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BRIEFE AUS ANDERZEITLAND, TEIL 1

*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, den 25. September 1945

Nun haben wir die vergangenen Wochen doch noch gewinnbringend zu nutzen vermocht, auch wenn ich beinahe glaubte, wir würden nun alle Tage mit Höflichkeitsbesuchen zubringen.

Gemäß Jörgs Eingabe habe ich das sogenannte „Deutsche Kreuz“ erhalten, im Sprachgebrauch der Truppe auch das „Spiegelei“ genannt, eine schwere und ausnehmend hässliche Auszeichnung, welche auf der rechten Brustseite getragen wird und trotz ihres grobschlächtigen Aussehens beträchtliches Ansehen mit sich bringt, denn sie wird nur für wiederholte Tapferkeitstaten verliehen, deren jede einzelne des Eisernen Kreuzes wert wäre. Damit einher ging die verspätete Verleihung der Nahkampfspange für die schweren Kämpfe um Ehrenfels. Neben dem Heinz bin ich nun eine der am höchsten dekorierten Personen bei uns, und der Jörg hat mir zur Verleihung noch eine Flasche Weinbrand spendiert.

In unserer Gegend herrscht verhältnismäßige Ruhe, was auch daran liegt, dass sich bis jetzt noch keine englischen Kolonnen so weit nach Westen bis zu uns vorgewagt haben. Insgesamt haben wir die lage recht gut im Griff, es ist uns gelungen, die Dorfältesten zumindest zeitweise von dem unmittelbaren Nutzen einer Zusammenarbeit zu überzeugen, und so lange wir sie bei der Stange halten können, behalten wir auch unseren Frieden. Mit der einen oder anderen kleinen „Expedition“ haben wir auch einige umliegende Ortschaften dazu bringen können, sich unserem Bündnis anzuschließen. Lediglich an den äußeren Grenzen des von uns unmittelbar verwalteten Gebietes gibt es immer wieder Knallereien aus dem Hinterhalt, einzelne Scharmützel mit Freischärlern oder Anschläge auf die Fahrstraßen.

Dafür sind einzelne Provinzen im Norden umso schwerer umkämpft, dort herrschen blutige Unruhen und Pogrome, derer wir im Moment nicht Herr zu werden vermögen. Auf diese Gebiete konzentrieren sich naturgemäß nun auch die Überfälle der sowjetischen Marine-Schützen. Berichten gemäß sollen im Gefolge der Engländer nun auch freifranzösische Legionäre in Erscheinung getreten sein, gut motiviert, mit englischem Material.

Wie steht die Lage auf dem amerikanischen Kontinente? Nach dem zu urteilen, was man in den Zeitungen liest, und das ist nicht eben viel, haben die Säuberungsmaßnahmen in Folge des schweren Attentates auf die deutsche Flotte einen eher mäßigen Erfolg erbracht, von der Auffindung zahlreicher Waffenlager einmal abgesehen. Was an Verhafteten oder Toten gemeldet wird, scheinen doch in der Mehrzahl kleine Fische zu sein, mehr Ganovenbanden, Schmuggler und sonstige Kleinkriminelle denn wirkliche separatistische Agenten. Insgesamt aber scheinen die frischen Garnisonen der Fallschirmjäger eine vernünftige Arbeit zu machen, was das Niederkämpfen von Unruhenestern angeht, und es lässt sich auch nicht leugnen, dass die kriminelle Halbwelt mit ihren zwielichtigen und undurchsichtigen Charakteren stets einen fruchtbaren Nährboden für die Sache der Separatisten gebildet hat. Dieser Boden wird nun nach und nach abgegraben.

Denke dir, ich habe einen Brief von Dieter erhalten! Er hat mir keinen Ort genannt, an dem er sich aufhält, doch schreibt er, tief im Herzen Russlands zu stehen, und seine Feldpostnummer ist immer noch die vertraute ehrenfelser Nummer. Er hat sich sehr über meinen Brief gefreut, welcher ihn vor mehreren Wochen erreichte, auch darüber, dass ich ihm über den Verbleib von Horst Auskunft zu erteilen vermochte, und ich freue mich meinerseits, durch seine Schilderungen meine übrigen alten Freunde wohlauf zu wissen.

Die Russen unternehmen wohl weiterhin verbissene Gegenangriffe auf die vorgeschobenen deutschen Angriffsspitzen, bestrebt, diese zurückzudrängen, bisher jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Andererseits macht wohl auch die deutsche Seite derzeit keine nennenswerten Fortschritte mehr.

Die Ausbildung unserer Schutzmannschaften macht Fortschritte, auch wenn es durchaus ein zähes Geschäft ist, denn einem persischen Bauern den Nutzen eines Postendienstes beibringen zu wollen, scheint größtenteils vergebliche Liebesmühe, die Brüder vermögen es einfach nicht, länger als einige Minuten stille zu verharren. Sie beginnen bald zu schwätzen und umher zu gehen, zu rauchen und zu essen, so dass ihre Aufmerksamkeit bald auf dies, bald auf jenes gerichtet ist, nicht jedoch auf ihren Auftrag.

Als Fußstreifen machen sie sich dafür bedeutend besser, auch wenn man sie mit scharfer Disziplin angehen muss, damit sie nicht durch beständiges Palaver ihr Näherkommen verraten. Für den Postendienst gebrauchen wir bevorzugt unsere eigenen Leute.
Zur Ausstattung unserer Freiwilligen haben wir eine bunt gemischte Lieferung Kriegsbeute erhalten, in der Hauptsache Uniformen und Helme, aber auch Gewehre.
Es ist in der Masse russisches Zeug darunter, aber auch estnische, lettische und dänische Uniformteile, der Aufschrift auf den Packzetteln nach zu urteilen jedenfalls, und die Gewehre sind ausnahmslos russische Mosin-Nagants. Amerikanisches Gerät konnte ich nicht ausfindig machen, was mich verhalten optimistisch stimmt, denn das kann bedeuten, dass es für die Aufstellung weiterer amerikanischer Divisionen gebraucht wird, und vielleicht sehe ich dann einige meiner Landsleute, ein Vergnügen, welches mir seit dem Zusammentreffen mit dem Regiment „John Mosby“ nicht mehr vergönnt war.

Das Ganze ergibt jedenfalls ein sehr heterogenes Erscheinungsbild, trotz aller unserer Bemühungen, ein einheitliches Element in unserer wackeren Truppe herzustellen. Und die russischen Stahlhelme können in einem nächtlichen Treffen oder bei einem erneuten Überfall, wenn es durcheinander geht, dazu führen, dass man nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann.
Wir sind bestrebt, das Problem dadurch zu lösen, dass wir die Dinger hauptsächlich an die Besatzungen unserer Blockhäuser und Erdbunker ausgeben, die sich weniger dem Schützenfeuer aussetzen müssen und nicht Gefahr laufen, unter den Feind zu geraten. Von solchen Unterständen haben wir im Umkreis der Dörfer bereits eine ganze Menge angelegt, und wir üben beständig des Tags und des Nachts das alarmmäßige Aufsuchen und Besetzen der Stellungen, bis unsere Leute es zuverlässig und mit Behändigkeit beherrschen.

Besonders stolz sind wir dabei auf einen Vorposten, den wir direkt neben einer wichtigen Straßenkreuzung angelegt haben, über welche nicht nur ein beträchtlicher Teil unseres Nachschubes rollt, sondern auch insbesondere viel Personen- und Güterverkehr zwischen den umliegenden Dörfern, und also behalten wir dadurch auch einen Überblick darüber, wer zu welchen Zeiten im Umkreise verkehrt.

Dieser Vorposten besteht nun im Wesentlichen aus einem befestigten Blockhause, in welchem sich ein Büro der Feldpolizei befindet, dazu gibt es ein Koch- und Backhaus sowie ein Munitionslager. Die Befestigungen, welche ich mit anlegen half, bestehen aus gedeckten Erdbunkern und Laufgräben, dazu gibt es auch eine verschalte Erdstellung für einen Mörser oder ein Feldgeschütz – auch wenn wir zur gegenwärtigen Zeit keine einzige derartige Waffe besitzen, sie wäre für uns von beträchtlichem Wert. Immerhin haben wir durch das Schlagen von Bäumen und das Abbrennen des Unterholzes einen breiten Bereich um die Straßenkreuzung geschaffen, das wir ohne große Schwierigkeiten überwachen können.

Auf eine Besonderheit der hiesigen Gepflogenheiten will ich dazu noch zu sprechen kommen, die vielleicht zu veranschaulichen geeignet ist, mit welchen unerwarteten Schwierigkeiten wir hier teilweise umzugehen lernen müssen.

Dass unser Fortkommen stark davon abhängt, mit welchen Dorfältesten wir uns hier besonders gut stehen, berichtete ich dir bereits, auch davon, dass das Ausmaß dieser Unterstützung sehr davon abhängig ist, über welchen Einfluss und Mittel dieser Älteste verfügt. Nun aber nimmt dies solcherlei Formen an, dass, wenn wir beispielsweise für eine Such- oder Streifaktion Schützenkontingente verschiedener Dörfer versammeln wollen, sich der Erfolg einer solchen Zusammenziehung beständig davon abhängig macht, welche Rivalitäten die Ältesten untereinander haben. Da fehlt dann des Abends beim Antreten schon einmal ein komplettes Kontingent, da sich der verantwortliche Älteste nicht in Konkurrenz zu einem mächtigeren Nachbarn bringen will, dafür erscheint – ungefragt – von jenem Mächtigeren ein Kontingent seiner persönlichen Dorfmiliz, welches die Lücke füllt. Wir machen diplomatische Miene zu jenem sonderbaren Spiel und sind doppelt auf der Hut, denn die Miliz ist noch weniger für ihre Zuverlässigkeit bekannt als die Schutzmannschaften. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir am Morgen feststellen, dass die von uns ausgestellten Feldposten sich kurzerhand schlafen gelegt haben oder gleich nach Hause gegangen sind.


Ich bin nun, da ich etwas mehr Zeit zu meiner persönlichen Verfügung habe, hingegangen und habe etwas unternommen, darüber ich schon geraume Zeit nachgesonnen habe. Ich habe eine Gruppe von Arbeitsdienstlern um mich geschart, denen ich dem persönlichen Anschein nach etwas zutraue und welche über Tüchtigkeit und Erfindungsgeist verfügen, und ich schule sie in jenen Fertigkeiten des Pionierdienstes, welche ich einst meinerseits von Dieter lernen durfte.

Das Schanzwerk und die Grundlagen des Felddienstes beherrschen die Burschen ja bereits, und ich lehre sie das Bezwingen von Hindernissen und Befestigungen, den Gebrauch des Granatbündels und des Grabendolches, das Anpirschen und das Unterkriechen von Drahtsperren, ich lehre sie, eine wahrhaftige Rede zu führen und ihren Waffenstolz zu pflegen. Kurz und gut, ich habe mir meinen eigenen kleinen Pioniersturmtrupp geschaffen, denn ich denke, dass wir ihn brauchen können. Da wir nun einmal solch hervorragende Feldbefestigungen geschaffen haben, so sollten wir auch in der Lage sein, sie wiederzunehmen, im Falle dass sie einmal in die falschen Hände gelangen.

Mein Jörg stimmt mir dabei unumwunden zu und lässt mir freie Hand, und es tut gut, wieder in eigener Verantwortung eine Aufgabe in Angriff nehmen und zu ihrem Erfolge führen zu können. Wir sind schon ein verwegener Haufen bunter Hunde, meine frisch gebackenen Pioniere und ich. Ein jeder von uns hat eine russische Maschinenpistole, und wir unterscheiden uns auch äußerlich in unserer Tracht von den regulären Soldaten und Feldgendarmen, denn wir haben unsere Uniformen nach der Art der Sturmtrupps des Weltkrieges abgeändert, mit ledernen Flicken an Ellenbogen und Knien und Fußwickeln um die Waden statt der üblichen Gamaschen, und unsere Helme haben wir mit farbigen Streifen und Flecken gemalt, der Tarnung wegen.

Meine beiden Ältesten sind Wilfried und Thorsten, beides zuverlässige, lang gediente Arbeitsmänner mit Fronterfahrung aus dem Rheinländischen, die tüchtig zupacken können, dazu kommen noch Johann aus Königsberg, ein ehemaliger Hafenarbeiter, und Albrecht, das Raubein, ein sogenannter Bewährungsschütze, ein ehemaliger Panzerjäger des Heeres, der wegen wiederholter geringfügiger Disziplinlosigkeiten zum Arbeitsdienst versetzt wurde. Auf ihn habe ich ein gewisses Auge, doch hat er mir bisher keinen Anlass zur Klage gegeben – die neue Perspektive scheint ihn bei der Stange zu halten.

Flammenwerfer oder moderne Sprengmittel haben wir keine in unserem Besitz, doch verfügen wir über Panzerfäuste und einige Dynamitbündel, dazu englische Handgranaten und Pistolen, so dass wir insgesamt recht gut ausgerüstet sind, und da wir sonst keine gestickten Abzeichen auftreiben konnten, so haben wir uns halt den Anker der Marine auf den Oberarm genäht, davon wir von unseren Kameraden einige ertauschen konnten, und da wir nun in der Nachbarschaft eines Hafens leben, so finden wir es auf eine gewisse Weise passend. Nun brennen wir natürlich einerseits darauf, uns zu bewähren, andererseits weiß ein jeder von uns, dass eine solche Bewährung nur mit einer gravierenden Verschlechterung der Lage bei uns einhergehen könnte, und somit sind wir auch froh um jeden Tag, den diese Bewährung noch auf sich warten lässt.

Mit den besten Wünschen,
Carl
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Ich freue mich, dass es hier doch weitergeht. Hoffentlich muss ich auf den nächsten Brief nicht wieder so lange warten *g*
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, den 30 September

Einiges Seltsames hat sich hier ereignet, welches des Berichtens wert ist.
Das erste und Vordringlichste, meines persönlichen Empfindens nach jedenfalls, ist, dass ich mich derzeit mit einer Art von „Bewährung“ belegt sehe, welche mir neben einem blauen Auge die strafende Aufmerksamkeit des Generals von Niedermayer eingetragen hat und welche ich meiner eigenen Impulsivität und meinem Mangel an Beherrschung zuschreiben muss.

Doch alles der Reihe nach.
Du musst wissen, dass wir vor drei Tagen durch das Eintreffen einer Anzahl von Verstärkungen überrascht wurden, die überwiegende Mehrheit davon ungarische Waffenbrüder, Gendarmen und Streifkorpsjäger in schmucken, grünen Uniformen mit goldenen Knöpfen und glänzendem Lederzeug, in guter Ordnung insgesamt eine uns hoch willkommene Verstärkung und eine tüchtige Aussicht auf Besserung unserer Lage.

Bei ihnen begab sich allerdings auch eine fünfköpfige Gruppe von deutschen Soldaten, welche sich als ein Detachement von fronterfahrenen Veteranen der Siebten Jägerdivision herausstellten, eigens aus der Karibik zu uns entsandt, um ihre eigenen Erfahrungen und jene Lektionen an uns und die Ungarn weiterzugeben, welche sie im Waldkampf erworben und von ihren japanischen Instrukteuren erlernt haben. Sie wirkten insgesamt recht befremdlich auf uns, wie sie da vom Schiff herabstiegen, da sie durchweg von Kopf bis Fuß in uns unvertraute Tarnjacken und –hosen gekleidet waren und insgesamt ein recht arrogantes und schroffes, ja regelrecht unhöfliches Verhalten gegenüber allem und jedem an den Tag legten. Jeder einzelne unter ihnen, zwei Oberleutnante und drei Feldwebel waren es, trug nun nach der japanischen Art ein Schwert an seinem Gürtel, was uns mehr als ungewöhnlich dünkte. Insgesamt hielten sie sich sehr unter sich und redeten kaum das Notwendigste mit uns, auch gaben sie bisweilen einige recht dreiste Antworten, kurzum, sie gebärdeten sich reichlich unleidlich.

