Persien, Provinz Chalus, den 22. Juni 1945
Liebe Jennifer,
mit großem Bedauern habe ich die Nachricht vom Tod unseres letzten Präsidenten vernommen. Dieser brave Mann ist wahrhaftig zu bedauern, dass er das Los der Niederlage unserer großen Nation auf seine Schultern laden musste, und wenn es stimmt, was der Rundfunk berichtet hat, dann ist er friedlich im Exil auf seinem Landgut gestorben, während es so vielen unserer Landsleute dieser Tage dank der Umtriebe der Separatisten nicht einmal vergönnt ist, in Frieden zu leben.
Vielleicht hätte viel Zwietracht unter den Stämmen unseres Volkes vermieden werden können, wenn Roosevelt bereit gewesen wäre, zur nationalen Einigkeit und zum Gewaltverzicht aufzurufen und die Separatisten an den Verhandlungstisch zu befehlen, es war dies jedoch ein Akt, dem er sich zu seinen Lebzeiten stets verweigert hat, da er immer noch an eine Wiederbefreiung unserer Nation durch ihre Hände glaubte, so wie sie ihn im Gegenzug bis zuletzt als das rechtmäßige Staatsoberhaupt angesehen hatten.
Und doch muss er zuletzt ein gebrochener Mann gewesen sein, seit er seine Unterschrift unter die Waffenstillstandsurkunde zu setzen und seine Präsidentschaft an das neue Zivilgouvernement abzutreten gezwungen war, zudem noch ausgezehrt durch seine Krankheit und angewidert durch die barbarischen Methoden der Separatisten und die von ihnen zu verantwortenden Blutbäder.
Nun, sei es wie es sei, wenn man den Proklamationen der Separatisten Glauben schenken will, dann hat nun ihr Kriegskonzil unter der Führung MacArthurs die politische Würde der amerikanischen Präsidentschaft für sich in Anspruch genommen und eine Exilregierung gebildet, welche nach ihren eigenen Worten „die Gefolgschaft aller freiheitlich gesinnten Amerikaner“ für sich reklamiert. Es ist dies freilich ein vermessener Anspruch, denn damit unterstellen sie gleichzeitig, dass Roosevelts Unterschrift unter dem Waffenstillstand keine Gültigkeit besäße, obgleich es sich um seinen allerletzten präsidentiellen Staatsakt handelt. Auch usurpieren sie damit für sich eine Rechtmäßigkeit, die ihnen in keinem Falle zusteht, denn um die Nachfolge der Präsidentschaft anzutreten fehlt ihnen jegliche staatliche Legitimation, ja trotz aller hochtrabenden Titel, die sie sich selbst zu verleihen gedacht haben, sind sie doch in Wahrheit nicht mehr als ein Haufen von Banditen und Freischärlern, welche das Blut ihrer eigenen Landsleute vergießen, und sie schmähen das Andenken unseres verstorbenen Präsidenten, indem sie seinen Namen im unmittelbaren Zusammenhang mit ihren verabscheuungswürdigen Umtrieben gebrauchen.
Mein Antrag auf Rückübernahme in den aktiven Frontdienst ist von den Ärzten in Bausch und Bogen abgelehnt worden, ich gelte aufgrund meiner nur langsam verheilenden Blessuren und meiner anhaltenden Pneumonie nach wie vor als nicht frontverwendungsfähig, also lässt man mich nicht zu meiner Einheit zurückkehren. Doch konnte ich nach persönlicher, eindringlicher Vorsprache bei unserem leitenden Stationsarzt eine Kompromisslösung erwirken: ich wurde zur Förderung meiner Genesung zum leichten Dienst in einer Einheit des rückwärtigen Raumes abgestellt und konnte so zumindest den bedrückenden Lebensumständen des Lazaretts entgehen.
