[RF] Erklärung
Erklärung:Zunächst eine Entschuldigung. Mein Roman ist fertig und nun in der Phase des Lektorats. da sind die Kurzgeschichten zu kurz gekommen, aber so ist dies eben mit kurzen Geschichten.
Zudem fehlte mir die Lust auf schwere, tiefsdinnig triefende Wahrheit. So habe ich heute, nachdem ich mich erklärt hab, den Gedanken aufgegriffen und eine erklärende Geschichte ohne Tiefgang geschrieben:
Erklärung
Der Unbekannte, schwarzhaarige und muskulöse Endzwanziger reißt die Türe des Büros der Mittfünfziger Steuerberaterin mit Elan auf, lässt diese – also die Türe – gegen einen Aktenschrank prallen und entert den Raum besitzergreifend. Kein ‚Guten Tag‘, keine Begrüßungsformel als Ausdruck gut situierter menschlicher Kommunikationsfähigkeit, sondern stattdessen: „Kann ich mich hier erklären?“
„Nein, das können sie nicht“, antwortet die fast selbstständig arbeitende steuerliche Beraterin verdutzt, aber freundlich. „Aber ich helfe gerne dabei.“ Weiterhin denkt sie: ‚gegen einen kleinen Obolus für mein nächstes Zalando-Shopping natürlich.‘
Der Unbekannte ist irritiert. Nicht, dass er Zalando nicht kennen würde, aber ein Steuerbüro, in dem man sich nicht erklären kann, kann er sich wiederum nicht erklären. Dies veranlasst ihn zur Demonstration seiner intellektuellen Flexibilität, indem er seine Formulierungen der Situation anpasst: „Und wie sieht es mit Übergeben aus?“
Die Antwort fällt entsprechend resolut aus: „Sie übergeben sich hier nicht!“
„Nicht mich. Darf ich meinen Kram hier übergeben?“
„Wenn sie mir sagen, was sie hier übergeben wollen.“
„Ja, hier den Kram.“
„Welchen Kram?“
„Den Kram hier.“
‚Verdammt Intelligenzresistenz‘, kombiniert die Steuerfachfrau. Solche Fälle wünsche ich mir jeden Freitagmorgen zum Anheizen meines Kamins für das Wochenende. Aber wir haben erst Dienstag. Dann setzt sie ihr teuer erspachteltes Fassadenlächeln auf und entgegnet: „Zeigen sie mal, was sie hier haben.“
„Also ich habe ein Einkommen, zwei Ausgaben, Nebenkosten und mein Auskommen. Dazu eine Frau, zwei Kinder und eine Schwiegermutter im Haushalt, aber da bin ich mir nicht sicher, inwiefern ich dies Erschwernis absetzen kann.“
„Aha.“ Nicht nur Intelligenzresistent, sondern auch eine ausgesprochene Emanzipationsallergie mit Beeinträchtigungen des subversiven Nervensystems.
„Und dann habe ich noch etwas zum Absetzen.“
„Und was? Haben sie zusätzliche Werbungskosten? Fahrtkosten? Vorsorgeaufwendungen?“
„Nein. Einen Ghettoblaster.“
„Wollen sie ein Radio etwa als Werbungskosten absetzen?“
„Nicht Radio! Einen Ghettoblaster!“
„GEZ... Gebührenerpressungszentrale...“
„Nein. Ich wollte den… hier auf dem Tisch absetzen. Also abstellen.
Und Belege direkt dazu.“
„Die Belege können sie mir geben.“
„Und den Blaster? Ach, sie verwirren mich.“
„Ich verwirre sie?“ Die professionelle Zahlendreherin zieht ungläubig ihre rechte Augenbraue hoch.
„Also, wie war das noch gleich mit dem Absetzen?“
Langsam neigt sie die Geduld der Formularbefüllerin zu Ende. Aber ohne auf eine weitere Antwort zu warten, drückt der Schwarzhaarige auf die „Play“-Taste des Bankenviertelswegblasters: „You can leave you hat on!“
Sein Gegenüber tippelt schon mit den Fingern auf der Tischplatte; nicht den Takt, sondern aus nervöser Gereiztheit und harrt der weiteren Dinge, die da kommen mögen.
Aber der Unbekannte fährt unbeirrt fort. „Aber ich könnte vielleicht etwas ablegen, wenn ich schon nichts absetzen kann.“
„Legen anstatt setzen? Was soll das denn jetzt?“ Würde sie nun die Lippen noch stärker zusammenkneifen, bestände die Gefahr, dass der Putz bröckelt und die rissige Fassade zum Vorschein käme.
„Nein“, erläutert ein entwaffnendes Kukident-Grinsen, welches glatt aus dem Werbeprospekt eines Herstellers dritter Zähne stammen könnte. „Weder Legen noch Setzen, sondern Ablegen.“
„Verschonen sie mich doch mit dieser Wortklauberei und erklären sie sich endlich.“
Ohne weitere Worte knöpft der Unbekannte sein Hemd auf, streift es sich von den Schultern und … legt es ab.
„Stopp! Stopp! Stopp!“ Wild fuchtelnd versucht die finanzamtlich zahlendrehende Hilfserklärerin die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber der schwarzhaarige streicht sich zur Antwort nur eine pomadige Strähne aus der Stirn.
Dann greift er zum Reißverschluss der Hose, hält einen Augenblick inne, reißt sich die Hose von den Beinen und schleudert ihr das Stück zu. Reflexartig fängt die gewerbesteuermindernde Dame - jene, nicht vom Gewerbe - das Kleidungsstück auf.
Nun steht sie da; seine Hose in ihrer Hand, den Blick ängstlich auf seinen entblößten Unterkörper gerichtet und er meint lapidar:
„Herzlichen Glückwunsch! Ihre Kollegen haben ihnen einen Strip zum Geburtstag geschenkt!“