Des Abends nun, da sie in unserem Gemeinschaftsraum unter uns Platz genommen und schon reichlich das Trinken angefangen hatten, da bemerkte ich bei zweien von ihnen, welche ihre Tarnjacken gegen gewöhnliche Uniformjacken getauscht hatten, gestickte Ärmelbänder mit der Aufschrift „Amerika“, welche darauf hindeuteten, dass sie Angehörige des Deutschen Amerikakorps und also an den Kämpfen um meine Heimat beteiligt gewesen waren. Dies machte mich natürlich zunächst gehörig neugierig, mich begehrte es, aus ihrer Sicht von diesen für mich doch so unmittelbar bedeutsamen Geschehnissen zu hören, doch stieß mich ihr Gebaren sehr bald so gründlich ab, dass ich mir eine entsprechende Bitte verbot. Sie hatten wohl ihrerseits nicht bemerkt, dass sie mit mir einen Amerikaner in ihrer Nähe hatten, jedenfalls erhoben sie alsbald recht prahlerische Reden darüber, was sie geleistet und wo sie überall gestanden hätten, wohl auch, weil sie glaubten, die übrigen Anwesenden damit beeindrucken zu können, und wenig später stimmten sie einen Schmähgesang auf mein Volk an, welcher anging:

„Die Amis hassen uns wie die Pest,
sie sitzen auf glühenden Kohlen!
Ob Boston, New York, Miami, Key West,
wir kommen sie alle bald holen!
Sind Roosevelts Schergen auch wutentbrannt,
wir werfen die Feinde in jedem Land!
Es schlägt Generalmarsch die Trommel,
vorwärts mit Hausser und Rommel!“

Daraufhin erhob ich mich schließlich und forderte von ihnen Mäßigung ein mit dem Hinweis, ich fühlte mich als Amerikaner durch ihre Schmähungen in meiner Ehre angegriffen, und die Reichsregierung habe ausdrücklich die Tapferkeit der amerikanischen Soldaten im Kampf herausgestellt. Darauf erhielt ich zur Antwort jedoch nur weitere Verunglimpfungen und Gejohle und den spöttischen Hinweis, wenn die amerikanischen Soldaten tatsächlich so tapfer gewesen wären, dann würden sie jetzt in Berlin sitzen und nicht die Deutschen in Washington, was mich durchaus schmerzte. Und als dann noch einer seinem Übermut mit der Bemerkung Luft machte, Amerikaner seien ausnahmslos „Hunde und Barbaren“, da war es endgültig um meine Beherrschung geschehen, und ich pflanzte dem Großmaul meine geballte Faust mitten auf seine Nase, so dass er mitsamt seinem Stuhle nach hinten umflog.
Das ergab natürlich im Handumdrehen die schönste Balgerei, welche man sich denken kann, denn sein Kumpan sprang ihm sogleich zur Seite und ging mir an den Kragen, worauf mir seinerseits Albrecht beistand und den Anderen mit einem bildschönen Schwinger von den Füßen holte. Als schließlich die Trillerpfeifen und Knüppel der Feldgendarmen uns auseinander trieben, da hatten wir uns ganz leidlich unserer Haut gewehrt, auch wenn wir beide gespaltene Lippen und blaue Augen davongetragen haben, so sehen doch die anderen beiden nicht wirklich besser aus, was mich trotz Allem zu einem gewissen Stolz veranlasst.

Nichtsdestotrotz kostete mich das Ganze zunächst einmal eine Nacht in einer Arrestzelle und einen gehörigen Brummschädel, und am nächsten Morgen stand dann der Jörg in der Tür, mit einem Becher Kaffee, aber auch mit einem gehörig vorwurfsvollem Blick und einem sorgenvollen Kopfschütteln.
„Mein lieber Karl, ich wusste ja, dass wir über kurz oder lang mal eine Keilerei haben würden, aber dass ausgerechnet du es sein würdest, der sie anzettelt, damit hätte ich nun weiß Gott nicht gerechnet. Ist das die Art und Weise, wie du deinen Pionieren ein Vorbild zu sein gedenkst? Diesen Albrecht holt ohnehin der Teufel, ich wüsste nicht, was wir dem noch an Strafen tun könnten, was er nicht schon kennt. Aber ich konnte den General mit Mühe und Not davon abhalten, dir gleichermaßen die Schulterstücke runter zu reißen, als er heute Früh den Bericht auf dem Tisch hatte, und ein eigenes Wort zu deiner Entlastung in dieser Sache bin ich ihm immer noch schuldig. Du hast also jetzt besser eine passable Begründung für mich parat.“

Also erzählte ich ihm wahrheitsgemäß, was sich zugetragen hatte, und während ich sprach, wurde sein Gesicht immer weniger grimmig, und da ich geendet hatte, nickte er.
„Gut, es mag angehen, du hast deine Beherrschung verloren und einem Großmaul dasselbe gestopft, und das gehört sich nun mal nicht für einen Unteroffizier, doch hat sich der andere Kerl alles andere als ehrbar verhalten und auf alle Fälle deinen Rang nicht geachtet. Auch hat er die Waffenbruderschaft mit dem amerikanischen Volk gebrochen, und das mag seinerseits etwas gelten. Ich denke, dass ich dich schon aus dieser Sache wieder herauskriege, doch muss ich dich einstweilen hier belassen. Wenn ich dich heraus gehen lasse, dann riecht es sogleich nach Bevorzugung, und das gebe ich nicht dran, das schadet dir mehr, als es nützt. Ich will nun dem General deinen Fall vortragen, und der mag es entscheiden. Gänzlich ungeschoren wirst du nicht davonkommen, aber ich denke, bei Sonnenuntergang bist du wieder auf freiem Fuß, und der Sicherheit halber werde ich mich noch mit dem Fritz beraten, der kennt die Paragraphen.“

Es schmerzte mich, ihn gehen zu sehen, doch hatte ich wenigstens den heißen Kaffee zum Trost, den ich wegen meiner gespaltenen Lippe nur langsam und mit großer Vorsicht trinken konnte, und ich vertraute meinem Jörg. Und zumindest konnte ich der mir bevorstehenden Bestrafung mit der tröstenden Gewissheit entgegenblicken, für die Ehre meiner Nation eingetreten zu sein.
Doch wie es auf die Mittagsstunde zuging, da öffnete sich unerwartet die Tür zu meinem Kerker, und es trat einer jener Offiziere ein, welche ich mit den beiden Feldwebeln gemeinsam am Hafen gesehen hatte, ein Oberleutnant mit dem Deutschen Kreuz und der Nahkampfspange, mit Schwert und Pistole angetan, und einen harten Ausdruck auf dem Gesicht, blaue Augen unter der Feldmütze und Bartstoppeln auf dem Gesicht, und wie er vor mich hintrat, nahm ich, wie es sich gehört, Haltung an.

„Du bist also“, sprach er, „der aufmüpfige Ami, der meine Leute schlägt.“
Ich entgegnete nur ein knappes ‚Jawohl‘, denn auf seine Provokation einzugehen hätte mich wohl nur noch tiefer in Schwierigkeiten gebracht.
Darauf blickte er mich eine Zeit unverwandt an, dann sprach er: „Mumm hast du ja, Freundchen, das muss ich dir lassen. Und eigentlich gehört dir auch etwas auf die Nase, aber wie mir scheinen will, hast du deinen Teil schon bekommen.“
„Es sieht“, sprach ich da, „der Andere nicht besser aus.“
Da lachte er laut und sprach: „Trotzig und halsstarrig bis zuletzt, du gefällst mir. Aber sag, dein Gesicht kommt mir bekannt vor. Bist du am Ende jener Ami, über den die Zeitungen geschrieben haben? Man erzählt sich, du seist tot.“

Ich bejahte, dass über mich in Zeitungen geschrieben worden sei, darunter auch Wahrhaftiges, doch Gerüchte über mein Ableben seien stark übertrieben. Und abermals nickte er und lachte.

„Wollte, du wärst einer von meinen. Aber mir scheint, dir ist ein anderes Schicksal bestimmt. Nun gut, sei’s drum, mein Feldwebel hat deine Ehre verletzt, und er hat bekommen, was ihm zukam. Ich hege keinen Groll gegen dich. Doch merke dir dies: wenn du das nächste Mal mit ihm Händel bekommst, so lässt du ihn besser tot liegen. Er vergisst solcherlei Dinge nicht, und mein Befehl wird dich nur für dieses Mal schützen.“
[...] Fortsetzung folgt.
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
[...] FORTSETZUNG:


Und so ließ er mich zurück, und als die Abendstunde kam, da kehrte mein Jörg vom General zurück, setzte sich zu mir und berichtete mir staunend, die Sache sei offiziell erledigt. Es hatte wohl jener Oberleutnant seinerseits ein Wort beim General eingegeben, die Sache auf sich beruhen zu lassen, und weder der General von Niedermayer noch sein oberster Feldgendarm hatten da etwas anderes zu besorgen, als gleichsam nach diesem Kompromisse zu verfahren, und mir blieb nur die grimmige Warnung zum Angedenken: „…so lässt du ihn auf das nächste Mal besser tot liegen.“

Allerdings bekam ich von meinem Jörg auf zwei Wochen ein Verbot ausgesprochen, des Abends den Gemeinschaftsraum aufzusuchen und überhaupt auf irgendeine Weise dem Alkohol zuzusprechen, doch zeigte sich schon am selben Abend, dass ich um die Gemeinschaft meiner Freunde nicht zu dauern brauche, denn sie suchten mich mit Tee und allerlei Esswaren in meinem Quartier auf, und wir redeten und lachten beim Schein der Zitronellakerzen und Petroleumlampen wohl etliche Stunden.

Als weitere Auflage habe ich nun auf ebenfalls zwei Wochen Dienst beim Hauptquartier zu tun, als Verbindungsmann, und auch hierin vermochte ich alsbald einen versteckten Nutzen zu entdecken, den mein findiger Jörg mir wohl angedeihen zu lassen bedacht hat, denn nicht nur erhalte ich auf diese Weise Einblicke in die größeren Vorgänge, welche sich unseren eigenen Operationen zu Grunde legen, sondern ich kann auch ein tieferes Verständnis gewinnen, welche komplexe Strategie und welche detailreiche Arbeit sich verbergen hinter unserem Bestreben, den Menschen dieses Landes dauerhaften Frieden und Wohlstand zu bringen.

Und auch wenn im Norden und Osten Persiens noch teilweise heftig gefochten wird, so hat sich die Lage bei uns im Westen, an der Küste und weiter nach Teheran hinein, doch merklich gebessert. Die Überfälle auf die Nachschubtransporte haben nachgelassen, es kommen nur noch vereinzelt Berichte über Sichtungen von englischen Kolonnen, dafür melden sich immer mehr Dorfälteste und Mullahs, auf Umwegen, bei uns an und wollen mit uns paktieren, und oftmals war es dann ein Bruder, Vetter oder Schwager, der bereits mit uns arbeitet und den Kontakt hergestellt hat. Es sind uns schon die Feldgendarmen ausgegangen, welche eine Schulung der neuen Schutzmannschaften übernehmen könnten, doch bedienen wir uns zu deren Behelf einiger gelehriger Landser und auch tüchtiger Einheimischer, welche bereits die Ausbildung durchlaufen oder mit unseren Baukolonnen gearbeitet haben.

Und in den von uns überwachten Territorien blüht wieder der Handel und die Landwirtschaft, denn da wir nun teilweise frei sind von einer direkten Bedrohung, so können wir Kräfte auf andere Aufgaben verwenden und haben neben dem Straßenbau auch begonnen, den Fluss zu Teilen aufzustauen und ein System zur Bewässerung der Felder während der heißen Monate anzulegen. An einem Mühlrad zur Einrichtung einer mit Wasserkraft betriebenen Getreidemühle wird ebenfalls bereits gezimmert.

Und zweimal im Monat wird eine Versammlung der örtlichen Ältesten abgehalten, an der wir stets Teil nehmen und uns anhören, worüber gesprochen wird, und wenn es Streitigkeiten gibt oder gerichtliche Sprüche gefällt und Forderungen erhoben werden, so haben wir bisweilen auch daran ein Wörtchen mitzureden. Und so haben wir den Plan der Engländer und der Sowjets, dieses Land in Chaos und wechselseitiges Blutvergießen zu stürzen, zumindest teilweise durchkreuzen können, und ich bin guter Hoffnung

AUS! AUS! AUS! Liebste Jennifer, es ist aus, der Krieg im Osten ist aus! Die Nachricht wird dich durch die Zeitungen eher erreichen als durch diesen Brief, und doch können wir es in diesem Moment kaum fassen, es herrscht eine regelrecht kopflose Euphorie, und keiner redet von etwas anderem mehr!

Es ist aus, aus und vorbei!
Die Sonne ging auf am nächtlichen Himmel, und der Krieg war vorbei! Die Deutschen haben das Himmelsfeuer auf die Erde herab geholt, und sie haben die Sowjets damit geschlagen! Novosibirsk ist dem Erdboden gleich, der blutrünstige Stalin und seine Sowjet-Kommissäre sollen sämtlichst des Todes sein. Denke dir, eine einzige Rakete, eine einzige Bombe, hat dies vermocht. Noch wissen wir nichts Genaues, doch aus dem Rundfunk vernehmen wir, dass es sich um eine neuartige Uranium-Bombe gehandelt haben soll, ein Produkt aus der geheimsten Waffenerforschung des Reiches, deren Vernichtungskraft zehntausend Mal höher ist als die aller gewöhnlichen Bomben.

Ob der Schlächter Stalin wirklich tot und verbrannt ist, darüber herrscht noch keine Klarheit, doch soll die russische Heeresführung unter dem Marschall Schukow bereits Verhandlungen über einen Waffenstillstand angeboten haben.
Es schaudert mich bis in das tiefste Knochenmark, welch furchtbares, welch schreckliches und unbändiges Machtinstrument nun entfesselt wurde, da diese Sonnenbombe in die Welt getreten ist, welche auf einen Schlag ein solches Werk zu tun vermag. Und welche unermessliche Verantwortung vor Gott und den Menschen ist jenen aufgebürdet, die über den Einsatz eines solchen Götterhammers und Weltenerschütterers zu gebieten haben?

Es sträubt sich der Verstand, in voller Umfassung darüber befinden zu wollen, und so will ich einstweilen mit dem Gedanken schließen, dass wir das Morgengrauen eines neuen Zeitalters der Menschheit heraufdämmern sehen ohne abmessen zu können, welche Neuerungen es uns bringen mag.

In Liebe,
Carl
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, den 16. Oktober 1945

Nun hatte ich, trotz zahlreicher anderer Geschehnisse, doch noch Zeit und Muße, über die Geschehnisse von vor zwei Wochen nachzudenken, und auch wenn der Einsatz der Sonnenbombe und seine Folgen natürlich ein jegliches Gespräch dominieren, so gibt es doch diverse weitere Begebenheiten, welche des Berichtens wert sind.

Die Engländer haben natürlich, verständlicherweise, auf das Schärfste gegen den Einsatz der neuen Super-Vergeltungswaffe protestiert und das Deutsche Reich getadelt, als barbarisch und inhuman beschimpft und zahlreicher Verbrechen gegen das Kriegs- und Völkerrecht angeklagt, da unzählige Zivilisten im Wirkungsbereich der Bombe verbrannt seien, und es hat sich gar der Hetzer Churchill zu der Aussage verstiegen, was denn wohl das deutsche Volk und die Welt dazu zu sagen haben würde, wenn die Engländer, eine zivilisierte Nation mithin, eine deutsche Großstadt mit all ihren Einwohnern und Kulturdenkmälern zur Gänze verbrannt hätten, Hamburg oder Dresden zum Beispiel.

Das ist nun eine Argumentation, die sich schwer ableugnen lässt, sicherlich wäre dann der Aufschrei des gerechten Protests entsprechend ohrenbetäubend, und auch mir ist nicht wohl bei dem Gedanken an die verheerende Wirkung, derer wir durch Luftbilder, welche in den Gazetten abgedruckt wurden, Zeugen werden konnten. Es hat sich nun herausgestellt, dass nicht nur Novosibirsk durch einen solchen Götterhammer vernichtet wurde, sondern auch das unweit gelegene Swerdlowsk, ein Zentrum der Schwerindustrie, die Hauptstadt des Distrikts Ural und, so wird kolportiert, eine tragende Säule von Stalins sowjetischem Machtapparat, benannt nach dem Kommunistenführer Yakow Swerdlowsk und mithin ein ebenso symbolträchtiges wie kriegswichtiges Ziel.