Allerdings vermochte ich mir nun beileibe nicht auszumalen, wo ein solcher leichter Dienst vonstattengehen sollte, wenn man bedenkt, dass im rückwärtigen Heeresgebiet mittlerweile eine heillose Unordnung herrscht und in manchen Abschnitten regelrecht chaotische Zustände ausgebrochen sind, da das schwelende Feuer der gebietsweisen Unruhen und Aufstände durch die anhaltenden Bandenaktivitäten neue Nahrung erhalten hat.
Du vermagst dir vielleicht meine Überraschung vorzustellen, als ich mir vor acht Tagen aus der Schreibstube meine Entlassungs- und Reisepapiere nebst meinem Marschbefehl abholte und auf der Zeile „Marschziel“ den Vermerk „Chalus, Persien“ vorfand.
Persien hat nun beileibe noch nicht kapituliert, wenn auch das Unvermeidliche nicht mehr aufzuhalten scheint. Die deutschen Divisionen des Ersten Gebirgskorps haben Teheran erreicht und stoßen weiter nach Osten und Süden in Richtung der Golfküste, nach Bandar-Abbas und in die offene Wüste zu den Grenzen Indiens und Afghanistans vor, die Reste der persischen Armee befinden sich größtenteils in Auflösung, Reza Pahlavi Schah und sein Kabinett sind geflohen. Und trotz aller Erfolgsmeldungen hatte ich keineswegs daran gedacht, in jenen Landstrich südlich des kaspischen Meeres eines Tages einmal leibhaftig meinen Fuß zu setzen, dessen Name für das Ohr des westlichen Kulturmenschen stets ein Unterton des Wilden, des Geheimnisvollen, des Mystischen anhaftet, ein Land aus Tausendundeiner Nacht. Nun sollte es also soweit sein, jener dürre, maschinenschriftliche Vermerk auf meinem Marschpass machte das Unverhoffte so unversehens zu einer Tatsache, die noch darauf wartete, in die Realität zu treten.
Zunächst jedoch erwartete mich die nicht geringe Schwierigkeit, an meinen Bestimmungsort zu gelangen, und das hieß, mich den katastrophalen und keinesfalls sicheren Verkehrsbedingungen im rückwärtigen Heeresgebiet von Wolgograd auszusetzen.
Per Zug gelangte ich zunächst relativ unbehelligt von Wolgograd aus nach Astrakhan, von wo aus ich einen Anschluss in südlicher Richtung über Baku hätte nehmen sollen, ich rechnete mir gute Aussichten aus, von dort mit einer Versorgungskolonne oder einem Transportflugzeug weiter zu kommen, doch hätte meine Reise beinahe bereits in Astrakhan ein zeitweiliges Ende genommen. „Die Bahnstrecke nach Baku ist gesperrt“, wurde mir von Streckenposten der Transportpolizei beschieden, „Angriff durch britische Bombenflieger. Die Reparatur dauert mindestens vier Tage.“
Dies war nun natürlich eine herbe Hiobsbotschaft, doch hatte ich in meinem Tatendrang Glück im Unglück: bei meinen Nachforschungen und Erkundigungen nach alternativen Möglichkeiten des Fortkommens geriet ich unverhofft an eine Streife der Küstenpolizei der Kriegsmarine, einen Offizier und zwei Matrosen, durchaus schmuck anzuschauen in ihren weißen Sommer-Uniformen, und ich fühlte mich mit einem Stich der Nostalgie an meinen Urlaub mit Dieter in Hamburg erinnert.
Jener Offizier nun, nachdem er meine Papiere kontrolliert und sich mein Vorhaben angehört hatte, zeigte sich voll Sympathie und Verständnis und verwies mich auf den nahegelegenen Horst eines Küstenfliegergeschwaders, von dort solle noch am selben Tage ein Flugzeug zu einem Erkundungsfluge abgehen, welches in Baku zum Auftanken einen Aufenthalt nehmen würde. Solchermaßen weitergewiesen, lenkte ich nun mit frisch beflügeltem Sinn meine Schritte zum bezeichneten Orte und wurde auch wahrhaftig zum Einsatzoffizier jenes Geschwaders vorgelassen, welcher es sich nicht nehmen ließ, mich wie eine Originalität herumzuzeigen, mich jedoch letzten Endes persönlich zu der Besatzung geleitete, welche den bewussten Flug vornehmen sollte und bereits mit den Vorbereitungen befasst war, ich war also gerade noch rechtzeitig eingetroffen.
