Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Junge Leute Niedersachsen
391 Mitglieder
zum Thema
Sind erotische E-Mails und Briefe bereits Untreue?88
Seit einiger Zeit tausche ich mit einem Mann erotische Fantasien über…
zum Thema
HEisse Briefe71
Also und würde interessieren ob ihr euren Partner schon mal heisse…
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

BRIEFE AUS ANDERZEITLAND, TEIL 1

*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Persien, Provinz Chalus, den 22. Juni 1945

Liebe Jennifer,

mit großem Bedauern habe ich die Nachricht vom Tod unseres letzten Präsidenten vernommen. Dieser brave Mann ist wahrhaftig zu bedauern, dass er das Los der Niederlage unserer großen Nation auf seine Schultern laden musste, und wenn es stimmt, was der Rundfunk berichtet hat, dann ist er friedlich im Exil auf seinem Landgut gestorben, während es so vielen unserer Landsleute dieser Tage dank der Umtriebe der Separatisten nicht einmal vergönnt ist, in Frieden zu leben.

Vielleicht hätte viel Zwietracht unter den Stämmen unseres Volkes vermieden werden können, wenn Roosevelt bereit gewesen wäre, zur nationalen Einigkeit und zum Gewaltverzicht aufzurufen und die Separatisten an den Verhandlungstisch zu befehlen, es war dies jedoch ein Akt, dem er sich zu seinen Lebzeiten stets verweigert hat, da er immer noch an eine Wiederbefreiung unserer Nation durch ihre Hände glaubte, so wie sie ihn im Gegenzug bis zuletzt als das rechtmäßige Staatsoberhaupt angesehen hatten.
Und doch muss er zuletzt ein gebrochener Mann gewesen sein, seit er seine Unterschrift unter die Waffenstillstandsurkunde zu setzen und seine Präsidentschaft an das neue Zivilgouvernement abzutreten gezwungen war, zudem noch ausgezehrt durch seine Krankheit und angewidert durch die barbarischen Methoden der Separatisten und die von ihnen zu verantwortenden Blutbäder.

Nun, sei es wie es sei, wenn man den Proklamationen der Separatisten Glauben schenken will, dann hat nun ihr Kriegskonzil unter der Führung MacArthurs die politische Würde der amerikanischen Präsidentschaft für sich in Anspruch genommen und eine Exilregierung gebildet, welche nach ihren eigenen Worten „die Gefolgschaft aller freiheitlich gesinnten Amerikaner“ für sich reklamiert. Es ist dies freilich ein vermessener Anspruch, denn damit unterstellen sie gleichzeitig, dass Roosevelts Unterschrift unter dem Waffenstillstand keine Gültigkeit besäße, obgleich es sich um seinen allerletzten präsidentiellen Staatsakt handelt. Auch usurpieren sie damit für sich eine Rechtmäßigkeit, die ihnen in keinem Falle zusteht, denn um die Nachfolge der Präsidentschaft anzutreten fehlt ihnen jegliche staatliche Legitimation, ja trotz aller hochtrabenden Titel, die sie sich selbst zu verleihen gedacht haben, sind sie doch in Wahrheit nicht mehr als ein Haufen von Banditen und Freischärlern, welche das Blut ihrer eigenen Landsleute vergießen, und sie schmähen das Andenken unseres verstorbenen Präsidenten, indem sie seinen Namen im unmittelbaren Zusammenhang mit ihren verabscheuungswürdigen Umtrieben gebrauchen.

Mein Antrag auf Rückübernahme in den aktiven Frontdienst ist von den Ärzten in Bausch und Bogen abgelehnt worden, ich gelte aufgrund meiner nur langsam verheilenden Blessuren und meiner anhaltenden Pneumonie nach wie vor als nicht frontverwendungsfähig, also lässt man mich nicht zu meiner Einheit zurückkehren. Doch konnte ich nach persönlicher, eindringlicher Vorsprache bei unserem leitenden Stationsarzt eine Kompromisslösung erwirken: ich wurde zur Förderung meiner Genesung zum leichten Dienst in einer Einheit des rückwärtigen Raumes abgestellt und konnte so zumindest den bedrückenden Lebensumständen des Lazaretts entgehen.
Allerdings vermochte ich mir nun beileibe nicht auszumalen, wo ein solcher leichter Dienst vonstattengehen sollte, wenn man bedenkt, dass im rückwärtigen Heeresgebiet mittlerweile eine heillose Unordnung herrscht und in manchen Abschnitten regelrecht chaotische Zustände ausgebrochen sind, da das schwelende Feuer der gebietsweisen Unruhen und Aufstände durch die anhaltenden Bandenaktivitäten neue Nahrung erhalten hat.

Du vermagst dir vielleicht meine Überraschung vorzustellen, als ich mir vor acht Tagen aus der Schreibstube meine Entlassungs- und Reisepapiere nebst meinem Marschbefehl abholte und auf der Zeile „Marschziel“ den Vermerk „Chalus, Persien“ vorfand.

Persien hat nun beileibe noch nicht kapituliert, wenn auch das Unvermeidliche nicht mehr aufzuhalten scheint. Die deutschen Divisionen des Ersten Gebirgskorps haben Teheran erreicht und stoßen weiter nach Osten und Süden in Richtung der Golfküste, nach Bandar-Abbas und in die offene Wüste zu den Grenzen Indiens und Afghanistans vor, die Reste der persischen Armee befinden sich größtenteils in Auflösung, Reza Pahlavi Schah und sein Kabinett sind geflohen. Und trotz aller Erfolgsmeldungen hatte ich keineswegs daran gedacht, in jenen Landstrich südlich des kaspischen Meeres eines Tages einmal leibhaftig meinen Fuß zu setzen, dessen Name für das Ohr des westlichen Kulturmenschen stets ein Unterton des Wilden, des Geheimnisvollen, des Mystischen anhaftet, ein Land aus Tausendundeiner Nacht. Nun sollte es also soweit sein, jener dürre, maschinenschriftliche Vermerk auf meinem Marschpass machte das Unverhoffte so unversehens zu einer Tatsache, die noch darauf wartete, in die Realität zu treten.

Zunächst jedoch erwartete mich die nicht geringe Schwierigkeit, an meinen Bestimmungsort zu gelangen, und das hieß, mich den katastrophalen und keinesfalls sicheren Verkehrsbedingungen im rückwärtigen Heeresgebiet von Wolgograd auszusetzen.
Per Zug gelangte ich zunächst relativ unbehelligt von Wolgograd aus nach Astrakhan, von wo aus ich einen Anschluss in südlicher Richtung über Baku hätte nehmen sollen, ich rechnete mir gute Aussichten aus, von dort mit einer Versorgungskolonne oder einem Transportflugzeug weiter zu kommen, doch hätte meine Reise beinahe bereits in Astrakhan ein zeitweiliges Ende genommen. „Die Bahnstrecke nach Baku ist gesperrt“, wurde mir von Streckenposten der Transportpolizei beschieden, „Angriff durch britische Bombenflieger. Die Reparatur dauert mindestens vier Tage.“

Dies war nun natürlich eine herbe Hiobsbotschaft, doch hatte ich in meinem Tatendrang Glück im Unglück: bei meinen Nachforschungen und Erkundigungen nach alternativen Möglichkeiten des Fortkommens geriet ich unverhofft an eine Streife der Küstenpolizei der Kriegsmarine, einen Offizier und zwei Matrosen, durchaus schmuck anzuschauen in ihren weißen Sommer-Uniformen, und ich fühlte mich mit einem Stich der Nostalgie an meinen Urlaub mit Dieter in Hamburg erinnert.

Jener Offizier nun, nachdem er meine Papiere kontrolliert und sich mein Vorhaben angehört hatte, zeigte sich voll Sympathie und Verständnis und verwies mich auf den nahegelegenen Horst eines Küstenfliegergeschwaders, von dort solle noch am selben Tage ein Flugzeug zu einem Erkundungsfluge abgehen, welches in Baku zum Auftanken einen Aufenthalt nehmen würde. Solchermaßen weitergewiesen, lenkte ich nun mit frisch beflügeltem Sinn meine Schritte zum bezeichneten Orte und wurde auch wahrhaftig zum Einsatzoffizier jenes Geschwaders vorgelassen, welcher es sich nicht nehmen ließ, mich wie eine Originalität herumzuzeigen, mich jedoch letzten Endes persönlich zu der Besatzung geleitete, welche den bewussten Flug vornehmen sollte und bereits mit den Vorbereitungen befasst war, ich war also gerade noch rechtzeitig eingetroffen.

Die deutschen Seeflieger erwiesen sich nun als überaus freundliche Burschen, welche mich sogleich herzlich begrüßten und sich bereit erklärten, mich als außerplanmäßigen Fluggast zu befördern. Die Maschine, eine dreimotorige, gar absonderlich anzuschauende BV 138 MS „Seedrache“, von den Deutschen ob ihrer eigentümlichen Form „fliegender Holzschuh“ genannt, sollte vor der Westküste, insbesondere vor dem Hafen von Baku, nach Seeminen suchen, welche die Engländer wohl des Nachts von Flugzeugen aus in großer Zahl an Fallschirmen abwarfen, um den Tankschiffsverkehr zu stören.
„Verdienen musst du dir deinen Flug allerdings schon, Kamerad“, klärte mich der Flugzeugführer auf, „du lässt dich am oberen Maschinengewehr-Stand einweisen, und wenn ein Jäger kommt, rotzt du ihm den Laden nach Strich und Faden voll.“ Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass vereinzelt immer wieder russische und englische Moskito-Maschinen über dem westlichen Meer auftauchten und den deutschen Seeaufklärern das Leben sauer machten. „Dafür revanchieren wir uns jedes Mal und pflanzen den Brüdern ein paar eigene Minen in die Einfahrten oder ballern einen von denen aus dem Himmel. So läuft das ganze, traurige Spielchen hier, mal holen die einen von uns runter, dann wir wieder einen von denen, und gelegentlich fischen wir sogar mal eine in den Bach gegangene Besatzung auf, mal von unserer Seite, mal von deren. Die Engländer bewahren sich dabei sogar noch sowas wie Fair Play und schießen nicht auf unsere Suchflugzeuge, aber die Iwans richten sich ja nach nichts…“

Angesichts solcher Aussichten erschien mir der angebotene Flug ganz plötzlich gar nicht mehr so verlockend, doch konnte ich nun schwerlich einen Rückzieher machen, ohne mich selbst der Lächerlichkeit und dem Vorwurf der Feigheit auszusetzen, also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und kletterte mit meinen Habseligkeiten an Bord, wenngleich ich es mit einem durchaus flauen Gefühl tat, und ich will nicht verhehlen, dass ich während des ganzen Fluges trotz der durchaus kühlen und zugigen Zustände in der offenen Kanzel in meiner Fliegerkombination gehörig schwitzte. Bei jedem abrupten Flugmanöver vermeinte ich, im nächsten Moment einen auf uns herabstoßenden Jäger zu erblicken und es ergriff mich eine beträchtliche Furcht, zudem wurde ich streckenweise gehörig luftkrank und übergab mich mehrfach, so dass ich am glücklichen Ende des Fluges an allen Gliedern schlotternd und als ein Häufchen Elend wieder die Füße an Land setzte, nachdem wir vor Baku auf das Wasser gegangen waren und an einem Nebenkai des umfangreichen Militärhafens festgemacht hatten, und ich konnte kaum mit meinem Tornister aufrecht stehen, ganz zur Belustigung der Hafenarbeiter, welche das Flugboot vertäuen halfen.

Einen gewissen gutmütigen, raubeinigen Spott angesichts meines Zustandes musste ich immerhin über mich ergehen lassen, der mir jedoch mit einem tiefen Zug aus einer Likörflasche versüßt wurde, welche mir einer der Bordwarte reichte. „Hast dich eigentlich ganz gut gehalten, Kerl, für einen Stoppelhopser jedenfalls.“

[...] Fortsetzung folgt.
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Nach längerer schöpferischer Pause inklusive Jahresurlaub geht es nun weiter mit "Karls kleiner Weltreise". Ich wünsche weiterhin viel Vergnügen beim Lesen.

[...] Fortsetzung:

„Hast dich eigentlich ganz gut gehalten, Kerl, für einen Stoppelhopser jedenfalls. Sag Bescheid, wenn du mal wieder eine Tour mitfliegen willst. Vorausgesetzt natürlich, wir sind bis dahin noch nicht über den Jordan gewandert.“

So nahm ich, mit einem Kloß im Hals, von diesen braven, schicksalsergebenen Kerlen Abschied, die hier am Ende der Welt einen einsamen und undankbaren Dienst verrichten, und setzte meinen eigenen einsamen Weg fort.
Der riesige Hafen, eingebettet zwischen den Inseln des Baku-Archipels im Osten und der Halbinsel Absheron im Norden mit ihren Küstenforts, Flak-Sperrbatterien und Funkmess-Anlagen, mit der geschäftigen Stadt Baku im Hintergrund, bot mir einen überaus beeindruckenden Anblick. Er unterteilt sich in den Ölhafen und den Kriegshafen, von denen der Ölhafen den weitaus größeren Raum einnimmt und mit hochmodernen Anlagen ausgerüstet ist, sehr ähnlich denen, welche ich in Hamburg und Wilhelmshaven bestaunen durfte, und an seinen langgestreckten Verladepiers liegen unter scharfer Sicherung durch schwere Flak und Raketen große Öltankschiffe vertäut. Auch haben die Deutschen am Ufer mehrere gigantische Bunkeranlagen errichtet, die eine ganze Strecke in das Wasser hinein reichen und unter deren meterdicken Decken ganze Schiffe bei einer drohenden Gefahr Schutz finden können, auch liegen darin die Trockendocks und sonstige Anlagen zur Reparatur und Instandsetzung.

Auf meiner Suche nach einem geeigneten Mittel zu meiner weiteren Reise sprach ich bei der Hafenkommandantur vor und erhielt, nach Vorlage meiner Reisepapiere, auch eine günstige Auskunft: am nächsten Morgen sollte eine Gruppe von Schnellbooten zu einer Patrouillenfahrt entlang der Südküste des kaspischen Meeres auslaufen. Nach einigen Telefonaten konnte mir der diensthabende Offizier mitteilen, ich könnte mich auf einem dieser Boote einschiffen und würde bei Chalus an Land gesetzt werden. Mein Glücksstern schien mir also weiterhin hold zu sein.

Der wortkarge, jedoch in seiner Dienstverrichtung durchaus gründliche Offizier hieß mich nun, bei der örtlichen Matrosen-Division Unterkunft zu nehmen und ließ mir, während ich wartete, durch seinen Schreiber auch die erforderlichen Pässe ausstellen mit denen ich durch die überaus scharfen Sicherheitssperren gelangen würde, erfreulicherweise erhielt ich auch ohne Nachfrage von ihm Gutscheine für Truppenverpflegung und Kantinenwaren, welche mir aufgrund meiner Reisepapiere bei mehrtägigen Reisen zustanden, sofern die örtlichen Stellen darüber verfügen. Es scheint mir so, dass die Herren Deutschen es recht sorgfältig halten mit ihrer Gastfreundschaft, sie legen es klugerweise in die eigenverantwortliche Entscheidung der einzelnen Stationen entlang der Reiseroute, den reisenden Soldaten nach ihrem eigenen Vermögen zu versorgen und mit Wegzehrung auszustatten.

Mich nach der Wegweisung richtend, welche ich zum Abschied erhielt, gelangte ich nach dem Passieren mehrerer Kontrollpunkte schließlich in den Quartierbereich, welcher mir für die Nacht zur Herberge werden sollte, einen mit Drahtsperren, Sandsack-Stellungen und Wachtürmen schon an der Zufahrtstraße scharf gesicherten Wohnblock aus leuchtend roten Ziegelsteinen, über dessen Eingangstür kyrillische Schriftzeichen darauf hindeuteten, dass ihn dereinst die Sowjets erbaut hatten.

Auf meine Nachfrage wies mir der auf Posten stehende Matrose an der Pforte den weiteren Weg, auch erklärte er mir den Grund für die umfangreichen Maßregeln der Sicherung: selbst hier, am Ufer des kaspischen Meeres hat wohl bereits die Seuche des mörderischen Wahnsinns um sich gegriffen, welche die Separatisten in die Welt gesetzt haben, als sie den Dynamit-Gürtel und die Automobil-Bombe erfanden, und die russischen Partisanenbanden machen von diesen verabscheuungswürdigen Instrumenten des Terrors mit einer unglaublichen Menschenverachtung Gebrauch.

Der telefonisch herbeigerufene Bootsmann der Wache nahm sich nun meiner an, er erwies sich erfreut, in mir einen Amerikaner zu erkennen, kaum hatte er die Landesflagge auf meinem Ärmel erspäht, so versuchte er sich in einer Begrüßung in der englischen Sprache, welche ihm recht holprig gelang, mich jedoch angesichts seiner Höflichkeit über die Maßen erfreute. Da erwies es sich zu meiner eigenen freudigen Überraschung, dass er auf seinen Reisen vor dem Kriege gar mein geliebtes Boston besucht hatte, um von dort aus um das Kap zu segeln, so fragte er mich dies und jenes über die Zustände dort, worauf ich ihm nach bestem Wissen Auskunft gab, auch bot er mir Zigaretten an, während er mich zu meinem Nachtquartier führte, und er ließ es sich nicht nehmen, mir persönlich den Speisesaal, das Soldatenheim der Unteroffiziere und den Luftschutzbunker zu zeigen. Letzteres erwies sich als eine bittere Notwendigkeit und führte im Folgenden zu einer für mich durchaus neuartigen Erfahrung.

Ich hatte des Abends noch in der Sanitätsstation meine Verbände wechseln lassen und danach in dem gemütlichen Soldatenheim einige wohl verdiente Biere genossen, doch kaum hatte ich mein müdes Haupt zur Ruhe gebettet, da wurde ich schpn wieder durch die durchdringende Sirene des Flieger-Alarms geweckt, in deren Ton sich sogleich das Fluchen von Männern, das Schlagen von Türen und das Trampeln von Schritten auf den Gängen mischte.

Auch ich beeilte mich sogleich, mir die Hose überzuwerfen und in die Schuhe zu steigen, mit Hemd und Jacke in den Händen und meinem Helm auf dem Kopfe eilte ich hastig die Treppe hinab, in der Stromschnelle von in gleicher Weise halb bekleideten Kameraden mit schwimmend, und kaum hatte ich den Schutzraum erreicht und mich auf eine der Bänke fallen lassen, da grollte in einiger Entfernung auch schon das Donnerrollen der schweren, bunkerfesten Flak-Artillerie los, welches wie ein fortwährendes Unwetter klingt, so massiv und volltönend, wie ich es noch nie erlebt hatte.
Der Angriff selbst dauerte wohl eine gute halbe Stunde und focht mich, der ich russisches Trommelfeuer über mich hatte ergehen lassen müssen, nicht über die Maßen an, so dass ich in der von den vielen eng zusammengedrängten Körpern ausgehenden Wärme und der stickigen Luft zum Erstaunen meiner Banknachbarn durchaus nach einer kurzen Weile wieder eindöste und fast den gesamten Angriff in gänzlich un-martialischer Friedlichkeit und Seelenruhe verschlief, bis ich von der allgemeinen Unruhe geweckt wurde, die entstand, als nach dem Entwarnungssignale die übrigen Kameraden in ihre Schlafstuben zurückkehrten.

Erstaunlicherweise musste die Geschichte von meinem unbekümmerten Nickerchen im Keller noch während der Nacht oder in aller Frühe die Runde gemacht haben, denn als ich am nächsten Morgen den Speiseraum der Unteroffiziere betrat, um mein Frühstück einzunehmen, da wurde ich von den anwesenden Bootsmännern, ganz zu meiner eigenen Verlegenheit, mit einigem Hallo begrüßt und erhielt den Ehrenplatz am Tisch des Messe-Vorsitzenden zugewiesen, wo ich nicht nur herzhaft bewirtet, sondern auch durchaus eindringlich nach meinen Front-Erfahrungen ausgefragt wurde. Ich gab eher verhalten Auskunft, da ich nicht als Prahlhans gelten wollte, war jedoch durchaus angetan von der Herzlichkeit und dem raubeinigen Humor der Seeleute, und ganz nebenbei erfuhr ich allerlei interessante Details der aktuellen Lage im karibischen Meere, welche in mir die gute Hoffnung weckten, dass ein Ende der dortigen amphibischen Kampfhandlungen in Bälde erreicht sein wird.

Als Abschiedsgeschenk erhielt ich einen Stoß frischer Zeitungen mit, die eine Ordonnanz eigens für mich beibringen musste, und dann geleitete mich einer der Bootsmänner hinunter in den Hafen und lieferte mich direkt an dem Liegeplatze von „S862“ ab, jenem Schnellboote, mit welchem ich meine Weiterreise nach meinem Bestimmungsorte zu antreten sollte, und auch an Bord wurde ich von den deutschen Matrosen freundlich aufgenommen. Anscheinend war mir mein Ruf der vergangenen Nacht bereits vorausgeeilt, denn ich musste einige freundlich gemeinte Scherze und reichliches Schulterklopfen über mich ergehen lassen, während man mir einen Lagerplatz an Oberdeck zuwies, nachdem ich vom Kommandanten und dem diensthabenden Wachoffizier willkommen geheißen worden war, und kaum hatte ich mein Gepäck abgelegt, als das Vibrieren der Decksplanken und das Aufschäumen des Wassers unter dem hinteren Ende des Schnellbootes unseren alsbaldigen Aufbruch ankündigte.

Da ich bislang nur äußerst selten die Gelegenheit gehabt hatte, eine Seereise zu machen und die Überfahrt nach dem europäischen Kontinent zum größten Teil unter Deck zugebracht hatte, bat ich mir sogleich die Erlaubnis aus, mich auf dem offenen Steuerstande aufzuhalten, von welchem aus der Wachoffizier seine Befehle erteilte. Dies wurde mir freundlicherweise gewährt, so dass ich einen vorzüglichen Rundumblick genoss und vom frischen Seewinde eine angenehme und durchaus notwendige Kühlung erfuhr, denn während die deutschen Matrosen in ihren weißen und khakifarbenen leichten Sommerhemden und kurzen Hosen an Oberdeck einhergingen, schwitzte ich in meiner groben, grauen Felduniform beträchtlich, so dass ich mich baldigst meiner Jacke entledigte.

