, das ist auch komisch. Als mein Kurt im Krankenhaus war, vor zwei Jahren... - und der hat ja schon so seine Marotten, da könnt ich manchmal... und reden tut er ja auch nicht viel, ne, der kann die Klappe halten, sag ich Ihnen... - aber als der wegen seiner Galle die drei Wochen im Krankenhaus war, da hab ich dauernd auf den Sessel geguckt, auf dem er immer sitzt, wenn er Feierabend macht und sein Bierchen trinkt... ich hab direkt mit dem Sessel geredet, als ob er drin sitzt...das wird für die Neumeier bestimmt ganz schön still werden, wenn der Mann jetzt nicht mehr da ist.“
Frau Zwitscher stellt ihre Handtasche auf der Treppenstufe ab.
„Ach, ich leb ja schon immer allein. So schlimm ist das gar nicht. Ich kann essen, wann ich will, und übers Fernsehprogramm muss ich auch nicht streiten... und dann hab ich immer alles sauber... ne, mir fehlt nix ohne Mann!“
Frau Trellerer zieht den triefenden Feudel aus dem Wischwasser und wringt ihn mit energischen Handgriffen aus.
„Na, ich sag immer, man muss mit dem zurecht kommen, was man hat. Auch wenn man es sich manchmal schöner denken kann - es ist halt, wie es ist. Hauptsach ist doch, man ist gesund und kann noch was schaffen!“
„Ja, so ist es – aber stellen Sie sich vor, die Neumeier hat ihren Mann eine rote Rose auf den Sarg gelegt. Ein bissel sehr romantisch, fand ich – wo sie doch wegen dem noch nicht mal auf die Chorfahrt mit konnte...“
Sie verstummen, da im dritten Stock eine Tür ins Schloss fällt, und Dr. Merkel mit beschwingtem Schritt die Stufen herunter kommt.
„Guten Tag, die Damen. Ist das nicht ein herrlicher Tag? Da muss ich doch gleich noch eine Runde durch den Park...“
Er zieht den Hut, zupft seine Fliege zurecht und geht lächelnd an den beiden Frauen vorbei.
Frau Zwitscher schaut ihm nach.
„Der ist aber auch immer so elegant...“
„Und so freundlich! Da könnt sich mein Kurt mal ne Scheibe abschneiden...“
Frau Zwitscher nimmt ihre Tasche und seufzt.
„Ich mach mir jetzt mal einen schönen Kaffee.“
„Ja, ich muss ja auch weitermachen – von alleine wird´s ja nich....“
„Schönen Tag noch!“
„Ja, Ihnen auch!“
@******leo 2010