Auch will mir der Gedanke nicht aus dem Kopfe, wie sich wohl die Führer unserer eigenen Nation betragen haben würden, hätten wir, wäre das Kriegsgeschick ein anderes gewesen, eine solche Sonnenbombe dereinst in unseren eigenen Händen gehalten und vor der schicksalsschweren Entscheidung gestanden, die Macht dieser Konstruktion gegen einen Feind zu entfesseln. Hätte das amerikanische Volk, hätte ein amerikanischer Präsident, die kaltblütige Entschlusskraft und den Willen gehabt, bis an das Ende aller Tage fürderhin mit der Schreckenswirkung dieser Waffe in gedanklichen Zusammenhang gebracht zu werden? Ich mag es vor mir selber nicht anders als verneinen, denn mir dünkt dieser Schritt zu groß, zu grausam, zu endgültig, als dass ich ihn dem freiheits- und rechtsliebenden amerikanischen Volke beischreiben möchte.

Und zugleich stutze ich ob der Selbstverständlichkeit, mit welcher ich der Reichsregierung eine solche Tat zugetraue, und ich erkenne an dieser Stelle einen gedanklichen Vorbehalt, ein Vorurteil, welche ich doch immer noch, aller Erfahrungen und Erlebnisse zum Trotze, gegen das Volk der Deutschen hege. Man mag ihnen zugutehalten, was man will, aber trotz aller Errungenschaften des Humanismus und der Kultur, was da Menschenbildung geheißen ist, welche sich in ihrer Volksseele manifestieren, so lebt in ihnen immer noch jene erhabene Größe des ursprünglich germanischen Volksstolzes, jener unbedingte Wille zur Macht, jener kaltblütig kalkulierende Pragmatismus des Grausamen, der sich stets dann aufs Neue zur Durchsetzung bringt und in Taten bezeigt, wenn harte Zeiten durchgreifende Maßnahmen erfordern, jener Überrest eines einstmaligen Weltmachtsdaseins, welchen außer ihnen wohl noch am ehesten die Skandinavier verstehen können, und es will mir scheinen, als könnte man den Totengeist des Stalin noch als Echo der Ewigkeit gleichsam rufen hören: „Varus, Varus, gib mir meine Städte wieder!“

Wo gerade die Rede auf amerikanische Staatsführer gekommen ist: der Ausgang der Präsidentenwahlen, welche aus Gründen der Sicherheit mehrfach verschoben und erst jetzt, mit wochenlanger Verzögerung, zum Vollzug gelangt waren, überrascht mich nicht wirklich, war Lindhberg doch der einzige Kandidat, welcher wahrhaftig den Rückhalt und die Unterstützung der Reichsregierung genoss, so dass ein Ausgang dieser Wahlen wohl schon im Vorfelde abzusehen war. Was mich viel eher noch überrascht ist die Selbstverständlichkeit, mit welcher das amerikanische Volk den Ausgang dieser Wahl hinnimmt, welche den Anspruch einer regelrechten demokratischen Meinungsfindung nun wahrhaftig nicht in vollem Umfange für sich verbuchen kann. Natürlich bekomme ich hier nur gefilterte Nachrichten und kann mir über die wahrhaftige Stimmung im Volke kein rechtes Bild machen, doch scheint mir, dass insgesamt ein größeres Interesse daran herrscht, wieder zur Normalität des Alltages überzugehen, und dazu gehört nun einmal die zumindest scheinbare Sicherheit, dass über Allem ein Präsident an der Spitze des Staatsgebildes thront und den Ablauf der Geschäfte überwacht.

Vielleicht zeigt sich darin auch der gewohnte Optimismus meiner Landsleute und die bekannte kritische Distanz zum Gouvernement, welche einen das tägliche Leben in der Gemeinschaft von Nachbarn und Freunden mit der Gewissheit bestreiten lässt, es werde schon alles angehen.
Und doch traf mein Jörg, jener tief denkende Gefährte, bei mir den Nagel auf den Kopf, als er mir diese Vorgänge mit jener berühmten Anekdote aus der Goldgräberzeit belegte, in welcher der zwanghafte Kartenspieler zitiert wird, welcher sich unaufhörlich von einem Falschspieler rasieren lässt. Auf die Anrede: „Freund, weißt du nicht, dass dieses Spiel gezinkt ist?“ entgegnet er lediglich: „Freund, ich weiß es wohl, doch was kann ich tun, es ist das einzige Spiel, welches in dieser Stadt gespielt wird.“

Man denke sich, ein erfreuliches Ereignis! Ich habe einen Brief von Dieter erhalten, in welchem er mir Auskunft über sein Verbleiben und seine Erlebnisse erteilt. Natürlich ist mir die Freude übergroß, den alten Freund bei guter Gesundheit zu wissen. Seine Kompanie steht nach wie vor tief in Russland, die Kameraden sind tagaus, tagein mit dem Erweitern der Feldbefestigungen und dem Bau von Straßen gut beschäftigt. Und doch verwundert mich ein bestimmter Sachverhalt, darüber er mir zu schreiben wusste: er und sechs weitere Männer, allesamt fronterfahrene Pioniere und alles zumindest Unteroffiziere, sind von der Front abgezogen und in die Heimat entsandt worden, eine ungewöhnliche Maßnahme, zumal es sich nicht um die Einräumung eines Urlaubes sondern um eine außerordentliche Abkommandierung handelte. Dies erstaunt mich umso mehr, als dass der Poststempel auf dem Kuvert aussagt, der Brief sei vor nächst vier Wochen aufgegeben worden, mithin schon eine geraume Zeit vor dem Einsatz der Sonnenbombe und der darauf folgenden sowjetischen Übergabe.

Was nun diesen letzteren Umstand anbetrifft, so scheint es sich insgesamt um ein zweischneidiges Schwert zu handeln. Nach dem nun mittlerweile offiziell bestätigten Tode des Stalin, mit dem zusammen auch seine Helfershelfer Molotov und Chruschtschow zugrunde gegangen sein sollen, hat der Marschall Schukow übergangsweise die Führung der Staatsgeschäfte übernommen und bemüht sich, eine Waffenruhe mit dem Reich auszuhandeln. Im Rundfunk brachten sie vorgestern eine Dokumentation über diesen russischen Marschall, der dem deutschen Feldheer als begabter und ritterlicher Gegner seit Längerem ein Begriff ist.

Dementsprechend maßvoll fallen wohl auch die Bedingungen aus, die das Reich der Übergangsregierung zu diktieren beabsichtigt: Rückzug auf die Linien und Stellungen vor der letzten Offensive, so dass die Russen keine neuen Gebietsabtretungen zu erdulden haben müssen, jedoch uneingeschränktes Zutritts- und Besiedelungsrecht nicht nur für die entmilitarisierte Zone, sondern auch für den gesamten Raum Groß-Russlands. Einbindung Russlands in eine europäische Sicherheitspartnerschaft, wohinter allerdings der kaum verhohlene Wunsch steht, die Sowjetarmee, welche übrigens nicht zur Abrüstung gezwungen wird, unter eine deutsche Aufsicht zu stellen. Reparationszahlungen in Form von Rohstoffen und Arbeitsleistung beim Wiederaufbau der Zerstörungen in den deutschen Ostgebieten, im Gegenzug wurde eine Modernisierung der russischen Schwerindustrie mit deutscher Ingenieurkunst vereinbart. Insgesamt erscheinen mir dies überaus milde Bedingungen, welche wohl auch dazu beitragen sollen, der Regierung Schukow von vorne herein einen guten Start und Stabilität zu verleihen, und das kann ich verstehen.

Übrigens ist unser Feldflugplatz, welchen wir vor Wochen zu bauen begonnen hatten, nun da wir uns der Verstärkung durch unsere ungarischen Waffenbrüder versichert wussten, mittlerweile so gut wie fertig. Eigentlich handelt es sich nur um einen Streifen gerodeten Flachlandes in Ufernähe, welchen wir mit gestampftem Lehm und Kies gangbar gemacht und mit Hütten aus Holz und Sandsäcken zum Wetterschutz versehen haben, eine Wärmehalle, ein Lager für Treibstoff und Munition, ein Zaun aus Draht, das war es auch schon, insgesamt eine eher primitive Konstruktion, doch sind wir recht stolz darauf und arbeiten beständig an seiner Verbesserung.

Die ersten Flugzeuge einer Störkampfstaffel sind dort bereits eingetroffen, und ich stand, wie viele andere auch, am Platzrand und sah ihnen zu, wie sie ihren ersten Landeanflug vollführten. Insgesamt ist es eine eher kurios anmutende Versammlung, ausnahmslos altmodische Modelle, Doppeldecker gar, die jedoch unter den vorherrschenden Bedingungen die notwendige Robustheit mitbringen: Heinkel He50, Gotha 145, die jedem Landser bekannten Henschel Hs 123, aber auch solche Exoten wie italienische Fiat CR.42 aus ungarischen Beständen. Mit dieser willkommenen Verstärkung unserer Kampfkraft können wir nun hoffen, den immer noch zahlreich durch das Land ziehenden englischen Kommandos in ihren geländegängigen Wagen das Leben sauer zu machen.

Übrigens konnte ich in den vergangenen vielleicht acht Tagen des Nächtens am Himmel wieder jene eigentümlichen Lichter beobachten, welche mir zum ersten Male bereits unter dem Sternenzelt der russischen Steppe aufgefallen waren. Auch dieses Mal zeigen sie wieder jenes absonderliche Verhalten, mal in rasendem Fluge vorüber zu ziehen, mal ganz plötzlich in der Luft verharren zu wollen, um dann, nach kurzer Zeitspanne, in einem fast rechten Winkel wieder davon zu schießen, so als hätten sie sich in ihrer wilden Jagd über den Horizont kurzzeitig auf den Weg besinnen müssen. Mir dünkt dies sehr sonderbar, und ich kann mir darauf nach wie vor keinen Reim machen.

Mit den besten Wünschen, Carl
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Chalus, den 22. Oktober 1945


Das Ansinnen der Reichsregierung, dem neuen russischen Regime unter Schukow politische Stabilität als Startgeschenk gleichsam mit auf den Weg geben zu wollen, scheint von bitterer Notwendigkeit gewesen zu sein, denn wie zu vernehmen ist, scheint der Waffenstillstand innerhalb des sowjetischen Staatsgefüges ungeahnte Nebenfolgen zu haben, welche einem zunehmenden Zerfall der öffentlichen und politischen Ordnung gleich kommen. Nicht nur soll sich die Mongolei für unabhängig erklärt haben, so scheinen auch unter den einzelnen Stämmen des Vielvölkerstaates Sowjetunion Uneinigkeit, ja was noch mehr ist: offene Zwistigkeiten, ausgebrochen zu sein, dergestalt, dass sich einzelne Regionen scheinbar in offenem Aufruhr gegen die sowjetischen Kontrollorgane befinden, und oftmals scheint es davon abzuhängen, auf welche Seite sich die organisierten Militärverbände schlagen, wobei diese sich auch untereinander zu bekämpfen scheinen. Das geht aus Meldungen hervor, welche unser Funkmess-Nachrichtendienst den aufgefangenen Sprüchen der Sowjetarmeen und Verbände, teils auch dem russischen Rundfunk entnimmt. In unserer Region scheinen es in der Mehrheit die Turkmenen des östlichen kaspischen Raumes zu sein, welche sich nun auf ihr Volkstum besinnen und eine Unabhängigkeit vom restlichen Sowjetstaate anstreben, wobei sie sich wohl auf die tatkräftige Mithilfe von Matrosenkompanien der Rotflotte stützen, die gleichen unangenehmen Zeitgenossen, welche uns seinerzeit so hart angegangen haben, welche wie die Berserker unter ihren Feinden, aber auch unter den Sowjetsympathisanten in der Landbevölkerung wüten sollen. Viel ist es nicht, was wir erfahren, aber die Zustände müssen sich wohl rapide zu einer regelrechten Anarchie auswachsen, in der bewaffnete Truppenteile und marodierende Haufen durch das Land ziehen und aufeinander schießen, Eisenbahnen überfallen und Dörfer verbrennen.

Immerhin bedeutet das anscheinend, dass wir zur Zeit nicht mit Überfällen dieser Gesellen zu rechnen brauchen, auch haben die Umtriebe der Engländer im Norden und Osten um ein gewisses Maß abgenommen, möglicherweise, da ihnen nun einige Nachschubwege und Stützpunkte nicht mehr zugänglich sind, von welchen sie vorher Gebrauch zu machen vermochten.

Unser eigener Rundfunk berichtet, dass sich die Truppen des regulären russischen Feldheeres in der Steppe wohl teilweise in Auflösung befinden, je nachdem, wie gut es den einzelnen Kommandeuren gelingt, die Disziplin und den Zusammenhalt zu wahren. Die russischen Soldaten gehen zu tausenden über, sie strömen waffenlos mit erhobenen Händen in die deutschen Vorpostenstellungen und rufen „Kamerad“. Von Lynchaktionen gegen rote Kommissare und stalinistische Offiziere soll die Rede sein.

Man denke sich, da erlebte ich doch gestern eine gewaltige Überraschung und ein Wiedersehen, mit welchem ich nun wahrhaftig in hundert Jahren nicht gerechnet hatte. Da ich nun am gestrigen Nachmittage zufälligerweise nichts Spezielles zu erledigen hatte, so entsandte mich mein Jörg zu unserem Feldflughafen, mit einem Geländewagen und dem Auftrage, einen Besucher abzuholen, welcher sich dort einfinden würde und welchen ich sodann nach dem Stabe des Generals zu verbringen hätte.
Ich dachte nun an einen subalternen Bürokraten aus Baku oder einen Feldinspektor der Polizeibehörde, oder einen Offizier des Armeestabes des Generals von Witzleben, mit dem Verbindungsflieger von Wolgograd her kommend womöglich, welcher erscheinen würde, um sich Rapport erstatten zu lassen. Dergleichen Besucher hatten wir in der Vergangenheit bereits das eine oder andere Mal empfangen.

Doch wer beschreibt mein Erstaunen als ich, entspannt im Fahrersitze meines braven Steyr lehnend und von der Platzgrenze her das geschäftige Treiben auf dem Flugfelde beobachtend, plötzlich durch das Heulen einer Düsenstrahlturbine hochgeschreckt werde? Und wahrhaftig, da donnert doch, eh ich mich versehe, ein leibhaftiger Düsenstrahl-Jäger recht tief über meinen Kopf hinweg, eine brandneue Focke-Wulf Ta183, welche ich bis dahin nur aus den Zeitungen kannte, hell und dunkel grau gescheckt, und um mich herum kommt ob dieses vollkommen unerwarteten Ankömmlings, welcher nun eine Platzrunde dreht, jegliche Aktivität zum Ersterben, und denke ich zunächst noch entgeistert bei mir, ob es wohl der General Galland oder der Oberst Hartmann höchstpersönlich seien, welche hier einschweben wollten, so ist mein allernächster Gedanke sogleich, dass einem solchen Streitwagen eine Landung auf unserem behelfsmäßigen Platze doch gänzlich unmöglich sein müsse.

Doch wahrhaftig kurvt jener tollkühne Mensch, welcher dort offensichtlich hinter den Kontrollen sitzt, und ich denke mir noch, meiner Seel!, es muss doch ein Teufelskerl, ein verfluchter, verwetterter Galgenstrick diesen Vogel reiten, und kurvt wirklich und wahrhaftig völlig unbeirrt zur Landung ein, als wenn’s zu seinem Vergnügen wäre, ganz dicht über den Baumwipfeln, dass ich denke, gleich rasiert er mit der Flächenspitze die Baumkronen, und dreht ganz steil herein und wirft, eh man sich‘s versieht, die Maschine in einem durch auf die Erde, dass es die Räder nur so staucht – Es muss doch unweigerlich Bruch geben!, denke ich – und rast, eine Rauchschleppe hinter sich herziehend, wie ein Derwisch die Rollbahn entlang und kommt kurz vor der Platzgrenze in einer gewaltigen Staubwolke zum Stehen. Und reißt, ein echter Henkersknecht, ein Halsabschneider, ein verdammter Waghals, ein dem Teufel verdungener Pirat!, denk‘ ich bei mir, und reißt, da grad das Heulen der Turbine noch verstirbt, die Kanzel in die Höhe und springt unter dem aufbrandenden Beifall der Platzmannschaften herab.