Mit uns verließ noch ein weiteres Schnellboot den Hafen, die „S753“. Gemeinsam mit ihr und zwei Räumbooten würde „S862“ einen kleinen Verband bilden, welcher ein Versorgungsschiff nach der persischen Küste geleiten sollte. Der Versorger, ein sichtlich veraltetes, ehemals in russischem Besitz befindliches Frachtschiff, wartete jenseits der Ausfahrt und begrüßte uns durch das Dippen seiner Flagge und den durchdringenden Ton seiner Dampfpfeife, und in Bälde setzte sich unser kleines Geleit in Marsch nach dem Süden.
Unsere Reise währte den ganzen Tag über, und ich genoss es, mir die salzige Luft um die Nase wehen zu lassen, den Geruch einer fremden Küste in meine Lungen zu saugen, und ich fühlte mich in die Zeit meiner Jugend zurückversetzt. Bald stand die Sonne hoch am Himmel und brannte auf uns hernieder, so dass, als die Matrosen sich bald ihrer Hemden entledigten und ihre Arbeiten an Deck mit entblößtem Oberkörper verrichteten, ich um die Erlaubnis bat, ein Gleiches tun zu dürfen, und die Sonne auf meiner bloßen Haut, welche ihre lebensspendenden Strahlen so lange entbehrt hatte, tat mir wohl, während ich es mir an Oberdeck recht bequem machte und meine Zeitungen las, wobei ich natürlich den Berichten vom karibischen Schauplatze und aus den Vereinigten Staaten besondere Aufmerksamkeit schenkte.

Erste Kontingente der 7. Leichten Infanteriedivision sollen den neuesten Meldungen zufolge bereits von Guyana aus mit beachtlichem Erfolg in die Gefechte um Haiti, Kuba und die Dominikanische Republik eingegriffen haben, deutsche Fallschirmjäger und Küstenjäger-Verbände stehen bereits kurz vor der Hauptstadt Haitis, in den Vororten Havannas soll ebenfalls bereits gekämpft werden. Auch operieren anscheinend bereits deutsche Langstrecken-Unterseeboote im pazifischen Ozean und klären die dortige Feindlage auf, um einen Vorstoß der Kriegsmarine vorzubereiten. Gerüchteweise soll es auch eine geheime Zusammenarbeit mit Unterseebooten der Kaiserlich-Japanischen Marine geben, welche sich in deutschen Häfen an der amerikanischen Westküste neu versorgen lassen.

Trotz solch ernster Lektüre konnte ich mich bei dieser Tätigkeit bisweilen auf einer Vergnügungsreise wähnen, und ein um das andere Mal überfiel mich sogar eine gewisse Schläfrigkeit, doch wenn in der Entfernung ein Flugzeug gesichtet wurde und die Schnellfeuerkanonen auf allen Booten in großer Eile bemannt wurden, musste ich Deckung suchend meine Ruhe aufgeben, und so wurde ich stets jählings wieder daran erinnert, dass ich mich mitten im Kriege befand. Jedes Mal stellte es sich jedoch glücklicherweise heraus, dass es sich um deutsche oder ungarische Seeaufklärer handelte, welche uns zum Zwecke der Inaugenscheinnahme in niedriger Höhe überflogen und mit dem Führungsboot Erkennungssignale wechselten.

Dennoch hielten wir uns zu allen Zeiten so dicht als möglich unter der westlichen Küste, um der Aufmerksamkeit englischer oder russischer Flieger zu entgehen.
Unsere Fahrt verlief dann auch glücklicherweise ohne gefahrvolle Zwischenfälle, bis mich die Kühle der hereinbrechenden Dämmerung zwang, mich wiederum zu bekleiden, und in der rasch niedersinkenden Dunkelheit setzten wir unseren Kurs unbeirrt nach dem Licht der Sterne und den Weisungen des Obersteuermanns fort, bis wir endlich, wohl zur halben Nacht, unseren Bestimmungsort erreichten- Zumindest glaubte ich dies der Verlangsamung der Fahrt und der erneuten geschäftigen Aktivität der Matrosen an Deck entnehmen zu können, denn wir fuhren unter fast völliger kriegsmäßiger Verdunkelung, und ich konnte beim besten Willen in der Dunkelheit kein Leuchtfeuer oder anderes Seezeichen erblicken, auch konnte ich keinerlei Landmarken ausmachen.

Als ich den wachhabenden Offizier, welcher vollkommen gelassen seiner Dienstverrichtung nachging, darauf ansprach, grinste er mich an und zeigte mir die Infrarot-Sichtgeräte, mit welchen die Brücke und das Ruderhaus ausgestattet waren, woraufhin ich mich im Stillen einen Narren schalt, denn da wir in Ehrenfels diese Geräte größtenteils hatten entbehren müssen, hatte ich fast vollkommen vergessen, wie verbreitet sie eigentlich im deutschen Feldheere sind. Durch das Gerät, durch welches ich einen kurzen Blick werfen durfte, konnte ich in der Tat in aller Deutlichkeit bereits die nahe Küste sehen, auch konnte ich nicht nur einzelne Häuser an Land unterscheiden, sondern sogar bereits einzelne Personen und zahlreiche Lastkraftwagen, auch wurde von Land her mit einem Infrarot-Scheinwerfer eifrig signalisiert, woraufhin unser Boot gehörige Antwort gab. Und alsbald erklangen die Kommandos „Maschinen Stopp!“ und „Leinen über!“, und sogleich durchlief ein sanfter Anprall den Bootskörper, welcher mir verriet, dass wir festgemacht hatten
So schulterte ich denn meinen Tornister, meldete mich förmlich beim Kommandanten ab, welcher mir zum Abschied die Hand schüttelte, und bedankte mich für die freundliche Passage. Dann ging ich von Bord und schritt die hölzerne Pier hinab, während um mich herum bereits Matrosen und Soldaten beim Schein abgeblendeter Taschenlampen geschäftig an Bord der „S753“ zu Werke gingen, andere schienen Vorbereitungen zu treffen, das Versorgungsschiff zu entladen, welches soeben an der anderen Seite der Pier vertäut wurde.

Und nach wenigen Metern spürte ich statt der Holzplanken plötzlich knirschenden Kies unter meinen Schuhen – ich hatte den Fuß auf persischen Boden gesetzt, und ein eigentümliches, triumphierendes und sonderbar leichtes, fast schwebendes Gefühl bemächtigte sich meiner, so dass ich inmitten des um mich herum vor sich gehenden Trubels innehielt und tief atmete. Trotz der nächtlichen Abkühlung verspürte ich eine schwüle, feuchte Wärme rings um mich her, dazu den durchdringenden Geruch nach Salz, Fisch und Seetang, der mich auf eine schwermütige Weise an Boston zurückdenken machte, und meine Ohren vernahmen die Rufe unbekannter Vögel und anderer Tiere aus der Ferne, und es wurde mir zur Gewissheit, dass ich mein Reiseziel erreicht hatte, jenes fabelhafte Land Persien, welches meine Phantasie so beflügelte. Trotz aller Widrigkeiten und Fährnisse meiner Reise hatte ich meinen Weg erfolgreich beschlossen und war wohlbehalten angelangt. Ich fühlte mich in diesem Augenblicke wie ein rechter Abenteuerreisender, und du wirst dir denken können, meine liebe Jennifer, mit welcher Kraft mir das Herz in der Brust schlug, und von diesem romantischen Gedanken beseelt machte ich mich mit erneuerter Energie daran, meinen weiteren Weg zu finden.

Und tatsächlich machte ich nach einigem Suchen eine Person ausfindig, die in all dem geschäftigen Treiben eine Art von leitender Funktion innezuhaben schien, einen Mann von etwa fünfzig Jahren, mit einem wettergegerbten, sonnengebräunten Gesicht, welcher beim Schein einer einzelnen Öllaterne neben der Motorhaube eines Geländewagens im Gespräch mit einem Seeoffizier stand, in Tropenhemd und ausgebleichte Hosen gekleidet, die Ärmel hochgerollt, eine reichlich zerdrückte Feldmütze auf dem Kopf. Da ich keinerlei Rangabzeichen an seiner Bekleidung ausmachen konnte, hielt ich ihn seiner Erscheinung nach für einen im Dienst ergrauten Feldwebel, möglicherweise einen Kompaniefeldwebel oder den Führer einer Verladeabteilung, und so meldete ich mich bei ihm an und zeigte meine Reisepapiere vor, woraufhin er ganz formlos meine Hand schüttelte.

„Amerikaner, ja? Hast dich ganz schön verlaufen, Kamerad. Egal, lass mich der erste sein, der dich in Persien willkommen heißt. Habe zwar keine Ahnung, wo du hingehörst oder was wir mit dir anfangen sollen, aber du kannst warten, bis das Entladen abgeschlossen ist, und dann fährst du mit mir zurück zur Kommandantur, und morgen sehen wir mal, was wir mit dir anstellen. Pack dich am besten da hinten in den Wagen, kannst ein Nickerchen machen. Aber geraucht wird nicht, Freundchen, hier wird überall mit Benzin gearbeitet. Wenn du mich suchst, kannst du jeden hier nach Hasso oder nach dem Kapitänleutnant Hassemer fragen, das bin ich. Und jetzt mach dich dünn, Kamerad, ich habe zu tun, ich will den Kram bis zum Morgengrauen von der Pier haben, sonst kommt am Ende noch der Tommybomber vom Dienst und reißt uns den Arsch bis nach Norwegen auf.“

Mit diesen schroffen Worten, welche auf mich nach meiner abenteuerlustigen Hochstimmung durchaus ernüchternd wirkten, ließ er mich prompt stehen, und so kletterte ich also, wie mir geheißen war, in den Wagen, machte es mir auf dem Rücksitz bequem und rollte mir meinen Mantel unter dem Nacken zusammen, um meine ersten Eindrücke von Persien zu verarbeiten, während die Geräusche von Männern und Kraftwagen um mich herum nur noch gedämpft an mein Ohr drangen. Und während ich so in mein Nachsinnen versunken war, übermannte mich der Schlaf.
Geweckt wurde ich, mit steifen Gliedern, in der Kühle des Morgens, nach einer kurzen Weile des unruhigen Halbschlafes, immer wieder unterbrochen von der Geräuschkulisse der mich umgebenden Aktivität, als mein vorläufiger Gastgeber der vergangenen Nacht den Schlag des Wagens aufriss, sich in den Fahrersitz fallen ließ und sich ohne viel Umschweife eine Zigarette entzündete. Im fahlen, nebelverhangenen Morgenlicht wirkte sein Gesicht bleich, tief zerfurcht, mit dunklen Ringen um die geröteten Augen und dunklen Stoppeln auf den Wangen. Er wirkte gänzlich so, als habe er die gänzliche Nacht über nicht ein Auge zugetan, und vermutlich verhielt es sich auch genauso.

„Morgen!“, begrüßte er mich, als er gewahr wurde, dass ich erwacht war, „sieh mal an, der verlorene Sohn. Hast du gut geschlafen? Wenigstens einer von uns. Na, immerhin haben wir den ganzen Krempel vom Hof gekriegt, das ist immer mal was wert. Los, hock dich hierher nach vorne, dann fahren wir mal was zum Frühstücken auftreiben und schauen dann, das wir mit dir anstellen.“
Und so kam es, dass ich aus dem Staunen nicht mehr herauskam, denn Persien stellte sich mir nun längst gar nicht so dar, wie ich es mir in meiner Vorstellung ausgemalt hatte.

Von der Verladepier aus, an welcher ich des Nachts angelandet war, kehrten wir nun im Geländewagen der Küste den Rücken zu und fuhren, zwischen einigen Holzhütten und Blockhäusern hindurch, über eine lehmige Straße zwischen grünen Wiesen und Feldern und ganzen Alleen von Palmbäumen hindurch, und in der Ferne, soweit mein Blick reichte, war die Landschaft bis zum Horizont, an welchem sich ein hoch aufragender Gebirgszug erstreckte, mit einem regelrechten Urwald bedeckt, dessen dichtes Blätterdach sich grün und saftig und dampfend im Morgendunst meinem Blicke darbot. Keine Spur von Wüste und Sand und Felsen und Kamelen, und mich beschlich die heimliche Befürchtung, in der Dunkelheit der Nacht versehentlich in einem völlig verkehrten Land abgesetzt worden zu sein. Als ich diese Vermutung vorbrachte, lachte mein neuer Bekannter jedoch nur.
„Das Gebirge wirkt als Wetterscheide und hält die feuchte Luft vom Meer an der Küste fest, also gibt’s hier Regenwald und bestes Ackerland. Deine Wüsten findest du weiter landeinwärts, auf der anderen Seite der Berge, aber ich sage dir, da willst du nicht wirklich hin. Wüste ist beschissen. Schon mal in einer gewesen? Nein? Dann lass es dir von einem sagen, der schon dort war. Nichts als Sand und Dreck. Heiß wie die Hölle am Tage und kalt wie der Nordpol in der Nacht. Aber ein schöner Sternenhimmel. Ja… ein schöner Sternenhimmel.“

Ich hielt mich auf diese doch recht zwiespältige Rede hin mit einer Erwiderung zurück, zudem mich die unverblümte Art dieses Mannes reichlich in Verblüffung versetzte und mich zugleich eine gewisse Enttäuschung anfiel, dass mir nun mein Abenteuer in der Wüste, welches ich mir so erstrebenswert ausgemalt hatte, womöglich versagt bleiben sollte. Umso mehr Aufmerksamkeit schenkte ich dafür meiner Umgebung, bis wir nach etwa drei Kilometern rascher Fahrt in ein Dorf einbogen.

Auch hier erstaunte mich die Fremdartigkeit der Szenerie. Die gesamte Siedlung schien aus grob gezimmerten Holzhäusern, Hütten und Blockhäusern verschiedener Größe und Bauart zu bestehen, die an einer sanft ansteigenden Hügelflanke gelegen und auf eine mehr oder weniger ungeordnete Art und Weise um einen zentralen Platz gruppiert waren, durch welchen die Lehmstraße verlief, um das Dorf auf der anderen Seite wieder zu verlassen und weiter zwischen den bewaldeten Hügeln zu entschwinden. Auf jenem Platz bemerkte ich auch mehrere Kraftfahrzeuge deutscher Bauart, darunter mehrere Geländewagen, einen Funkwagen und sogar einen gepanzerten Spähwagen, dessen Machart ich nicht kannte, der aber unverkennbar deutsche Abzeichen trug. Auch gab es Schilder mit deutschen Bezeichnungen, welche den Weg nach verschiedenen örtlichen Dienststellen wiesen, so dass ich insgesamt den Eindruck gewann, an einem örtlichen Truppenstandort angelangt zu sein. Überall war geschäftige morgendliche Aktivität, die ganze Szenerie erinnerte mich mit ihrem belebten Straßenbild an meine ersten Tage in Ehrenfels, als mir die gesamte Umgebung noch neu und wundersam erschien und mich mit plötzlicher, beklemmender Endgültigkeit die Gewissheit befiel, mich in einem ganz anderen, mir fremdartigen Erdteil zu befinden. Einen ebensolchen Augenblick erlebte ich in diesem Augenblick erneut, als Hasso vor einem langgestreckten Gebäude anhielt und wir ausstiegen, denn neben einigen in Tropenuniformen einhergehenden deutschen Soldaten bekam ich nun auch die ersten Eingeborenen aus der Nähe zu sehen.

Auch hier erlebte ich eine Überraschung, denn wo ich mit den weiten, wallenden Gewändern der Wüstenstämme gerechnet hatte, waren die Menschen um mich her in Hemden und Hosen aus grob gesponnenem Woll- und Leinenstoff bekleidet, die Männer trugen dazu Westen, Fußwickel und häufig Mützen aus Fell oder Wolle, die Frauen Überwürfe über die Schultern, das Haupthaar nach der arabischen Sitte züchtig verdeckt. Vorherrschende Beschäftigung schien die Feldarbeit zu sein, denn ich sah um mich her zahlreiche Personen mit Werkzeugen oder Körben mit Feldfrüchten, darunter auch das eine oder andere Gespann von Eseln oder Zugochsen.

„Los komm!“, riss mich Hassos Stimme aus meiner Betrachtung, „jetzt kriegst du erstmal Frühstück, und dann liefere ich dich drüben in der Kommandantur ab, die werden schon wissen, wo sie dich unterzubringen haben.“
Ich musste schmunzeln, als wir die Schwelle zu dem Holzhaus überschritten, in welches er mich führte, denn selbst hier im fernen Persien hatte bereits der deutsche Begriff „Soldatenheim“ in Form eines handgemalten Schildes Einzug gehalten. Das Innere war vom milchigen Morgenlicht erhellt, welches durch die geöffneten Fensterläden hereinfiel, Fensterglas schien es hier ebenso wenig zu geben wie künstliche Beleuchtung, von einigen wenigen Öllampen abgesehen. An einem aus Holz gezimmerten Tresen empfingen wir Blechgeschirr mit Kaffee, mehreren Stücken groben Fladenbrotes, Schmalz, Dauerwurst und Spiegeleier, dazu einen sonderbaren Käse, welcher mir nicht vertraut war, welcher sich aber als würzig und wohlschmeckend entpuppte, und während wir aßen, fragte mich Hasso allerlei Dinge über meine bisherigen Dienstverhältnisse, in welchen Einheiten ich gedient hätte und was meine Erfahrungen gewesen wären, und ich fand seine Fragestellungen und seine gelegentlichen Kommentierungen recht verständig.

Da war ich also an einen Kapitänleutnant geraten, also an einen Offizier der Kriegsmarine, welcher im Range einem Hauptmann des Heeres gleichsteht, und doch schien mir dies, dem ersten Eindrucke nach zu urteilen, der ungewöhnlichste und seltsamste Offizier, mit dem ich je zu tun gehabt hatte, vom Standartenführer Steinkamp vielleicht einmal abgesehen, welcher sich aus einem mir unerfindlichen Grunde nach keinerlei Regeln zu richten schien. Und doch schien mir zwischen den beiden Männern ein fundamentaler Unterschied zu bestehen, welcher sich nach ihrem Charakter bestimmte. Steinkamps Eigensinn schien sich aus einer grenzenlosen Arroganz zu speisen, welche ihre Wurzeln darin hatte, dass er sich aus einem mir unbekannten Grunde von regulären Restriktionen und Vorgaben unangreifbar wähnte. Die Gewohnheit des Kapitänleutnants Hassemer hingegen schienen das Produkt einer völlig anderen geistigen Schule zu sein, die in ihrer Freiheit von Konventionen selbst mir fremd war, der ich in einer Truppe großgezogen worden war, welche das selbständige Denken jedes Einzelnen bewusst befördert und encouragiert.

Und nachdem wir gespeist hatten, geleitete er mich hinüber zu einem weiteren Langhaus, welches mit dem Worte „Kommandantur“ beschildert war, und lieferte mich in der dortigen Schreibstube ab, in welcher sich just zu diesem Zeitpunkte neben einem Schreiber auch ein Kompaniefeldwebel und ein hagerer Offizier mit einer drahtgeränderten Brille und den Aufschlägen und Abzeichen eines Leutnants der Feldpolizeitruppe aufhielten und nach Kräften Zigaretten rauchten. Beide begrüßten den eintretenden Kapitänleutnant Hassemer mit Handschlag, und ich fand, dass alle beim vertraulichen deutschen „Du“ miteinander verkehrten.

„Na Hasso“, ließ sich also der Feldwebel vernehmen, „alles ordnungsgemäß vom Tisch?“
„Neue Rekordzeit. Klappt immer besser. Wieder mal dem Tommy ‚ne Nase gedreht. Jetzt wollen wir mal hoffen, dass der Sprit und die Kekse auch heil in den Bergen ankommen. Und kuckt euch mal an, was die Feldpost mir auf die Türschwelle gekippt hat.“ Und mit diesen wenig respektierlichen Worten deutete er mit dem Daumen über die Schulter auf mich, woraufhin ich von beiden Männern mit übertrieben gespielter Nachdenklichkeit begutachtet wurde.
„Also der Prinz von Persien ist es nicht.“, befand der Leutnant, woraufhin der Feldwebel in schallendes Lachen ausbrach und mich unverblümt aufforderte: „Jetzt rück schon raus mit der Sprache, Kamerad, wer bist du und was willst du in unserer Feriensiedlung?“

„Ich bin der neue Koch!“, entgegnete ich, durch den hier anscheinend vorherrschenden lockeren Umgangston mutig gemacht und entschlossen, mich nicht gleich bei der Begrüßung zum Besten halten zu lassen, bei dem ich ihm zugleich meine Reisepapiere vorzeigte, welche er konzentriert musterte und schließlich eine Augenbraue hochzog.
„Feldersatzkommando Chalus, zur Rekonvaleszenz? Kamerad, da hat dir aber jemand einen gewaltigen Bären aufgebunden. Du bist hier zwar in Chalus, aber hier gibt es kein Feldersatzkommando. Die Dienststelle, bei der du dich laut diesem Schrieb hier melden sollst, existiert gar nicht. Hier gibt es nur uns und die Befehlsstelle oben in Namak Abrud. Was sollst du denn nun ausgerechnet hier bei uns?“

[...] Fortsetzung folgt.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Oh schön, dass es hier endlich weitergeht - und wieder in der Luft hängen gelassen. *traurig* *schmoll* Ich möchte jetzt endlich wissen, wohin dein Held geschickt wird, denn zur Erholung wird es bestimmt nicht sein.

Liebe Grüße
Herta
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Fortsetzung [...]