Die deutschen Seeflieger erwiesen sich nun als überaus freundliche Burschen, welche mich sogleich herzlich begrüßten und sich bereit erklärten, mich als außerplanmäßigen Fluggast zu befördern. Die Maschine, eine dreimotorige, gar absonderlich anzuschauende BV 138 MS „Seedrache“, von den Deutschen ob ihrer eigentümlichen Form „fliegender Holzschuh“ genannt, sollte vor der Westküste, insbesondere vor dem Hafen von Baku, nach Seeminen suchen, welche die Engländer wohl des Nachts von Flugzeugen aus in großer Zahl an Fallschirmen abwarfen, um den Tankschiffsverkehr zu stören.
„Verdienen musst du dir deinen Flug allerdings schon, Kamerad“, klärte mich der Flugzeugführer auf, „du lässt dich am oberen Maschinengewehr-Stand einweisen, und wenn ein Jäger kommt, rotzt du ihm den Laden nach Strich und Faden voll.“ Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass vereinzelt immer wieder russische und englische Moskito-Maschinen über dem westlichen Meer auftauchten und den deutschen Seeaufklärern das Leben sauer machten. „Dafür revanchieren wir uns jedes Mal und pflanzen den Brüdern ein paar eigene Minen in die Einfahrten oder ballern einen von denen aus dem Himmel. So läuft das ganze, traurige Spielchen hier, mal holen die einen von uns runter, dann wir wieder einen von denen, und gelegentlich fischen wir sogar mal eine in den Bach gegangene Besatzung auf, mal von unserer Seite, mal von deren. Die Engländer bewahren sich dabei sogar noch sowas wie Fair Play und schießen nicht auf unsere Suchflugzeuge, aber die Iwans richten sich ja nach nichts…“
Angesichts solcher Aussichten erschien mir der angebotene Flug ganz plötzlich gar nicht mehr so verlockend, doch konnte ich nun schwerlich einen Rückzieher machen, ohne mich selbst der Lächerlichkeit und dem Vorwurf der Feigheit auszusetzen, also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und kletterte mit meinen Habseligkeiten an Bord, wenngleich ich es mit einem durchaus flauen Gefühl tat, und ich will nicht verhehlen, dass ich während des ganzen Fluges trotz der durchaus kühlen und zugigen Zustände in der offenen Kanzel in meiner Fliegerkombination gehörig schwitzte. Bei jedem abrupten Flugmanöver vermeinte ich, im nächsten Moment einen auf uns herabstoßenden Jäger zu erblicken und es ergriff mich eine beträchtliche Furcht, zudem wurde ich streckenweise gehörig luftkrank und übergab mich mehrfach, so dass ich am glücklichen Ende des Fluges an allen Gliedern schlotternd und als ein Häufchen Elend wieder die Füße an Land setzte, nachdem wir vor Baku auf das Wasser gegangen waren und an einem Nebenkai des umfangreichen Militärhafens festgemacht hatten, und ich konnte kaum mit meinem Tornister aufrecht stehen, ganz zur Belustigung der Hafenarbeiter, welche das Flugboot vertäuen halfen.
Einen gewissen gutmütigen, raubeinigen Spott angesichts meines Zustandes musste ich immerhin über mich ergehen lassen, der mir jedoch mit einem tiefen Zug aus einer Likörflasche versüßt wurde, welche mir einer der Bordwarte reichte. „Hast dich eigentlich ganz gut gehalten, Kerl, für einen Stoppelhopser jedenfalls.“
[...] Fortsetzung folgt.
