Eine triviale Beziehungsgeschichte
Ich war ja auf der Suche nach einer Beziehung.Nicht, dass ich es mir nicht gewünscht hätte jemanden zu finden, aber so wirklich erwartet hatte ich es nicht. Es gab natürlich verschiedene Gründe dafür, dass meine Erwartungshaltung eher gedämpft war, aber im Prinzip waren die altbekannten Ängste für meinen Pessimismus verantwortlich, Angst vor dem lähmenden Alltag, versiegende Libido, galoppierende Altersspießigkeit und überzogene Vorstellungen vom Partner.
Also wählte ich die Anonymität des Internet und suchte nach einer Frau in dessen Weiten.
Als begeisterter Anhänger von science fiction vermeine ich eine gewisse Phantasie, Vorstellungsgabe, zu besitzen, allerdings hatten mich meine vergangenen Beziehungserfahrungen zu dem Fazit geführt, dass es Partnerschaften nicht mehr gibt, nur noch Interessengemeinschaften. Daher entschied ich mich, mich eher nicht zu entscheiden und suchte nur nach Nähe und Haut.
Wir lernten uns über ein Paar mails und ein Paar Telefonate kennen.
Ich besuchte sie.
Knappe 100 km gaben mir Sicherheit, handy und Festnetz-Verträge waren gekündigt … die mail-Adresse gefaked … 2010, das Jahr, in dem meine virtuelle Existenz und meine über Jahre gepflegten Kommunikationsanschlüsse endeten, … die Chance für ein neues Leben?
Unser Kennenlernen war … schön. Nach wenigen Minuten hielten wir, wie ein spät-pubertierendes Paar Händchen und schauten uns verträumt in die Augen.
Es gab keine Fragen nach - was machst Du – was hast Du – wer bist Du - wir redeten nicht viel, teilten eine wunderschöne Nacht und gingen am nächsten Morgen wieder auseinander. Jeder hatte wieder sein Leben, alles wie abgesprochen.
Aber das Leben und unsere Gefühle folgen nicht einfach unseren Vorstellungen und obwohl Angst & Sehnsucht groß waren, Verpflichtungen machten es uns unmöglich möglich, dass wir uns schnell wiedersehen konnten. Es vergingen Wochen bis zum nächsten Aufeinandertreffen. Wir waren derweil gezwungen miteinander zu telefonieren, zu schreiben.
Mir wurde so nach und nach bewusst, dass sie mein Leben veränderte, es bereicherte.
Sie fehlte mir.
Als mir die Tragweite dieses Gedankens bewusst wurde, stieg Panik in mir auf. Eine weitere Beziehung auf – 3 gute Jahre, 2 Jahre, die OK waren, 2 Trennungsjahre = 7 Jahre ?… und zur Krönung war es jetzt auch noch eine Fernbeziehung.
Zum Glück waren wir beide nicht mehr frisch aus der Backstube und die Jahre nicht spurlos an uns vorüber gegangen. Die Zeit hatte uns die spröde Schönheit von Knäckebrot verliehen, nicht auf dem ersten Blick als highlight erkennbar, aber mit Biss und noch einige Jahre haltbar, zudem mit dem Willen ausgestattet noch einiges bis zur Zerbröselung zu erleben.
Aus mir nicht näher befindlichen Gründen wandelte sich meine Beziehungspanik in Angst, so dass erste konstruktive Überlegungen zur Etablierung einer emotionalen Verquickung entstanden. Aus dem Verständnis heraus nichts verlieren zu können, war ich gnadenlos ehrlich und dachte auf diesem Weg schnell eine Entscheidung herbeiführen zu können.
Meine Erfahrungen mit Frauen hatte mir vor Augen geführt, was denkbar war und was nicht. Es würde ihr schnell offensichtlich werden, dass ich nicht für die herkömmlichen Beziehungsmodelle tauglich wäre, in meinen Wünschen und Vorstellungen erheblich abwich.
Aber irgendwie reagierte sie nicht wie erwartet auf meine Strategie „gnadenlos ehrlich“, zeigte geradezu unerträgliches Verständnis.
Es begann sich mein Weltbild zu zersetzen. Der zuvor klar definierte schmale Weg in die Zukunft gewann an Breite, erhielt immer mehr Abbiegungen und Kreuzungen. Immer häufiger musste ich von den altvertrauten Mustern und Strukturen abweichen, sie den sich verändernden Lebenssituationen anpassen.
