Die Wiege der Zeit 11
Balthasar starrte regungslos auf den Teufel, der mit gierigen Blicken das Buch öffnete. Er hatte nur eine leichte Ahnung, um wen es sich handelte, mit dem dieser Dämon abzurechnen hatte.
Ein greller Blitz durchschlug die Glaskuppel, ließ das Glas erzittern, erhellte den Raum kurzfristig mit unwirklichem Licht, die Wände der Bibliothek schienen für einen kurzen Moment aus den Fugen geraten zu sein und in sich zusammenzufallen. Dröhnendes Gelächter erklang aus der Kehle des Teufels, der das Buch zu Boden geworfen hatte und seine Arme ausgestreckt hatte, sich ekstatisch in dieser Urgewalt windend.
Doch so schnell wie dieser Moment entstand, war er auch schon wieder verschwunden. Vor die Sonne, die noch eben über der Kuppel stand, schoben sich tiefschwarze Wolken, die ein unheimliches Gewitter mit sich brachten. Blitze zuckten kreuz und quer durch die aufgeladene Luft. Balthasar’s Haare begannen unter der elektrostatischen Atmosphäre zu schweben. Mit zitternden Händen versuchte er seine Haare zu besänftigen, doch widerstanden sie diesem Versuch und umrahmten seinen Kopf wie einen Heiligenschein. Er gab es auf und betrachtete gebannt das Schauspiel, das sich vor ihm auftat.
Die Dunkelheit des Himmels senkte sich herab, ein Sturm zog auf, der nur durch die bösesten Mächte geschürt worden sein konnte. Eine Lichtsäule inmitten dieses Chaos drängte sich durch die Glaskuppel, ohne diese jedoch zu zerstören. Als die Spitze des Lichtes den Boden der Bibliothek berührte, wurde sie breiter, so dass darin bequem ein Mensch Platz hatte. Balthasar kniff seine Augen zusammen, um genauer hinzusehen und konnte Konturen in diesem bläulichen Licht erkennen. Sie schälten sie quälend langsam aus der Säule, die sich auf eine Handbewegung der Gestalt darin emporhob und durch die Kuppel zurückzog.
Ein hochgewachsener Mann stand vor dem Dämon. Silbern glitzerten die langen Haare, im Wettstreit mit dem langen Bart, der bis zur Taille des Mannes reichte. Ein einfaches Gewand, mit einem Ledergürtel zusammengehalten bekleidete ihn, in einer Lasche an diesem Gürtel hing ein Athame, das Zaubermesser der Zauberer. Dieser kurze Dolch glühte jetzt in Anwesenheit des Bösen. Die Füße steckten in ledernen, schlichten Sandalen. Stolz und Weisheit drückte die Haltung des Mannes aus, der keinerlei Angst vor seinem Gegenüber zeigte.
„Merlin“ flüsterte Balthasar ergriffen, dessen Herz wie wild zu pochen begann. Die beiden Kontrahenten nahmen ihn nicht wahr, sondern fixierten sich gegenseitig aus blitzenden Augen. „So also sehen wir uns wieder“ erklang eine selbstsichere Stimme, die nicht durch Lippen geformt wurde, sondern sich direkt in die Schädel der Anwesenden geschlichen hatte. Merlin machte sich nicht die Mühe zu sprechen, hatte er doch diese Art der Kommunikation für sich entdeckt. „Du weißt genau, dass noch so einiges zwischen uns ungeklärt ist, Merlin“ donnerte die Stimme des Dämons durch den Raum.
„Für mich gibt es nichts Ungeklärtes. Ich werde meinen Weg nicht verlassen, selbst wenn er dir Schwierigkeiten bereiten sollte. Artus wird König von England werden, die Menschen wieder in Frieden leben. Das Böse, das du versuchst unter den Menschen zu verbreiten, wird sich nicht halten können. Das aufkeimende Christentum wird wachsen, ungehindert durch dein Heer aus Hass und Gewalt.“
„Pah, das Böse wird sich nie besiegen lassen. Ihr mickrigen Druiden, die ebenfalls verschwinden werden, wenn der keltische Glaube untergeht, könnt die Menschheit nicht retten. Sie gieren nach dem Bösen, dem Hinterhalt und Verrat, um sich selbst zu bereichern.“ erwiderte der Teufel, dessen Hautoberfläche mit steigender Erregung begann, kleine Flammen abzusondern.