Über diesen unerwarteten Bescheid war ich natürlich verständlicherweise erschrocken und befürchtete schon, nun nach meiner mühseligen Reise postwendend wieder zurück geschickt zu werden, und nach meiner vorherigen vorlauten Antwort fehlten mir nun plötzlich gänzlich die Worte, und nur stockend brachte ich meine Geschichte von meiner Verwundung und meinem Versuch hervor, den grauenvollen Zuständen im Wolgograder Lazarett zu entgehen und bei konstruktiver Beschäftigung zu gesunden. Daraufhin blickte mich der Kompaniefeldwebel einige Zeit lang prüfend an.
„Also eine Heilanstalt sind wir nicht, Kamerad, dass du eine Kur bei uns machen könntest. Aber ehrenwertes Handwerk für Pioniere haben wir hier reichlich, wenn es dir danach gelüstet. Aber sag einmal, dein Name kommt mir so bekannt vor, und dein Gesicht habe ich auch schon einmal gesehen. Bist du am Ende einer von dem wilden Haufen, die vergangenes Jahr den Sowjets auf ihre verdammten Schliche gekommen sind?“

Ich antwortete, dass es sich so verhalte, auch wenn es mir durchaus schmerzlich war, so auf meine vergangene Tat angesprochen zu werden, denn zum Einen wusste ich, dass die deutsche Propaganda unsere Tätigkeit stark aufgebauscht hatte, zum anderen erinnerte es mich schmerzlich an meine Freunde, mit denen ich damals jenes halsbrecherische Unterfangen bestritten hatte, und von denen die größere Zahl jetzt kalt und tot am Ufer der Wolga in der Erde ruhte, während ich von den übrigen immer noch keine Nachricht hatte, ob sie überhaupt noch am Leben waren.
„Na sieh mal einer an“, ließ sich nun der Polizeileutnant vernehmen, „Hasso, da ist dir ein leibhaftiger Held zugelaufen. Ohne den kleinen Ami hier und seine Freunde würden wir jetzt wahrscheinlich am kurischen Haff sitzen statt am kaspischen Meer. Den müssen wir bei Gelegenheit mal Heinz vorstellen.“

“Und wenn schon. Ihr könnt ja weiter quatschen, ich gehe jetzt pennen.“ Und damit zuckte der Kapitänleutnant Hassemer mit den Schultern, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte aus dem Raum.
„Das darfst du Hasso nicht übel nehmen,“ meinte der Feldwebel im Verschwörerton zu mir, kaum dass Hassemer den Raum verlassen und die Tür hinter sich zugeworfen hatte. „Der ist immer gereizt, wenn er eine Nacht nicht geschlafen hat. Also in letzter Zeit fast dauernd. Na ja, egal, sei’s drum, wenn du wirklich bei uns bleiben willst, kriegen wir dich schon wo unter, wo du dich garantiert nützlich machen kannst. Also, erst einmal, ich bin der Joseph, ich bin hier der Spieß, und der lange Lulatsch hier heißt Fritz. Den Rest musst du nach und nach kennenlernen, die sind im Moment alle unterwegs. Herzlich Willkommen beim Verein.“ Und damit war es anscheinend besiegelt, und sogleich entsandte er seinen Schreibstuben-Soldaten, für mich ein Quartier zu bereiten.

Ich kam aus dem Staunen über den zwanglosen Umgang und die formlosen Verfahrensweisen, welche ich in dieser Art selbst aus meiner regelrecht familiären Umgebung in Ehrenfels nicht gewohnt war, nicht mehr heraus.
Und doch machte sich in mir die Gewissheit breit, am Ende meiner langen Reise wider Erwarten doch noch, wenn auch nur für eine Zeit lang, ein neues Zuhause gefunden zu haben. Das stimmt mich durchweg froh, und so war es am Ende jenes geschilderten Tages auch mit einem Gefühl der Befriedigung und einem seit langem nicht mehr gekannten Frohgemut, dass ich mein müdes Haupt zur Ruhe bettete.

Du weißt mich nun also für das Erste abseits der Frontlinie und in einer relativen Sicherheit. Schreibe mir bitte auch, ob ihr euch eurerseits wohl und in Sicherheit befindet.

Mit den besten Grüßen,

Carl
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Weiter geht es. Leutnant Heinz Heuer und Generalmajor Oskar von Niedermayer sind übrigens Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, die wirklich gelebt haben.


Chalus, Persien, den 26. Juni 1945

Liebste Jennifer,

wenn es eine Redewendung gibt, die ich in den vergangenen vier Tagen, welche ich zu den bemerkenswertesten meines Lebens zählen möchte, in gänzlichem Überflusse zu hören bekommen habe, dann ist es der Ausspruch: „Daran gewöhnst du dich noch, das geht hier bei uns alles ein wenig anders zu.“ Das habe ich mir in dieser kurzen Zeit bereits dutzendfach sagen lassen müssen, und wahrhaftig gibt es hier allerhand Ungewohntes und Neues, welches sich mit meinen bisherigen Erfahrungen kaum in Einklang bringen lässt. Ich bin nun also ein Angehöriger des PIANO 21, des Provinzkommandos für Infrastruktur-Aufbau und Nachschub-Organisation, und 21 ist unsere Ordnungszahl, da wir die einundzwanzigste Abteilung dieses Namens sind.

Mein neuer Vorgesetzter ist ein Offizier der Kriegsmarine, ebenfalls ein Kapitänleutnant, sein Name ist Jörg Langemann, aus Friesland stammend, und er ist einer der außergewöhnlichsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Nicht nur, dass er im Zivilberufe eigentlich ein Offizier der Handelsmarine ist, der als Besatzungsmitglied eines Frachtschiffes gearbeitet hat und eigens für den Dienst auf einem Hilfskreuzer einberufen wurde, er war im Folgenden auch als Küstenbauingenieur für die Marine-Sturm-Infanterie in Baku tätig, wo er allerlei Anlagen errichtet hat bevor er nach Persien abkommandiert wurde, und obendrein ist er ein Altertumskundler aus Leidenschaft, der aufgrund verschiedener Forschungs- und Handelsreisen im Orient die arabische und die persische Sprache beherrscht. Ihm obliegt die Leitung sämtlicher Bauarbeiten, die in diesem Teil des deutsch besetzten Gebietes zu erledigen sind, in der Hauptsache der Bau von Straßen und die Instandsetzung der vorhandenen Hafenanlagen. Er ist zwar schon fast fünfzig Jahre alt, aber von athletischem Körperbau, von der Sonne braun gebrannt, blitzgescheit, und eine unbändige Wissbegier ist ihm zu Eigen, er scheint mir gar einer jener „tiefen Brunnen“, von denen Nietzsche zu schreiben wusste.

Mit dem Kapitänleutnant Hassemer verbindet ihn eine gewisse Art von distanzierter Freundschaft, welche sich mehr aus ihrer kollegialen Zusammenarbeit speist denn aus persönlicher Sympathie, Hasso ist eigentlich Spediteur und beaufsichtigt den Zu- und Abtransport von Nachschubgütern auf dem See- und Straßenweg, daher hat er oft mit Jörg und dessen Bauten zu tun, und ich nun auch mit ihm und seinem sprunghaften, rauen und doch herzlichen Wesen, doch davon später.

Der Polizeileutnant, welchen ich an meinem ersten Tage bereits kennenlernte, ist Fritz Schott, seinerseits ebenfalls ein Reservist, eigentlich ein Kriminalhauptkommissar und Rechts-Anwalt aus Düsseldorf im Westfalenlande, er ist der Leiter des deutschen Polizei-Detachements für diesen Bezirk und soll mit einigen wenigen Begleitern aus Freiwilligen eine einheimische Schutz- und Ordnungspolizei aufstellen und schulen, welche zur Sicherung des rückwärtigen Raumes, zur Lenkung des Verkehrs und insgesamt zur Ordnung des zivilen Lebens unter deutschem Gouvernement das Ihrige beitragen soll.
Wohl umfasst die Aufgabe solcher Schutztruppen nach meiner Erfahrung auch und vor allem die Bekämpfung von Partisanenbanden, solche scheint es aber in dieser Region praktisch überhaupt nicht zu geben. Wohl sieht man des Tages über gelegentlich einheimische Männer bewaffnet einhergehen, doch scheint ihnen keine Feindschaft gegen uns deutsche Soldaten inne zu wohnen, vielmehr mögen sie wohl ihre Waffen als stolzen Schmuck ihrer Männlichkeit zur Schau tragen, ähnlich wie die Kosaken der Steppe es tun.

An echten, ich will wohl sagen an hauptberuflichen, Soldaten gibt es hier im Dorf nur einige wenige, auch wenn des Tages hier ein reger Durchgangsverkehr herrscht, die meisten halten sich dauerhaft bei der weiter oben in den Hügeln gelegenen Befehlsstelle in Namak Abroud auf, einige wenige auch unten bei der provisorischen Hafenkommandantur in Nowshahr, wo ich seinerzeit angelandet bin. Doch außer der Bereitschaft der Flak-Artillerie bleibt insbesondere des Nachts kaum jemand freiwillig dort, denn die englische Luftwaffe stattet dem Hafen doch gelegentlich einen Besuch ab. Unser Kompaniefeldwebel, Joseph Obernhuber, ist von einer Gebirgs-Nachschub-Kompanie und sehr jung für einen solch verantwortungsvollen Posten, der normalerweise den dienst-ältesten Hauptfeldwebeln vorbehalten ist, doch wenn man es genau nimmt, so ist er hier durchaus in der Tat der dienst-älteste Feldwebel, denn er ist der einzige Feldwebel hier, es gibt sonst nur noch Offiziere oder Unteroffiziere ohne das Portepee.

Und dann gibt es noch den Leutnant Heinz Heuer, den Führer des örtlichen Feldgendarmerie-Kontingents, seinerseits ein Träger des Ritterkreuzes, welcher mit seinem knappen Dutzend Leuten derzeit den größten Teil der eigentlichen Polizeiarbeit leistet. Dabei sind die Herren keineswegs zu beneiden, denn mit den geringen Kräften können sie in den weiter entfernt oder höher im Gebirge gelegenen Dörfern keine dauerhafte Präsenz entfalten, sondern sind auf lange, kräftezehrende Streifenfahrten mit Motorrädern und Kraftwagen über unwegsame Dschungelpfade angewiesen, um diesen Dörfern wenigstens regelmäßige Besuche abzustatten.

Der Divisionskommandeur, welcher unseren Abschnitt befehligt, ist übrigens eine rechte Berühmtheit. Es ist der Generalmajor Oskar von Niedermayer, welcher ein leibhaftiger Professor und obendrein ein Abenteurer und ein berühmter Persienforscher ist, welcher einige Abhandlungen und Bücher über seine Expeditionen nach Persien und nach Afghanistan geschrieben hat. Dieser Mann, welcher eine rechte Gelehrtennatur sein soll und seiner Reputation nach eigentlich gar nicht so recht zu seinem soldatischen Geschäfte passen will, wurde dem Vernehmen nach eigens in diese Region entsandt, da er mit den hiesigen Gebräuchen bestens vertraut ist.

Und dann gibt es, von einigen Schreibern, Funkern, Köchen und sonstigem Funktionspersonal abgesehen, natürlich noch mich.

Ich gehöre seit drei Tagen fest zum Baupionier-Kontingent des Kapitänleutnant Langemann, welcher mich nach einem Vorstellungsgespräch, welches wohl nicht mehr als eine Zigarettenlänge währte, als seinen persönlichen Stellvertreter bei sich aufnahm und mir allerhand Arbeit und abwechslungsreiche Tätigkeit in Aussicht stellte. Und wahrhaftig habe ich, seit unser Handschlag es besiegelte, mit ihm nicht mehr eine einzige untätige Minute erfahren, von den kurzen Stunden meines Nachtschlafes einmal abgesehen, denn wir sind alle Tage mit der Beaufsichtigung der verschiedensten Bauprojekte befasst, und so komme ich wieder in den Genuss jenes Gefühls inniger Befriedigung, welches mich bereits in jenen glücklichen Monaten im fernen Ehrenfels erfüllt hatte, als ich meiner Hände ehrbare Arbeit für den Aufbau und das Erschaffen einsetzen konnte.

In der Hauptsache bauen wir Straßen, natürlich nicht wir selber, sondern wir haben Einheimische angeheuert und unter Vorarbeitern zu Baukolonnen zusammengefasst, welche die eigentliche Arbeit erledigen und von Jörg und mir ihre Weisungen erhalten. Im Straßenbau konnte ich ja bereits einige Erfahrung sammeln, und da wir hier zwar über ausreichend Feldspat und Granit verfügen, welches in einem nahegelegenen Steinbruch gebrochen wird, jedoch weder über Teer noch über Asphalt, mit welchem wir eine glatte Decke herstellen könnten, so hat sich der erfinderische Jörg auch gleich auf ein Rezept aus der Römerzeit besonnen, nach welchem man aus gebranntem Muschelkalk, Sand und der Asche des Holzfeuers einen Mörtel herstellen kann, welcher Opus Caementicium geheißen wird, und so bauen wir nun eben waschechte Römerstraßen nach einer Art, welche die Welt wohl seit einem Jahrtausend nicht mehr gesehen hat. „Diese Straßen haben schon früher einmal ein Weltreich zusammengehalten“, so drückte Jörg sich zu meiner Erläuterung aus, „und das werden sie auch hier wieder tun.“
Und weil er schon einmal in Fahrt war, so hat er auch gleich einen Brennofen konstruiert und beschäftigt ein weiteres halbes Dutzend Einheimischer tagein, tagaus mit der Herstellung von aus Lehm gebrannten Ziegelsteinen und Dachziegeln aus Ton, denn er plant bereits den Bau von stabilen Ziegelhäusern, welche es hier in der Gegend nicht gibt. „Ordentlich im römischen Stil, wirst schon sehen, Karl, ganz geräumig, kühl im Sommer und warm im Winter, und in der Mitte ein Atrium, und ein Badehaus. Den Marmor besorgen wir schon irgendwo her.“ Ich glaube, wenn er genug Zeit findet, dann baut er hier auch noch eine Ritterburg hin.

Für die komplizierteren Ausbesserungs- und Konstruktionsarbeiten im Hafen von Nowshahr lässt er, so oft es geht, eine Gruppe von deutschen Küsten-Baupionieren einschiffen, welche mit Beton und Baustahl umzugehen verstehen, denn in der Nähe des dort einmündenden Flusses will er unbedingt einige bombensichere Bunker errichten. Du musst wissen, dass dieser Hafen nicht nur von deutschen Schnellbooten als Stützpunkt zum Auftanken genutzt wird, wenn sie von hier aus zu Minenlege-Operationen vor der Küste Turkmenistans und Aserbaidschans aufbrechen, sondern auch von deutschen Kleinst-Unterseeboten der Seehund-Klasse. Damit die Engländer diese Boote nicht entdecken und zerbomben, verstecken die Deutschen sie ein gutes Stück flussaufwärts unter dem Blätterdach des Waldes, und um die Torpedos und Minen sowie den notwendigen Brennstoff ebenfalls sicher zu lagern, müssen eben Arsenalbunker her.

Überhaupt wohnen wir hier insgesamt unter recht primitiven Umständen, auch den Kameraden bei der Kommandantur ergeht es nicht wirklich besser. Die Häuser bestehen gänzlich aus Holz und sind mit Schiefer gedeckt, teilweise auch nur mit Holzschindeln. Fensterglas scheint unbekannt zu sein, geheizt und gekocht wird mit Holzfeuern, deren Rauch durch gemauerte Kamine abzieht. Jegliches Wasser muss vom Brunnen in Gefäßen herangeschafft werden, dieser speist sich jedoch gottlob aus einer unterirdischen Ader im Gebirge und liefert verhältnismäßig sauberes Wasser, und dennoch kochen wir jegliches Wasser ab, welches wir zu uns nehmen, oder mischen es mit Alkohol, denn die hier verbreitete Amöbenruhr kann einen erwachsenen Mann binnen einer Woche töten. Aus dem Flusse getraut sich keiner von uns zu trinken.

Elektrischen Strom gibt es hier keinen, lediglich der Funklastkraftwagen wird mittels eines Generators betrieben, der Brennstoff dafür ist jedoch streng rationiert, so dass wir, außer für eine Stunde des Tages, nicht einmal einen Radioempfänger betreiben können. Dann jedoch versammelt sich ein jeder, der abkömmlich ist, um das Gerät, um Nachrichten zu hören und einem Musikprogramm zu lauschen, welches stets zur gleichen Stunde vom Soldatensender Baku ausgestrahlt wird. Diese Radio-Stunde ist so etwas wie ein fester Bestandteil unseres Alltages geworden, und mittlerweile versammeln sich sogar immer mehr Einheimische mit uns zusammen, um unserer Musik zu lauschen. Unsere Köche liefern uns dazu sogar bisweilen frischen Kaffee oder gesüßten Tee und ein wenig Gebäck.

Unsere Schlafstätten bestehen aus Feldbetten, über welche wir Decken und weite Moskitonetze gebreitet haben. Aufgrund des tropischen Klimas wird uns nachts nicht kalt, doch die Schwüle der Luft ist unangenehm, und man muss seine Stiefel umgekehrt auf Stöcke stellen, damit des Nachts keine giftigen Spinnen hineinkriechen. Als ich mich des Abends einmal in meiner Bettstatt ausstreckte, um dann festzustellen, dass ich sie mit einer Heuschrecke von der Länge einer Handspanne teilte, da durchfuhr mich doch ein gehöriger Schreck, welcher mich, sehr zur Belustigung meiner Kameraden, in Windeseile wieder auf die Beine kommen ließ. Durch diese Erfahrung klug geworden habe ich allerdings gelernt, meine Decke vor dem Zubettgehen gehörig auszuschütteln.

Es scheint so, als würde sich der deutsche Vormarsch im Osten jenseits des Ural festfahren. Die sowjetischen Armeen haben sich schier in Rauch aufgelöst, so dass die deutschen Panzerkeile nach den Durchbruchsschlachten der ersten Tage nichts mehr finden, in das sie hineinstoßen können. Und doch entbrennen entlang der Frontlinie, welche so langsam aber sicher zu erstarren droht, immer wieder Scharmützel und kleinere Gefechte, in welchen die Russen unseren Verbänden das Leben gehörig sauer machen. Das stimmt uns alle natürlich besorgt, denn so scheint ein rasches Ende des Feldzuges vor dem Wintereinbruch zumindest fraglich, und wenn das deutsche Feldheer inmitten der Steppe, weitab von seinen Forts und Nachschublinien, vom Winter eingeholt wird, wenn die Front in Nacht und Eis erstarrt, dann weiß ich nicht, was geschehen wird.

Ich will in Bälde einmal mehr schreiben.
In Liebe,
Carl
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, Persien, den 04, Juli 1945

Liebe Jennifer,

Dieser Brief wird dich nicht rechtzeitig erreichen, und dennoch will ich die Gelegenheit nicht versäumen, dir und Richard einen glücklichen Unabhängigkeitstag zu wünschen. Ich selber war am heutigen Morgen angenehm überrascht, als mich Jörg zu diesem Feiertage unserer Nation beglückwünschte, ich rechne es ihm hoch an, dass er sich um diese Höflichkeit mir gegenüber bemüht hat.

Die Nachricht über eine erneute Verschärfung der Notstandsgesetze an der amerikanischen Westküste zur Bekämpfung der separatistischen Terrorkampagne hat mich aufhorchen lassen, insbesondere, da diese Regelungen, welche doch erhebliche Einschnitte in das Privatleben unserer Bürger mit sich bringen, von der Bevölkerung angeblich mit Freude und Dankbarkeit begrüßt worden sein sollen. Bitte schreibe mir dringend, ob es sich in Wahrheit so verhält, oder ob es sich um eine Jubelmeldung handelt. Ich denke zurück an den letzten Vierten Juli, welchen ich noch in Frieden und Eintracht im Kreise meiner Freunde in Ehrenfels genießen konnte.
Welche Welten liegen doch zwischen damals und heute, obwohl es auf dem Kalender nur ein einziges kurzes Jahr ist, welches vergangen ist. Und doch befiel mich vor zwei Tagen bei dem Gedanken an die bevorstehenden Feierlichkeiten eine eigentümliche Verwunderung, da wir nun bereits zum zweiten Male als Nation eine Unabhängigkeit feiern, die in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr besteht. Jene Unabhängigkeit von einer dominierenden Nation und fremdem Diktat, welche unsere Vorfahren vor mehr als einem Jahrhundert mit ihrem Blut und Schweiß errangen, hat durch die Niederlage gegen das Reich zu bestehen aufgehört, und doch begeht unser Volk an diesem Tage weiterhin die Feierlichkeiten, als hätte diese einschneidende Erfahrung nie stattgefunden. Es liegt mir fern, Groll auf die Deutschen als Volk oder einzelne ihrer Soldaten und Generäle zu hegen, sie sind mir, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, als achtbare, großmütige Gegner und Waffenbrüder begegnet, und mit manchen von ihnen habe ich sogar eine tiefe Freundschaft geschlossen.

Und doch scheint es mir, als hätte unsere Nation das Bewusstsein für ihre Geschichte verloren, als würde sie jene Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, welche von je her unser Credo war, zugunsten einer leichtgängigen Bequemlichkeit aufgeben, welche sich in dem Drange nach einem friedlichen und unbesorgten Leben erschöpft. Zwar hat die Reichsregierung zu allen Zeiten betont, dass sie dem amerikanischen Volk kein Übel will und unserer Nation auch weiterhin gestatten will, in Assoziation mit dem Reich seine Geschäfte selbständig zu führen, und doch ist es eine Tatsache, dass unser Land zum Kriegsschauplatz gemacht und militärisch niedergeworfen wurde.

Wiegt das Trauma jener Niederwerfung für unsere kollektive Seele so schwer, dass wir uns unserer nationalen Identität nicht mehr zu besinnen vermögen, welche einstmals stets von dem Drang nach Selbstbehauptung geprägt war? Oder ist es die Sorge vor jenem barbarischen Terror, welchen die Separatisten auf unserem Boden entfesselt haben, welche die Leute aus Angst um das eigene Überleben ihre eigene Unabhängigkeit und ihr Geburtsrecht auf Freiheit vergessen lässt? Mir will scheinen, dass die Separatisten unserer Nation in keinster Weise jenen guten Dienst erweisen, den sie zu erweisen vorgeben. In der Tat scheinen sie wohl eher das Gegenteil von dem zu erreichen, was sie anstreben, denn mit ihrem schändlichen Tun, welches in seiner Grausamkeit alle Maßen des Bekannten und Fassbaren sprengt und somit alle dem Menschen innewohnenden Kräfte des Widerstandes lähmt, diskreditieren sie keineswegs das deutsche Gouvernement, sondern treiben sie stattdessen Teile der Bevölkerung dazu, auf der Suche nach Schutz und Sicherheit nach eben jenem Gouvernement zu blicken und von dort Rettung zu erwarten. Dies nützt das Gouvernement natürlich weidlich aus, um sich selbst allerlei neuartige Befugnisse zu geben. So erscheint es mir eine beträchtliche Ironie, dass unsere Nation den Tag unserer Unabhängigkeit feiert, während sie gleichzeitig dabei ist, sich immer mehr in Abhängigkeit zu stürzen.