Alles Vertraute unterlag auf einmal einer Dynamik.
Der Alltag verlor seine Alltäglichkeit.
Zuerst fiel es mir durch die ungewohnt kalten Füße am Morgen auf. Es hatte immer ein kleiner Berg an schmutziger Wäsche im Bad auf dem Boden gelegen, so dass man beim Zähneputzen darauf stehen konnte. Seit ihr gab es diesen Berg nicht mehr. Ich nutzte neuerdings den Wäschekorb im Bad.
Die Spritzer auf dem Badezimmerspiegel begannen zu stören, volle Aschenbecher erzeugten meinen Widerwillen, das Geschirr auf der Spüle, dass noch nicht den Weg in die Spülmaschine gefunden hatte, nervte. Es war wie eine Virusinfektion, zuerst erschienen mir die Symptome noch wie ein leichter Sommerschnupfen, … aber dann verstärkten sich die Symptome, nahmen charakterbedrohende Ausmaße an.
Das zuvor stark gestörte Verhältnis mit meinem Staubsauger besserte sich, wurde geradezu innig - meine Katzen wollten schon aufgrund der ungewohnten Geräusche emigrieren – ich erkannte, dass Haushaltspapier nur in begrenztem Maße einen Putzlappen ersetzt und auch, dass der Kauf von Reinigungsmitteln noch nichts am Zustand der Wohnung verändert.
Mich plagten Kopfschmerzen und Magenschmerzen, das Tageslicht war unerträglich, ich konnte nur noch abgedunkelte Räume ertragen. Ich dachte, ich würde verrückt, wenn ich saugte, putzte und an sie dachte … mich dann als das einzig Schmutzige in der Wohnung empfand.
Mein Zustand verschlechterte sich kontinuierlich, nahm derart dramatische Ausmaße an, so dass ich mir überlegte professionelle Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Es stand für mich außer Frage, dass ich Hilfe benötigte. Ich konnte es nicht mehr vor mir verheimlichen, meinen Wahnsinn nicht mehr leugnen. Es war überall erkennbar.
Der Wasserkocher war entkalkt, die Badezimmerarmaturen glänzten und mein Raucherzimmer konnte, ohne sofort entstehenden Schatten auf der Lunge, betreten werden.
Ich musste ihr die Wahrheit eingestehen, … ich war verrückt.
Nun liege ich im Bett, denke an sie.
Wir haben eine Woche miteinander verbracht, 7 x 24 Stunden, sie fuhr vor wenigen Stunden.
Meine Gedanken kreisen durch meinen Kopf, Erinnerungen – so alt und Erinnerungen an die vergangenen Tage – so bunt und verrückt.
Ich bin mittelschwer irritiert. Wäre ich nicht schon 40+, so würde ich denken, dass ich verliebt wäre … aber wir wollen ja mal nicht übertreiben.
Auch bedenklich stimmt mich mein neues Verständnis für Zeit - früher dachte ich, wie viele Jahre muss ich noch? - heute denke ich, wie viele Jahre darf ich noch?
Aber die Realität schafft die wirklich schweren Fragen.
Wer sollte wo hinziehen, den Job und das alte Leben aufgeben?
Schafft man sich einen Platz in der Gesellschaft oder sucht man seinen Platz im Leben?
Hausmann, Hausfrau, Doppelverdiener, so viele Möglichkeiten, die es dem spätpubertären Paar zur Hölle machen, sich für einen gemeinsamen Weg zu entscheiden.
Die meisten Fernbeziehungen scheitern daher auch gerne an der Beantwortung dieser Fragen, so dass man wahrscheinlich nach monatelangen Diskussionen zum Konsens kommt – wir hätten überhaupt nicht zu diskutieren brauchen - wären wir mal bei Freundschaft + Sex geblieben.
Oder sollte man eine Wochenend-/ Urlaubsbeziehung anstreben, denn mit dem Alter steigt ja auch der Urlaubsanspruch, um sich dann im Rentenalter zu verquicken?
Im 21. Jhrdt. hofft man ja schon auf ein Alter von 80+ und damit hätte man ja noch mindestens 13 Jahre frei - von Arbeit.
Naja, … was soll ich schreiben? … ich kenne den Weg nicht.
Ich bin auf der Suche nach einer Beziehung.
@ el_hobo_loco