Und da erst wage ich wieder zu atmen. Ein solches Spektakel, ein solches Meisterwerk der Fliegerkunst, habe ich meinen Lebtag noch nicht zu Gesicht bekommen, und sogleich beeile ich mich, das Automobil in Gang zu setzen und brause hinüber, und wie ich ankomme und bremse, da zugleich die Flugzeugwarte herbei geeilt sind, um den Vogel herein zu bringen, da zieht jener Kerl, ein groß gewachsener, hagerer Bursche wohl um die Vierzig, gänzlich in schwarzem Fliegerleder, die Haube herunter und entblößt einen zerzausten dunklen Haarschopf über einem von Wetter und Sonne dunkel gegerbten, stoppelbärtigen Gesicht.
Und da ich anhalte und mich aus meinem Sitz erhebe und da ich frage: „Was gibt’s?“ „Ein Glas Branntewein!“ antwortet er, indem er auf das Breiteste grinst und sich über die Stirn wischt: „mich dürstet.“

Doch wie um mich herum alles in schallendes Lachen ausbricht, da bleibt’s mir wahrhaftig im Halse stecken, denn wie ich emporblicke, da erhebt sich in der Kanzel eben eine zweite Gestalt und wendet mir das Gesicht zu, welches mir wohlvertraut ist, welches ich jedoch in diesem Leben kein zweites Mal mehr zu Gesicht bekommen glaubte, geschweige denn an diesem wahrlich gottverlassenen Orte, eine Erscheinung gar wie aus einem vergangenen Leben, und eisiger Schrecken fährt mir durch sämtliche Glieder, und spricht: „Noch eines; und gut gemessen, denn es wird bar bezahlt!“, spricht da zu mir der Standartenführer Steinkamp.

[...] Fortsetzung folgt
Schön,
dass es weitergeht!
Wie bisher sehr lebendig und mitreissend geschrieben und- was mich am meisten beeindruckt- konsequent und nachvollziehbar logisch in allen Bereichen weitergedacht!
*spitze* laf

Ein Tipp: Stell eine Probepassage mit kurzer Einführung und Link nach hier als neuen Thread ein, damit neue Mitglieder auch in den Genuss kommen!
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Das halte ich für eine ausgesprochen gute Idee von dir, Olaf.

Ich bin auf jeden Fall froh, dass es wieder weiter geht und warte gespannt auf Carls weitere Abenteuer oder besser gesagt: Briefe.

*spitze*

Herta
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
Na, dann mache ich das doch! *zwinker* *top*

Danke euch beiden, ich freue mich, dass die Geschichte immer noch bei euch - meiner Stammleserschaft sozusagen - Gefallen findet.

Viele Grüße,
Daniel
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Toller Idee, lieber Olaf! Danke!

Und ich bin schon wieder überaus gespannt, wie es weitergehen wird und freue ich auf die Fortsetzungen ...

(Der Antaghar)
*****ine Mann
912 Beiträge
Themenersteller 
[...] Fortsetzung:

Ich stand nun wohl eine ganze Weile dort, wie vom Donner gerührt, und konnte bei mir keinen klaren Gedanken mehr fassen außer der alles überdeckenden Frage, was nun ausgerechnet jenen geheimnisvollen Funktionär, welchen ich zuletzt in Moskau und Berlin sah, unter solch aufsehenerregenden Umständen hier in diese Gegend führen sollte, wo man doch mit Fug und Recht annehmen konnte, ja annehmen musste, dass ihn anderweitige wichtige Geschäfte, welcher Natur auch immer die Geschäfte sein mochten, denen dieser Mensch nachzugehen pflegte, derzeit an anderen Orten binden mochten.

Und wohl auch ging mir durch den Kopf, was nun sein Auftauchen hier für uns, die wir an diesem Orte heimisch geworden und in täglicher Arbeit unser Blut und unseren Schweiß für seinen Frieden und seinen Aufbau hingaben, ja für diesen Landstrich als solches und seine eingewohnte Bevölkerung zu bedeuten haben mochten, und wie er herabkletterte und sich die schwarze Schirmmütze mit dem silbernen Totenschädel in die sorgenzerfurchte Stirn zog, da entsann ich mich jenem prophetischen Wort von den Sturmkrähen, welches mein Kamerad vor solcher Zeit einst getätigt hatte.

„Was tun denn nun ausgerechnet Sie hier?“, sprach er zu mir der Begrüßung halber, „Sie hatte ich ja nun ganz zuletzt hier zu sehen erwartet!“
„Ich könnte nun über Herrn Standartenführer ein Gleiches sagen“, gab ich da zurück, und er schmunzelte.
„Und Recht hätten Sie obendrein. Bemerkenswerte Zufälle gibt es bisweilen. Erzählen Sie, wie es Sie hierher verschlagen hat. Laszlo, komm einmal her, ich will dir jemanden vorstellen.“

Das war nun zu dem anderen Kerl gesprochen, jenem Teufelspiloten, welcher nun, die Haube in der Hand, zu uns herüber geschritten kam. In der Annahme, es müsse sich um einen Fliegeroffizier handeln, entbot ich ihm den militärischen Salut, woraufhin er, lächelnd blendend weiße Zähne entblößend, mir die Hand hinstreckte und sprach: „Ihnen auch einen vorzüglich guten Tag, Unteroffizier“, und es fiel mir auf, dass er ein vorzügliches, ja regelrecht aristokratisches Deutsch sprach, jedoch mit einem merklichen, mir durchaus unvertrauten Akzent. Etwas zögerlich ob dieser unerwarteten Vertraulichkeit schlug ich ein.

„Laszlo, das hier ist der Amerikaner, von dem ich dir erzählt habe. Der, der mitgeholfen hat, diese russische Schweinerei aufzudecken, bevor uns der Iwan die Hosen über den Kopf ziehen konnte. Und das hier, Kamerad, ist der Graf László Almásy aus dem Ungarischen, berühmter Entdecker, Saharaforscher, Rennfahrer, Abenteurer, Spion und zertifizierter Wahnsinniger, den man nicht hinter den Steuerknüppel eines Flugzeugs lassen sollte, wenn einem die eigenen gesunden Knochen lieb sind.“ Und mit diesen Worten rieb er sich pointiert den Steiß, womit er vermutlich auf die waghalsige Landung anspielte.

Almásy lachte laut. „Du wusstest doch, worauf du dich eingelassen hast, als du zu mir in diesen Vogel geklettert bist.“ Und damit streckte er mir erneut die Hand hin. „Auch im Namen meiner ungarischen Heimat, lassen Sie mich Ihnen meinen Dank aussprechen. Ungarn unter dem Sowjetjoch, das ist meinem geliebten Land dank Ihnen erspart geblieben.“
Ich versuchte darauf nun eine Erklärung anzubringen, ich sei bei diesem Unterfangen lediglich Mithelfer gewesen, doch ließ es Steinkamp nicht dazu kommen.

„Sagen Sie jetzt mal, ob Sie hier sind, uns in Empfang zu nehmen. Sonst muss ich ihren Wagen nämlich in Beschlag nehmen, ich habe durchaus keine Zeit zu verlieren.“
Ich bejahte, dass es so sei, woraufhin er ohne weitere Rede den Schlag aufriss. „Gut, dann auf. Ich muss zum General Niedermayer. Mein Gepäck ist im Flugzeug, Laszlo hilft Ihnen mit der Stauklappe.“

Da fand ich mich nun unversehens zum Chauffeur und Kofferträger abgestellt, doch wagte ich nicht, einen Widerspruch zu machen, und nachdem ich die Reisetaschen der beiden Männer verstaut hatte, so schwang ich mich hinter das Lenkrad und trat, die Straße nach dem Haupt-Quartiere einschlagend, das Pedal durch, es sollten die beiden ihre Schroffheit durchaus mit einer Schnellfahrt auf der holprigen Piste sühnen. Jedoch meine Neugier gedachte ich nicht zu zügeln, und so hub ich an: „Darf ich wohl fragen, welche so dringlichen Geschäfte Herrn Standartenführer in diese Region führen?“
„Meine Geschäfte sind meine eigene Sache und haben Sie nicht zu interessieren“, gab er zurück, den Blick unverwandt nach vorne gerichtet. „Fragen zu stellen ist im Reich eine durchaus ungesunde Eigenschaft, und ich rate Ihnen, damit strengstens Maß zu halten.“

Und just in diesem Moment, da mich, wieder einmal, wie so oft in jener Zeit, der Teufel zu reiten schien, da wagte ich mich an eine erneute Insubordination, nicht ahnend, zu welchem Verhängnis sie mich nachfolgend führen sollte, und sprach: „Es hat wohl nicht etwa ein solches Geschäft etwas mit Fluggeräten zu tun, welche leuchtend am Nachthimmel sich bewegen?“

Da hatte ich wohl nun mitten in das Schwarze getroffen, denn sein Kopf fuhr herum, und sein Blick haftete auf mir, schlagartig so voll von einer eisigen Kälte und einem brennenden Zorne zugleich, dass mir trotz aller Widerspenstigkeit, zu der ich geneigt war, der Schreck in die Glieder fuhr.
„Sie stellen eindeutig die falschen Fragen, Unteroffizier, und an die falsche Adresse obendrein. Meine Geduld auf die Probe zu stellen ist ein Luxus, den sich nur wenige erlauben dürfen, und da Sie nun partout nicht auf mich hören wollten, sollen Sie nun am eigenen Leibe erfahren, wie hoch der Preis dafür ist.“
Ich schwieg da und biss mir auf die Lippen, als sich eisige Kälte in mir breit zu machen begann. Was hatte ich da in meinem Überschwang, meiner wütenden Widerspenstigkeit, auf mich gezogen?

Ich vermochte es nicht zu sagen, auch sprach der Standartenführer kein einziges Wort mehr zu mir außer seinem schroffen Befehl, auf ihn zu warten, nachdem er und sein Gefährt das Automobil vor der Kommandantur verlassen hatten. Ich verbrachte eine überaus unangenehme halbe Stunde voll quälender Ungewissheit und legte mir im Kopfe ein halbes Dutzend Reden zu meiner Entschuldigung zurecht, die ich jedoch alle wieder verwarf. Irgendetwas sagte mir, dass er kein Mann war, der sich durch simple Worte würde in seinem Entschlusse umwerfen lassen.

Und doch schien sich auf irgendeine Weise sein grimmiger Zorn um ein gewisses Maß abgekühlt zu haben, als er aus der Hütte wieder ins Freie trat, und er betrachtete zunächst einige Augenblicke lang den Himmel, ehe er sich wieder auf den Sitz des Beifahrers warf, den Schlag zuhieb, und mir wies, ihn und den Grafen Almásy zu einer Unterkunft zu fahren, die er von dem General Niedermayer, neben zahlreichen anderen Dingen, verlangt und auch ohne Zögern erhalten hatte.
Als ich nun wie geheißen getan hatte, da ließ er mich ohne ein weiteres Wort stehen, doch drehte sich der Graf Almásy noch einmal um und blickte mich an, worauf er mit Bedacht sprach: „Nun, er beruhigt sich auch wieder einmal, ich kenne ihn, doch glaube ich, dass Sie nicht wissen, worauf Sie sich nun hereingelassen haben. Gehen Sie einstweilen und packen Sie Ihre Sachen, er wird nach Ihnen schicken.“

Dies schien mir ein unheilvolles Wort zu sein, welches da über mich gesprochen worden war, und es war mit einem äußerst unwohlen Gefühl, dass ich mich zu meiner eigenen Hütte aufmachte, um meinem Jörg Nachricht über diese Entwicklung zu geben. Er saß an seinem Schreibtische, als ich herein trat, und er schien bereits im Bilde zu sein, denn er blickte von einem Papiere auf, darin er gelesen, und mit tief traurigem Blicke betrachtete er mich, ehe er sprach: „Es hat mich da soeben ein Anruf vom Herrn General erreicht, mein lieber Karl, dich von Stund an ohne Vorbehalt und Umschweife dem Herrn Steinkamp zu Gebote zu stellen, und dieser Name ist mir zumindest dem Vernehmen nach bekannt. Du hast nun, wie es scheint, in der letzten Zeit ein ausgesprochenes Talent dafür entwickelt, dich in immer größere Schwierigkeiten zu bringen.“

Auf meine Frage, was es denn nun in Wahrheit mit dem Standartenführer Steinkamp auf sich habe, schüttelte er jedoch nur den Kopf.
„Es gibt Leute, mein braver Karl, über die man nur im Flüsterton spricht, und dieser bewusste Herr gehört dazu. Selbst die Heeresführung in Moskau nennt seinen Namen nur hinter vorgehaltener Hand. Gerüchte gibt es viele, doch etwas Konkretes zu wissen beansprucht keiner für sich, mit dem ich bislang sprechen konnte, außer dass er Zugang zu den allerhöchsten Kreisen hat. Aber das weißt du längst, denn du bist ihm bereits begegnet, ist es nicht so?“
Ich bejahte es.

„Nun, du wirst bald Genaues über ihn und das Seine erfahren, und anscheinend befindet der Buddha, dass deine Seele den Preis dafür zu tragen bereit ist. Doch wenn das Rad der Welt es fügt, dass wir uns eines Tages wieder begegnen, dann wirst du ein anderer Mensch sein als der, welcher jetzt von mir scheidet, und ich wünsche mir doch, dass du mich dann noch erkennst. Du wirst mir fehlen.“
Und damit erhob er sich, trat auf mich zu und umarmte mich wie einen lieben Freund, und auch mir schnitt der Schmerz dieses Abschiedes, welchen ich nun urplötzlich erst als so gänzlich und endgültig begriff, so tief in das Herz, so dass es mir schier die Luft zum Atmen nehmen wollte.
„Yol Bolsun!“, sprach er zuletzt zu mir, indem er meine Hand ein letztes Mal ergriff. „So sagen es die Nomadenvölker der Steppe einander zu glücklicher Reise und guter Wiederkehr. Es heißt: ‚Möge dort, wo du hingehst, eine Straße sein.‘“
„Yol Bolsun!“ entgegnete ich, und so schied ich für lange Zeit von meinem Jörg.

Es dauerte wider meines Erwartens doch bis zum Abend jenes selben Tages, da ich vor den Standartenführer Steinkamp zitiert wurde, und beim Schein von blakenden Öllampen trat ich in seiner neuen Behausung voll Erwartung vor ihn hin, wie er gerade mit dem Grafen Almásy bei Tische saß, und er hieß mich Platz zu nehmen und schenkte mir Wein ein.
„Nun, Unteroffizier“, sprach er sodann, „es ist beschlossene Sache. Sie werden auf Ihre Fragen jene Antworten erhalten, nach denen es Ihnen offensichtlich so dringend verlangt. Dafür gehören Sie mir von dieser Stunde an mit Leib und Seele und unterstehen nunmehr nur noch meinem Befehl, werden über alles, was gesprochen und getan wird, Stillschweigen bewahren und nichts davon berichten, weder in der Erzählung noch in einem der Briefe an Ihre Schwägerin, davon Sie so regelmäßig welche verfassen. Haben wir uns verstanden?“
Da blieb mir nun der Mund offen stehen vor Erstaunen, dass er über meinen Schriftverkehr so umfassend im Bilde war.

„Da staunen Sie wohl, was?“ fuhr er fort. „Sie dachten doch nicht, dass das Reich einen Mann wie Sie zum Helden aufbaut und dann nicht über Sie wacht? Ich habe, seit Sie damals Moskau verlassen haben, regelmäßig einen Rapport über Ihren Aufenthalt und Ihre Tätigkeiten erhalten, wie übrigens über die ihrer Kameraden auch. Und ich muss gestehen“, fügte er nach einer kurzen Pause etwas sanfter hinzu, „ich war in Sorge, als ich von Ihrer ernstlichen Verwundung las, und umso erleichterter über Ihre Genesung. Und ich muss gestehen, auch wenn es mir eine gewisse Genugtuung ist, Ihnen ihr vorlautes Mütchen ein wenig durch einen heilsamen Schrecken zu kühlen, so will ich Ihnen doch gerade heraus an dieser Stelle sagen, dass ich mir Sie sehr wahrscheinlich ohnehin geholt hätte, nachdem ich von Ihrem Hiersein erfuhr, denn Sie passen nun allzu gut in meine nächstliegenden Pläne. Nun aber wollen wir uns sputen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren, nicht mehr. Es sind Ereignisse von allergrößter Tragweite in Gang gekommen, die uns die ernstlichste Eile abnötigen.“

Er bot mir gebratenes Fleisch und Brotfladen an, und ich nahm davon und aß, ohne jedoch rechten Geschmack zu verspüren, so war ich gespannt und gefangen von dem, was sich mir nun in jenem Gespräch offenbarte. Er hingegen schien durchaus großen Hunger zu verspüren, Almásy hingegen sprach stärker dem Weine zu.