Die deutsche Front ist wahrhaftig jenseits des Ural erstarrt. Gleich heißer Lava, welche sich nach einer vulkanischen Eruption zunächst reißend und sich Bahn brechend zu Tale fließt, hat sich die brennende Glut des deutschen Panzervorstoßes umso stärker verausgabt, je mehr sie nach Osten vorgestoßen ist, und nun scheint es so, als wäre sie durch Überdehnung erkaltet. Sich kontrahierend hat sie eine spröde Kruste aus Vorposten und Igelstellungen gebildet, insgesamt jedoch ihren Vorwärtsschwung verausgabt. In den Zeitungen erscheinen nach wie vor Siegesmeldungen und triumphale Geschichten über individuellen Heldenmut, doch tauchen keinerlei neue Namen von eroberten oder erreichten Orten mehr in den Schlagzeilen auf, und das ist ein untrüglicher Hinweis darauf, dass es dort nicht mehr vorwärts geht.
Zwar verbreitet die Führung es nicht offensichtlich, doch neben dem beständigen Widerstande der Sowjets, welcher Männern und Maschinen hart zuzusetzen scheint, sollen es nach dem, was man gerüchteweise hört, vor allem der Nachschubmangel und der ungeheure Verschleiß zu sein, welcher den Panzern ihre Beweglichkeit raubt und die Divisionen lähmt. Hasso hat uns ausgerechnet, dass aufgrund der gewaltigen Entfernungen, welche die Nachschubkolonnen mittlerweile zurücklegen müssen, die Lastkraftwagen einen beträchtlichen Teil des transportierten Kraftstoffs für den Rückweg selber wieder verbrauchen, und auch die beständigen Angriffe der Engländer auf Baku und Astrachan scheinen eine gewisse Wirkung zu entfalten. Wenn man bedenkt, mit welchen Mengen an Panzern und Flugzeugen das deutsche Feldheer seinen Vormarsch nach Osten angetreten hat, dann kann einem anhand der geschätzten Verbrauchsziffern nur schwindlig werden.

Ein ähnliches Problem beschäftigt uns auch hier in Persien. Die Divisionen des Ersten Gebirgskorps fechten derzeit in der offenen Wüste Ostpersiens und nähern sich den Ausläufern des Hindukusch, jenes gewaltigen Gebirgszuges, welcher die Grenze nach Indien und Afghanistan markiert. Zwar scheint der Feind in Unordnung und auf ganzer Linie auf dem Rückzug befindlich, doch bewirkt das unwegsame Gelände auch hier eine gefährliche Überdehnung der lebenswichtigen Nachschublinien. Alle Versorgungsgüter, welche nicht über das Meer angeliefert werden, müssen über die Straße von Norden durch den Kaukasus oder über den schlecht ausgebauten Schienenweg entlang der Küste angeliefert werden. Von Westen her, aus dem italienisch besetzten Irak, wird zwar zusätzlich Brennstoff zugeführt, doch erfolgen die Lieferungen aufgrund der diplomatischen Spannungen zwischen Italien und dem Reich in letzter Zeit nur schleppend und unzuverlässig, und auch hier wirkt das Terrain als hemmender Faktor. Wir schleusen an Gütern und Material durch, was wir vermögen und so schnell wir es vermögen, doch zu allen Zeiten lautet die drängende Forderung der kämpfenden Truppe: „Mehr, schneller.“ Und es steht unbedingt zu erwarten, dass zumindest die Engländer von Indien aus auf diesem Schauplatz eingreifen werden, möglicherweise sogar die Sowjets von Norden, von Turkmenistan her, wenn sie die nötigen Kräfte für ein solches Unterfangen entbehren können.

Derweil übe ich mich in meine neue Arbeit ein. Der Alltag hier könnte nicht unterschiedlicher sein von dem, welchen ich in Ehrenfels kennengelernt habe. War dort eine jegliche Tätigkeit des täglichen Wirkens und Wohnens streng reglementiert und der Umgang miteinander einem Korsett von Zeremoniellen und Hierarchien unterworfen, so scheint man derlei Formalitäten hier dem Zweck der Effizienz geopfert zu haben, oder vielleicht auch der Bequemlichkeit eines zwanglosen Umganges, welcher all diejenigen verbindet, die hier mit einem nur vage definierten höheren Ziel vor Augen mit vereinten Kräften ihrem Tagwerk nachgehen. Auf allen Seiten stößt man hier unter den Deutschen auf einen gewissen Enthusiasmus, welcher seine Wurzel in einer Traumvorstellung von einer besseren Welt zu haben scheint, die an diesem fremden Gestade zu schaffen man sich ausersehen wähnt, und auch mich hat dieser Pioniergeist ein wenig angesteckt, ich erlebe darin eine Wiederkehr jener Abenteuerlust, welche mich damals von den Gestaden meines heimatlichen Bostons aufbrechen ließ in jenes vermeintliche große Abenteuer, welches dann einen so urgewaltigen Umschwung nahm.

Alles ist hier neu für mich, und vieles verlangt ein Umdenken und eine Abkehr von Tatsachen, welche ich bislang als gegeben hinnahm. Nimm nur einmal die vielen Volksstämme, welche dieses Land Persien bevölkern. Hatte ich mir, meinen bisherigen Erfahrungen gehorchend, die Perser als ein in sich fest gefügtes Volk vorgestellt, welches eine geschlossene Gesellschaftsordnung pflegt, mit geringfügigen regionalen Unterschieden, so wurde ich recht schnell eines Besseren belehrt, denn ein jeder der Stämme pflegt seinen eigenen Dialekt, eine gewisse Eigenart, sich zu kleiden, und vor allem einen unbändigen Sippenstolz, welcher sich aus einem gemeinsamen Schatz von Geschichte und Legenden speist und sehr demjenigen ähnelt, den ich bereits bei den Kosaken beobachten konnte.

In der Region um Namak Abroud herum lebt der Volksstamm der Gilan, welche schiitische Mohammedaner sind, nach Osten hin jedoch die Küste entlang leben die Mazandaran, nach Norden und Westen, zum Kaukasus hin, sind wiederum die Talysh und die Ardabil beheimatet. Unter den Gilan, mit denen wir in guter Nachbarschaft leben, gibt es zahlreiche, welche ihre Abstammung auf Georgier zurückführen, die vor hunderten Jahren einmal das Gebirge überschritten und sich hier niedergelassen haben, man sieht bei jenen eine deutlich hellere Gesichtsfarbe und merklich europäisch geschnittene Züge, wenngleich auch sie praktisch ausnahmslos tiefschwarzes Haar haben.

Jörg lehrt mich nach und nach die Landessprache, das Persische, auch Farsi genannt, und auch wenn ich mit der Aussprache so meine liebe Mühe habe, so finde ich doch immer wieder, dass einem die Menschen mit wesentlich mehr Offenheit und Freundlichkeit begegnen, wenn sie merken, dass man sich bemüht, sie in ihrer eigenen Zunge anzureden.

Darüber hinaus sind die drei Vorarbeiter, zu deren Aufsicht ich bestellt bin, patente Kerle, die auch schon ein paar deutsche Redewendungen beherrschen, ihre Namen sind Amad, Aziz und Asfar, und da sie ihren Wortschatz nun einmal hauptsächlich von Jörg haben, werde ich von einem jeden von ihnen allmorgendlich mit einem schmetternden „Moin, Moin!“ begrüßt. Und von einem schmunzelnden Jörg durfte ich mir sagen lassen, dass sie für mich bereits einen Spitznamen in ihrer Sprache erkoren haben, welcher sich mit „Alter Krieger“ übersetzen lässt. Jörg seinerseits ist der „Alte Baumeister“.
Und ihre Baukolonnen haben sie im Griff, das merkt man. Auch wenn die Männer in der schwülen Hitze mit den primitivsten Werkzeugen arbeiten müssen, so legen sie sich doch mächtig ins Zeug beim Straßenbau, denn Jörg hat hier das deutsche System einer leistungsbezogenen Bezahlung eingeführt und vergütet jede Gruppe nach der Zahl der gemeinsam fertig gestellten Straßenmeter. Da gibt es keine Trödler und keine Faulenzer, und von jenem mohammedanischen Stumpfsinn, welchen ich seinerzeit bei den Kriegsgefangenen sah, habe ich unter den Gilan auch noch nichts beobachtet.

Zu den sonstigen Jubelmeldungen, welche wir dieser Tage serviert bekommen, gehört die Einführung des neuesten turbinengetriebenen Jagdflugzeuges der Luftwaffe, der Focke-Wulf Ta-183 „Huckebein“, eine Schöpfung des begabten Luftfahrtingenieurs Kurt Tank und benannt nach einem Rabenvogel aus einer deutschen Kinderfabel, welcher durch sein dreistes Tun allerhand Unheil stiftet. Dieser neue Wundervogel, welcher selbstredend vom Jagdverband 44 seiner Fronterprobung unterzogen wird, ist mit der neuesten Generation drahtgelenkter Luftkampfraketen ausgestattet und soll nach und nach die bisher im Dienst befindlichen Messerschmitt- und Heinkel-Flugzeuge ablösen. Ich bin nur einmal gespannt, wem dieser hochgezüchtete Vogel solch sprichwörtlichen Verdruss bereiten soll, denn nach allen vergangenen Meldungen liegt die Rote Luftwaffe auf den Knien. Die englische Air Force mag vielleicht einen ebenbürtigen Kontrahenten abgeben, denn dem Vernehmen nach behaupten sich ihre von Turkmenistan aus operierenden Fliegerverbände recht wacker, und die Sowjets sollen ihre Südflanke östlich des kaspischen Meeres bisher mit Erfolg verteidigt haben.

Eine Meldung, die mich froh stimmte, war die über die Wegnahme von Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti und den Fall von Kingston auf Jamaica. Damit sind beide großen Inseln nun fest in deutscher Hand, die britische Garnison von Jamaica hat, in aussichtsloser Lage und unter beständigem Bombardement von deutschen Schlachtschiffen und Trägerflugzeugen, ehrenvoll ihre Waffen gestreckt, nachdem ihre letzten Küstenbatterien zertrümmert worden waren. Damit scheinen die Operationen in der Karibik nun abgeschlossen zu sein, somit dürfte einer baldigen Verlegung von Kräften und Schiffen in den Pazifik nichts mehr im Wege stehen.
Und von Jörg habe ich einen wahren Schatz geliehen bekommen: Homers „Odyssee“, im deutschen Druck, aus seinem kärglichen persönlichen Bestand an Büchern, und abends im Lichte der Öllaternen sieht man mich dann bisweilen nach getanem Tagewerk zufrieden unter meinem Moskitonetz lesen.

Mit besten Grüßen,
Carl
Hm,
wie schon geschrieben. Ich lese dich gerne, wegen deiner Schreibweise.
Doch thematisch liegt mir die "Landserromantik" trotz mittlerweile etwas kritischer Zwischentöne gar nicht.
Mir macht der Widerspruch zwischen hingenommener agressiver Kriegsführung und verurteiltem separatistischem Terrorismus Bauchweh.

Es klingt nach: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!
Zumindest kommt für mich die Botschaft rüber. Deshalb hätte ich Schwieigkeiten, diese Zeilen in der Öffentlichkeit weiter zu empfehlen.

Ich hoffe, dir ist meine ehrliche Kritik recht Olaf
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!

... das Zitat ist treffend und trifft auf die meisten Menschen zu, oder warum denkst du verhält sich die Politik so wie sie sich verhält?
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Lieber Olaf,
natürlich ist mir deine Kritik willkommen. Ehrliche Kritik ist mir die liebste, und allemal lieber als ein allfeiles Lob.

Was den empfundenen Widerspruch angeht, so denke ich, dass die Menschen damals ein anderes Verhältnis zum Thema Krieg hatten als wir heute, da sie einer anderen Gesellschaft entstammten und Krieg als legitimes Mittel der zwischenstaatlichen Politik wahrnahmen. Eine Unterscheidung zwischen einem aggressiven, als "böse" definierten und einem passiven, vorgeblich gerechten Krieg wäre damals reine Makulatur gewesen. Auch die Nazis verstanden es, ihre Sache als "gerecht" hinzustellen. Aus der Perspektive eines Zeitgenossen würde Krieg also keineswegs ein absolutes Übel sein, allenfalls mochten die Motive, aus denen heraus er geführt wurde, als verwerflich gelten.

Terrorismus und Freischärlertum waren jedoch schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg als verbrecherisch geächtet, was man auch daran erkennt, dass die Genfer Konvention sie ausdrücklich nicht als legitimes Mittel der Kampfführung anerkennt.

Viele Grüße,
Daniel
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
So, nun hab ich endlich die letzten Fortsetzungen nachgelesen.

Ja, die Thematik dieses Kurzromans (?) ist schon ein Thema für sich - aber ich lese es so, wie die Menschen dieser Zeit darüber dachten. Mir persönlich wäre auch mehr eindeutige und harsche Kritik an Krieg und all dem lieber. Aber ich bleibe dabei, dass es eine weiterhin verdammt gut geschriebene Geschichte ist, die das Denken und Fühlen von damals authentisch rüberbringt.

(Der Antaghar)
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, den 25. Juli 1945

Liebste Jennifer,

genau zwei Wochen sind nach meinem letzten Brief vergangen, und es hat sich in dieser Zeit in der Tat allerhand ereignet, was des Berichtens würdig ist.

In den vergangenen Wochen habe ich eine gewisse Gewöhnung an das hier vorherrschende tropische Klima erfahren, welches mir in der ersten Zeit drückend und unangenehm vorkam, auch habe ich jenen Sonnenbrand überwunden, welcher meine an russische Verhältnisse gewöhnte Haut eine ganze Weile lang geplagt hat, und habe statt dessen eine gesunde Bräune entwickelt. Auch hat sich Gelegenheit gefunden, meine überaus unbequeme und für diese Witterung gänzlich ungeeignete graue Uniform gegen etwas Passenderes einzutauschen, denn Jörg hat für mich aus unseren spärlichen Beständen eine weiße und khakifarbene Garnitur der Marine aus leichtem Leinenstoff organisiert, komplett mit Feldmütze, statt welcher ich jedoch bei der täglichen Arbeit in der Sonne stets nach Sitte der Einheimischen ein Wickeltuch trage, um mich vor einem gefährlichen Hitzschlage zu bewahren. Diese Art von leichthin getanem Hinwegsetzen über Uniformvorschriften wäre in Ehrenfels undenkbar gewesen, hier fragt niemand auch nur danach.

Da ich dies schreibe, sitze ich auf meinem neuen Lieblingsplatz, einem felsigen Ausläufer einer Gebirgszacke, hoch droben über unserem Dorf, von welchem aus ich weit in die Runde blicken kann. Auch finden sich hier einige stark überwucherte, kaum kniehohe Mauerreste, welche sich durchaus malerisch ausnehmen, und eine silbern sprudelnde, muntere und frische Quelle, die am Fuße eines Baumes direkt aus dem Gebirge zu entspringen scheint und sich hier ein schmales Bett zwischen Steinen und Baumwurzeln gegraben hat. Entdeckt habe ich dieses wunderschöne Fleckchen durch eine mir liebe Gewohnheit, zu welcher die Neugier mich treibt: mir eine neuartige Umgebung zu „erlaufen“, sie durch Spaziergänge so lange zu erkunden, bis ich ihre Eigenarten zu meiner Zufriedenheit kennen gelernt habe.

Den Aufstieg zu diesem abgeschiedenen Orte, welcher wohl eine Viertelstunde währt, bin ich jeden Tag zumindest ein Mal zu bewältigen bestrebt, um meine Leibesform nicht zu verlieren, denn nun, da mir die tägliche Ertüchtigung durch Leibesübungen und Pionierdienst fehlt, welche ich aus Ehrenfels gewohnt bin, könnte ich sonst Gefahr laufen, einer gewissen Trägheit zu verfallen und die Spannkraft meiner Muskeln und Sehnen zu verlieren. Jörg hat mir die Aufsicht über unsere drei Straßenbaukolonnen übertragen, nachdem ich mich in diese Tätigkeit eingefunden habe, und so lege ich am Tag einige Strecken mit dem Steyr-Geländewagen zurück, um die Fortschritte der Arbeiten zu überprüfen und die tägliche Arbeitsleistung auszumessen, nach welcher meine insgesamt dreißig Gilan entlohnt werden. Gelegentlich versuchen meine „drei As“, wie Jörg meine Vorarbeiter nennt, da ihre Vornamen alle mit diesem Buchstaben beginnen, mich um den einen oder anderen halben Meter zu beschummeln, um ein höheres Entgelt herauszuschlagen, doch mittlerweile kenne ich das Handwerk genau genug, um die überwiegende Mehrheit dieser Versuche zu enttarnen.

Ermahnungen und Appelle an solche Werte wie Ehrlichkeit und Gründlichkeit bringen in einem solchen Falle nichts, denn sie sind in den Wind gesprochen. Die drei meinen es durchaus nicht bösartig, so hat es mir Jörg erklärt, es liegt ihnen einfach im Blute, denn das heilige Buch des Mohammedanismus enthält den ausdrücklichen Dispens, jeden Andersgläubigen zum eigenen Vorteil nach Kräften über das Ohr hauen zu dürfen, und daher halten es die Kerle für ihr Geburtsrecht, mit mir so zu verfahren, und sind gegen jegliche anders lautende Einrede gänzlich unempfänglich. Man muss es also als eine kulturelle Eigenart hinnehmen, dass man bei diesem Menschenschlag auf Schritt und Tritt auf der Hut sein muss.
Im Gegenzug kürze ich also jedes Mal, wenn ich sie auf frischer Tat ertappe, die Bezahlung des verantwortlichen Vorarbeiters. So bleibt es ein dauerhaftes Spielchen zwischen meinen Leuten und mir, bei dem mal der eine, mal der andere die Oberhand behält. Und zumindest nehmen es die Leute bei der Qualität der Arbeit in aller Regel recht genau. Und solange man sie mit ausreichend gestrenger Hand führt, erlauben sie sich auch keine schwerwiegenden Ungebührlichkeiten.

Bezahlt werden die Arbeiter übrigens derzeit noch in Bezugsscheinen, da wir nicht über ausreichende Mengen der hiesigen Landeswährung verfügen und ihnen deutsche Reichsmark wenig nützen würden. Die Scheine können sie bei unserer Marketenderei zu guten Bedingungen gegen allerlei Kantinenwaren und Lebensmittel eintauschen. Alkoholische Getränke rührt unter ihnen nach mohammedanischer Sitte keiner an, doch sind sie völlig versessen auf englische Beute-Zigaretten und allerlei sonstige Tabakwaren. Auch auf Konserven sind sie unheimlich scharf, jedoch weniger wegen des Inhalts sondern viel mehr wegen der haltbaren Blechdosen.

Von meinem Sitzplatz aus genieße ich einen hervorragenden Rundblick und kann bis weit auf die blassblaue Ferne des kaspischen Meeres hinaus blicken, welches im Sonnenlicht funkelt und glitzert und dessen Wellen sich an der Küste schäumend brechen. Würde ich mich umwenden, so könnte ich den Berg hinauf bis in die nebelverhangenen, satt grünen Wipfel des Regenwaldes schauen, welcher sich, soweit das Auge reicht, diese natürliche Barriere entlang hinzieht, und aus welchem in einiger Entfernung beständig die Rauchsäulen des Dorfes Namak Abroud aufsteigen. Von hier aus kann ich auch die Dächer und die rauchenden Schornsteine von Chalus sehen, welches unter mir an der Bergflanke liegt, und ganz unten, direkt an der Küste, von unserem Dorf durch eine weite Ebene voller rechteckiger Felder, dichter Haine von Dattelsträuchern und einem Geäst von Straßen und Bewässerungsgräben getrennt, liegt Nowshahr mit dem Hafen und der Flussmündung, und in der einsetzenden Abenddämmerung erkenne ich trotz der heißen, flimmernden Luft den Staub, der jedes Mal aufgewirbelt wird, wenn dort Arbeiten zur Vorbereitung für die nächtliche Ausfahrt eines Unterseeboots im Gange sind.

Fast könnte man, sich als argloser Betrachter dieser Szenerie hingebend, auf den Eindruck verfallen, es herrsche weiter nördlich in der Steppe gar kein Krieg, wenn da nicht bisweilen die eine oder andere unangenehme Störung des Gesamtbildes an diese ernste Tatsache gemahnen würde. Ein Beispiel: aufgrund der wiederholten Fliegerangriffe der Engländer wurden über dem Hafen mehrere Sperrballons an starken Drahtseilen in Position gebracht, welche nun vom Seewind gemächlich einmal hierhin, einmal dorthin getrieben werden und auf die Entfernung wie schwarze, schmierige Flecken auf einer Landschaftsfotografie wirken. Die Idee dabei ist, dass ein Flugzeug sich mit seinen Tragflächen in diesen Seilen verfängt wie eine Fliege in einem Spinnennetz und so zum Absturz gebracht wird, trotz des äußeren, recht harmlosen Erscheinungsbildes handelt es sich also durchaus um eine mörderische Vorrichtung. Allerdings stammen diese Ballons ironischer Weise aus englischen Beutebeständen und haben einmal in der Luft über London geschwebt, also scheint ihr Nutzen wohl bestenfalls von eingeschränkter Natur zu sein.

Jörg, von seiner unmittelbaren Aufsichtspflicht für den Straßenbau befreit, stürzt sich nun mit neu erwachtem Feuereifer in seine sonstigen Projekte, welche bisher notgedrungener Weise zurückstehen mussten. Er hat eine zusätzliche Baukolonne angeworben und setzt sie für den Bau eines Wohnhauses ein, wofür er bisher fleißig Ziegel gehortet hat. Im Moment lässt er die Hälfte der Männer das Fundament ausschachten und fest vermauern, während die andere Hälfte Holz schlägt und Balken für das Gerüst und die Dachkonstruktion zuschneidet. Wenn es einmal fertig ist, soll es unsere Unterkunft werden, als nächstes sollen dann ein Kommandanturgebäude und ein Lagerhaus für Vorräte folgen. Den Grundriss für dieses Vorhaben hat er mir bereits in grober Zeichnung gezeigt, er orientiert sich dabei wahrhaftig an mittelalterlichen Festungsbauten, teilweise auch an Forts der Pionierzeit, sein historisches Fachwissen kommt ihm unter diesen Umständen beträchtlich zu Gute.