Liebe Jennifer,
mit großem Bedauern habe ich die Nachricht vom Tod unseres letzten Präsidenten vernommen. Dieser brave Mann ist wahrhaftig zu bedauern, dass er das Los der Niederlage unserer großen Nation auf seine Schultern laden musste, und wenn es stimmt, was der Rundfunk berichtet hat, dann ist er friedlich im Exil auf seinem Landgut gestorben, während es so vielen unserer Landsleute dieser Tage dank der Umtriebe der Separatisten nicht einmal vergönnt ist, in Frieden zu leben.
Vielleicht hätte viel Zwietracht unter den Stämmen unseres Volkes vermieden werden können, wenn Roosevelt bereit gewesen wäre, zur nationalen Einigkeit und zum Gewaltverzicht aufzurufen und die Separatisten an den Verhandlungstisch zu befehlen, es war dies jedoch ein Akt, dem er sich zu seinen Lebzeiten stets verweigert hat, da er immer noch an eine Wiederbefreiung unserer Nation durch ihre Hände glaubte, so wie sie ihn im Gegenzug bis zuletzt als das rechtmäßige Staatsoberhaupt angesehen hatten.
Und doch muss er zuletzt ein gebrochener Mann gewesen sein, seit er seine Unterschrift unter die Waffenstillstandsurkunde zu setzen und seine Präsidentschaft an das neue Zivilgouvernement abzutreten gezwungen war, zudem noch ausgezehrt durch seine Krankheit und angewidert durch die barbarischen Methoden der Separatisten und die von ihnen zu verantwortenden Blutbäder.
Nun, sei es wie es sei, wenn man den Proklamationen der Separatisten Glauben schenken will, dann hat nun ihr Kriegskonzil unter der Führung MacArthurs die politische Würde der amerikanischen Präsidentschaft für sich in Anspruch genommen und eine Exilregierung gebildet, welche nach ihren eigenen Worten „die Gefolgschaft aller freiheitlich gesinnten Amerikaner“ für sich reklamiert. Es ist dies freilich ein vermessener Anspruch, denn damit unterstellen sie gleichzeitig, dass Roosevelts Unterschrift unter dem Waffenstillstand keine Gültigkeit besäße, obgleich es sich um seinen allerletzten präsidentiellen Staatsakt handelt. Auch usurpieren sie damit für sich eine Rechtmäßigkeit, die ihnen in keinem Falle zusteht, denn um die Nachfolge der Präsidentschaft anzutreten fehlt ihnen jegliche staatliche Legitimation, ja trotz aller hochtrabenden Titel, die sie sich selbst zu verleihen gedacht haben, sind sie doch in Wahrheit nicht mehr als ein Haufen von Banditen und Freischärlern, welche das Blut ihrer eigenen Landsleute vergießen, und sie schmähen das Andenken unseres verstorbenen Präsidenten, indem sie seinen Namen im unmittelbaren Zusammenhang mit ihren verabscheuungswürdigen Umtrieben gebrauchen.
Mein Antrag auf Rückübernahme in den aktiven Frontdienst ist von den Ärzten in Bausch und Bogen abgelehnt worden, ich gelte aufgrund meiner nur langsam verheilenden Blessuren und meiner anhaltenden Pneumonie nach wie vor als nicht frontverwendungsfähig, also lässt man mich nicht zu meiner Einheit zurückkehren. Doch konnte ich nach persönlicher, eindringlicher Vorsprache bei unserem leitenden Stationsarzt eine Kompromisslösung erwirken: ich wurde zur Förderung meiner Genesung zum leichten Dienst in einer Einheit des rückwärtigen Raumes abgestellt und konnte so zumindest den bedrückenden Lebensumständen des Lazaretts entgehen.