„Nun, wo beginne ich“, sprach Steinkamp also. „Vielleicht damit, dass mein wahrer Name gar nicht der ist, unter dem ich gemein hin bekannt bin. Mein wahrer Name, damit unter uns von vorne herein einmal Gleichgewicht herrscht, ist Hansjoachim von der Esch, und ich bin ein Oberstgruppenführer und General der SS. Der ‚Standartenführer Steinkamp‘ ist eine Fiktion und ein bequemes Alibi, das es mir erlaubt, meinen Geschäften nachzugehen, ohne allzu große Aufmerksamkeit zu erregen.“

Das war nun eine Nachricht, die mich in ihrer Tragweite nicht sonderlich überraschte, denn ich hatte mir schon ausrechnen können, dass dieser geheimnisvolle Mann über wesentlich größere Vollmachten und Ressourcen verfügte, als sein verhältnismäßig bescheidener Dienstgrad hatte vermuten lassen.
„Was nun diese Geschäfte im Speziellen angeht, so könnte man sagen, dass ich ein Altertumskundler bin, wenngleich auch einer, der sich auf sehr spezielle Forschungsobjekte spezialisiert hat, auf solche, die gelegentlich ein wenig Abenteuer zu ihrer Erlangung erfordern. Ist es nicht so, Laszlo?“
Beide lachten herzlich, es schien zwischen ihnen insgesamt ein großes Einvernehmen zu bestehen, als würden sie diese besondere Art schon seit langer Zeit gemeinsam betreiben.

„So sind Sie also für das Unternehmen Ahnenerbe tätig?“ hakte ich nach, denn von dieser besonderen Stiftung, welche die Reichsregierung in aller Welt mit Eifer betrieb, hatte ich gelegentlich in den deutschen Nachrichtenblättern gelesen.
Er blickte mich einen Augenblick lang erstaunt an, und ich vermeinte, in seinem Blick echtes Amüsement lesen zu können.
„Nein, mein Bester, da sind Sie schief gewickelt. Was meinen Sie wohl, warum habe ich der Luftwaffe eigens einen ihrer nagelneuen Strahljäger-Prototypen abgeschwatzt? Damit ich rasch und zügig genug am Ort eines neuen Fundes sein kann, bevor diese Stümper vom Ahnenerbe darüber hinweg trampeln und mir alles verderben. Ich arbeite unter eigener Regie und bin dank weitreichender Sondervollmachten nur einer Handvoll Männer im Reich Rechenschaft schuldig. Da fällt mir ein, ich habe übrigens jenes altertumskundliche Papier gelesen, welches Sie zu dem hiesigen Fundort einer Warägerburg eingegeben haben. Sehr gute Arbeit, wenn ich das hinzufügen darf, doch leider nicht, auch wenn ich Sie enttäuschen muss, der wahre Grund meines Hierseins. Ein faszinierendes Studienobjekt, wenn mir die Zeit und Muße gegeben wären, doch es muss für ein anderes Mal aufgehoben sein.“

Er trank einen Schluck.
„Wo war ich? Nun, dringende Geschäfte sind es, die mich hier Station machen lassen, man könnte auch sagen, überlebenswichtige Geschäfte. Wichtig für das Überleben des Reiches. Sehen Sie, der Einsatz der Uranbombe war eine Tat des reinen Übermuts, gegen die ich mich bis in die höchsten Kreise hinein vehement ausgesprochen habe, und nun haben sich sämtliche Spielregeln grundlegend verändert. Wir mögen damit zwar das Ende des Russlandfeldzuges beschleunigt haben, aber wir haben damit auch Kräfte und Ereignisketten entfesselt, deren Umfang und Tragweite wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal annähernd abzuschätzen vermögen. Und alles das nur, weil diese Idioten unbedingt ihr neues technologisches Schreckgespenst ausprobieren mussten!“

Er blickte zur Seite, dann wieder zu mir, und eine tiefe Zornesfalte hatte sich auf seiner Stirn gebildet.
„Das haben Sie nicht gehört, Unteroffizier!“ Ich nickte. „Aber Sie verstehen nun, warum mein Vorhaben keinerlei Aufschub duldet und unter dem größten denkbaren Zeitdruck steht. Unsere Uhr ist im wahrsten Sinne des Wortes in jenem Moment abgelaufen, als Novosibirsk unterging. Die Engländer werden nun umso mehr alles in ihrer Gewalt stehende daran setzen, uns zu überflügeln.“
Bei diesen Worten fuhr mir aufs Neue der eisige Schreck in die Glieder, denn nun war unumwunden die Rede von einer Gewalt, mit welcher man selbst die furchtbare Sonnenbombe zu überflügeln im Stande war, und in deren Besitz sich zu bringen die Engländer, wenn ich das richtig begriff, sich just zu jener Stunde anschickten.

„Tja, da machen Sie große Augen, und zu Recht. Erinnern Sie sich, dass ich damals zu Ihnen sagte, es gibt gewisse Dinge, die wir den Menschen im Reich gezielt verschweigen? Das hier gehört zu der Kategorie der Dinge, die wir sogar den mächtigsten Männern im Reich gezielt verschweigen. Nur eine ganz geringe Zahl von Eingeweihten wissen davon.“

Da jedoch schien mir in seiner Rede ein Widerspruch zu liegen, denn es verwunderte mich, dass eine solche Angelegenheit der militärischen und politischen Vormacht ausgerechnet ihn, einen Altertumskundler, in einen solchen Zugzwang versetzen mochte, und so war dies die nächste Frage, die ich an ihn richtete.
Daraufhin wechselte er zunächst einen Blick mit Almásy, bevor er erneut die Rede an mich richtete.
„Sie denken scharf nach und begreifen schnell, Unteroffizier, und Ihre wachen Verstandesregungen mögen uns allen in naher Zukunft noch von gutem Nutzen sein. Wieder stellen Sie eine unbequeme Frage und stoßen damit zum ernstlichen Kern der Sache vor. Nun, Sie haben bis hierher die Wahrheit von mir gehört, nun sollen Sie auch den vollumfänglichen Sachverhalt zu hören bekommen. Ob sie es mir nun glauben werden, das steht allerdings auf einem ganz anderen Blatte.“
Er nahm erneut einen Zug aus seinem Glas, leerte es bis zur Neige und schenkte sich aus der bereit stehenden Flasche großzügig nach.

[...] Fortsetzung folgt!
*****ine Mann
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[...] Fortsetzung:


Nun wusste ich nicht so ganz, was ich von einer solchen Vorrede halten sollte. Würde sich nun der wahre Kern jenes Mythos, der diesen Mann umgab, als eine Spinnerei herausstellen, einen Spleen, ein Hirngespinst, welches die Arroganz der Macht und der unumschränkbare Missbrauch der selben in einem in seinem Kern despotischen System so lange zu perpetuieren vermocht hatten, bis Mythos und Legende ein sich selbst erhaltendes Eigenleben zu führen begonnen hatten? Wer mochte schon ermessen, zu welcher Wirrung des menschlichen Geistes sich ein einzelner Mensch versteigen mochte, der die Ressourcen eines Weltreiches mit der Naivität einer Regierung in Einklang zu bringen verstand, welche einen halben Erdball entfernt saß.

Ich erfuhr es ja, das wurde mir dabei zugleich mit voller Härte klar, am eigenen Leibe. Wer konnte mir denn getreuliche Auskunft geben über die wahren Vorgänge und Verhältnisse in meinem Heimatlande, wenn mich Nachrichten nur durch die von deutscher Seite gesteuerten Gazetten, den Rundfunk und die Heeresberichte erreichten und sogar die private Korrespondenz meiner Familie mitgelesen, ausgewertet und womöglich beeinflusst wurde?

Da ich nicht antwortete, setzte er nun seine Rede nach einigen Augenblicken fort.
„Meine Arbeit hat es nun vor geraumer Zeit mit sich gebracht, und Sie können mir glauben, dass ich mir an gewissen Tagen wünsche, es wäre nicht so gewesen, dass ich Mitwisser wurde des größten Geheimnisses, welches die Menschheit kennt – oder eben nicht. Welches, so muss man besser sagen, auf dem Erdball nur eine Handvoll Menschen kennt, da die damit verbundene Tragweite der Verantwortung zu gewaltig ist, um sie zu teilen. Sie sollen nun mit mir gemeinsam daran gehen, einen weiteren Teil dieses Geheimnisses aufzudecken und – das sage ich offen – für unsere Seite zu gewinnen. Wenn Sie damit ein Problem haben, dann sagen Sie es mir besser jetzt gleich, an dieser Stelle.“

Der Gedanke traf mich, dass es nun schon ein wenig spät war, Reserviertheit gegenüber seinen Beweggründen anzumelden, da er mich bereits hinter die Fassade seiner Machenschaften hatte blicken lassen. Doch was würde passieren, wenn ich sein Angebot ausschlug, ich, der seinen eigenen Worten nach dem Herrn von der Esch bereits mit Leib und Seele zu Eigen war? Eine nächtliche Pistolenkugel, die mein Leben beendete und mit dem Wirken eines Partisanen abgetan werden konnte? Oder eine Fahrkarte in ein Bewährungsbataillon, eine Reise ohne Wiederkehr nach der Eishölle von Murmansk unter dem Vorwand einer disziplinarischen Unbotmäßigkeit, derer ich mir ja nun doch in letzter Zeit einige geleistet hatte?

Allein, so wie sich diese Gedanken in den Vordergrund schoben, so traten sie doch alle hinter dem einen zurück, der mich befiel, und den ich nach kurzem Abwägen in Worte kleidete.
„Die Engländer und ihre willigen Vollstrecker terrorisieren meine Heimat und morden meine Landsleute. Was ihnen zum Schaden und zum Sturz gereicht, soll mir recht sein.“
Da nickte von der Esch mir anerkennend zu. „Gerade und ohne Umschweife gesprochen. Gut, meine Hand darauf.“
Wir schüttelten uns die Hände, und mir fiel auf, wie kräftig sein Händedruck war, trotz seines offensichtlichen Alters, das mein eigenes noch übersteigen mochte. Er stand in der Härte dem meinen nicht nach, und die Kraft meiner Hände war durch Monate und Jahre der harten Arbeit und des Krieges an der Ostfront gestählt worden.

„Also“, fuhr er fort, „der Reihe nach. Das Deutsche Reich befindet sich, wie Sie sich denken können, in einer äußerst schwierigen Situation, auch wenn wir für kurze Zeit im Osten militärisch entlastet wurden. Das beständige Engagement auf dem nordamerikanischen Kontinent und der Kampf gegen den anhaltenden Terrorismus der sogenannten Separatisten zehren unsere wirtschaftlichen Reserven auf, die Schlacht um einzelne Inseln im Nordpazifik verschlingt die Blüte unserer Jugend. Und bevor wir die Flugzeugträger der Pazifikflotte nicht aus dem Spiel geschlagen haben, können wir keine Invasion von Alaska oder den Philippinen in Angriff nehmen. Und die Gegenregierung unter MacArthur weiß das alles und agiert entschlossener und rücksichtsloser denn je. Der Durchhaltewillen, oder sollte ich besser sagen, die Dickköpfigkeit Ihrer Landsleute übersteigt alle unsere Erwartungen. Gegen die Engländer kommen wir im Südpazifik ebenfalls nicht auf, seit sie Singapur zurückgewinnen konnten, fehlt unseren Unterseebooten eine lebenswichtige Operationsbasis, und die Japaner behaupten mit äußerster Anstrengung Burma und Indochina.“

Er trank einen weiteren Schluck Wein, während meine Gedanken einander jagten, um das soeben gehörte zu begreifen. Mit keinem Worte hatte ich aus dem Rundfunk oder den Nachrichten entnehmen können, wie ernstlich die Lage um meine Heimat stand. Wäre ich nicht Tag und Nacht in zahllose Arbeiten und Pflichten eingebunden gewesen, ich hätte es mir wahrscheinlich zusammen gereimt, so jedoch war ich unvermeidbar in Unkenntnis der wahren Lage verharrt.

„Im Weiteren, was die Lage auf dem Balkan und im Kaukasus anbetrifft, so stehen wir ebenfalls in keiner guten Position. Die Türkei hat sich unter Mustafa Inönü zu einer aggressiven Regionalmacht ausgewachsen und schürt insgeheim in ihrer Nachbarschaft regionale ethnische Konflikte, wo sie nur kann, während sie gleichzeitig nach außen hin sich einen Anschein als unparteilicher Vermittler zu geben sucht. Acht von zehn Freischärlern, die im Jugoslawischen aufeinander schießen und Dörfer verbrennen, haben einen Karabiner aus einem türkischen Arsenal, und mittlerweile tauchen dort auch Nachbauten unserer Panzerfäuste auf.

Und auch hierher nach Persien reicht ihr Arm schon: wenn wir die verdeckte Unterstützung für örtliche Bandenführer und die offene Einflussnahme auf Provinzgouverneure in Betracht ziehen, dann hat Ankara im letzten Monat seinen Einfluss bis nach Täbris und zum Rezayah-See ausgeweitet. Machen das übrigens sehr geschickt, die Herrschaften, das muss man ihnen lassen. Gebärden sich als Volksfreunde und Wohltäter und bauen im großen Stil Straßen und Brücken, alles natürlich mit Wissen und vertraglicher Billigung der örtlichen Provinzfürsten und Mullahs, woran wir sie nicht einmal hindern können, aber sichern ihre Bautruppen mit ganzen Kompanien von Askeri, und wo die Brüder einmal ihren Fuß hingesetzt haben, da gehen sie so schnell nicht wieder weg. Da hätten wir mal seinerzeit darauf kommen sollen, wir hätten den Weg auf Moskau gemacht, ohne die gesunden Knochen eines pommerschen Musketiers zu riskieren. Das, oder der Stalin hätte Verbrecher geheißen, weil er das Schießen angefangen hätte, und die Engländer wären auf unsere Seite gegangen.

Wie dem auch sei, wenn das so weiter geht, wird uns bald nichts mehr anderes über bleiben, als mit der vollen Macht unserer Polizeidivisionen zu intervenieren, wenn wir die Lage auf dem Balkan in der Waage halten wollen, und das bedeutet fast sicher offenen Krieg mit der Türkei, welche sich dort bereits jetzt als regionale Schutzmacht zu positionieren trachtet, und es wird so aussehen, als hätten wir es begonnen.

Und was den Groß-Osten insgesamt betrifft, so könnte unsere Lage dort prekärer nicht sein.
Wir mögen vielleicht das Treffen der Armeen für uns entschieden haben, indem wir die politische Führung der Sowjets enthauptet haben, aber damit haben wir eine regelrechte Lawine ausgelöst, so dass uns die Ereignisse nun zu entgleiten drohen. Die eiserne Faust Stalins war alles, was dieses Vielvölkerreich zusammengehalten hat, das und die Gewöhnung der Volksmassen an den Status Quo. Beides hat die Uranbombe hinweggefegt, und nun rechnet sich dort ein jedes Völkchen, das sich auf einige hundert Bajonette stützen kann, Chancen auf einen eigenen Nationalstaat aus. Die Regierung Schukow wird reichlich zu rudern haben, um dort wieder Ordnung hinein zu bringen, und dieser listige alte Hund hat bereits vom europäischen Bund Friedenstruppen angefordert, die wir ihm nun weiß Gott nicht versagen können, denn denen in Berlin ist jetzt der Uranbombenschreck in die Knochen gefahren, und die reden von nichts anderem mehr. Mag sein, dass die Engländer dem Schukow diesen Floh in sein Ohr gesetzt haben, und dann geht ihre Rechnung voll und ganz auf. Das weite Land wird unsere Divisionen verschlingen wie Treibsand, und am Ende werden wir uns dort so derartig verzettelt haben, dass eine englische Regimentskapelle Berlin besetzen könnte, weil niemand mehr da wäre, der ihnen Einhalt gebietet. Der König Pyrrhus hat einmal gesagt: ‚Noch so ein Sieg, und ich bin verloren‘. Nun, das Ding mit Russland könnte unser zweiter Pyrrhussieg geworden sein.“

Seufzend schob er sich ein Stück Käse in den Mund und kaute eine Weile gedankenversunken darauf herum, während sich sein Blick in der Ferne verlor.
„Sie sehen also“, sprach er nach schließlich weiter, „im Augenblick unseres scheinbar größten Triumphes stehen wir am Rande des Abgrundes, und die Engländer wissen das, und die Frei-Amerikaner wissen es auch. Wenn sie nur geduldig warten würden, so würde uns binnen zehn Jahren ein Verhängnis ereilen, davon wir uns nicht mehr erholen. Aber zehn Jahre hat das Aas nicht mehr zu leben, darauf können Sie Gift nehmen, und wenn ich persönlich…“ Doch hier entfuhr Almászy ein lautes, künstliches Husten, woraufhin von der Esch den Satz unterbrach, so dass ich mir bestenfalls bedenken mochte, was er hatte sagen wollen, doch ließ mir allein schon die zunächst liegende Vermutung das Blut ins Gesicht fahren.