Übrigens erlerne ich derzeit in den Abendstunden den Umgang mit einem höchst erstaunlichen Gefährt, welches von den Deutschen ein Land-Wasser-Schlepper geheißen wird und in welchem die Eigenschaften eines Motorbootes und eines Kettenfahrzeuges vereint sind. Die wassergängigen Geländewagen, welche Schwimmwagen benannt sind, waren mir ja schon bekannt, diese neue Kuriosität jedoch nicht, dabei ist dieses Vehikel, welches auch bei den Küstenjäger-Verbänden, insgesamt tatsächlich überall, wo deutsche Truppen in maritimen Gefilden ihre Tätigkeit nehmen, in verbreitetem Gebrauch, es bewegt sich am Lande mit der gleichen behäbigen Sicherheit wie zu Wasser, und erklettert, wenn es von einem kundigen Steuermanne gelenkt wird, selbst eine schroffe Uferböschung mit erstaunlicher Leichtigkeit.

Unser einzelnes Exemplar, welches in Erinnerung an Jörgs Ehefrau auf seinem Schornstein den Namen „Hannelore“ aufgemalt trägt, gebrauchen wir in der Regel, um Unterseeboote an die Pier zu bugsieren, Baumaterial über den Fluss zu transportieren oder um beim Entladen von Frachtkähnen zu helfen, wenn diese aufgrund des stellenweise flachen Wassers den Hafen nicht anlaufen können.
Und die Übungsstunden mit der braven „Hannelore“ sind mir hoch willkommen, denn wir beschließen sie jedes Mal mit einem angenehm erfrischenden und erholsamen Sprung in die halbwegs kühlen Fluten des Meeres.

Übrigens sind, wie vermutet, die Engländer wirklich an der Grenze zu Indien in Erscheinung getreten, und das in aller Offenheit und auf persischer Seite der Grenze, es wurden laut Rundfunkmeldungen bei Kämpfen in der vergangenen Woche Einheiten der in britischen Diensten stehenden indischen Khyber-Füsiliere festgestellt, dazu auch angeblich afghanische Milizen, welche sich in den Gebirgsausläufern mit einiger Tapferkeit zu schlagen wussten. Mir scheint es, als wollten die Herren Briten ihre Besitzung Persien nun doch nicht gänzlich ohne Anstrengung verloren geben. Denselben Meldungen zufolge soll sich der Feind auf dem Rückzug befinden, woraus sich schließen lässt, dass es bislang nicht gelungen ist, ihn vernichtend zu schlagen.

Besorgnis erregend finde ich eine Meldung, wonach das Flüchtlings-Elend an der Reichsgrenze außer Kontrolle zu geraten scheint. In einem Auffanglager bei Wien soll es einen erheblichen Aufruhr gegeben haben, in dessen Verlauf das Lager fast völlig verwüstet, auch teilweise niedergebrannt wurde, um die 800 Flüchtlinge sollen entsprungen sein, in der Masse junge Männer, von denen Gendarmerie und Landsturm etwa 400 in Bälde wieder habhaft machen konnten, die Suche nach dem Rest dauert in den umliegenden Ortschaften noch an. Man fragt sich doch, was einen solchen Aufruhr verursacht haben könnte, denn zunächst einmal mag man einem Flüchtling, der in einem anderen Land Aufnahme und Unterkunft findet, eine gewisse dankbare Friedfertigkeit unterstellen, welche nicht so recht zu der Vorstellung eines mit Brand überzogenen Barackenlagers passen mag.

Ein Satz in den Nachrichten ließ mich freilich aufhorchen ob seiner unterschwelligen Schärfe, und es mag ein Indiz dafür sein, wie ernstlich die Lage sich bereits zugespitzt hat. Die Ankündigung, man werde mit diesem oder jenem mit aller Strenge verfahren, gehört bei der von Pathos und Gebärde geschwängerten Diktion des deutschen Rundfunks beinahe schon zum alltäglichen Sprachgebrauch, man nimmt solches nach einiger Zeit kaum noch ernst. Hier jedoch verlautete seitens des Reichssicherheitshauptamtes lediglich lapidar, schon mit regelrecht bürokratischer Gleichmütigkeit, entsprungene Flüchtlinge würden, wenn sie sich bei Antreffen der gesetzmäßigen Arrestierung zu entziehen suchten, nach den Kriegsartikeln wie Bandenkämpfer behandelt. Wenn damit wirklich ernst gemacht wird, so tun die Entwichenen gut daran, sich aus freien Stücken wieder gefangen setzen zu lassen, denn Bandenkämpfer, das konnte ich in eigener Erfahrung mehrfach erleben, werden nach den Kriegsartikeln oft ohne viel Aufhebens liquidiert.

Angesichts der immer heftiger aufflammenden Gewalttätigkeiten in den Balkan-Ländern und des gleichermaßen immer weiter ausufernden Flüchtlingselends bereiten sowohl das Deutsche Reich als auch Italien, Ungarn und Rumänien eine humanitäre Intervention in Jugoslawien, Serbien und Montenegro vor, allen Schimpftiraden von türkischer Seite zum Trotze.
Immerhin scheinen die diplomatischen Spannungen zwischen dem Reich und Italien für das Erste angesichts der dringlicheren Sorgen auf dem Balkan beigelegt zu sein, denn auf dem zweiten Sondergipfel zur Balkan-Krise scheint sich eine einmütige Entschlossenheit abgezeichnet zu haben.

Ich verbleibe, in Erwartung deiner Zeilen,
Carl
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, Persien, den 10. August 1945


Liebe Jennifer,

in der vergangenen Woche hat sich einiges zugetragen, was des Berichtens wert ist, manches davon traurig, manches davon auch fröhlicher oder beachtlicher Natur.
Traurig ist, dass eines unserer Unterseeboote von seiner Ausfahrt nicht zum festgesetzten Zeitpunkte zurückgekehrt ist, mit seinem Verlust muss jedenfalls gerechnet werden, vielleicht ist es Opfer einer Mine geworden oder auch infolge eines technischen Defektes auf dem offenen Meere havariert, man wird es vermutlich nie erfahren. Nach einer gewissen Periode, darin sein überlanges Ausbleiben festgestellt wurde, wurden das Boot und seine zweiköpfige Besatzung nun als Verlust abgeschrieben, und wir hielten eine Gedenkfeier, um der tapferen Seelen zu gedenken, welche das kaspische Meer nun wohl zu sich genommen hat.
Auch wurde vor drei Tagen aus dem Hinterhalte heraus auf einen unserer Geländewagen geschossen, wobei leider zwei Kameraden der Feldpolizei gefallen sind. Diese Schießerei hat mich aufgerüttelt, denn ich dachte unsere Gegend eigentlich vor solchem Banditentum sicher. Vielleicht handelte es sich nur um einen Einzelfall, einer Blutfehde oder einer Provokation wegen.

Die Sowjets unternehmen wohl verstärkt Gegenangriffe auf die deutsche Front, auch reißt die Infiltration und die Bandentätigkeit hinter den Linien nicht ab, so dass das Feldheer nie gänzlich zur Ruhe kommt.

Welch freudige Nachricht! Denke dir, ich habe ein Antwortschreiben von Dieters Eltern erhalten, welches neben allerlei Glücks- und Segenswünschen auch einen weiteren Brief enthielt, den Dieter vor etwa vier Wochen an sie geschrieben haben muss. Dem ist zu entnehmen, dass er zu diesem Zeitpunkt wohlauf und gesund gewesen sein muss, er hat den Fliegerangriff am Fluss also überlebt und ist wahrhaftig durch den General Patton noch im Felde zum Hauptmann befördert worden, was wohl jedoch zu seinem Ärger von der deutschen Bürokratie noch nicht akzeptiert wurde. Mir fällt jedenfalls ein gewaltiger Stein vom Herzen, da ich diesen geliebten Freund am Leben weiß. Über das Schicksal meiner übrigen Freunde und Kameraden schrieb er bedauerlicherweise nichts, doch eine seiner Zeilen rührte mich zutiefst: „Von Carl nach wie vor keine Nachricht, nach Lazarettaufenthalt keine Spur mehr von ihm, bin in Sorge.“ Immerhin konnte ich dem Briefkopf seine aktuelle Feldpostadresse entnehmen, so dass ich ihm nun persönlich antworten kann.

Jörg hat seine Fühler noch weiter ausgestreckt und erneut eine beachtliche Entwicklung angestoßen, mit welcher er unsere Infrastruktur und unsere Möglichkeiten weiter auszudehnen gedenkt; sein Enthusiasmus scheint keine Grenzen zu kennen, und unsere Zusammenarbeit verbessert sich immer mehr. Mit unserem gemeinsamen Schwung halten wir fast den gesamten Arbeitsbetrieb am Laufen. Als seinen letzten Streich hat er wahrhaftig mit einer Eingabe Erfolg gehabt, welche er schon vor acht Wochen bei der Kommandantur getätigt hatte und für welche er in der Zwischenzeit bei sämtlichen übergeordneten Dienststellen eifrig die Werbetrommel gerührt hat, nämlich Nowshahr als vorgeschobenen Stützpunkt für Seeflieger zu nutzen. Und so trafen, vollkommen unverhofft, vor fünf Tagen aus Baku nicht nur ein Baukommando der Organisation Todt mit einem Pionierkraftwagen und allerlei gutem Gerät bei uns ein, sondern auch einen Tag später ein Flak-Transportzug des Reichsarbeitsdienstes mit zwei schweren 88mm-Geschützen.

Über die Verstärkung freue ich mich durchaus, auch wenn mir die Hoffnung versagt blieb, alte Bekannte aus Ehrenfelser Tagen wiederzusehen. Mit der OT hatte ich während meiner Zeit an der Gotenlinie nur am Rande zu tun, da wir Ehrenfelser Frontarbeiter die meisten Bauarbeiten an den Festungswerken selbst durchzuführen wussten, doch habe ich sie als tüchtige und handwerklich gut geschulte Kameraden kennengelernt, die, wenn sie selber auch nicht zum kämpfenden Feldheer gehören, diesem an Mut und Tatkraft oft genug nicht nachstanden. Unsere Neuzugänge hier gehören wohl zum Schutzkommando Russland-Süd und gebärden sich jedenfalls in ihrer betont martialischen, aber gänzlich unvorschriftsmäßigen Aufmachung mit Tropenuniformen, Halstüchern und altmodischen Tropenhelmen aus Kork wie leibhaftige Elitesoldaten.

Aber immerhin können sie nicht nur zackig marschieren, sondern auch buddeln wie die Erdhörnchen, was sie sogleich unter Beweis stellten, als sie binnen zweier Tage nicht nur in Ufernähe gedeckte Stellungen für ihre Kanonen ausschachteten, sondern bei dieser Gelegenheit auch gleich ordentliche gedeckte Unterstände für die Munition anlegten und einen kompletten Uferstreifen mit Bohlenwegen für Wachposten überzogen. Und gestern Abend trafen doch wahrhaftig zwei Wasserflugzeuge Arado Ar196 ein, welche flügelwackelnd über uns hinweg brummten und sich dann auf das Wasser senkten, um sich im Hafen vertäuen zu lassen. Wir sind nun obendrein auch noch der Gastgeber für die Seefliegergruppe Nowshahr in ihrer derzeitigen Stärke von vier Fliegern. Mechaniker, Waffenwarte und sonstiges technisches Personal werden in den nächsten Tagen erwartet.
Unser Straßennetz wächst und wächst durch unsrer Hände tatkräftige Arbeit mit jedem Tag.

Mittlerweile haben wir nicht nur die drei Dörfer Chalus, Nowshahr und Namak Abroud mit anständigen Pflasterstraßen verbunden, sondern auch begonnen, jene Trasse durch den Urwald in Richtung Osten zu befestigen und auszubauen, über welche ein Großteil der Lastwagen zu rollen hat. Das schwierigste Stück Arbeit dabei ist die Befestigung des Straßenrandes, wozu des Öfteren Bäume gefällt und Wurzeln gerodet werden müssen. Immerhin liefern uns die gefällten Stämme gutes Bauholz und auch geeignete Masten für eine Telegrafenleitung, welche wir noch zu ziehen beabsichtigen, und mit den Motorsägen, welche die OT-Leute mitgebracht haben, machen wir endlich gute Fortschritte. Allerdings müssen wir nun auch unser Baumaterial schärfer als bisher über Nacht verschließen und bewachen, denn unsere Perser sind in höchstem Maße erpicht auf unsere Werkzeuge aus hochwertigem, gehärtetem Stahl und klauen wie die Raben, ohne Rücksicht auf jegliche Bedrohung mit Strafe.


Auch die Ausbildung unserer örtlichen Schutztruppe macht gewisse Fortschritte, es sind nun immerhin wohl schon an die dreißig Mann aus den umliegenden Dörfern, welche sich hierzu gemeldet haben. Und doch haben sowohl Fritz Schott als auch der Leutnant Heuer, welchem die gefechtsmäßige Ausbildung obliegt, so ihre liebe Mühe mit ihren Schützlingen, denn es hat sich herausgestellt, dass man denen mit herkömmlichen Schulungsmethoden so gut wie nicht beikommen kann, sie vermögen es einfach nicht, einem Unterrichtsvortrage länger als nur einige Minuten verständig zu folgen, danach werden sie auf eigentümliche Weise unruhig und beginnen, untereinander zu schwätzen. Von einem anderen Gesetze als dem des Propheten Mahomet wollen sie erst gar nicht hören, und ganz ähnlich unseren lieben Kosaken empfinden sich die meisten unter ihnen als zu stolz für die europäische Art des Infanteriekrieges, da sie sämtlicherlei Finessen wie das Ausnutzen des Geländes, die Zusammenarbeit in der Gruppe und das gedeckte Vorgehen als die Ausflucht eines Feiglings erachten. Nur einige wenige sind darunter, die sich als verständig genug erweisen, mehr zu erlernen als ein bloßes Drauflosstürmen, so dass Heuer vorgestern kurzerhand den größten Teil der Dreißig um die Mittagsstunde nach Hause schickte und nur jenes halbe Dutzend bei sich behielt, denen er etwas zutraute.

Und am Abend jenes selben Tages, da er mich vorbeigehend antraf, da rief er mir zu: „Du, Pionier, komm her, wir wollen einmal bereden, wie wir es anstellen, dass aus diesem jämmerlichen Haufen doch noch eine vernünftige Truppe wird, mit der sich etwas unternehmen lässt.“
Nun ist der Leutnant Heinz Heuer kein Mann, der sich eine Idee wieder aus dem Kopfe schlägt, wenn er sie sich schon einmal ausgedacht hat. Du musst wissen, dass er sein Ritterkreuz dafür empfangen hat, dass er während der Kämpfe um die Gotenlinie von eigener Hand, mit der Panzerfaust, in einem nächtlichen Handstreich mit nur einer Handvoll Männer zur Begleitung dreizehn russische Panzer vernichtet hat. Und später, während unserer Gegenoffensive, da er in die Gefangenschaft der Sowjets geraten war und die russischen Soldaten ihn und seine Kameraden schon ihre eigenen Gräber hatten schaufeln lassen und bereits Anstalten machten, ihm die Kugel zu geben, da behielt er sich sein kühles Blut und entwich mit all seinen Begleitern, als ein zufälliger Beschuss durch deutsche Artillerie seine Bewacher zu Boden zwang.
Und also muss Jörg mich nun teilen und wieder einen Teil der Beaufsichtigung selbst übernehmen, da der Heinz mich erfolgreich für sich reklamiert hat und an zwei Nachmittagen in der Woche zu Ausbildertätigkeiten heranzieht. Gemeinsam unterziehen wir seine neuen Lieblinge einer gründlichen Schulung, damit diese dann später ihrerseits ihre Landsleute unterweisen können.

Und nun halte dich fest, es hat sich obendrein hier bei uns eine kleine Sensation ereignet. Da ich vor wenigen Tagen aufs Neue an meinem Lieblingsplatze saß und in der Hitze des Abends die Füße in das kühle Wasser der Quelle hielt, da erblickte ich zwischen den Steinen im Uferschlamm etwas, das ich zunächst für den verrosteten Kopf einer eisernen Hacke hielt, wie ich sie gelegentlich bei den hier ansässigen Bauern gesehen hatte. Ich nahm sie also bei meiner Heimkehr mit und ließ sie in meiner Unterkunft auf dem Tisch liegen in der Absicht, sie am nächsten Abend zu reinigen und mit einem neuen Stiel zu versehen, um mir auf diese Weise mit der Handarbeit die Zeit zu vertreiben und mir ein schönes Souvenir zu fertigen.

Da nun Jörg später am Abend mit einem Anliegen in die Stube trat und mich zu sprechen suchte, fiel ihm beim Schein der Lampen mein Fundstück auf, und sogleich geriet er in helle Erregung und befragte mich eindringlich nach dem Woher meines Fundes. Auf meine Beschreibung des Fundortes und der näheren Umstände wollte er am liebsten sogleich mit mir dort hin aufsteigen, ließ sich dann jedoch überreden, bis zum ersten Lichte des neuen Tages zu warten. Dann jedoch trieb er mich, noch eine Stunde vor der gewohnten Zeit, aus meinem Schlaflager und gab nicht eher Ruhe, als bis ich ihn an meinen Rastplatz geführt hatte, welchen er sogleich in seiner gesamten Ausdehnung abschritt und ganz besonders die Mauerreste und die steinerne Einfassung der Quelle in Augenschein nahm.
„Karl“, so sprach er schließlich, nach einer guten halben Stunde des wortlosen Umherstreifens, zu mir, „du wirst mir nicht glauben, was du hier entdeckt hast.“

Und als er es mir erklärte, glaubte ich es tatsächlich nicht. Es erschien mir doch gar zu absonderlich, eine Abenteuergeschichte, eine Räuberpistole, und ich fand mich dabei, es vehement zu bestreiten.
Daraufhin blickte Jörg mich eine Weile an und sprach dann: „Karl, wer hat dir nur diesen Glauben mitgegeben, dass wohl ein Kara Ben Nemsi, aber keinesfalls du, einer solchen Entdeckung wert wäre?“
Und da schwieg ich eine Weile, vor Erstaunen, aber auch vor Scham, bis Jörg fortfuhr: „Kein Grund, sich zu schämen. Der Buddha hat dich an diesen Ort geführt, denn an keinem anderen Ort als diesem hättest du dies lernen können, und dieser Ort hätte von keinem anderen als dir wiederentdeckt werden können. Er hat nur auf dich gewartet, und das, finde ich, ist ein ermutigender Gedanke. Und nun setz dich her, ich will dir einmal zeigen, was nun zu tun ist.“

Und ich setzte mich, und er zog aus seiner Kartentasche ein Notizbuch und ein Bündel Bleistifte heraus, sorgfältig in Leintuch eingeschlagen, und schlug das Buch auf und begann, zu skizzieren. Und während er mit geschickter Hand eine Zeichnung auf das weiße Papier warf, darin er die Quelle und ihre Umgebung mitsamt von Längen- und Entfernungsangaben festhielt, erzählte er, und ich lauschte andächtig seinen Erklärungen.

Es hat sich wohl vor bald einem Jahrtausend so zugetragen, dass weitgereiste Nordmänner aus der Region des heutigen Skandinavien, welches heute die Staaten Schweden, Norwegen, Finnland und auch Dänemark umfasst, in der Region des Baltikums, das ist die östliche Ostsee, Fuß gefasst und über die großen Flüsse Wolga und Don, wohl auch auf dem Landwege, ihren Weg bis weit nach Russland hinein fortgesetzt hatten, wo sie als Händler, aber auch als Plünderer auftraten, auch wurden sie wohl vom Kaiser des oströmischen Reiches wegen ihrer unverbrüchlichen Lehenstreue als Leibgarde in Dienst gesetzt. In der Sprache der dort ansässigen Menschen wurden sie Rus oder auch Waräger genannt, das heißt ‚Fremdlinge‘, und es ist von dem Worte Rus, dass sich der Name des heutigen Russlands herleitet. Einige Stämme der Rus wiederum reisten weiter über das Schwarze Meer, wiederum andere in das kaspische Meer in das Emirat von Tabaristan, welches das heutige Persien ist. So stammen einige zeitgenössische Berichte über ihre Kultur und ihren Lebenswandel von einem Dichter und Schriftsteller aus dem Zweistromlande, einem gelehrten und weitgereisten Mann namens Ahmad Ibn Fadlan, welcher gar eine Zeit lang unter ihnen gelebt haben soll. Und anscheinend war ich wohl, ohne es zu ahnen, auf die Überreste einer ihrer Niederlassungen gestoßen. Die Quelle, an welcher ich meine Rast zu halten pflege, diente wohl einmal als Wasserversorgung für einen Aussichtsposten, eine Trutzburg vielleicht gar, und Jörg ist der Überzeugung, dass sie auch als Kultstätte diente, an welcher heidnische Gottheiten verehrt wurden. Den verrosteten Axtkopf, welchen ich fand und welchen er aufgrund seiner charakteristischen Form als von den Rus stämmig erkennen konnte, deutet jedenfalls darauf hin, den vermutlich hat dereinst jemand die Waffe, von der er stammt, als großzügige Opfergabe in diese Quelle geworfen.

„Karl“, sprach Jörg, von einem heiligen Eifer ergriffen, der sein Forscherherz zu beseelen schien, „sicherlich finden wir allein hier an diesem Orte noch einige interessante Dinge, und wenn wir am Ufer suchen, so stoßen wir sicherlich auf die Überreste eines Handelspostens, vielleicht auch auf eine vollständige Siedlung. Es mag wohl sein, dass du hier das kaspische Rungholt gefunden hast. Wir werden alles sorgfältig dokumentieren und niederschreiben, und am Ende fertigen wir ein Papier darüber, setzen deinen Namen darunter und senden es an die Hochschule für Altertumskunde in Berlin, und dann wirst du berühmt.“

Indem ich aber widersprach und einwarf, es müsste sein Name sein, der auf diesem Papier stehe, da er selber doch wohl maßgeblich diese Dokumentation unternehmen werde, da lachte er und sprach: „Was, mein lieber Karl, habe ich dir soeben über Selbst-Würdigkeit erzählt? Und außerdem wirst du es sein, der diese Arbeit macht, was glaubst du wohl. Ich werde dir lediglich am Anfang zur Hand gehen und dich unterweisen, was zu tun ist, und hin und wieder schaue ich vielleicht mal herein. Nein, mein Lieber, ich habe viel zu viel anderes zu tun, um mich hierum auch noch zu kümmern. Also, wie steht es? Schlag ein.“
Und wie hätte ich dazu auch Nein sagen können?