Allerdings vermochte ich mir nun beileibe nicht auszumalen, wo ein solcher leichter Dienst vonstattengehen sollte, wenn man bedenkt, dass im rückwärtigen Heeresgebiet mittlerweile eine heillose Unordnung herrscht und in manchen Abschnitten regelrecht chaotische Zustände ausgebrochen sind, da das schwelende Feuer der gebietsweisen Unruhen und Aufstände durch die anhaltenden Bandenaktivitäten neue Nahrung erhalten hat.
Du vermagst dir vielleicht meine Überraschung vorzustellen, als ich mir vor acht Tagen aus der Schreibstube meine Entlassungs- und Reisepapiere nebst meinem Marschbefehl abholte und auf der Zeile „Marschziel“ den Vermerk „Chalus, Persien“ vorfand.
Persien hat nun beileibe noch nicht kapituliert, wenn auch das Unvermeidliche nicht mehr aufzuhalten scheint. Die deutschen Divisionen des Ersten Gebirgskorps haben Teheran erreicht und stoßen weiter nach Osten und Süden in Richtung der Golfküste, nach Bandar-Abbas und in die offene Wüste zu den Grenzen Indiens und Afghanistans vor, die Reste der persischen Armee befinden sich größtenteils in Auflösung, Reza Pahlavi Schah und sein Kabinett sind geflohen. Und trotz aller Erfolgsmeldungen hatte ich keineswegs daran gedacht, in jenen Landstrich südlich des kaspischen Meeres eines Tages einmal leibhaftig meinen Fuß zu setzen, dessen Name für das Ohr des westlichen Kulturmenschen stets ein Unterton des Wilden, des Geheimnisvollen, des Mystischen anhaftet, ein Land aus Tausendundeiner Nacht. Nun sollte es also soweit sein, jener dürre, maschinenschriftliche Vermerk auf meinem Marschpass machte das Unverhoffte so unversehens zu einer Tatsache, die noch darauf wartete, in die Realität zu treten.
Zunächst jedoch erwartete mich die nicht geringe Schwierigkeit, an meinen Bestimmungsort zu gelangen, und das hieß, mich den katastrophalen und keinesfalls sicheren Verkehrsbedingungen im rückwärtigen Heeresgebiet von Wolgograd auszusetzen.
Per Zug gelangte ich zunächst relativ unbehelligt von Wolgograd aus nach Astrakhan, von wo aus ich einen Anschluss in südlicher Richtung über Baku hätte nehmen sollen, ich rechnete mir gute Aussichten aus, von dort mit einer Versorgungskolonne oder einem Transportflugzeug weiter zu kommen, doch hätte meine Reise beinahe bereits in Astrakhan ein zeitweiliges Ende genommen. „Die Bahnstrecke nach Baku ist gesperrt“, wurde mir von Streckenposten der Transportpolizei beschieden, „Angriff durch britische Bombenflieger. Die Reparatur dauert mindestens vier Tage.“
Dies war nun natürlich eine herbe Hiobsbotschaft, doch hatte ich in meinem Tatendrang Glück im Unglück: bei meinen Nachforschungen und Erkundigungen nach alternativen Möglichkeiten des Fortkommens geriet ich unverhofft an eine Streife der Küstenpolizei der Kriegsmarine, einen Offizier und zwei Matrosen, durchaus schmuck anzuschauen in ihren weißen Sommer-Uniformen, und ich fühlte mich mit einem Stich der Nostalgie an meinen Urlaub mit Dieter in Hamburg erinnert.
Jener Offizier nun, nachdem er meine Papiere kontrolliert und sich mein Vorhaben angehört hatte, zeigte sich voll Sympathie und Verständnis und verwies mich auf den nahegelegenen Horst eines Küstenfliegergeschwaders, von dort solle noch am selben Tage ein Flugzeug zu einem Erkundungsfluge abgehen, welches in Baku zum Auftanken einen Aufenthalt nehmen würde. Solchermaßen weitergewiesen, lenkte ich nun mit frisch beflügeltem Sinn meine Schritte zum bezeichneten Orte und wurde auch wahrhaftig zum Einsatzoffizier jenes Geschwaders vorgelassen, welcher es sich nicht nehmen ließ, mich wie eine Originalität herumzuzeigen, mich jedoch letzten Endes persönlich zu der Besatzung geleitete, welche den bewussten Flug vornehmen sollte und bereits mit den Vorbereitungen befasst war, ich war also gerade noch rechtzeitig eingetroffen.