„Aber sei’s drum“, führte er schließlich weiter aus, „ich wollte ja eigentlich berichten, wie es dazu kommt, dass nun ausgerechnet ich als patentierter Weltenbummler und Knochenausbuddler auf den Wellen der Großpolitik in der Weltgeschichte herumschippere, und warum ich nun über Ihr Hiersein so besonders froh bin.“
Er blickte kurz zur Seite.
„Wissen Sie, wir wussten ja nicht, was wir vorfinden würden, als wir damals den Mecklenburger Domschatz zu uns auf die Wewelsburg holten, und manchmal wünschte ich, wir hätten den Krempel da gelassen.“

[...] Fortsetzung folgt.
*****ine Mann
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[...] Fortsetzung:

„Wissen Sie, wir wussten ja nicht, was wir vorfinden würden, als wir damals den Mecklenburger Domschatz zu uns auf die Wewelsburg holten, und manchmal wünschte ich, wir hätten den Krempel da gelassen. Wir hatten da bereits den Speer, ja, die Lanze, die hatten wir, aus Wien, und unsere Spezialisten wussten da auch bereits um ihr Geheimnis. Und eigentlich suchten wir nur nach gleichartigen, nach verwandten Gegenständen, als wir den Domschatz holten. Aber was wir statt dessen fanden…“

Er schien mit dem Strome seiner Erinnerungen abzuschweifen, blickte zur Seite, die Augen in eine ewiglich weite Distanz gerichtet, die Hände vor sich auf dem Tische, und die Erinnerung schien ihm seelischen Schmerz zu bereiten, also schwieg ich und ließ ihn berichten, auch wenn ich in keinster Weise zu erdeuten vermochte, wovon er bislang sprach.

„Es war in einer kleinen, verschlossenen und vernagelten Reliquientruhe, ganz zuunterst aller anderen Kleinodien, und als wir sie öffneten, da fanden wir jenes alte Buch… und was für ein Buch, sage ich Ihnen! Mit zwanzig wächsernen Siegeln verschlossen, eines prächtiger als das andere, hochfürstlich, so als sollte es nie wieder geöffnet und gelesen werden. Aber natürlich öffneten wir es. Ich war dabei, als wir letztendlich durch die Siegel schnitten, ich und Weisthor und der Heini, ganz großer Hofstaat, und wir brachen sie alle miteinander auf und öffneten das Buch und studierten es. Eine Handschrift aus dem Hochmittelalter, allerfeinste Arbeit, eine bislang völlig unbekannte Arbeit, gezeichnet und gesiegelt von einem Nikodemus von Melk, muss aus dem Bestand eines burgundischen Klosters nach Mecklenburg gekommen sein, vor dem Fall der Burgunderkönige.

Verbotenes Wissen, müssen Sie verstehen, schon zur damaligen Zeit, hochgeheime Reichssache, sozusagen. Wir haben nie einen anderen Nachweis der Person Nikodemus‘ in der Literatur finden können, keinen einzigen Hinweis auf sein Wirken, und doch muss er hoch bedeutend gewesen sein, wenn er eine solche Handschrift verfassen konnte. Der Mann muss nach getaner Arbeit aus der Menschheitsgeschichte regelrecht getilgt worden sein, mit Stumpf und Stiel, wenn Sie verstehen.“
Ich verstand, und mich schauderte es zutiefst.

„Nun, was wir in dieser Handschrift zu lesen bekamen, verschaffte uns einen völlig neuen Blickwinkel auf viele Dinge, die wir uns nie hatten erklären können. Sie müssen wissen, fast jede europäische Nation hatte damals ein paar sonderbare Funde, die unter strengstem Verschluss gehalten wurden, ein paar Objekte, so rätselhaft, dass niemand sich auch nur ihre Natur erklären konnte. Wir hatten welche, aus dem Bestand des königlich-preußischen Museums in Berlin, aus Schliemanns Troja, aus Island, aus Novgorod, aus den Kellern der Hanse in Lübeck, sogar eines aus Rungholt. Die Engländer hatten welche, aus dem Nillande und Mesopotamien, und natürlich aus der Antarktis, wohin sie uns zuvorgekommen waren. Sogar die Franzosen hatten eines, wohl von Napoleons Ägyptenfahrt. Die Italiener hatten eines, aus Tripolitanien, und die Portugiesen hatten eines, von einer Handelsfahrt aus Japan, wenn Sie’s glauben mögen. Almászy und ich, als wir in den frühen dreißiger Jahren die großen Sandwüsten Ägyptens erforschten und die verlorenen Oasen Gilf Kebir und Zerzura auffanden, damals noch mit den Engländern und Italienern zusammen, müssen Sie wissen, wir fanden durchaus noch weitere. Aber keiner hatte bisher vermocht, einen Sinn darin zu erfinden – bis zu jenem Tage.

Die Nikodemus-Handschrift änderte das alles. Plötzlich hatten wir vor uns den roten Faden, der all die verstreuten Hinweise miteinander zu verbinden vermochte, glasklar, fast wissenschaftlich, mit Illustrationen. Und von jenem Tage an vermochten wir für uns eine Frage mit glasklarer, zweifelsfreier Sicherheit zu beantworten.“

Hier pausierte er, und schaute mich durchdringend an, der ich wie gebannt an seinen Lippen hing und jedes Wort voller Spannung in mich aufsaugte, und der ich nun natürlich fiebernd darauf wartete, dass er diese großartige, diese legendäre Frage von solcher Tragweite benennen würde.

„Also“, fuhr er nach einigen Sekunden fort, „Sie haben doch bestimmt schon einmal in einer sternklaren Nacht in den Himmel hinauf geschaut, zum hellen Bande der Milchstraße, und sich jene Frage selbst gestellt, die Menschen bewegt, seit sie sich anschickten, die Gestirne zu begreifen, nicht wahr? Jene Frage: ‚Sind wir allein in dieser Weite, wir Menschenkinder?‘ Nun, seit jenem Tage kennen wir die Antwort.“

Da er dies in vollem Ernste gesprochen, und ich auch keine Veranlassung wusste, ihm nicht zu glauben, so nahm mir die Unbeschreiblichkeit seiner Eröffnung für ein Kurzes den Verstand, ja was noch mehr war, die Luft zum Atmen fort. Mit der gönnerhaften Geste des Wissenden, des Verstehenden, schob mir von der Esch ein volles Glas Rotwein hinüber, und ich trank gierig. Immer noch weigerte sich mein Verstand, die vollumfängliche Wahrheit zu akzeptieren, da sprach er auch schon weiter, und ich hörte zu wie ein Tonbandgerät, welches das gesprochene Wort aufnimmt, ohne des Begreifens mächtig zu sein.

„Nun, wir hatten einige Teile des großen Ganzen, doch begriffen wir aus der Handschrift so viel, dass wir eine Art von Rätselspiel vor uns hatten, davon wir nur einen geringen Teil, oder einzelne Teile, zu betrachten vermochten, und dessen Lösungsweg sich uns umso klarer erschließen würde, je mehr Einzelteile wir hatten. Was sich an des Rätselweges Ende uns darbieten würde, darüber schossen natürlich bald die wildesten Spekulationen ins Kraut, doch konnte oder wollte uns auch die Handschrift darüber keine Aussage machen. Allerdings, soviel vermochten wir zu sagen, dass wir uns im Vorteil wähnen durften. Die Steinchen des Rätselmosaiks mochten auf der ganzen Erde verstreut sein, doch wir alleine verfügten über den Schlüssel, der uns zu sagen vermochte, wie sie zusammenzufügen seien, und das Geheimnis über die bloße Existenz dieses Schlüssels hüteten wir geraume Zeit erfolgreich.“

Er trank selber einige Schlucke, und schenkte uns beiden nach.
„Hess war es schließlich, der den Engländern alles verriet, dieser verdammte Idealist, er war natürlich in alles eingeweiht, er wusste Bescheid, und er glaubte, den Krieg im Alleingang beenden zu können, indem er den Engländern ein Angebot machte: Frieden und Zusammenarbeit im europäischen Bund, im Tausch gegen Zugang zur Nikodemus-Handschrift. Also flog dieser Narr im März 1941 nach Schottland und wollte auf eigene Faust mit Churchill verhandeln. Hatte aber wohl die Rechnung ohne dessen Hintermänner gemacht, und kaum drei Monate später gehen die Russen auf die englische Seite, und wir müssen im Osten losschlagen.

Bis heute weiß keiner, was die Engländer dem Stalin im Austausch dafür versprochen haben, es ist ja nun keiner mehr greifbar, der reden könnte. Haben sich übrigens alles genauestens ausgerechnet, die Herren Engländer, soviel konnten wir immerhin in Erfahrung bringen. Genau das gleiche Spielchen wie vor dreißig Jahren. Drei, vier Jahre Knallerei und Zweifrontenkrieg, dann Intervention der Amerikaner, dann ein Jahr Hungerblockade, und am Ende würden wir sämtliche Zugeständnisse machen, würden darum betteln, die Handschrift herausrücken zu dürfen.“

Ich musste da wohl ein reichlich bestürztes Gesicht gemacht haben, denn er blickte mich scharf an.
„Da staunen Sie wohl, was? Die Regierung Roosevelt war seit 1940 minutiös in alles eingeweiht, was die Regierung Churchill plante, und der erneute Krieg gegen das Reich war bereits beschlossene Sache, wie schon 1916. Im Geheimen, versteht sich, aber die Unterlagen, die wir aus Regierungsbüros in New York und Washington gewinnen konnten, belegen dies ganz eindeutig. Aber nun begreifen Sie auch, warum ich hier bin, und wohin mich mein weiterer Weg führen muss, und der Ihre Sie nun auch.“

Ja, ich hatte begriffen, auch wenn ich nicht begreifen konnte, ja nicht einmal mir auszumalen vermochte, worauf ich mich da eingelassen hatte und was mir bevorstehen würde.
„Sie wollen nach der persischen Wüste gehen, um den Engländern ein weiteres dieser Rätselobjekte abzujagen.“

„Sie haben es im Gesamten gut erraten, doch müssen wir noch viel weiter als nur in die Wüste. Wir müssen nach dem afghanischen Gebirge und damit auf englisches Gebiet. Ich habe einen Ort errechnen können, an dem wir ein weiteres Objekt finden werden, doch müssen wir es vor den Engländern erreichen, und vor allem müssen wir die Kavir-Wüste durchqueren, bis nach dem südwestlichsten Ausläufer des Alburz-Massivs hin, ohne von den Patrouillen der Long Range Desert Group erkannt zu werden. Geschieht dies, so sind wir unrettbar verloren.

Und daher will ich mich ihrer Fähigkeiten bedienen. Wir werden, sollten wir auf Engländer treffen, uns als russische Kommandotruppe maskieren, davon jenseits des Alburz einige operieren, und Sie werden als Offizier einer amerikanischen Sondereinheit auftreten und uns solcher Art legitimieren, dass wir passieren können, ohne Verdacht zu erregen. Nun machen Sie nicht schon wieder so ein erstauntes Gesicht! Selbstverständlich arbeitet das Büro für strategische Dienstleistungen der Frei-Amerikaner mit den Sowjets und den Engländern gleichermaßen zusammen.“

[...] Fortsetzung folgt.
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Es tut richtig gut, hier immer wieder etwas von jemandem zu lesen, der schreiben und die Spannung halten kann!

(Der Antaghar)
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
So, und nun endlich auch mal für dieses bisherige Gesamtwerk eine Feder!

(Der Antaghar)
*****ine Mann
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Themenersteller 
Vielen Dank, Antaghar, für diese unerwartete Ehre. *rotwerd*

Und damit gleich zur Fortsetzung: [...]

"Nun machen Sie nicht schon wieder so ein erstauntes Gesicht! Selbstverständlich arbeitet das Büro für strategische Dienstleistungen der Frei-Amerikaner mit den Sowjets und den Engländern gleichermaßen zusammen.“

Nun war die Natur dieser Zusammenarbeit weniger der Grund meines Erstaunens als vielmehr die Annahme, dass eine Anzahl meiner Landsleute so fern ihrer Heimat, deren vorgebliche Befreiung sie sich zum Ziel gesetzt hatten, eine solche geheimdienstlerische Tätigkeit verrichten sollte, wo sie doch unserer Nation keinen direkten Nutzen zuzutragen vermochte. Es schien mir hier mehr um eine insgesamt anti-deutsche Verrichtung zu gehen, eine indirekte Schädigung durch Schwächung an anderem Orte, als um eine zum Heil und Wohle unseres Heimatlandes, und mich befiel dabei die Vermutung, dass jenes generelle Erzeugen von Zusammenbruch und Verlust, welches hier zu beobachten stand, eine Tätigkeit war, welche sich als Mittel zum Herbeiführen von Veränderung, einer Abkehr von gefestigten Verhältnissen somit, der menschlichen Natur leichter und schneller zueignet als der Aufbau und die Herausbildung neuer bleibender Werte gegen den Widerstand des Bestehenden.

„Also“, fuhr von der Esch nach einer kleinen Weile des Schweigens fort, „nun stellen Sie Ihre Fragen. Ich müsste mich in Ihnen getäuscht haben, wenn Sie nicht ein paar zu stellen wüssten.“

Und in der Tat hatte ich eine ganze Reihe davon, wobei ich mir die Antworten auf einige andere bereits aus seinen vorausgegangenen Worten hatte ersinnen können.

