Silbrig klingender Morgen
Es wird Herbst. Dieser Tage ist es schon sehr kühl, besonders morgens und abends merkt man die zunehmende Frische des Tages.
Ich mag es, wenn die Jahreszeiten wechseln. Es kündigt sich Veränderung an, ein neuer Abschnitt, das Leben geht weiter, nichts steht still. Fortschritt, der eigentlich ein Gleichschritt ist, denn es geht im Kreis herum.
Fides, fällt mir ein, wenn ich so in die Morgendämmerung blicke. Vertrauen, in die Natur, die eigene Stärke und das Leben auch wenn es manchmal kalt und rau ist, unbarmherzig. Ja, so scheint es. Doch das Leben an sich hat kein Herz, also kann es auch nicht unbarmherzig sein, ebenso wenig kalt und rau. Das Leben ist! Vertraue! – Vita est! Fides!
Ich weiß nicht, wie lange ich eben die Nebelbank betrachtet habe, die sich über die Felder zieht, hin zum Bach. Oder bewegt sie sich vom Bach über die Felder zu mir?
Wen interessiert das?
Mein Blick dringt weiter vor, durch eine Lücke im Nebel und dort sehe ich den einen Baum, den, der so allein für sich steht, quasi als Wegweiser. Arbor nennen wir ihn, einfach Baum.
Wenn wir den Weg entlang schlendern, dann gehen wir zum Baum. Er steht für sich und nun ragt er aus dem Nebel, zeigt mit seinen grünen Blättern, dass der Herbst doch noch nicht wirklich Einzug hält. Schwarze Vögel, ich kann nicht erkennen welche es sind, umkreisen ihn und lassen sich dann in seinen Ästen nieder. Sie verschwinden im Blätterdach des Baumes und der Nebel schließt sich. Die Vorstellung des Baumes ist beendet und ich wende den Blick. Gehe hinaus in den Garten.
Eine dicke Wollweste schützt mich vor der morgendlichen Kühle und der Feuchte. Langsam und barfuss gehe ich durch den Garten. Der Tau benetzt meine Füße und kitzelt an den Sohlen, die Tropfen zwischen den Zehen scheinen sich selbstständig zu machen und tanzen dort einen Elfentanz.
Ich bin in einer fremden Welt – eingetaucht in Nebel und Tau, durchwandere ich den Morgen. Altweiberfäden glitzern im Licht einer kalten, beinahe weiß scheinenden Sonne, die nur wenig Wärme durch den Nebel schicken kann und doch die Kraft besitzt das Grau zu besiegen.
Es ist silbern.
Ein silbriger Morgen scheint auf mich nieder. Ich wate in Silber und die Töne dazu sind wie Glöckchen, die silbern schallen, aber so leise, dass nur ich sie hören kann. Mit geschlossenen Augen durchschreite ich die Zeit und genieße den Stillstand, das Innehalten zwischen den Atemzügen, das Da vor dem Dum des Herzschlags. Ich fühle mich silbrig, wertvoll und wichtig in meiner Einzigartigkeit, obwohl ich weiß, nicht mehr als ein Staubkorn im Gesamten zu sein. Das Silber des Tages klingt in mir nach – Fides, summt es und ich habe Vertrauen.
In der Ferne höre ich jetzt den Zug vorbeirattern, der die Pendler in die Stadt bringt, der Lärm durch die Autos nimmt bereits zu. Diese Geräusche holen mich ein Stück weit aus meiner Versenkung heraus und trotzdem - ein Gefühl der Veränderung bleibt, klingt nach, schwingt in einem silbernen Bogen und lacht perlmuttfarbige Freude.
Nichts ist gleich an diesem Tag, der gleich ist oder gleicher noch als der vergangene. Ich bin die gleiche und auch wieder nicht. Noch sehe ich mich nur im Spiegel eines Tautropfens und ich sehe mich verkehrt herum.
Langsam steigt die Sonne höher, der Nebel wird dicker. Mittlerweile kann ich Arbor nicht mehr erkennen, nicht einmal ein Fenster zu ihm tut sich auf. Nur die Wipfel der Fichten sind zu sehen, hoch oben auf den Hügeln.
Die Geräusche werden lauter und verdrängen das Silber meiner Glockenmelodie. Ich ändere den Blickwinkel, wende mich um und …
bin wieder urban.
Sehe was die Sehnerven ans Gehirn weitergeben und höre die Geräusche, die meine Ohren empfangen. Dennoch ist ein wenig Silber geblieben, ganz leise hallen die Glocken nach und das Lachen kitzelt im Bauch und prickelt in den Zehen. Oder ist es die Kälte, die durch die Fußsohlen dringt?
© Herta 9/2010