Unruhig scharrte er mit seinem Huf, stemmte seine Fäuste in die Hüften und beugte sich über Merlin. Dieser war schon groß, doch der Dämon überragte ihn noch immer mit einer Kopflänge. „Du bist in der Lage für dein und das Überleben deiner Druidenbrüder zu sorgen. Lass die Menschen weiterhin das tun, was sie wollen, sollen sie die Götzen anbeten, sich gegenseitig metzeln und so meine Hallen füllen.“ spie er Merlin ins Gesicht.
„Manchmal ist die Zeit gekommen, Änderungen zuzulassen. Selbst wenn dies das Ende der Druiden bedeutet. Wir werden ja nicht verschwinden, sondern in Zukunft im Hintergrund agieren. Das scheinst du zu vergessen, mein Freund“ lächelte Merlin und bewirkte mit diesen lautlosen Worten eine wahre Feuersbrunst auf der Haut des Dämons. Dieser brüllte auf und drehte sich einmal um die eigene Achse.
Die Bibliothek löste sich vor Balthasar’s Augen auf, für einen Moment glaubte er blind zu sein, denn es war nichts zu sehen. Ein beängstigendes Nichts umgab die drei Anwesenden, dann zischte es, als würde ein Vakuum gelöst und ein handbreiter Bannkreis in Brusthöhe umgab die beiden Streitenden.
Hinter Merlin öffnete sich eine weite, sonnendurchflutete Landschaft, die von einem grünen Wald beherrscht wurde. Balthasar konnte sogar einzelne Baumstämme erkennen, Vogelzwitschern hören und ein hellblauer Himmel umrahmte das friedliche Bild. Dann raste sein Blick hinüber zum Ort des Bösen. Hinter dem tobenden Teufel fauchte ein glutrotes Flammenmeer bis hinauf zur Glaskuppel. Die ausströmende Hitze verbreitete sich rasant, so dass Balthasar zu schwitzen begann. Er wagte keine Bewegung und fühlte sich zum Zuschauen verdammt.
Der Bannkreis, der um die beiden Feinde floss, bestand aus unzähligen Nebelringen und passte sich den Bewegungen der Beiden an. Er wich selbständig vor eventuellen Berührungen zurück.
„Du bist ein zäher Gegner, Merlin. Schon immer“ lachte der Teufel grimmig. „Doch auch ich habe so meine Mittel, das zu erreichen, was ich will. Ich will Seelen, die Seelen, die sich an dir und deiner Gutmütigkeit vorbeigeschlichen haben, oder versehentlich übersehen wurden. Ich giere nach dem Bösen, meinem Elixier“ steigerte sich der Teufel in Ekstase, die sich an seinem Körper sichtbar machte. Merlin schien unbeeindruckt über das hinwegzusehen, was drohend in seine Richtung zuckte. „Es wird immer passieren, dass ich nicht alle retten kann, doch werden für dich in Zukunft weniger abfallen, als du es dir vorstellen kannst.“ schickte Merlin ungerührt die Antwort direkt ins Hirn des Teufels. „Artus ist auf dem richtigen Weg, Morgana hat keine Macht mehr über ihn und wie willst du mir drohen, Bestie?“
Als hätte er auf diese Frage gewartet, hob der Teufel seine Arme in die Höhe, blickte Merlin schmeichlerisch in die Augen und flüsterte kaum vernehmbar: „Du willst es wissen?“ und ohne auf eine Antwort zu warten, ließ er seine Arme wieder sinken und hinter ihm löste sich eine Silhouette aus der Gluthölle. Durch die zuckenden Flammen schritt ein lederbepackter Hüne, der es mit seinem Herrn an Größe fast aufnehmen konnte. „Nun? Erkennst du ihn?“ lachte der Dämon hämisch in Merlins Richtung. Merlin starrte auf die Gestalt, die sich mit festen Schritten näherte. Der Bannkreis öffnete sich einen Spalt und ließ die Person passieren, um sich sofort hinter ihm zu verschließen.