„Was wissen Sie über die Natur und die Absichten jener Besucher, welche diese begehrten Objekte hinterlassen haben?“

„So gut wie nichts, wenn ich es ehrlich zugeben soll. Es existieren keinerlei bildliche Zeugnisse aus der Geschichte, welche uns Auskunft über ihr Aussehen geben könnten, und auch keine Verschriftungen, welche ihr Wirken in grauer Vorzeit der Menschheitsgeschichte belegen. Wir vermuten lediglich anhand von gewissen belegbaren Veränderungen in der Struktur archäologischer Auffindungen, dass sie sich vor etwa achttausend Jahren in einen Aspekt der frühmenschlichen Entwicklung eingemischt haben und Veränderungen in Kultur und Lebensweise in einigen Regionen Nordeuropas herbeiführten, etwa zur Zeit der Glockenbecherkulturen, als die auslaufende Steinzeit in die frühe Bronzezeit übertrat und die Stämme der Menschen nach und nach ihr Nomadendasein zugunsten einer sesshaften Lebensart aufgaben.
Wir können allerdings nur Mutmaßungen darüber anstellen, welche dieser Veränderungen eine Beeinflussung erfahren haben und ob die Wahl gerade dieses Zeitpunktes bewusst oder zufällig erfolgte. Insgesamt wissen wir nicht einmal etwas über den Grund für den Besuch unserer Welt, und ob ein Kontakt mit der frühmenschlichen Zivilisation überhaupt ihre sinngebende Absicht war. Sicher wissen wir nur, dass sie uns die Rätselobjekte als eine Art Botschaft hinterließen, die wir erst zu lesen vermögen würden, wenn wir auf einer höheren Stufe der Entwicklung stünden.“

„Wie können Sie dies mit solcher Bestimmtheit sagen?“

„Einzeln und für sich genommen sind die Objekte unbedeutend. Ihr Nutzen wächst, je mehr von ihnen man zusammenführt, denn dann beginnen sie, eine Art von Impulsen abzugeben, welche wir durch elektrische Anmessung nachweisen konnten, und diese Impulse gewinnen an Kraft, je mehr einzelne Stimmen man einem solchen Chor hinzufügt. Unsere Vermutung besteht nun darin, dass, wenn eine ausreichende Anzahl an Objekten an einem Ort vereint wird, ihr vereinigtes Signal eine solche Stärke erreicht, dass es den Abgrund zwischen den Sternen überbrückt und eine Antwort der Fremden herbeiführt. Allerdings wäre nur eine fortschrittliche Zivilisation in der Lage, die räumlichen Entfernungen des Erdballs zu überwinden und so viele einzelne Objekte zu versammeln. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass detaillierte Kenntnisse über die Natur der Elektrizität und des Magnetismus vonnöten sind, um die eigenartige Funktion der Objekte zu entdecken und zu deuten. Wir nennen diese Dinger übrigens die Sängerkristalle, da sie eben jene Eigenschaft aufweisen, im Chor ihren Gesang zu bestärken.“

„Und wie vermögen Sie es, diese Sängerkristalle an ihren Standorten aufzuspüren? Auch mit Hilfe dieses Gesangs?“

„In der Tat. Die Kristalle sind im Ursprung sehr wahrscheinlich einmal in einem geometrisch exakten Muster über die Welt verteilt gewesen, doch mit der Zeit wurden sie natürlich durch Menschenhand von ihren Ruheplätzen entfernt. Über die Jahrtausende müssen sie sehr häufig Objekte kultischer Verehrung gewesen sein, Machtsymbol mächtiger Herrscher und Kronjuwelen, sicher auch Gegenstand von Begehrlichkeiten und Kriegen, und so erfuhren sie eine regelrechte Wanderschaft. Wir fanden mehrere von ihnen als Grabbeigaben in Fürstengräbern, andere in den Ruinen von Tempeln und Weihestätten. In Tibet fanden wir ein Exemplar im Zentrum eines buddhistischen Heiligtums, wo es von den Mönchen seit Generationen in Anbetung gehütet wurde. Und eines konnten wir auf den Silberschatz eines Wikingerhäuptlings zurückführen, welcher auf Gotland gelegen haben muss.
Wir fanden nun durch Versuche heraus, dass gewisse Arten von hochreinem Meteoreisen, welches bereits die Kelten und Römer als das sogenannte ferrum noricum kannten und wertschätzten und welches wir an Fundstellen im Chiemgau gewinnen konnten, auf die Impulse der Kristalle anspricht, in ähnlicher Weise wie eine Kompassnadel aus Magneterz auf den Nordpol verweist. Wir haben also hochpräzise Messgeräte entwickeln können, mit deren Hilfe es uns gelang, nach und nach die Standorte der einzelnen Kristalle einzupeilen.“

„Und wie gedenken Sie nun, Ihre Expedition vorzunehmen? Sicherlich nicht mit uns drei Mann.“

„Gewiss nicht. Allein schon deswegen nicht, weil wir uns dann nicht als vollwertiger Kommandotrupp maskieren könnten, ohne Verdacht zu erregen. Auch würde es uns an der notwendigen spezialisierten Ausrüstung fehlen, um die Wüste erfolgreich zu durchqueren, selbst wenn wir die hiesigen Lager plündern würden. In der Tat hat das Transportschiff, welches die restlichen Mitglieder meines Einsatzkommandos und unsere sämtliche Ausstattung befördert, zeitgleich mit unserer Abreise von Baku abgelegt und wird uns im Laufe des morgigen Tages erreichen. Almászy und ich sind sozusagen die Vorausabteilung. Ich hatte Vorsorgen zu treffen, die unsere Unterkunft, Sicherheit und beschleunigte Weiterreise gewährleisten sollen. Sie werden also morgen Ihre neuen Kameraden und die Einzelheiten unserer weiteren Reise kennen lernen.“

Darauf nickte ich und dachte nach, und es fiel mir noch eine Sache ein, die mir wunderlich erschien.
„Wenn ich es fragen darf, wie kamen Herr Gruppenführer dazu, uns seinerzeit wegen der Sache mit dem russischen Spähtrupp persönlich Ihren Besuch zu machen?“

„Ich dachte mir, dass Sie sich daran erinnern würden. Aber lassen Sie mal das ‚Herr‘ nur weg, bei uns heißt es einfach ‚Gruppenführer‘, Herren gibt’s bei der Luftwaffe. Also, auf Ihre Frage hin, ich mische mich in schöner Regelmäßigkeit in Sicherheitsfragen ein, denn es sind häufig Affären, die eines meiner Projekte direkt betreffen. Als ich die Meldung erhielt, ein feindliches Kommando sei aufgebracht worden, da glaubte ich zunächst, es wäre ein Geheimunternehmen gewesen, welches auf eine meiner Fundstätten gezielt gewesen war, denn das ist häufig der Fall, soweit die Engländer dahinter stehen. Das wahre Ausmaß dessen, was Ihr damaliger Vorgesetzter da aufgedeckt hatte, wurde mir allerdings auch erst später bewusst, und ich bin heute der festen Überzeugung, dass der sowjetische Überfall nicht die Unterwerfung Europas zum Ziel hatte, jedenfalls nicht unmittelbar, auch wenn die Reichsregierung das natürlich anders sieht, die Herrschaften nehmen sich ja gerne besonders wichtig. Aber im Baltenland und vor Novgorod liegen unsere wichtigsten Großgrabungen.“

Ich dachte an den gewaltigen Maßstab der Schlachten, welche wir gefochten und von welchen wir vernommen, an Millionen von Menschenleben und die Entbehrungen und Leiden, die Triumphe und Grausamkeiten, welche wir durchlebt, an unsere verzweifelte Verteidigung von Ehrenfels, als wir die Ufer der Wolga rot gefärbt und den Fluss mit Blut gefüllt hatten, an meine Kameraden und jenen Sack voll toter Hühner, der den ganzen Gegenwert meines Lebens ausgemacht hatte, und ich begann, einen Hauch der Verantwortung zu begreifen, die dieser Mann vor mir auf seinen müden Schultern zu tragen hatte, und es würgte mich. Welche endlose Traurigkeit, welch millionenfaches Schicksal, lag da in jener dürren Feststellung: 'Dort liegen unsere wichtigsten Großgrabungen.'

Um mich abzulenken, stellte ich eine letzte Frage, mehr aus Trotzköpfigkeit denn Ernst.
„Wenn Sie einmal hingehen und suchen den heiligen Gral, wollen Sie mich dann bitte mitnehmen?“
Er brachte ein Lächeln zustande, so müde und zerrauft wie ein alter Kirchhof. „Da muss ich Sie enttäuschen, den suchen wir nicht mehr, der Heini hat mittlerweile seinen eigenen auf der Burg stehen, so ein schweres, protziges Teil aus reinem Gold. Irgendwann schmeiße ich den hässlichen Kessel nochmal in den Chiemsee, wenn er gerade nicht hin schaut.“

Ich ging zu Bett und schlief in jener Nacht praktisch gar nicht.
*****ine Mann
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Chalus, Persien, den 17. Oktober 1945

Ich setze nun diese meine Aufzeichnungen fort in dem festen Wissen, dass sie von Stund an niemand außer mir mehr wird lesen, zu unfasslich und ungeheuerlich und geheim sind jene Wahrheiten und Geschehnisse, welche sich mir in den auf jenen schicksalhaften Abend folgenden Tage, Wochen und Monate bezeigten. Doch will ich von dieser liebgewonnenen Gewohnheit des Schreibens nicht wieder lassen, und vielleicht wird mir eines fernen Tages noch einmal die Muße vergönnt sein, auf diese Zeit zurück zu blicken, darum will ich diese Worte detailliert, getreulich und wahrheitsgemäß niederlegen, damit sie mir dereinst ein gutes Zeugnis sein mögen.

Da war er also, der Morgen jenes 17. Oktober im Jahre des Herrn 1945, jenes Tages, den ich mit Fug und Recht als den ersten Tag meines neuen Lebens bezeichnen mochte.

Ich trat aus der Tür meiner Hütte, indem zugleich die ersten jungen Sonnenstrahlen hineintraten, und wie ich ihre warme Liebkosung auf dem Gesichte genoss, so atmete ich die frische, klare Luft einer veränderten Welt, und jeder wohltuende Zug drang mir tief in den gespannten Leib. Hatte ich mir die Ereignisse, jene fantastischen Erzählungen und Berichte der vergangenen Nacht nur eingebildet, waren sie gar die Produkte meines überspannten Hirns, Ausgeburten eines Fiebertraumes, welcher wie ein Alp sich auf meine Seele gelegt und nun, wie die letzten Fäden der verdämmernden Dunkelheit, von mir gewichen war?

Ich fühlte mich von der entbehrten Nachtruhe gezeichnet und ernüchtert, auch von einem harten, kalten Hungergefühl beklommen, jedoch zugleich auch der Sonne und dem Leben näher als je zuvor in all den vorausgegangenen Monaten. Ein Leben jenseits des schiefergrauen Atlantik dünkte mir ein vergangenes, bedeutungsloses, eine bloße Erinnerung, ein Kindermärchen. Ich genoss den Geruch der Bäume und Blüten, die Rufe der Vögel, das entfernte Rumoren eines Motors oder Triebwerks, das Gefühl eines frischen Hemdes auf meiner Haut, und wie ich meine Hand hob, so gewahrte ich die zahllosen unterschiedlichen Farben und Gestalten der feinen Härchen, welche auf meinem Unterarme wohnen.
Am meisten genoss ich jedoch in diesem Augenblicke jenes Gefühl, welches in meiner Brust sich allmählich breitmachte, wie das Licht einer soeben entzündeten Kerze sich in einem dunklen Raume allmählich breit macht und wächst. Es war dies ein Gefühl der Freiheit, welches mich unerwarteter Weise befiel, das Gefühl, zu einer Welt nicht mehr zu gehören, die bis gestern mich noch beherbergt hatte, die selbe Welt nun mit anderen Augen zu betrachten als jene, dich ich gestern geschlossen hatte. Es war, als wäre ein Schleier von mir gewichen, welcher mir vorher alles, was mich umgab, unscharf und vernebelt hatte erscheinen lassen.

Ich war nun ein Träger, ein Wissender, des größten Geheimnisses, das die Menschheit zu allen Zeiten zu lernen vermocht hatte, und das doch seinerseits nur Schlüssel und Brücke war zu noch größeren Geheimnissen, und wie ich den Kopf gegen den Himmel hob, so vermeinte ich plötzlich, den Klang der mechanischen Räder des Weltenwerks zu vernehmen, wie sie, mit regelmäßigem, langsamem Schlage ineinander greifend, die Mechanik des Erdkreises, den Lauf der Dinge vorantrieben.

Es waren dann doch die Schläge einer Axt, welche ich da vernommen hatte, so erkannte ich, nicht ohne eine milde Verlegenheit, als ich ging und von der Esch aufsuchen wollte, dabei ich ihn vor seiner eigenen Hütte mit bloßem Oberkörper fand, wie er mit Wucht die Schneide ins Klafterholz trieb. Ich war erstaunt ob der geschmeidigen, kräftig ausgeprägten Muskulatur, welche sich auf seinen entblößten Schultern und Armen abzeichnete, die straffe Anatomie eines jüngeren Mannes, welcher an Arbeit und Anstrengung gewöhnt ist, obgleich er selbst mir durchaus einige Jahre des Lebens voraus haben musste.

Da er meine Annäherung gewahrte, hielt er in seiner Tätigkeit inne, hängte sich ein Handtuch um den Nacken und begrüßte mich mit warmer Herzlichkeit und der Frage, wie ich geschlafen hätte, worauf ich ihm wahrheitsgemäß Auskunft gab.

„Nehmen Sie’s nicht tragisch, das ging bis jetzt noch jedem so“, war seine gutmütige Entgegnung darauf, „ich würde demjenigen misstrauen, der solches erfährt wie Sie und danach behauptet, den Schlaf der Gerechten geschlafen zu haben. Kommen Sie, wir wollen hinein gehen, das Feuer schüren und einen Tee bereiten, der wird Sie beleben.“
Er raffte die frisch behauenen Scheite zusammen, und indem er mich hieß, ein Kochfeuer zu bereiten, füllte er einen reich verzierten kleinen Kupferkessel mit Wasser und hängte ihn über die Flammen, und eine Zeit lang sprachen wir nichts, blickten nur in die Glut.

Als das Wasser zu sprudeln begann, so schüttete er aus einer kleinen Dose eine würzig duftende Mischung aus zerriebenen Teeblättern und Kräutern hinein, dazu er in einer Art Singsang einige melodische Worte darüber hersagte, die meinen Ohren ihrem Klang und Laut nach vollkommen fremdartig und unvertraut klangen.
„Es ist ein sehr alter Segensspruch“, entgegnete er mir auf meine Frage, „in einer archaischen Sprache, welche heute nur noch ganz wenige kennen und noch weniger zu gebrauchen vermögen. Einer der kleinen Tricks, die selbst ein alter Hund wie ich noch zu lernen vermag. Warten Sie einmal ab, wenn nachher unser Schiff festmacht, dann werden Sie junge, machtvolle Männer kennen lernen, so voll Kraft und von der Stärke der Mysterien durchdrungen, dass Sie Ihren Augen nicht trauen werden.“

Ich sann über seine Worte nach, als wir den fertig bereiteten, dampfenden Tee an unsere Lippen hoben, und obgleich er bitter nach herben Kräutern schmeckte, auf eine mir gänzlich unbekannte Art, so hatte er doch die versprochene belebende Wirkung. Ein Gefühl von wohltuender Wärme durchflutete mich, mein Gefühl von Hunger verging, eine frische Straffheit durcheilte meine Glieder und alle meine Sinne erwachten zu wundersamer Klarheit und Schärfe.

Als Almaszy hereintrat und, mich grüßend, berichtete, das erwartete Schiff tausche bereits Erkennungssignale mit der Hafenkommandantur aus, so kleidete von der Esch sich mit einem sauberen Hemde von einfacher Baumwolle, zog sich die Mütze in die Stirn und hieß uns aufbrechen.

Wir erreichten nun den Hafen zur rechten Zeit, ein kleines Frachtschiff hatte wohl soeben festgemacht, und just zur Zeit wurde nun ein Fallreep herabgelassen, derweil an der Bordwand droben bereits ein junger, gutaussehender Offizier wartete, die Haare von der Sonne dunkelblond gebleicht, das Gesicht tief gebräunt, in einer scharf geschnittenen grauen Uniform mit schwarzem und silbernem Kragen, mit dem Ritterkreuz angetan, und er winkte, als er unsere Gruppe gewahrte.
Und kaum, dass die Bahn ihm frei und sicher gemacht worden war, so sprang er mit energischem Schritte herab, und er und von der Esch begrüßten sich mit der stürmischen Innigkeit zweier Brüder, welche einander auf lange Zeit entbehrt hatten.

„Adrian, mein Junge, es tut gut, dich wohlbehalten zu sehen, wir hatten Sorge, du musst mir berichten. Doch zunächst, komm einmal her, du sollst jemanden kennenlernen, der mir gut vertraut ist. Du kannst offen reden, er ist mir auf Leben und Geheimnis verschworen und in die großen Zusammenhänge eingeweiht.

Und zu mir gewandt fuhr er fort: „Dies hier, mein Bester, ist der Sturmbannführer Baron Adrian von Fölkersam, mein treuer Freund und Bruder, und nun auch der Ihre.“
Und wie er mich vorstellte und wir die Hände zum Gruße schüttelten, so bemerkte ich im Gesichte jenes Mannes zugleich die Makellosigkeit der Jugend und jene natürliche Frische eines freundlichen Charakters, jedoch auch einen tiefen Ernst und eine gewisse Härte, eine große, durchdringende Klarheit des hochstehenden Intellekts, die in seinen hellen, scharf blickenden Augen wohnte.
Hier war jemand, der wie ich die Offenbarung tieferer Weisheiten empfangen hatte und die Spuren des Gesehenen offen in seinem Gesichte trug.
Auffällig war allerdings, dass sein Kragen nicht die üblichen Abzeichen der Schutzstaffel trug, welche ich bei einem Gefolgsmann von der Eschs erwartet hatte, sondern ein mir völlig fremdartiges runisches Symbol.