[...] Fortsetzung folgt.
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
[...] Fortsetzung:

Liebe Jennifer, ich musste meine Gedanken über freudige Ereignisse an dieser Stelle leider unterbrechen, denn ich wurde jählings und rüde unterbrochen von Ereignissen, vor denen ich mich eigentlich an diesem abgeschiedenen Orte sicher wähnte, doch wurde ich in der vergangenen Nacht hierüber eines Besseren belehrt.
Denke dir, ich lag bereits in meiner Schlafstatt, hatte mich nach meiner abendlichen Schreibtisch-Tätigkeit, welche beim Schein der Öllampe mit dem Ausfüllen von allerlei Formularen ausgefüllt gewesen war, zur Ruhe begeben, da riss der hereinstürmende Jörg uns alle miteinander mit Alarmgebrüll aus dem Schlafe, so dass nicht nur ich vor Schreck ergriffen auffuhr. Auf meine Frage, was es gebe, warf er mir eine geladene Maschinenpistole hin und sprach: „Steh auf und zieh dich an, unten am Hafen wird geschossen.“

Und richtig, indem ich in die Nacht hinein lauschte, so vernahmen meine Ohren nicht nur jenes mittlerweile gewohnte und von mir durchaus erwartete Dröhnen der leichten 2cm-Fliegerabwehr, welche wohl einen einfliegenden Tommybomber auf ihr Korn genommen haben mochte, sondern darunter und darüber verflochten auch das hektische Knattern von Infanteriewaffen und das krachende Krepieren von Granaten, und mit hastiger Schnelligkeit war ich auf den Beinen, bekleidete mich und schnallte mein Koppel um, indem um mich herum meine Kameraden ein Gleiches taten, und zu acht sprangen wir in Jörgs Geländewagen, welcher eigentlich nur sechs Leute zu fassen gemacht ist, und in brausender, holpernder, schlingernder nächtlicher Sturmfahrt jagten wir mit heulendem Motor und krachenden Federn, rasende mechanisierte Derwische, die Straße hinunter zur Küste, die grellen Scheinwerferkegel wie Flackerlichter voraus ins Dunkle gestanzt, und kaum dass wir die Dorfgrenze von Nowshahr überfuhren, gerieten wir mitten ins wildeste Getümmel.

Da bietet sich, indem Jörg auf das Schärfste bremst und ich, den Schlag aufreißend, aus dem Wagen springe, meinem Auge ein erschreckendes Bild. In einiger Entfernung brennt etwas, über den Hüttendächern steht Feuerschein, darüber zucken schräg sich kreuzende Bahnen von Leuchtspur durch die fahl orange-schwarze Düsternis, am Ufer blitzt das grellgelbe Mündungsfeuer der leichten Flak, dazwischen kracht der rollende Donner einer schweren Acht-Acht, immer wieder tackern Maschinenwaffen. Überall laufen Dorfbewohner durcheinander, manche bewaffnet, die meisten nicht, und auch kleine Gruppen von Kameraden sind dazwischen, vor ihren Hütten stehend, als wüssten sie nichts mit sich anzufangen, Matrosen, Feldnachrichtenleute und auch Küchenpersonal kann ich unterscheiden, genau wie wir aus dem Schlaf gerissen, halb uniformiert und ohne einheitliche Führung, wir scheinen in näherem Umfeld die einzige Gruppe zu sein, die einen Zusammenhalt und einen Zweck besitzt. Hysterie, geht es mir durch den Kopf, so also sieht eine kollektive Hysterie aus.

Jörg schnappt sich den ersten besten Deutschen, den er in die Finger kriegt, einen Matrosengefreiten, und nimmt ihn sich zur Brust, schreit ihn über dem gesamten Radau aus voller Lunge an und verlangt zu wissen, was es gebe, und der andere blickt ihn nur verständnislos an, als hätte Jörg den Verstand verloren, klappt den Mund auf und zu und bringt doch kein Wort heraus. Kurzerhand lässt Jörg ihn stehen, wendet sich mir zu und deutet auf eine Gruppe von sieben oder neun weiteren Halbuniformierten, die in einem Torbogen stehen und sich nervös umblicken, zwei davon mit Karabinern am langen Arm, der Rest mit leeren Händen.

Ich sehe, was er vorhat. Wir brauchen jeden Mann zur Verstärkung, den wir kriegen können, mag uns der Wunsch zu helfen noch so zur Eile drängen, mit unserem halben Dutzend Funker und Feldgendarmen kommen wir auf keinen Fall zurecht, wenn wir auf entschlossenen Widerstand treffen, und am Hafen scheint die sprichwörtliche Hölle losgebrochen zu sein. Doch mit diesen Figuren hier können wir in ihrer jetzigen Verfassung nichts anfangen, ich sehe angstgeweitete, umherirrende Augen, kinderhafte Gesichter, staunend geöffnete und lippenbeißend verkrampfte Münder, fahrige Hände auf der Uniformbrust. Sieht Jörg sie auch? Mir wird schlagartig bewusst, dass ich ihn das erste Mal als Offizier im Gefecht erlebe, nicht nur als Ingenieur und Landeskundiger. Wir haben gemeinsam eine Schwelle überschritten.

„Karl! Bring diesen Haufen auf Trab!“ Oh, das klingt mir wohl, das elektrisiert mich! Und so nehme ich, in jener dunklen Stunde an persischem Gestade, da ich im Begriff stehe, inmitten eines unerhörten und unheiligen Trubels und Waffenlärms mein Meisterstück der Unteroffizierskunst zu tun, großzügige Anleihe von allem, was je auf einem deutschen Kasernenhof, in einem französischen Schützengraben oder einer Bostoner Hafengasse an unflätigen und liederlichen Redensarten an mein Ohr gedrungen, und ich wechsle dabei in meiner eigenen Aufregung munter von der deutschen in die amerikanische Sprache und zurück, heiße sie alle miteinander die nutzlosesten Herumtreiber, welche in der Welt sind, bescheinige ihnen, patentierterweise unwürdig zu sein, für wahre Soldaten auch nur die Milch vom Bauern zu holen, schimpfe den einen gar auf Norwegisch einen Schafhirten und einen anderen einen türkischen Geldwechsler und Saufbruder Mahomets.

Und alsbald stellt sich auf wundersame Weise die vertraute Wirkung eines solchen zünftigen Rüffels ein und enthebt die Aufmerksamkeit der Männer hinfort von der sie umbrausenden Hektik und Sinnesflucht, zurück in das Hier und Jetzt, und so löst sich ihr Verstand aus jener Starre der Überforderung, in welcher er vorher gefangen lag und gelangt aufs Neue zum Lichte des Geistes, welches durch die Bewusstwerdung des Augenblicks einem Menschen Wille und Entschlusskraft verleiht.
Und rasch sind wir mit unserer frisch bewaffneten Verstärkung unterwegs und stoßen in jenes branddurchzuckte Herz der Finsternis vor, welches vor uns atmet, ruht, atmet. Eine Feuerlohe steigt hundert Meter vor uns hinter den Dächern in den Himmel, sich aufschwingendes, schwereloses, pulsierendes Feuer, welches die Nachtschwärze spinnwebförmig verbrennt, und mich würgt es im Hals: da ist soeben ein Benzinfass in die Luft gegangen, vielleicht sogar mehrere, und weitere können jederzeit folgen.

Und noch etwas lässt mir den Schrecken in den Hals steigen, dass mir in der schwülen Nachtluft der kalte Schweiß in den Augen beißt: Jörg schreitet uns voran, sein Beispiel hält uns zusammen, aber er ist blind, geländeblind, er kann seine Umgebung nicht sehen, so wie ich sehe. Er läuft an dunklen Türöffnungen und Fensterhöhlen vorbei, überschreitet Häuserecken und Gassenmündungen, Todesfallen, ohne nach rechts und links zu blicken. Er führt uns in den Tod, aber er sieht es nicht. Ich greife ihn am Ärmel, hindere seinen Schritt, und wir schreien uns einen Augenblick lang gegenseitig an, dann nickt er knapp. „Karl, die Spitze!“
Und nun bin ich es, der dem Pulsschlag der Finsternis mit meinem eigenen Herzen ein Echo gibt, der die Geräusche der Nacht durch seine Haut dringen lässt und das Zucken der Leuchtspur in seinen Ohren spürt, der zu dem die dunklen Ecken flüstern und der den Schritt der Kameraden in meinem Rücken wie seinen eigenen Atem spürt. Alles, was ich einstmals gelernt habe und was sich in jenen bitteren Stunden der Not in mein Gedächtnis brannte, ist plötzlich wieder da, und auch wenn meine Nerven flattern, ich weiß, was zu tun ist und wir rücken vor, dorthin, wo der Kampf um Leben oder Tod am wildesten braust, in jene flackerleuchtende, brüllende, schreckliche und schöne Kulisse des Wahnsinns, wir rücken vor.

Und wie wir an den Ufersaum gelangen und die Hafenmole erreichen, da fällt mich erneut jenes Würgen an, denn hier herrscht wahrhaftige Anarchie, aus mehr Fensteröffnungen, als ich auf Anhieb zählen kann, blitzt Mündungsfeuer wild durcheinander, peitschen Karabinerschüsse, knattern russische Maschinenpistolen, ganz deutlich kann ich ihren vertrauten Klang unterscheiden, dazwischen hämmert unablässig ein schweres deutsches Maschinengewehr, ohrenbetäubend schmettert der Luftdruck der schweren Flak auf uns ein, worauf schießen die nur?

Und dann wird über uns eine weiße Leuchtkugel geschossen, badet die gesamte Szenerie in ein unwirkliches, knochenfarbenes Licht, und nun erkenne ich es: da liegt doch wahrhaftig, vielleicht zweihundert Meter vom Ufer entfernt, ein Motor-Kanonenboot, ein graphitdunkler, kastenförmiger Schatten vor der Tintenschwärze des nächtlichen Horizontes, und streut aus den Rohren seiner Maschinenwaffen Tod und Verderben über die Mole hin, darauf eine Acht-Acht erneut ihre Antwort wuchten lässt, die andere schweigt, die leichte Flak schweigt ihrerseits, und nun, da wir im flimmernden Schein des kurzlebigen Magnesiumsterns zu erkennen sind, da beißt uns schlagplötzlich rasendes Feuer entgegen, und rasch werfe ich mich auf das Kopfsteinpflaster, indem hinter mir, ganz nah, Schmerzensschreie aufgellen, einige meiner Begleiter sind offensichtlich von dem Geschieße ergriffen worden.

Neben mir keucht Jörg aus voller Lunge. „Verdammte Idioten, ballern auf die eigenen Leute!“
Er spricht aus, was ich mir nicht einzugestehen wage: in all der Konfusion sind anscheinend einige unserer eigenen Leute kopflos geworden, wähnen sich umzingelt, und schießen nun auf alles, was sie sehen oder zu sehen glauben. Mündungsfeuer und Magnesiumlicht zerstören nachhaltig jene Gewöhnung des Auges an die Dunkelheit, welche von selbst einzusetzen pflegt, und dann vermag man wahrhaftig den eigenen Augen nicht mehr zu trauen.
Schlagartig verzischt die Leuchtkugel in der Meeresbrandung, und orangefarbene Finsternis kehrt zurück. Jörg verliert keine Sekunde. „Los, rüber zur zweiten Flakstellung, wir brauchen Deckung!“ Und schon sind wir allesamt auf den Beinen, taumelnd, stolpernd, schlitternd, keuchend, drängelnd, hasten wir den Uferstreifen entlang und werfen uns über die aus Sandsäcken aufgeworfene Brustwehr der Geschützstellung in die Sicherheit der nachtkühlen Erde.
Die Kanone ist aus irgendeinem absonderlichen Grunde unbesetzt, aber immerhin sind wir in der Stellung vor den zahlreich umherfliegenden Geschossen halbwegs sicher und können uns einen Überblick verschaffen.

„Wer ist verletzt?“, belle ich in die Nacht, „Meldung! Wer ist verletzt!“
„Zwei Mann, Unteroffizier!“
„Kümmert euch! Verbandpäckchen sammeln!“
„Fünf Gewehre zu mir!“ kommandiert Jörg. „Dort, halb links, das wasserseitige Gebäude, auf das Mündungsfeuer anschlagen, Schnellfeuer!“ Die Entfernung mag vielleicht vierzig, fünfzig Meter betragen, mit dem Karabiner ein Leichtes, und so setzen wir die dort unten unter Druck. Zwei Häuser sind es, aus deren Fenstern immer wieder mit Maschinenpistolen geschossen wird, und Jörg lässt nun zumindest eines davon unter Feuer nehmen. Schon peitscht unser Schützenfeuer durch die Nacht. Viel ist es nicht, aber ein Anfang.
„Eine beschissene Raketenbüchse bräuchten wir!“ höre ich ihn fluchen.
Aber da flucht er vergebens, da könnte er sich auch gleich ein Sturmgeschütz wünschen, wir haben nicht mal eine Gewehrgranate oder das Notwendige, um eine geballte Ladung zu fabrizieren.

Da kommt uns endlich doch noch die Acht-Acht zur Hilfe, mit einem Mal schießt über dem Kanonenboot eine Stichflamme in die Höhe. Treffer! Ein Treffer! Gleich am Bug, kurz vor den Aufbauten hat es eingeschlagen, und da! Jetzt! Gleich nochmal! Berstendes, schmetterndes, gurgelndes Krachen und Saugen, kreischendes Metall, es schmerzt in den Zähnen, der Luftdruck peinigt die Trommelfelle, und jetzt frisst sich die Flamme fest, bekommt Gestalt und Gewicht, das Kanonenboot brennt, und da fliegt weiß sein Heckwasser in die Höhe, die Burschen wollen türmen!

Die Acht-Acht lässt es nicht fort! Sie lässt es nicht fort! Sie hat sich eingeschossen, und jetzt verbeißt sie sich in ihren Blutraub wie ein Kettenhund! Igitt, das schmettert und birst, das reißt und brennt wie Paukenschläge, jetzt steht der Aufbau in hellen Flammen, die vordere Maschinenwaffe schweigt bereits, nur die achtere hackt noch Antwort, deutlich kann ich die bereits vom Dauerfeuer glühende Laufmündung erkennen. Sekunden verfließen, zäh und giftig wie Kleister.
Wer zählt die Herzschläge? Wer bringt den Atem wieder?

Unten am Ufer schweigen die Maschinenpistolen, im Feuerschein sehe ich Leute aus den Häusern laufen, dem Wasser zu, das um ihre Füße empor stiebt. Sie fliehen! Sturmboote haben sie, ich sehe Männer über einander fallen, um hinein zu gelangen, gnadenloses Feuer greift zwischen sie, in der Brandung schlagen welche hin, ein Boot wird noch am Ufer zusammengehauen mit allen darin, Holz splittert und Menschenleiber splittern, die Schlachterei widert mich an und ich kann doch den Blick nicht abwenden, dann sind die anderen beiden Boote davon, das Kanonenboot ist herum, brennend flieht es dem Ufer, bäumt sich auf, einem waidwunden Tiere gleich, klammert sich an sein maschinenes Leben, will nicht in den Grund gebohrt werden, ein letztes Mal greift die Acht-Acht hinaus, doch vergebens, dann wird es still.

Verklingendes Motorengeräusch. Feuerschein über dem Wasser. Dann Ohrenklingeln, dumpfer Druck hinter den Augen, sekundenlang Watte im Kopf. Das Gefühl von Tränen auf den Wangen. Alles vertraut. Hinter mir schluchzt jemand seinen Mageninhalt in den Sand.

Jörg springt auf die Füße, er atmet schwer wie ein Ringkämpfer, dann holt er aus und schmeißt seine Maschinenpistole von sich weg zu Boden. „In die Ecke, Besen, Besen, seid’s gewesen!“
Wir tragen die Verwundeten nach hinten, dann helfen wir löschen und die Toten einsammeln. Als sich im Osten der Horizont hell färbt, qualmt es um uns herum immer noch. Wir haben mit dem Himmel getauscht. Nun ist er hell, und wir sind schwarz.

In mir fühlt es sich hohl an, als hätte man mir etwas ganz essentiell Wichtiges fortgenommen. Ich weiß auch, was es ist: es ist die Unbeschwertheit, der Rausch, das Gefühl, unantastbar zu sein, in einem Märchenlande. Mit einem Donnerschlag, wie ein Frühlingsgewitter, hat wieder der Moloch Krieg Einzug gehalten in mein Leben, den ich in sicherem Abstand wähnte. Ich fühle mich betrogen, getäuscht, als hätte mir jemand ein Versprechen gebrochen, dass mir doch in Wahrheit niemand je gegeben hat. Nun bin ich ent-täuscht. Und traurig. So tief traurig, dass es mir wehtut.
Und doch… immer und immer wieder geht mir im Kopfe jenes Gedicht von Kipling herum, in welchem er das Unheilvolle, das Schreckenverheißende, das Unbekannte, so zu beschreiben versteht, dass man den Eindruck gewinnt, es wäre dennoch längst nicht alles verloren, und aus seinen dürren Zeilen schöpfe ich eine seltsame Kraft:
"Geh nur einen Steinwurf weit
vom Rande jener wohl gefügten Straße, die wir beschreiten,
und alle Welt ist wild und fremd.
Geister und Ghule und Djinns und Feen,
sollen uns heute Nacht Gesellschaft leisten,
denn wir haben jenes Älteste Land erreicht,
darin die Mächte der Finsternis umhergehen."

So will ich denn glauben und annehmen, dass ich in jenem Ältesten Land wandere, mit den Geistern, welche dort leben, und den finsteren Mächten, zur stetigen Gesellschaft, doch mit den guten Geistern auch. Und wichtig ist die Wanderschaft allein, und mit ihr der Wanderer, denn beide sind eins.

In Liebe,
Carl
Ich möchte zwischendrin meinen Respekt ausdrücken für diese genresichere und kontinuierlich über mittlerweile mehr als ein Jahr aufrechterhaltene Leistung.
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Mann, du, ich muss den Brief mal verdauen - der ist gut geworden, was heißt gut, das ist untertrieben - du hast den Krieg eingefangen und die gesamte Brutalität in ein paar Zeilen gepresst, die mir den Atem rauben.

Meine Verehrung!
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ich empfinde das ähnlich wie anhera und bin erstmal sprachlos. Ansonsten weißt Du ja, wie ich über Deine Arbeit hier denke ...

(Der Antaghar)
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Ich danke euch allen für eure Anerkennung.
Ja, das Thema und die Epoche sind sehr nah an mir dran, geistig und emotional, auch wenn ich nicht verstehe, warum das so ist.
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, den 12. August 1945

Liebste Jennifer,

jenes Älteste Land, von dem ich schrieb, ist kein wahrhaftiger Ort, welcher sich auf Karten finden lässt, sondern wird gemeinhin der Krieg geheißen, und es ist dies ein Land, welches sich in den Herzen und Seelen der Menschen ebenso finden lässt wie es als Ausdruck einer gewissen mörderischen Seelenregung Land und Leben der Menschen verheert und welches doch auch zugleich ein Urzustand des Menschen ist, welcher aus der Welt zu allen Zeiten nicht fortzudenken war, und selbst wenn alle Völker, auf wundersame Weise, es vermöchten, ihn aus dem Erdkreise zu bannen, so würde er doch nur eine Zeit lang am Rande des Gesichtsfeldes verharren, auf einen Moment der Schwäche oder Unachtsamkeit wartend, sich wieder Bahn zu brechen und sein angestammtes Territorium zurück zu gewinnen.

Haben wir den Krieg bisher jenen Zusammenprall von geordneten, organisierten Mächten geheißen, welche sich als Armeen oder Kriegsvolk als seine Vertreter und Bevollmächtigte der Nationen gerierten, so müssen wir nun auch vergegenwärtigen, dass diese einstmals willkürlich gezogene Grenze nicht mehr besteht und jene dünne Membran, welche dem Krieg ein fernes und abstraktes Gesicht zu geben suchte, indem, dass nur jene uniformierte und gesichtslose Masse zu leiden habe, fernab des Auges der bürgerlichen Gesellschaft, welche seine Schrecken nicht zu schauen wünscht und ihr Echo nur in Einsamkeit, Angst und Verlustschmerz zu ertragen hat, dass nun eben diese Membran durchlässig geworden ist und die Mächte der Finsternis ihre Fühler ausstrecken in die Wohnstuben der Menschen.

Die Separatisten begeben sich zuvorderst als Betreiber jener vorsätzlichen und grausamen Grenzüberschreitung, welche jenen schreckenerregenden Wind sät und andere den Sturm ernten lässt, doch muss man zugeben, dass auch die Sowjets es in diesem Berufe zu einer gewissen Meisterschaft gebracht haben, und die Engländer sich als gelehrige Schüler erweisen.

Jene, welche uns vor mehr als einer Woche in jener feuerdurchzuckten Nacht anfielen, entpuppten sich beim Lichte des neuen Tages als turkmenische Angehörige eines sowjetischen Marine-Schützen-Bataillons, allesamt in die schwarze Matrosenuniform mit dem roten Sowjetstern gekleidet, die Gesichter mit Schuhcreme geschwärzt, überreichlich mit Maschinenpistolen und Handgranaten ausgerüstet, wir erbeuteten gute Mengen an Waffen und Munition. Sieben dieser Gesellen legten wir schließlich neben unsere eigenen Toten, auch davon haben wir überreichlich: neunzehn Kameraden sind gefallen, im Dunkel der Nacht ohne Vorwarnung erschossen, mit dem Dolch totgestochen oder mit Handgranaten niedergemacht, acht weitere sind blessiert worden, Gottlob keiner davon auf den Tod. Neun Dorfbewohner, Frauen und Männer ohne Unterschied, sind ebenfalls umgekommen, als ihre Hütte niederbrannte

Um uns zu überraschen, waren diese wahrhaftigen Teufelskerle wohl in der Dunkelheit über einen Kilometer bis an das Ufer mit Sturmbooten gerudert, nachdem sie sich von ihrem Kanonenboot vor der Küste hatten absetzen lassen, sodann waren sie rasch landeinwärts vorgerückt, hatten mehrere Posten ohne ein Geräusch erdolcht und sodann zeitverzögerte Sprengladungen an unseren Wasserflugzeugen, an unserem Treibstofflager, an Lastkraftwagen und anderen Fahrzeugen sowie an gestapelten Versorgungsgütern anzubringen. Unsere beiden Flugzeuge, dazu acht Kraftwagen, sind ein Raub der Flammen geworden, auch wurden die Besatzungen einer leichten und einer schweren Flakkanone an ihren Geschützen ums Leben gebracht, dass die schwere Acht-Acht nicht auch gesprengt wurde, ist lediglich auf ein Versagen der Zündkapseln zurückzuführen, wir hatten in der Stellung kaum drei Meter neben einem Dynamitbündel gelegen, ohne es in der nächtlichen Aufregung zu bemerken.