Der Hüne hatte den Blick gesenkt, das lange Haar umrahmte das Gesicht, bis er sich aufrichtete und Merlin hasserfüllt anstarrte. Die schwarzen Augen bohrten sich regelrecht in Merlins Hirn, der jetzt Mühe hatte, seine Emotionen in Griff zu halten.
„Vater“ stieß Merlin jetzt über seine Lippen heiser hervor und wankte leicht. „Wie rührend, ist das nicht ein nettes, gemütliches Familientreffen?“ rief der Dämon verächtlich. Michelangelo kam hinter seinem Gebieter hervor um seinem Sohn direkt gegenüberzutreten.
„Habe ich dich gezeugt, dass du es wagst gegen meinen Herrn zu kämpfen?“ donnerte Michelangelos Stimme. „In dir“ fuhr er fort „existieren beide Seiten. Du weißt, wie einfach es wäre, dich meinem Herrn anzuschließen. Warum gehst du verdammt noch mal den schweren Weg? Was kümmern dich die mickrigen Menschen und deren Wohlergehen?“ sprach er jetzt mit sanfterer Stimme und schritt auf den Druiden zu. Merlin hatte nicht damit gerechnet, mit seiner Vergangenheit konfrontiert zu werden. Dieser Punkt ging an seinen Gegner. Der Teufel hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt und grinste siegessicher zu Vater und Sohn. Die Flammen auf seiner Haut hatten sich beruhigt und züngelten auf Sparflamme um seinen Körper. Er vertraute seinem Geschöpf, dem gefallenen Engel und dessen Macht über die Frucht seiner Lenden. Merlin spürte wie ihm schwindelig wurde, Zweifel in seinem Inneren stoben umher. Er spürte den dunklen Drachen in seinem Leib rumoren. Den, den er stets unterdrückte, damit der weiße Drache sein gutes Werk vollbringen konnte.
„Sieh es so, Merlin“ floss Michelangelos jetzt seidenweiche Stimme in Merlins Bewusstsein „mein Herr wird dir dankbar für jede Seele sein, die du ihm übergibst, doch welche Dankbarkeit erwartet dich bei den Menschen? Werden sie dir je danken, für das, was du ihnen gibst? Werden sie es überhaupt erkennen?“ Michelangelo hatte seinen schweren Arm um die Schultern des Druiden gelegt, der wie paralysiert von dieser Berührung dastand. Merlin drehte seinen Kopf in Richtung des Mannes, dem er sein Leben zu verdanken hatte. Listig blickten die schwarzen Augen, die die schwarze Seele seines Trägers widerspiegelten. Er straffte sich und konzentrierte sich auf die Worte, die er übermitteln wollte: „Nein. Nicht alle werden es bemerken, nicht alle werden mir danken, aber dies ist auch nicht der Grund weshalb ich mich dieser Sache verpflichtet habe.“ Jetzt glitt sein Blick hinüber zum Herrn der Finsternis. „Es muss ein Gleichgewicht geben. Deshalb hast du mich gezeugt, Vater. Ja, ich trage das Dunkel ebenso in mir wie das Gute. Ich allein bin in der Lage zu entscheiden, in welche Richtung sich die Waagschalen bewegen werden. Den Teil, den du mir mitgegeben hast, werde ich für immer in mir tragen, doch ob ich ihm die gleiche Macht gebe, wie der guten Seite, liegt bei mir. Und weder du noch dein Gebieter, der mich nie neben sich akzeptieren würde, werden darauf jemals Einfluss nehmen können.“ Damit schüttelte Merlin den Arm seines Erzeugers von seinen Schultern und drehte beiden den Rücken zu. Der Bannkreis hielt ihn jedoch in unmittelbarer Nähe des Bösen.