Die deutschen Seeflieger erwiesen sich nun als überaus freundliche Burschen, welche mich sogleich herzlich begrüßten und sich bereit erklärten, mich als außerplanmäßigen Fluggast zu befördern. Die Maschine, eine dreimotorige, gar absonderlich anzuschauende BV 138 MS „Seedrache“, von den Deutschen ob ihrer eigentümlichen Form „fliegender Holzschuh“ genannt, sollte vor der Westküste, insbesondere vor dem Hafen von Baku, nach Seeminen suchen, welche die Engländer wohl des Nachts von Flugzeugen aus in großer Zahl an Fallschirmen abwarfen, um den Tankschiffsverkehr zu stören.
„Verdienen musst du dir deinen Flug allerdings schon, Kamerad“, klärte mich der Flugzeugführer auf, „du lässt dich am oberen Maschinengewehr-Stand einweisen, und wenn ein Jäger kommt, rotzt du ihm den Laden nach Strich und Faden voll.“ Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass vereinzelt immer wieder russische und englische Moskito-Maschinen über dem westlichen Meer auftauchten und den deutschen Seeaufklärern das Leben sauer machten. „Dafür revanchieren wir uns jedes Mal und pflanzen den Brüdern ein paar eigene Minen in die Einfahrten oder ballern einen von denen aus dem Himmel. So läuft das ganze, traurige Spielchen hier, mal holen die einen von uns runter, dann wir wieder einen von denen, und gelegentlich fischen wir sogar mal eine in den Bach gegangene Besatzung auf, mal von unserer Seite, mal von deren. Die Engländer bewahren sich dabei sogar noch sowas wie Fair Play und schießen nicht auf unsere Suchflugzeuge, aber die Iwans richten sich ja nach nichts…“
Angesichts solcher Aussichten erschien mir der angebotene Flug ganz plötzlich gar nicht mehr so verlockend, doch konnte ich nun schwerlich einen Rückzieher machen, ohne mich selbst der Lächerlichkeit und dem Vorwurf der Feigheit auszusetzen, also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und kletterte mit meinen Habseligkeiten an Bord, wenngleich ich es mit einem durchaus flauen Gefühl tat, und ich will nicht verhehlen, dass ich während des ganzen Fluges trotz der durchaus kühlen und zugigen Zustände in der offenen Kanzel in meiner Fliegerkombination gehörig schwitzte. Bei jedem abrupten Flugmanöver vermeinte ich, im nächsten Moment einen auf uns herabstoßenden Jäger zu erblicken und es ergriff mich eine beträchtliche Furcht, zudem wurde ich streckenweise gehörig luftkrank und übergab mich mehrfach, so dass ich am glücklichen Ende des Fluges an allen Gliedern schlotternd und als ein Häufchen Elend wieder die Füße an Land setzte, nachdem wir vor Baku auf das Wasser gegangen waren und an einem Nebenkai des umfangreichen Militärhafens festgemacht hatten, und ich konnte kaum mit meinem Tornister aufrecht stehen, ganz zur Belustigung der Hafenarbeiter, welche das Flugboot vertäuen halfen.
Einen gewissen gutmütigen, raubeinigen Spott angesichts meines Zustandes musste ich immerhin über mich ergehen lassen, der mir jedoch mit einem tiefen Zug aus einer Likörflasche versüßt wurde, welche mir einer der Bordwarte reichte. „Hast dich eigentlich ganz gut gehalten, Kerl, für einen Stoppelhopser jedenfalls.“
[...] Fortsetzung folgt.