Bei dem Versuch jedoch, an die andere Kanone heranzukommen, waren die Gesellen von einem aufmerksamen Posten bemerkt worden, welcher ohne Vorwarnung mit der Maschinenpistole unter sie geschossen hatte, daraufhin hatten die Sowjets sich in kleine Gruppen aufgespalten und begonnen, aufs Geradewohl um sich zu schießend durch das Dorf zu laufen und Handgranaten in Hütten zu werfen, bis sie schließlich an der Hafenmole in das Feuer einer Maschinengewehrstellung gekommen waren, welche unsere Matrosenkompanie nach dem allgemeinen Alarme in aller Eile bemannt hatte. Letzten Endes hatten sie sich in zwei Häusern festgesetzt und wohl darauf gehofft, dass ihnen ihr Kanonenboot zur Hilfe eilen und ihnen ein Entkommen ermöglichen werde, eine Hoffnung, die sich ihnen, wie wir mit ansehen konnten, nur halb erfüllte. Übrigens haben deutsche Seeflieger, in den Morgenstunden von Baku aus in östlicher Richtung aufklärend, das ablaufende Kanonenboot ausgemacht und mit Bordwaffen angegriffen, konnten es aber wohl nicht versenken, es muss also wohl jedenfalls davon ausgegangen werden, dass es entkommen ist.

In der allgemeinen Hektik haben sich wohl einige unserer Kameraden leider auch gegenseitig totgeschossen, es scheinen mir dies die tragischsten Opfer jenes nächtlichen Überfalls.

Jedenfalls schienen wir allesamt von einer Art kollektivem Schock befallen zu sein, auch wenn wir alle Anstrengungen unternahmen, die zahlreichen Feuer zu löschen, gelang es uns nur in ganz wenigen Fällen, denn wir mussten Wasser und Sand mit Eimern herbeischaffen, derer es viel zu wenige gab, also mussten wir mit ansehen, wie die meisten der in Brand geratenen Hütten in Asche niedersanken. Versorgungsgüter, welche uns wohl eine gute Woche hingereicht hätten, sind zur Gänze verbrannt, glücklicherweise befand sich keine Munition darunter, ansonsten wären die Schäden wohl noch größer ausgefallen.

Noch während die Arbeiten im Gange waren, wohl um die vierte Stunde des Tages, traf ein Melder von der Kommandantur ein, um Jörg zu einer Offiziersbesprechung beim Kommandeur zu rufen, worauf dieser mich kurzerhand aufforderte: „Karl, du kommst mit.“
Es war ein Wahnsinn. Wir waren beide hemdsärmelig, rußgeschwärzt und völlig übermüdet, auch stanken wir wie die Köhlergesellen nach Brandrauch und hatten rohe, blutige Hände von den Pickäxten, und vom Auseinanderreißen der schwelenden Holzbalken, auch hatte ich bei einer Offiziersbesprechung herzlich wenig zu suchen, allein es war egal, es galt nichts, die ganze Nacht war ein einziger Wahnsinn gewesen, und ich war zu keiner widerstrebenden Gemütsregung mehr fähig.

Auf der Fahrt im Geländewagen rang ich mit der Erschöpfung, Jörg ebenso, einmal wäre er fast in den Graben geschlingert, und wir stürmten die Kommandantur mit dem Schlachtruf: „Kaffee schwarz!“ und Zigaretten im Mund, es galt nichts mehr, wir sahen ohnehin aus wie die Räuber. Und so hielt jeder von uns einen Blechbecher voll heißem Kaffee in der Hand, als wir das Büro des Generals von Niedermayer betraten, wo sich bereits die Leutnants Heinz Heuer und Fritz Schott aufhielten, dazu Hasso und Niedermayers Adjutant, der Hauptmann Brenk, und der neue Führer der RAD-Leute, der Haupttruppführer Siebel. Der brave, alte Oberfeldmeister Freymuth, sein Amtsvorgänger, lag da unter einer Felddecke unten am Hafen.

Der General sagte kein Wort zu unserem Bruch der Etikette, in der Tat hatte er seinerseits gerötete Augen und begrüßte uns mit den Worten: „Treten Sie näher, Herrschaften, es darf geraucht werden.“, und es genossen auch die meisten anderen Anwesenden ganz ungeniert Kaffee und Zigaretten, ein Zeichen jener von grimmiger Formlosigkeit bestimmten „Arbeitsbesprechungen“, welche gelegentlich in stillschweigender Übereinkunft entstehen, wenn die äußeren Umstände einen entsprechenden Rahmen erzwingen. Und kaum hatte sich die Tür hinter uns geschlossen, da begann er auch schon ohne weitere Vorrede:
„Meine Herren, ich bedanke mich für Ihr Engagement und Ihren Tatenmut in der vergangenen Nacht, und richten Sie das auch Ihren Männern aus. Ich darf sagen, dass es uns schlimm erwischt hat, doch keinesfalls am schlimmsten und auch nicht als einzige. Nach den Meldungen, die ich vor einer Stunde erhalten habe, hat der Feind insgesamt vier Stützpunkte entlang der Küste im Laufe der Nacht erfolgreich angegriffen, immer mit derselben Überfalltaktik, in drei Fällen von See aus, beim vierten Mal über Land. Es gibt Anzeichen, dass neben den russischen Seesoldaten, die Sie bereits gesehen haben, zumindest in einem Fall auch Mitglieder von britischen Kommando-Verbänden mit im Spiel waren. Dazu passend liegen uns Meldungen vor, dass in den vergangenen Tagen im Hinterland des Ersten Gebirgskorps verstärkt Einheiten der Long Range Desert Group in Erscheinung getreten sind, maßgeblich der indischen Long Range Squadron.“
Wirklich überrascht hatte diese Neuigkeit da keinen von uns, denn diese perfide Zusammenarbeit kannten wir mittlerweile zur Genüge.

„Was uns aber über die Maßen zu denken geben sollte, meine Herren“, hatte da der General weiter gesprochen, „ist die Tatsache, dass derjenige Überfall, der von Land aus erfolgte, maßgeblich von einheimischen Freischärlern vorgetragen wurde, denen es gelungen ist, sich ihrem Ziel unerkannt praktisch gänzlich zu nähern, bevor sie losschlugen. Unter den Toten wurde allerdings auch ein Inder in der Uniform der britischen Kolonialarmee festgestellt.“
Eine Sekunde lang hatte da eisiges Schweigen geherrscht, dann hatte beinahe jeder gleichzeitig zu reden begonnen, und ich hatte mich mit scharfer Beklemmung an jenen Vorfall erinnert, da wir in der schneebedeckten Steppe den afghanischen Offizier Mahsud unter den Toten des sowjetischen Kommandotrupps festgestellt hatten, vor jener halben Lebensspanne, die doch in Wahrheit nur einige wenige kurze Monate gewesen sind.

„Meine Herren“, hatte sich der General von Niedermayer wieder Gehör verschafft“, ich kenne dieses Land und seine Menschen seit einer guten Weile, und auch wenn ich um die allgemeine Deutschenfreundlichkeit der Bevölkerung weiß, welche uns als Befreier vom Joch der englischen Kolonialherrschaft ansieht, so muss ich dennoch nun meiner ernsthaften Befürchtung Ausdruck verleihen, dass es zumindest den Engländern gelungen ist, ausreichend Sympathisanten und Günstlinge des gestürzten Marionettenherrschers zu rekrutieren, um eine Untergrundbewegung zu bilden, welche sie von ihren Besitzungen in Indien, Afghanistan und Turkmenistan aus gegen uns dirigieren. Wenn sich meine Annahme als richtig erweist, so stehen wir am Beginn eines bewaffneten Aufstandes, welcher das Potential in sich trägt, dieses gesamte Land mit Feuer und Blut zu überziehen, wenn es uns nicht gelingt, ihm in Bälde durch eine geeignete Gegenstrategie Einhalt zu gebieten. Und die Anweisungen von höherer Stelle für solche Fälle sind uns, wenn ich das so offen sagen darf, keine große Hilfe.“

Wir hatten uns betreten angesehen. „Ja, derartige Anweisungen kennen wir in der Tat“, hatte der Leutnant Heuer bissig hinzugesetzt, „Massenerschießungen sind alles, was der Führung zu diesem Thema einfällt, einhundert Tote für einen toten Deutschen, wie im alten Rom, als ob man Blut durch noch mehr Blut ungeschehen machen könnte. Das hat uns schon in Russland nichts gebracht, ja noch weniger als nichts. Wir sind doch keine Tartaren! Am Ende bekommen wir noch die Weisung, standrechtliche Kreuzigungen durchzuführen – Hakenkreuzigungen!“
„Ich bitte doch sehr, auf Ihre Redensarten zu achten, Herr Leutnant!“, war da der General scharf dazwischengefahren, doch hatte sich der Leutnant Heuer keineswegs entschuldigt, und das Ganze roch einen Augenblick lang noch übler nach gepfeffertem Ärger als Jörg und ich nach Rauch rochen.

Doch da hatte der General von Niedermayer, nach einem Moment des allgemeinen, eisigen Schweigens, seine Rede fortgesetzt, als wäre nie etwas vorgefallen, und ich hatte festgestellt, dass um den gesamten Raum herum alle ein wenig leichter zu atmen schienen und auch, dass der Herr General durchaus an Achtung dadurch gewann, dass er imstande war, jene unangenehme Episode gleichsam ohne Balanceverlust zu übergehen, und er hatte mit dem Ausspruch geschlossen: „Meine Herren, ich erwarte morgen Vorschläge von Ihnen, wie die allgemeine Lage in den Griff zu kriegen wäre. Ich danke Ihnen. Gibt es noch Bemerkungen von Ihrer Seite?“

Und da hatte Jörg mit dem Kopf in meine Richtung genickt und mit Bestimmtheit gesprochen: „Der Unteroffizier bekommt das Deutsche Kreuz.“, und ich fühlte mich wie vom Donner gerührt, und mit einem knappen Nicken des Generals zum Hauptmann Brenk, da war es beschlossene Sache.

[...] Fortsetzung folgt.
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
[...] Fortsetzung:

Wir saßen schließlich an jenem Tage in unserem Schlafraum in Chalus bei Tisch beieinander, nach einigen wenigen Stunden totenähnlichen Schlafes, Kaffee und belegte Brote vor uns, rauchend und brütend, der Jörg, der Heinz („Halt die Klappe, ich bin der Heinz, und keine Widerrede!“), der Fritz und ich, und wir marterten unsere ohnehin schon gemarterten Köpfe gehörig darüber, was nun zu tun sei, ohne jedoch bislang zu einem brauchbaren Ergebnis gekommen zu sein. Der Hasso hatte sich bereitgefunden, die Aufsicht über die Beseitigung der Schäden und die Wiederherstellung der Ordnung zu übernehmen, auch denke ich, dass er ein wenig seinen zersprengten Lastkraftwagen nachtrauerte, und er brummelte nicht eben wenig über unseren Kriegsrat, der nun seine Sache nicht zu sein schien.

„Tja, wir haben unser Blatt anscheinend mit den Flugzeugen überreizt“, hatte Jörg zu Beginn der Debatte in den Raum geworfen, „aber die Sowjets auch. Ab sofort ist das Ganze hier politische Agenda. Und wenn wir Pech haben, ist das gerade unser Nachteil, und die Russen haben genau das beabsichtigt.“

„Wenn wir’s ganz dumm anstellen und mit dem Holzhammer über die Leute hinweggehen“, hatte der Fritz hinzugesetzt, „dann haben wir hier auch bald Zustände wie weiland in Russland und Polen, Herumkutschieren nur noch mit Panzerwagen und Halbketten, weil uns sonst der nächstbeste Bauer aus dem Wald heraus erschießt, alle Nase lang Kontrollposten und Straßensperren, Panzerzüge und Säuberungskommandos, ich kenne das Spielchen doch bis zur Genüge, und drei Millionen Mann Feldpolizei würden uns mit solcherlei Methoden nicht hinreichen, um dieses Land friedlich zu halten. Faceunt solitudinem, apellant pacem.“
Das war nun auf Lateinisch dahin gesprochen und bedeutete: „Sie machten eine Wüste und nannten sie Frieden.“, und das drückte unser aller momentanen Gemütszustand recht treffend aus.

„Die neue Lokalregierung und das Militärgouvernement nützen uns in dieser Sache gar nichts.“; warf Heinz ein. „Bei all den Rivalitäten, den Stammesfehden, den internen Machtspielchen, den offenen Rechnungen und den überkommenen Strukturen, gibt es so viel Zündstoff, dass ein einziger Funke ausreicht, einen Flächenbrand zu entfachen, da hat der General schon ganz Recht, da helfen uns auch keine Reichskommissare. Wie also bekommen wir es hin, dass die Perser die Ruhe bewahren und nicht uns und einander an die Gurgel gehen, auch wenn die Engländer sie aufstacheln?“

„Die Führung macht es, denke ich, verkehrt herum. Was die Menschen hier zuallererst brauchen, ist Sicherheit, nicht neue Erlasse, die Regierung kommt dann irgendwann später in das Spiel. All das Geplärre für oder wider den Bolschewismus interessiert die Leute hier nicht die Bohne. Nur gemeinsam mit den Persern ist Persien zu gewinnen, nicht gegen sie.“

“Und was wäre, wenn wir es umgekehrt angehen? Wir müssten die Engländer wie ein Virus behandeln und das Land dagegen regelrecht impfen. Wir bringen eine Provinz nach der anderen auf unsere Seite, indem wir einheimische Schutzmannschaften aufstellen.“

„Die gehen ja doch nur zum Feind über, wenn sie die erstbeste Gelegenheit erhalten, und nehmen unsere Waffen gleich mit. Da würden wir nur neue Aufständische heranzüchten.“

„Im Grunde würde ich dir Recht geben, doch müssten wir sie davon überzeugen, dass sie auf unserer Seite besser dastehen als bei den Engländern. Ihnen einen handfesten Grund geben, für den sie sich schlagen würden. Und wie machen wir das?“

„Geld. Handel. Wirtschaft. Hier zählen die Sippe und das Dorf, nicht die Regierung. Die Dorfältesten müssen wir in der Tasche haben, und die schauen sehr genau auf ihren eigenen Vorteil, und wo sie gut angeschrieben sind.“

„Und Sicherheit. Ordnung. Struktur. Die Hoffnung auf dauerhaften Frieden. Wir müssen raus in die Dörfer, wo die Menschen leben. Die Leute müssen sehen, dass wir auch Menschen sind, mit denen sie als Nachbarn zusammenleben können, nicht einfach nur ein neuer Schlag Besatzer. Mit hehren politischen Zielen gewinnst du hier keinen Blumentopf. Mit der Aussicht auf einen vollen Kochtopf und einen sicheren Alltag andererseits schon.“

„Das hieße, auf jedem Dorf einen Polizeiposten aufzubauen, der Tag und Nacht besetzt ist. Dafür fehlen uns die Leute.“

„Nicht, wenn wir jeden Posten mit zwei Feldgendarmen besetzen und mit, sagen wir, einem Dutzend Schutzmannschaftler.“

„Damit dünnen wir unsere Kräfte ganz gefährlich aus, so kleine Posten sind angreifbar, das wird uns Leute kosten.“
„Wenn das ganze Land im Bürgerkrieg absäuft, verlieren wir noch mehr Leute.“

„Also Schutzmannschaften. Und was noch?“

„Infrastruktur. Straßen. Schienen, wenn wir können. Handel vor allen Dingen. Unsere Felddienststellen kaufen vor Ort Lebensmittel, um unsere Verpflegung zu ergänzen. Aber das Ganze im großen Stil aufzuziehen, um Lebensmittel an die kämpfende Truppe zu liefern, daran hat noch keiner gedacht. Stattdessen kutschieren wir tonnenweise deutschen Nachschub durch die Weltgeschichte.“

„Du denkst nicht gerade in kleinen Maßstäben.“

„Ist ja auch kein kleines Problem, oder?“

„Und wie willst du das Ganze landesweit aufziehen?“

„Will ich gar nicht. Nicht sofort zumindest. Wir fangen hier an. Gleich morgen, nachdem wir mit dem General geredet haben, gehen wir bei den Dorfältesten der näheren Umgebung Klinken putzen, Onkel Heinz hat zu den meisten von denen eh schon einen brauchbaren Draht. Und wenn das erstmal funktioniert, dann dehnen wir das nach und nach auf die Nachbarprovinzen aus.“

„Das heißt aber auch, einige Regionen zumindest zeitweise dem Aufstand preiszugeben.“

„Das werden wir sowieso nicht verhindern können. Aber auf diese Weise können wir es nach und nach eindämmen. Wir grenzen die Gefolgsleute der Engländer aus, stellen sie als Handlanger der Unterdrücker und als Unruhestifter hin. Und gleichzeitig treten wir als Garanten für eine stabile und gerechte Zivilordnung auf. Wir werden die Engländer in diesem Ringen nicht niederkämpfen, sondern sie niederverwalten.“

„Und die Sowjets?“

„Die behandeln wir als getrenntes Problem. Den Grenzschutz muss die Korpsführung in den Griff kriegen, das ist zu groß für uns. Wir schlagen uns mit den Überfallkommandos herum, wenn und wo sie auftauchen.“

„Schaffen wir es, in so kurzer Zeit so viele Schutzmannschaften auszubilden?“
„Auf keinen Fall, dafür brauchen wir Unterstützung. Aber ich habe auch schon eine gute Idee, wo wir die kriegen können. Das muss ich nur noch dem General verkaufen. Und tonnenweise Material werden wir brauchen, nicht nur Waffen, auch Baumaterial.“

„Und Geld. Mit Bezugsscheinen und Konservendosen kommen wir nicht mehr weiter, nicht mehr jetzt. Die Engländer bezahlen garantiert in gutem Sterling-Silber, die Russen vermutlich auch. Wir brauchen allermindestens Papiermark. Besser wären gute deutsche Silbermark. Die zu kriegen dürfte am schwierigsten sein, allerdings könnte sich das auch als das Zünglein an der Waage erweisen, ob wir unsere Bautrupps und Schutzmannschaften ordentlich bezahlen können, sonst gehen sie tatsächlich mit fliegenden Fahnen zu den Engländern über. Und schnell muss das Ganze gehen, die Engländer haben einen Vorsprung.“

„Also, gleich morgen baut jeder Bautrupp zwei Kilometer Straße zusätzlich, gegen Bezahlung. Und wir gucken uns zwei Dörfer aus, auf denen wir die ersten Polizeiposten errichten.“

„Und wir schauen mal, wer unter den Männern seit gestern eine Blutrache mit den Sowjets offen hat, die nehmen wir gleich in Dienst. Die Perser sind ein stolzes Volk und geben viel auf die Ehre ihrer Sippe.“

„Und wir bitten die Dorfältesten um eine Große Ratsversammlung, damit wir ihnen unseren Plan unterbreiten und uns anhören können, was sie von uns fordern. Wenn wir vor dem Rat mit ihnen sprechen, können sie uns nicht einzeln übers Ohr hauen.“

Und da war es aus mir herausgeplatzt. „Können wir all das aufschreiben und an die Kriegsschule in Zossen senden, wenn der Herr General es genehmigt? Dann könnte man es gedruckt herausbringen, als Informationsschrift, und alle könnten es lesen, dann würde man es vielleicht auch anderswo so machen, und einen Sonderführer von der PK kenne ich auch, der hilft uns vielleicht.“
Da hatten mich die drei Offiziere verdutzt angeschaut, und Jörg war es schließlich gewesen, der hintergründig gelächelt und gesprochen hatte: „Du weißt ja, wo die Schreibmaschine steht.“ Und nach einem Augenblick hatte er hinzugefügt: „Und lass den Teil mit dem Bolschewismus weg.“

In Liebe,
Carl
Jetzt wirds interessant!
gespannt, wie`s weitergeht
Olaf
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Bin auch gespannt ...

(Der Antaghar)
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, Persien, den 25. August 1945

Liebe Jennifer,

in den letzten zwei Wochen waren wir so beispiellos beschäftigt, wie ich es seit langer Zeit nicht mehr erlebt habe, ja sogar während der Zeit des Wiederaufbaus von Ehrenfels hatten wir mehr Mußezeit zu genießen. Doch hat uns allesamt ein gewisses Gefühl ergriffen, welches uns antreibt, da wir wissen, wie viel von dem rechtzeitigen Fortschreiten unserer aller Arbeit abhängt. Es ist folglich eine fiebrige, gehetzte und manische Aktivität, welcher wir uns tagein, tagaus hingeben, und doch scheinen wir alle unter einer Art von elektrischer Spannung zu stehen, welche uns bei all diesem Zielstreben des Geistes und des Körpers mit einer Hochstimmung erfüllt.
Der General von Niedermayer hat unseren Plan in Bausch und Bogen abgesegnet und will uns in allen Punkten unterstützen, ja er hat uns bereits gewisse Geldmittel aus der Kasse des Sonderstabes zugesichert, so dass wir zunächst nicht unter Mangel zu leiden haben.

Neben dem Straßenbau, welchen wir nun mit gesteigerter Anstrengung betreiben, haben wir in den vergangenen zwei Wochen in erster Linie Feldstellungen gebaut und Telefondrähte verlegt, dafür mussten die Arbeiten an den Ziegelhäusern einstweilen zurückstehen, denn wir brauchten die Ziegel, um die Erdbunker unserer neuen Uferbefestigungen auszukleiden. Die Telefonleitungen verlegen wir nicht mehr, wie vormals geplant, über Telegraphenmasten, denn dadurch würde es dem Feinde nur allzu leicht fallen, sie durchzutrennen oder die Masten umzuhauen. Stattdessen ziehen wir neben der Straße flache Gräben, in denen wir die Drähte versenken und mit Erde bedecken. Das graben die Aufständischen natürlich gerne wieder auf und kneifen die Drähte durch, und wir reparieren es am nächsten Tage und lachen insgeheim darüber, denn die echten Telefonleitungen liegen zwanzig Meter weiter im Unterholz, wir ziehen sie des Nächtens, wenn es keiner sieht.