Balthasar hielt die Luft an, als er diese Szene beobachtete. Er wartete auf die Eskalation dieser angespannten Situation. Merlin blickte Balthasar direkt in die Augen und ließ nur für ihn hörbar die Worte durch den Raum gleiten: „Herr der Zeit, du allein bestimmst über die Zukunft. In deiner Macht liegt es, dafür zu sorgen, dass das Gleichgewicht für alle Zeiten bestehen bleibt.“ Kaum war das letzte Wort verklungen, als die Wut des Teufels losbrach. „Du undankbarer Wurm. Was glaubst du, wer du bist?“ Geifer tropfte aus dem verzerrten Mund des Dämons, Zentimeter hohe Flammen versenkten die Haut seines Körpers und ein widerlicher Gestank stieg über ihm empor. Balthasar musste würgen, als er diesen einatmete und die Angst ließ ihn in seinem Sessel tiefer rutschen. Merlins Blick huschte sanft über Balthasar, dann drehte er sich erneut in die Gefahrenzone. Michelangelo stand jetzt neben seinem Herrn, die Kiefer fest aufeinander gepresst, so dass die Kaumuskeln hart unter der Haut mahlten. Der Teufel tobte. Der Schwanz hinter seinem Rücken peitschte wild hin und her, die Wut ließ das Maß in seiner Körpermitte um das Doppelte anschwellen, was ihn noch mehr erregte. Seine krallenbesetzten Finger stießen vor um Merlin zu packen und in Stücke zu zerreißen. Doch Michelangelos große Hand packte die Schulter seines Herrn und riss diesen in seinem Schwung zurück. Durch die Energie dieses Rucks wirbelte der Teufel um die eigene Achse, sein Schwanz zuckte durch den Raum, knapp an Merlins Gesicht vorbei. Der schneidende Luftzug, der dadurch erzeugt wurde machte Merlin für einen kurzen Moment atemlos. „Du Abtrünniger!“ schrie der Teufel Michelangelo entgegen. „Du hast versagt bei deiner Brut und jetzt wagst du es, mich an meiner Rache zu hindern?“
Balthasar wagte einen verstohlenen Blick auf den Rücken der Bestie, die durch die Flammen der Wut langsam verzehrt wurde. Das kräftige Skelett schimmerte bereits durch die wabernde Hitzeschicht, die Muskelfasern schienen unter der Hitze zu schrumpfen, der Gestank des verbrennenden Fleischs wurde unerträglich. Noch bevor Michelangelo unterwürfig seinen Herrn um Vergebung bitten konnte, hatte dieser ihn ergriffen, mit beiden Händen am Kragen gepackt und in das Flammenmeer geschleudert. Hungrig umschlossen die zuckenden Feuerteufel den Körper, der mit einem grauenvollen Schrei darin verschwand. Jetzt wirbelte das zornige Flammenmonster herum und starrte mit wahnsinnigem Gesichtsausdruck auf Merlin. Der Huf schabte über den Boden, die Flammen schossen höher und Balthasar wollte sich erheben, um Merlin zur Seite zu stehen. „Bleib!“ drang der Befehl Merlins in seinen Kopf und Balthasar fiel kraftlos zurück in seinen Sessel.
Mit ungebändigter Wut kam der Dämon vor Merlin zu stehen. Die brennende Fratze strahlte eine unglaubliche Hitze ab, die Merlins Haut fast zum Schmelzen brachte, doch unbeeindruckt hielt er stand. Er würde dem Teufel für alle Ewigkeiten Widerstand leisten und das drückte seine stolze Haltung jetzt unmissverständlich aus. Das Minenspiel des Dämons war klarer zu lesen als jedes Buch hier in diesem Raum, Balthasar fürchtete um die Eskalation, die nun entstehen würde. Der Teufel hob seine geballte Rechte, die von weißglühenden Flammen umhüllt war und stieß sie genau an die Stelle, an der Merlins Herz saß. Ein gleißender Feuerball schoss durch die Luft, doch bevor dieser sein Ziel erreichen konnte, löste sich Merlin in glitzernden Sternenstaub auf und wirbelte als leuchtender Sternenschweif durch die Glaskuppel.
Beim Anblick seiner Niederlage brüllte der Teufel, dass die Wände bebten. Balthasar schlug seine Hände auf die Ohren und konnte dennoch nicht anders, als die Szenerie weiter zu beobachten. Der abgefeuerte Feuerball stob durch die Bibliothek an den Regalen vorbei. Balthasar befürchtete, das Feuer würde seine Schätze in Brand setzen. „Wir sehen uns wieder, Merlin!“ schrie der Teufel in die Höhe, kurz bevor er als blaue Stichflamme verschwand. Seine Hinterlassenschaft, das fliegende Feuer, suchte das Buch, das aufgeschlagen auf dem Boden lag. Ein Fauchen ergriff das alte Pergament und verpuffte in staubigem Rauch.