Jörg und ich sind überall. Wenn wir nicht beim Straßenbau die Arbeiten beaufsichtigen, dann fahren wir über die Dörfer und schütteln Hände und hören uns Geschichten an, lassen uns zum Tee einladen, obwohl wir mittlerweile keinen Tee mehr sehen können, wir begleiten Streifen der Feldpolizei, und in den wenigen Stunden, da uns keine dieser Aufgaben beschäftigt, da sind wir mit Schaufel und Pinsel, mit Maßband, Skizzenbuch und Bleistift mit unserem privaten Altertumskundeprojekt beschäftigt.

Auch gehen wir nur noch schwer bewaffnet einher, sowohl Jörg als auch ich tragen alle Zeit eine der erbeuteten russischen Maschinenpistolen bei uns, um uns zu schützen, nur wenn wir in die Dörfer zu den Menschen gehen, da lassen wir sie sorgsam bedeckt im Wagen, denn wir wollen mit Vorbedacht, dass man uns ohne diese Dinger sieht. Das hat einen bestimmten Grund: wir wollen so wirken, als würden wir uns sicher fühlen, denn die Dorfbewohner sehen es wohl, und ohne ein Gewehr gelten wir als besonders mutig.

Neue Polizeiposten haben wir in den beiden Nachbardörfern Salman Shahr, einige Kilometer westlich von Namak Abroud, und Kohneh Sara im Osten von Nowshahr eingerichtet, dafür bedurfte es einigen zusätzlichen Aufwandes, denn wir verkleideten die hierzu ausgewählten Hütten mit Sandsäcken, derer wir eine stattliche Anzahl füllen mussten, auch gruben wir Schützenlöcher und legten MG-Unterstände aus Rundhölzern an, eine Arbeit, zu der wir die nun übrig gewordenen Telegraphenmasten hervorragend gebrauchen können. Glücklicherweise ist unser Lastwagen mit dem guten deutschen Pioniergerät heil geblieben, da er an jenem Abend aufgrund eines technischen Mangels nicht in Nowshahr sondern in Chalus abgestellt war. Als nächstes wollen wir unsere Anstrengungen auf die Dörfer Doab und Osman Kala konzentrieren, welche entlang dem Flusse Chalus weiter südlich im Landesinneren liegen, dieses Gebiet ist derzeit verhältnismäßig unsicher, erst vorgestern wurde dort ein Kübelwagen der Feldpolizei aus dem Hinterhalt heraus beschossen, wobei jedoch gottlob niemand zu Schaden kam.

Es erreichen uns immer neue Nachrichten aus dem Osten des Landes und der Umgebung von Teheran, wo der Aufstand einen gewissen Fuß zu fassen scheint. So wie es aussieht, überschreiten die Engländer von Afghanistan und Indien aus kommend die Grenze zu Persien in den schroffen und unwegsamen Gebirgsregionen, die Sowjets ihrerseits von Turkmenistan aus die Seegrenze, woran das Erste Gebirgskorps sie nicht vollständig zu hindern vermag, da es über zu wenig Kräfte verfügt. Sodann mag es sich wohl folgendermaßen abspielen: eine Gruppe von englischen Kommandotruppen, mit drei oder vier geländegängigen Kraftwagen, mit deren Hilfe sie die Wüste durchquert haben, und mit einem oder zwei Gewährsleuten des gestürzten Pahlavi-Regimes in ihrer Begleitung, gelangt in den Abend- oder Nachtstunden in ein persisches Dorf und macht dort Halt, woraufhin sie beim Gastmahl den Dorfvorsteher und den Mullah und die Männer des Dorfes solchermaßen befragen: „Welches Unrecht haben die Deutschen euch getan?“

„Sie haben meinen Schwager in das Gefängnis geworfen, weil er ein Pascha der Geheimpolizei unter Reza Pahlavi war!“ antwortet darauf einer.
„Sie haben den Sohn meines Bruders erschossen, weil sie ihn auf der Straße mit dem Gewehr angetroffen haben!“ entgegnet ein anderer.
Und „Sie haben meine Ziege für ihren Kochtopf genommen!“ berichtet vielleicht ein Dritter.
Es sind dies all jene tragischen Schicksale, welche sich in einem Kriege nun einmal ereignen, wofür man den Soldaten, welche diese Tat dereinst taten, keinen aufrichtigen Vorwurf zu machen vermag, doch in ihrer Summe machen sie eine Menge von schmerzlichen Erinnerungen aus, welche einen fruchtbaren Nährboden bilden, auf dem der Drang nach Vergeltung gedeiht.

Und nun sprechen die Engländer weiter. Zu dem einen sprechen sie: „So vergrabe des Nachts eine Mine unter der Straße, über welche die deutschen Automobile fahren, so sollst du fünf englische Shilling und deine Rache haben.“
Und zu einem Zweiten sprechen sie: „So nimm dieses Gewehr, welches wir dir geben, und lege dich mit uns in den Hinterhalt, so sollst du zehn englische Shilling erhalten, und deine Familie wird zu essen haben.“
Und zu einem Kinde sagen sie: „So du uns getreulich zu jenem Hause führst, dessen Bewohner Freunde der Deutschen sind und uns berichtest, wann die deutschen Feldpolizisten vorbeifahren, so sollst du einen Shilling haben und sollst als der Tapferste unter deinen Freunden gelten.“

Und auf diese Weise gewinnen sie neue Gefolgsleute und bedrohen oder ermorden jene, die es mit uns Deutschen halten, vielleicht ist ihnen auch der Dorfälteste gewogen, oder wenn er ihnen feindlich ist, so wird er vielleicht getötet, und wer unter den Männern mit ihnen geht und einen Konvoi überfällt, oder wer einen Posten niederschießt oder ihnen ein deutsches Gewehr bringt, der erhält einen Lohn, und bisweilen lassen sie, wenn sie weiterziehen, in einem Dorf ein Waffenlager zurück, und somit hat der Baum des Aufstandes einen neuen Zweig heraus getrieben.

Eines Tages, in einem nachdenklichen Augenblicke, da sprach Jörg zu mir: „Karl, du musst wissen, die Engländer reden gar viel von ihrem sogenannten fair play, doch im Kriege, da sind sie ebenso zu jeder Hinterlist fähig wie jedes andere Volk auch, ja sie nehmen sich gar jedweden Vorteil heraus, den sie zu erlangen vermögen, und sei es durch Rechtsbruch oder Heimtücke. Mein Vater, musst du wissen, der war beim deutschen Ostasien-Geschwader unter dem Admiral Graf Spee, auf dem Kleinen Kreuzer „Dresden“, und nachdem die Briten das ganze Geschwader mit gefälschten Funksprüchen in eine Falle gelockt haben und nur die „Dresden“ entkommen konnte, da haben die Engländer später auch sie versenkt, obwohl sie in einem neutralen chilenischen Hafen Schutz gesucht hatte.

Das war also ein glatter Bruch des Seekriegsrechts und also ein Verbrechen, welches bis heute nie gesühnt wurde. Und der damalige Marineminister war Winston Churchill, also derselbe Mann, der heute über das britische Empire gebietet und den Krieg gegen das Reich anleitet, und es wundert mich gar nicht, dass wir nun solcherlei Taktiken von ihnen erleben müssen.

Die Herrschaften haben dazugelernt, und wir haben es nicht. Das ist das Gefährliche am Siegen: man verliert das Gespür für die Notwendigkeit, dazuzulernen. Der Buddha lehrt uns, dass wir nie aufhören dürfen, nach Vervollkommnung zu streben.“
Ja, so ist er, mein Jörg. Der kann in einem einzigen Atemzuge eine Lektion in Geschichte und Politik mit einer in Philosophie verknüpfen.

[...] Fortsetzung folgt.
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, Persien, den 01. September 1945

Welch Verbrechen, welch Frevel, welch Hohn der Zivilisiertheit und Kultur unserer Nation, welch Barbarei, welch Schimpf und Schande ist denn dies, dieses infame, schreckliche Fanal unermesslicher, abgrundtiefer Verdorbenheit, welch Tag der Schande ist da über uns gekommen, den wir nie vergessen werden?!

Du siehst, die Nachrichten haben mich hier mit einiger Verspätung erreicht, zumal wir den Rundfunkempfänger in der letzten Zeit nicht regelmäßig gebrauchen konnten, doch bin ich über alle Maßen entsetzt über diese beispiellose Rohheit und dieses überbordende Maß an krimineller Energie, welche aus dem letzten Attentate der Separatistenbewegung spricht. Hatten wir bisher gedacht, mit der Zuschandenlegung der Brücke Golden Gate den Gipfel des rebellischen Verbrechertums gesehen zu haben, so hat mich der jüngste Vorfall doch eines scheußlichen Besseren belehrt, vor welchem sogar die ausdauernde Perfidie der Engländer und ihres Aufruhrs zeitweilig in den Hintergrund tritt.

Das feierliche Einlaufen der Trägerkampfgruppe um die „Graf Zeppelin“ und die „Tirpitz“ im Hafen von San Francisco nach der siegreichen Karibik-Unternehmung und der Durchquerung des Panama-Kanals muss um nichts geringer als triumphal bezeichnet werden. Doch wer beschreibt das allgemeine Entsetzen über das Schreckliche, welches just in diesem Augenblicke des Triumphes und der Feierlichkeit über diese stolzen Schiffe hereinbrach? Und ich höre noch die Stimme des Nachrichtensprechers, dessen für die Nachwelt aufgezeichneter Kommentar in den letzten Tagen wieder und wieder im Rundfunk wiedergegeben wurde als Zeugnis dieses ungeheuren Verbrechertums, und wie er immer wieder mitten im gesprochenen Satze abbricht: „Ja, aber was ist denn das? Da steigt eine Flammensäule über dem Deck der „Zeppelin“ empor, da muss doch ein Unglück… ein Flugzeug, ich höre gerade, da ist ein Flugzeug auf das Schiff geschlagen, ja wie kann denn… und Herr im Himmel, da ist noch eines, ganz dicht über dem Wasser, ja warum schießt denn die Abwehr nicht? Und… da, da! Mitten in die Aufbauten geht es hinein, mein Gott, da steht eine zweite Feuersäule über der „Tirpitz“, meine Damen und Herren, es ist furchtbar, mir fehlen die Worte, zwei Flugzeuge sind soeben vor meinen Augen…“

Eine furchtbare, eine menschenverachtende Barbarei ist es in der Tat und ein Hohn allen zivilisierten menschlichen Beisammenlebens, dass sich wahrhaftig Menschen bereitgefunden haben, ihr Leben aus Rache herzugeben, indem sie mit präparierten Flugzeugen sich auf die Schiffe gestürzt haben, just als diese besonders verwundbar waren. Es muss wohl der allgemeinen Feierstimmung ebenso wie der Überraschung über diese präzedenzlosen Heimtücke geschuldet werden, dass die Abwehr nicht einmal in der Lage war, auch nur einen Schuss zu tun, und leider sind die Opferzahlen auch außer Verhältnis hoch, da die Mannschaften just zum Zeitpunkt des Anschlages an Oberdeck zur Parade aufgereiht waren, mit über eintausend Toten wird derzeit gerechnet, die Mehrheit davon auf der „Zeppelin“.

Gegen alle bekannten Formen des Sprengstoffattentats war durch sorgsame und weitläufige Absperrung und Durchsuchung Maßnahme getroffen worden, gegen Automobil-Bomben und Selbstmörder mit Dynamitgürteln, ja sogar gegen Angriffe mit Raketenbüchsen, und das Hafenbecken war nach Sprengminen abgesucht worden, doch mit einem derartig verwegenen Überfall hatte niemand gerechnet, und diese Niedertracht haben sich die Separatisten wohl just für einen solchen Tag aufgespart.

Und auch ein weiteres Ziel haben sie damit erreicht, nämlich sich eine Galgenfrist zu erkaufen, denn neben dem erheblichen Schaden an den beiden Kriegsschiffen hat es auf der „Zeppelin“ auch große Verluste an einsatzbereiten Flugzeugen gegeben, darunter insbesondere unter den wertvollen Turbinenstrahljägern. Damit ist die Schlagkraft des deutschen Amerika-Geschwaders bei einer Auseinandersetzung mit separatistischen Marineverbänden im Pazifik stark eingeschränkt. Zwar verbleiben noch einige schwere Kreuzer und das Trägerflugzeug „Seelöwe“, doch ist dieses erheblich kleiner als die „Zeppelin“, und von ihrem kürzeren Deck können keine Strahljäger abheben. Und auch wenn die großen Marinedocks San Franciscos zur Gänze mit den Reparaturarbeiten befasst werden, so steht doch zu besorgen, dass diese beiden mächtigen Schiffe auf absehbare Zeit hors de combat gestellt sind.

Und natürlich schlachten die Separatisten ihren Erfolg propagandistisch auf der ganzen Linie aus, ihr siegestrunkenes Geplärre über den Untergrund-Rundfunk, von welchem uns Auszüge vorgespielt wurden, ist unerträglich, denn sie feiern das Resultat ihrer Heimtücke als einen bedeutenden militärischen Sieg und verhöhnen die deutschen Gefallenen auf das Infamste.
Der Admiral Raeder, welcher sich zum Zeitpunkt des Anschlages auf der „Zeppelin“ aufhielt und durch Splitter leicht blessiert wurde, hat bereits Vergeltung für dieses Verbrechen gelobt und es als einen „feigen Dolchstoß“ und „die Tat einer Bande von Kriminellen“ bezeichnet, mit welchen recht kurzen Prozess zu machen er sich höchstpersönlich degoutieren lassen werde.

Was uns angeht, hier in Persien, so wird das gesamte Land immer stärker von neuen Wellen des Aufruhrs erschüttert, wir verfolgen auf das Genaueste die Meldungen, welche von unserer Funknachrichtenstelle mitgeschnitten und uns durch die Kommandantur zugänglich gemacht werden. General Niedermayer hat Anordnung gegeben, dass wir auch den Divisionsfunkverkehr mitlesen können, da wir eine Art von Lagezentrale eingerichtet haben, in welcher wir ein umfassendes Abbild der einzelnen Krisenherde nachzuzeichnen bestrebt sind. In Teheran und seinem Umland scheint es noch verhältnismäßig ruhig zu sein, ebenso in jenen Bezirken, in welchen die Verbände und Regimenter der kämpfenden Truppe konzentriert sind, und die Küstenregion, zu der wir auch zählen, hat bisher unter dem Aufstand weniger zu leiden gehabt als unter den fortgesetzten Überfällen der roten Marine-Schützen, doch alles übrige Land ist mittlerweile mehr oder weniger stark von den Flammen der Revolte und des Bürgerkrieges angegriffen, welche sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet haben, da nun anscheinend eine jede Fraktion sich in das Recht und die Möglichkeit gesetzt sieht, alte Rechnungen zu begleichen oder neue aufzumachen. Dazu nehmen die Überfälle auf unseren Heeresnachschub immer weiter an Stärke und auch an Raffinesse zu.

Hatten wir in der vergangenen Woche noch erleichtert aufgeatmet, dass die nächtlichen Einflüge von englischen Bombenflugzeugen gegen den Hafen von Nowshahr in letzter Zeit gänzlich unterblieben waren, so mussten wir mit einiger Ernüchterung feststellen, dass dies keineswegs einem Unterlassen oder einer Erschöpfung der Engländer zuzuschreiben war, sondern dass eben diese Bombenflugzeuge nun Nacht für Nacht eine andere Art von todbringender Fracht befördern als Sprengbomben: die Air Force wirft seit Neuestem tief im Landesinneren an Fallschirmen Agenten ab, und obendrein Versorgungskanister mit Waffen für die Aufständischen. Einen davon haben uns persische Bauern, welche ihn im Dickicht fanden, übergeben, er enthielt neben Sprengstoffen und Zündkapseln vor allem kleine, leicht zu verbergende Pistolen und Dolche, dazu Handgranaten, bloße Mordwaffen immerhin, andere enthalten den Meldungen zufolge englische und russische Maschinenpistolen und andere Waffen, darunter sogar Panzerbüchsen, welche seit Jüngstem gegen die deutschen Panzerwagen zum Einsatz kommen, von denen die Kraftwagenkolonnen das Geleit erhalten.

Da eine deutsche Nachtjagd über dem persischen Luftraum vollkommen fehlt, haben die Briten dabei ein leichtes Spiel und können ihrer Tätigkeit zur Gänze unbehelligt und nach Belieben nachgehen. Welch einen Unterschied könnten da selbst drei oder vier Flugzeuge mit Funkmeß-Geräten machen? Allein, es nützt nichts, es mangelt uns, wie an so vielem, auch daran, ja wir haben nicht einmal ein geeignetes Flugfeld, von dem aus solche Maschinen operieren könnten, und wenn wir es bauen würden, so hätten wir allein hier nicht die Mittel, es zu sichern, und die Russen würden es einfach eines Nachts mitsamt den Flugzeugen in die Luft jagen.

So tun wir halt mit den Mitteln, die uns zu Gebote stehen, das Mögliche, und nehmen ansonsten hin, was zu ändern nicht in unserer Macht steht. Insgesamt ist es hier bei uns recht ruhig, die meisten Feldstellungen rund um die Dörfer sind fertig, und wir haben die Ausbildung einheimischer Freiwilliger wieder aufgenommen, welche unsere eigene Feldpolizei unterstützen sollen.

Auch ist in Namak Abroud eine Art Gerichtshof in Tätigkeit getreten, welcher mir eine gar absonderliche und erstaunliche Einrichtung dünkt und welchen Jörg und Fritz miteinander sich ausgedacht haben.
Es handelt sich um eine sehr eigentümliche Mischung aus einem Schöffengericht und einer Ratsversammlung nach der üblichen Landessitte, darin Streitigkeiten des Rechts entschieden, Übereinkünfte zwischen klageführenden Parteien erzielt und Beschlüsse gefasst werden können, und in diesem Rat sitzt der Fritz als Kenner des deutschen Rechts in aller Ernsthaftigkeit neben bärtigen einheimischen Mullahs, welche blumige und langatmige Reden halten, und trinkt Tee und macht eine gelehrte Miene, bis alle ausgeredet haben, denn das ist es, was man in einem solchen Rate so tut, und bisweilen hält er selber eine solche blumige Ansprache.

Die Perser, so scheint es, legen bei ihrem Verständnis von Rechtsprechung besonderes Gewicht auf jenen Teil, welcher das Sprechen beinhaltet. Überhaupt ist es sonderbar, dass sich die Mullahs und die Ältesten mit dem Fritz in eine Runde setzen, da er doch kein Mohammedaner ist. Es scheint uns hier jenes eigentümliche Ansehen zu Gute zu kommen, welches die Deutschen bereits seit alters her bei den Persern genießen, welche zwischen beiden Völkern eine Art Blutsverwandtschaft konstatieren zu können glauben.

Im Wesentlichen läuft es zumeist darauf hinaus, dass die Perser reden und wir zahlen, doch wenn man die Alternative bedenkt, welche darin bestünde, dass die Perser schießen und wir auch, dann machen wir durchaus ein gutes Geschäft damit, uns hier an die Landessitte zu halten. Immerhin, so verriet mir der Fritz vor einigen Tagen, hat ihm noch keiner der Häuptlinge die Ehe mit einer seiner Töchter angetragen.

[...] Fortsetzung folgt
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Schön, dass es weitergeht. Die Wartezeit hat sich allerdings gelohnt. *top*
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
[...] Immerhin, so verriet mir der Fritz vor einigen Tagen, hat ihm noch keiner der Häuptlinge die Ehe mit einer seiner Töchter angetragen. Das wäre in der hiesigen Kultur eine übliche Form, Bündnisse zu zementieren und Pakte zu schmieden, jedoch für uns auch eine gewisse Kalamität, da Fritz damit seinen Ruf der Unparteilichkeit gründlich eingebüßt hätte, jedoch bei einer Ablehnung zumindest die Unterstützung des so Brüskierten verlieren würde.

Im Übrigen haben wir auch weitere Unterstützung aus dem Reich erhalten, und auch wenn sie nicht in jener Form kommt, die wir uns erhofft hatten, so ist sie uns doch hochwillkommen. Wir hatten auf zusätzliche Feldjäger, Polizeikräfte und Grenadiere gehofft, vielleicht auch Matrosen-Schützen, geschulte und erfahrene Sicherungstruppen immerhin, welche das Kräftegleichgewicht zu unseren Gunsten verändern und uns erlauben würden, unsere Streifentätigkeit auf einige Nachbardörfer auszuweiten. Doch werden derzeit alle Kampftruppen im Rückraum der deutschen Front, bei der Partisanenbekämpfung und der Sicherung der Ölfelder von Baku gebraucht, von deren Produktion derzeit möglicherweise Gedeih oder Verderb des Russlandfeldzuges abhängen. Bekommen haben wir stattdessen weitere Arbeitsdienstler, die zumindest ihr Handwerk verstehen und die wir durchaus zu Geleit- und Wachschutzaufgaben heranziehen und in allen sonstigen erforderlichen Bereichen schulen können.

Darunter befinden sich allerdings auch solcherlei „Exoten“, dass wir teilweise nur staunen können. So hat man uns doch wirklich und wahrhaftig sogar zehn leibhaftige Feuerwehrleute geschickt, die in ihren Uniformen einen gänzlich unkriegerischen Eindruck machen, über nicht die geringste militärische Ausbildung oder Erfahrung verfügen und selber nicht so richtig zu wissen scheinen, was sie nun hier bei uns eigentlich sollen. Diese völlig kampfungewohnten Männer auf irgendeine Art dem Feuer aussetzen zu wollen dünkt uns gleichsam als blanker Mord, und es entsetzt mich, dass die Lage so derartig verzweifelt scheint, dass man uns bereits derlei ungeeignetes Personal schickt. Zwar sind uns zumindest weitere Kontingente zugesichert worden, doch sind wir aus Erfahrung skeptisch, was solche Zusicherungen angeht.

Mit den besten Wünschen,
Carl
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.