Von der Esch ließ uns nur Zeit für eine kurze Begrüßung, den Austausch eines Blickes, eine Berührung der Hände, ein Wort der gegenseitigen Anerkennung.
„Adrian, sprechen Sie. Wie ist der Stand der Dinge? Was haben Sie mitgebracht?“

„Etwa die Hälfte unserer Ausrüstung, darunter sämtliche Fahrzeuge, der Rest wird wie geplant nachgeführt. Dazu zwanzig Mann Hilfspersonal und Ingenieure, zwei Gruppen unserer besten Sonderjäger und acht Mann von Kompanie Frô.“

Von der Esch wirkte plötzlich erschrocken. „Nur acht? Wen?“

„Hartmann, Stein, Reichert, Lechner, Kollbrink, Flengert, Muck und Brekau.“

„Muck und Lechner sind unerprobt.“

„Nicht mehr. Glaube mir, ich habe sorgfältig ausgesucht. Dazu du und ich… es wird hinreichen.“

„Sei dir nicht zu sicher. Ich hatte auf mindestens ein Dutzend gerechnet, aus gutem Grund.“

Fölkersam schüttelte grimmig den Kopf. „Die Lage gibt es nicht her, Hans. Die letzten Berichte, die vor unserer Abreise noch übermittelt wurden… Kompanie Frô hat im Osten alle Hände voll zu tun.“

„Wie schlimm?“

„Schlimm genug. Die Russen setzen wieder diese vermaledeiten sibirischen Hexenweiber ein, und die Geister des Landes sind ihnen gewogen. Dazu Sonderkommissare des NKVD, neue Schule, vollkommen rücksichtslos. Wetterkapriolen, Schlamm und Überschwemmungen, das gesamte Programm. Die Finnen unterstützen uns wo sie können, aber ihre Macht ist begrenzt, es reicht hinten und vorne nicht.“

„Protokoll Drei?“

„Ist in Kraft, mit allen Konsequenzen. Keine Gefangenen. Aber das macht sie eigentlich nur noch wütender. Und der Balkan…“

„Was ist damit?“

„Gruppenführer Buch ist vor drei Tagen mit der gesamten Kompanie Wotan dort in Aktion getreten.“

„Buch persönlich? So schlimm?“

„Schlimmer.“ Fölkersam blickte kurz zu Boden. „Die Berichte, die ich zu lesen bekommen habe… du machst dir kein Bild. Menschenopfer. Blutmagie. Totenerweckung. Vampirismus. Massenhysterie. Wotan kann sich teilweise nur noch mit Flammpanzern behaupten. Sie äschern ganze Dörfer ein, aber auch das hilft nur bedingt.“

„Was ist mit unserer Unternehmung in Nordafrika?“

„Du wusstest es noch nicht?“

„Was wusste ich noch nicht? Rede!“ Von der Esch klang urplötzlich sehr scharf.

„Es tut mir leid, es dir mitteilen zu müssen, aber unsere Anstrengungen dort waren zumindest teilweise ohne Erfolg. Die Engländer haben den Sänger vor uns in die Hände bekommen.“

Esch zuckte wie unter einer Ohrfeige zusammen und wurde bleich. „Verdammt! Das hätte nicht passieren dürfen!“

„Die Unruhen in Ägypten und die Aufsässigkeiten der Italiener in Tripolitanien waren gezielt inszeniert, um uns zu verlangsamen, und es hat funktioniert. British Royal Commandos haben den Sänger aus dem Museum entführt, eine halbe Stunde, bevor unsere Leute eintrafen. Skorzeny hat mit Kompanie Donar die Verfolgung aufgenommen. Die Engländer ziehen sich in die offene Wüste zurück, sie verwenden keltische Sturmzauberei, um uns zu verlangsamen und unsere Flieger fern zu halten, wie damals vor El Alamein. Aber unsere Rutengänger können derartig starke Zauberei sehr leicht einpeilen, daher ist Skorzeny zuversichtlich, den Gegner noch einholen zu können.“

Von der Esch schüttelte zornig den Kopf. „Nein, er geht in die Irre, sie legen ihm eine falsche Fährte, und er fällt darauf herein. Wenn wir ihm noch signalisieren können… ach, aber nein, es nützt ja doch nichts mehr. Mittlerweile haben sie vermutlich einen so großen Vorsprung, dass sie uns unweigerlich entrinnen müssen.“
Er blickte den Jüngeren streng an. „Umso wichtiger ist es nun, dass wir ihnen das Ziel unserer eigenen Bestrebungen unbedingt entreißen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“

Ich hatte nun diese ganze Rede und Widerrede mit verfolgt, und teilweise hatte mich meine Kenntnis der deutschen Sprache gänzlich im Stich gelassen, was mich nicht gering frustrierte, auch glaubte ich, bei mancherlei Dingen schlichtweg nicht richtig gehört zu haben. Nun, da beide einen Augenblick innehielten, platzte es schlussendlich aus mir heraus.
„Kann mir nun vielleicht einmal jemand erklären, wovon hier nun überhaupt die Rede ist? Man steht dabei und versteht ja doch nicht ein einziges Wort!“

Und wie mich beide völlig konsterniert ob dieses Ausbruchs anblickten, brach Almasy hinter mir in schallendes Gelächter aus.

[...] Fortsetzung folgt.
*****ine Mann
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Ich bin ehrlich gesagt mit diesem Teil noch nicht hundertprozentig zufrieden. Das werde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nochmal überarbeiten, deswegen gibt es hier zunächst die Rohfassung dieser Passage. Für Kritik und Anregungen bin ich dankbar.



Fortsetzung:

[...] Und wie mich beide völlig konsterniert ob dieses Ausbruchs anblickten, brach Almaszy hinter mir in schallendes Gelächter aus.
Unter ihren strengen und ungehaltenen Blicken kämpfte er einige Sekunden lang sichtlich um seine Beherrschung, dann stieß er unter weiterem, kaum beherrschtem Lachen hervor:
„Endlich, endlich bringt’s mal einer auf den Punkt! So geht es den meisten Menschen in Gegenwart dieser beiden, und keiner wagte es bisher auszusprechen.“
Da mussten nun die beiden solchermaßen Angesprochenen ihrerseits lächeln, und der zornige Ausdruck in von der Eschs Augen bezeigte eine gewisse Milderung.

„Nun“, fuhr er schließlich an mich gewandt fort, „da ich Sie ohnehin bald eingeweiht hätte, so will ich Ihnen Auskunft geben. Sie haben hier einen jener begabten Männer vor sich, davon ich sprach, einen Eingeweihten des sozusagen zweitgrößten Mysteriums vor sich, welches das Reich zu hüten versteht. Mein braver Adrian hier,“ und er klopfte ihm väterlich auf die Schulter bei diesen Worten, „mein braver Adrian hier ist ein Vertreter eines äußerst seltenen Schlages von Spezialisten innerhalb der Schutzstaffel, welche ansonsten in der Welt ihresgleichen nicht haben. Er ist das, was wir gemeinhin einen Hexensoldaten nennen, ein Fachmann für okkulte Kriegführung und für die Abwehr von schädlicher Zauberei und allerlei verderblicher Magie. Und bisweilen auch für deren aktive Anwendung. Und wenn ich das dazu sagen darf, er ist einer unserer besten Praktiker und befehligt eine Einsatzgruppe des Sonderverbandes Z zu meiner persönlichen Verfügung.“

Da verweigerte sich ob dieser Aussage mein Verstand nun vollends und gänzlich.
„Zauberei? Bei allem gebührenden Respekt, Sie belieben zu scherzen, Gruppenführer.“
Da kehrte schlagartig ein Funken seines vorherigen Zornes in seine Augen zurück. „Ja sagen Sie einmal, Sie tolldreister Amerikaner, was fällt Ihnen eigentlich ein? Wirke ich auf Sie jetzt gerade in diesem Moment, wie wenn ich zu Scherzen aufgelegt wäre, nach alledem, was ich Ihnen gerade erst gestern Nacht eröffnet habe?“
Ich kam nicht einmal dazu, es zu verneinen, die Scham traf mich ob seiner Worte wie eine Ohrfeige und ließ mir das Blut ins Gesicht fahren.

„Was glauben Sie denn wohl“, fuhr er fort, „was wir zu erdulden hatten von den Kabbalisten und den Freimaurern, im Weltkriege und danach? Was meinen Sie denn, wie die Brüder uns zugesetzt haben im Inneren, als sie zum ersten Mal ihre Macht in vollem Umfange entfesselten und der Sturmwind der Revolution uns ganz plötzlich um die Ohren pfiff? Völlig unvorbereitet waren wir, wie die Schulbuben, wer hätte denn auch damit gerechnet?“

Er blickte wütend, sichtlich von Erinnerungen geplagt, zur Seite, und auch von Fölkersam machte ein versteinertes Gesicht.
„Und das war noch harmlos im Vergleich mit dem, was sie über uns hereinbrechen ließen, nachdem diese Fundamentalisten von der Gruppe Consul uns den armen Rathenau erschossen hatten, gerade wie wir dachten, wir könnten einigermaßen die Kontrolle wiedergewinnen. Der einzige unter den Kabbalistischen übrigens, der offen für Ausgleich und Mäßigung und Verständigung eintrat. Ich hätte einen Frieden aushandeln können mit ihm damals, wenn uns die Zeit geblieben wäre. Aber mit Ausgleich brauchten Sie denen von der Consul ja nicht zu kommen. Immerhin konnte ich dafür sorgen, dass seine Mörder nicht davonkamen, und weiß Gott, ich hätte sie den Kabbalisten überlassen. Aber mit denen war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zu reden. Und was dann kam, die blutige Rache… ich sage Ihnen, wir haben viele gute Männer verloren.“

„Aber eines“, warf da von Völkersam mit Bitterkeit in der Stimme ein, „eines haben wir ja doch von den Brüdern gelernt, nämlich wie man mit harten Bandagen kämpft.“

Von der Esch nickte entschlossen. „Ja. Ja, das stimmt. Das haben wir. Wir mussten’s ja, wir mussten. Was wäre uns denn geblieben? Wir standen mit dem Rücken zur Wand damals. Die Verzweiflungsmaßnahmen, die wir in jenen Tagen angestrengt haben, die Expeditionen nach Norwegen und Finnland auf der Suche nach der Runenmacht, der Griff nach jedem Strohhalm, immer die Angst im Nacken. Begers Reise nach Tibet auf der Suche nach dem Verbotenen Wissen der Lamas… die Tibeter wussten, wie man mit Schwarzer Magie ins Gericht zu gehen hatte, das wussten die ganz genau, das sage ich Ihnen. Und als wir erstmal eigene okkulte Mittel in Händen hielten…“ Er blickte zu Boden. „Auf viele Sachen bin ich nicht stolz. Aber sie müssen sich die Verbitterung vorstellen, es hieß damals „Die oder Wir!“, da war Rücksicht nicht geboten, und eine Grausamkeit gab die nächste, und Schonung wurde irgendwann keine mehr gewährt. Und als es endlich vorbei war… da standen wir da mit dem, was wir entfesselt und auf uns geladen hatten, wir kärglich wenigen Überlebenden, wir Haufen trauriger Gestalten in unseren schwarzen Uniformen, zerlumpte und gezeichnete Henkersknechte, und wussten, wir konnten nicht mehr zurück.“

„Wohin hättet ihr denn auch sollen, Weisthor und Buch und du?“ Völkersam stellte die Frage gleichsam rethorisch in den Raum. „Zur Wehrmacht ganz bestimmt nicht, die hielten euch doch damals alle für geisteskrank.“ Und an mich gewandt fuhr er fort: „Sie müssen wissen, die Götter der Wehrmacht hießen damals Seeckt, Krupp und Guderian, und dabei blieb’s.“

„Außer Rommel!“ ließ sich Almaszy vernehmen.
„Stimmt, außer Rommel. Der dachte damals schon progressiv. Hat ihm ja auch letzten Endes zum Vorteil gereicht, in Frankreich und Afrika und zuletzt in Übersee.“
Da durchfuhr es mich. „Sie meinen, Sie haben… ?“
Von der Esch lachte, jedoch es lag keine Boshaftigkeit darin, nur ein gewisses mildes Amüsement. „Ja natürlich haben wir! Was meinen Sie denn, wie wir ein komplettes Panzerkorps in den Rücken Ihrer Landsleute gemogelt haben? Auf die gleiche Weise, wie wir damals eine Panzerdivision durch die Ardennen geprügelt haben in den Rücken der Franzosen! Und eine in den Rücken der Tommies bei El Alamein. ‚Gespensterdivision‘ haben die Herrn Franzosen damals noch gerufen, da waren wir schon auf halbem Wege am Kanal. Und Adrian, wenn ich an das Ding denke, das du damals vor Maikop gedreht hast, die halbe Kompanie Donar lacht heute noch darüber.“

„Und vermittels dieser Zaubermacht, welche Sie beherrschen, gedenken Sie, nun auch hier die Engländer zu täuschen und uns durch die Wüste in das Gebirge zu bringen?“ fragte ich, auch wenn ich nach wie vor den vollen Umfang seiner Worte nicht zu glauben vermochte.
„Nun, “ erwiderte er ernst, „diese Zaubermacht, wie Sie sie nennen, wird uns helfen. Wir werden uns aber auch der Mittel der Technologie und des Mutes und des Geistes bedienen, und alles beisammen soll uns zum Erfolg verhelfen, wo Mittel und List alleine nicht hinreichen würden. So haben wir es stets gehalten, und so soll es auch hier sein. Begreifen Sie es?“
Nun, trotz allen Unglaubens und aller Verweigerung des Verstandes… ja, ich begann zu begreifen, und vor allem begann ich zu begreifen, wie diese einzelne Nation, umringt von Widersachern, es vermocht hatte, eine Welt in ihrem Bann und die Armeen vierer ebenso großer Völker in Schach zu halten.

„Aber sagten Sie nicht, auch die anderen Nationen verfügten über gleichartige Machtmittel?“
Da verfinsterte sich sein Gesicht aufs Neue. „Da haben Sie allerdings Recht. Die Russen hatten uns recht gut ausspioniert und wussten halbwegs, womit sie zu rechnen haben würden. Haben uns vor Moskau eiskalt in das offene Messer laufen lassen. Sibirische Wetterzauberei, ein ungeheurer Kälteeinbruch, Eis und Schnee und mörderische Temperaturen, und die ganze Truppe bewegte sich keinen Meter mehr vorwärts. Um ein Haar wäre unser ganzer Plan an Ort und Stelle im wahrsten Sinne des Wortes auf Eis gelegt worden. Hatten nur nicht damit gerechnet, die Brüder, dass wir unsere Techniken und Methoden zu dem Zeitpunkt schon soweit verfeinert hatten, dass wir ihnen Paroli bieten konnten. Und als das Schlimmste vorbei war… den Rest der Geschichte kennen Sie ja.“
Ja, den kannte ich nur zu gut. Moskau. Wolgograd. Waffenstillstand. Überfall. Ein Sack voll Hühner.

„Übrigens“, fuhr er fort, als hätte er meine Gedanken gelesen, „auch bei den Vorbereitungen für ihre Großoffensive haben die Russen massiv Zauberei eingesetzt, um uns zu täuschen und ihre Maßnahmen zu verschleiern. Der Sonderoffizier, den Sie gefangen nehmen halfen, war ein feindlicher Hexensoldat gewesen, ein pashtunischer Geisterseher. Unter dem Schneeanzug konnten Sie die Tätowierungen nicht sehen, aber ich kenne die Sorte sehr genau und weiß, worauf ich zu achten habe. Wussten Sie, dass er kugelfest war?“

Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich mich an jenen Augenblick im Schnee zurück erinnerte. „Er fiel durch den Säbel eines Kosakenhäuptlings, nicht durch eine Kugel.“
Von der Esch nickte. „Ja, das passt. Eine Kugel hätte ihn aufgrund seiner Zauberei nicht zu werfen vermocht, kaltes Eisen jedoch sehr wohl.“
Er blickte sich unvermittelt um. „So, nun aber genug der wohlfeilen Rede. Es gibt mehr als genug zu tun. Unsere sämtliche Ausrüstung muss an Land, und wir haben für den heutigen Abend ein Ritual vorzubereiten. Da werden Sie dann mit Ihren eigenen Augen gewahren, dass ich die Wahrheit spreche, und wenn Sie es gesehen haben, so werden Sie dann auch Ihren Eid auf unsere Bruderschaft leisten.“

Und wie es Abend war und die Männer sich an jenem vorbezeichneten Platze versammelten, so bezeugte ich wahrhaftig jene okkulte Macht und jenes Wirken, davon er gesprochen, und auf meinen Lebtag wird mich die Erinnerung an jede noch so kleine Einzelheit nicht mehr verlassen.
Steine hatten sie ausgelegt auf einer Waldlichtung unweit jener Quelle, im Kreis um ein Feuer, mit runischen Zeichen versehen, und wie sie ihre Aufstellung nahmen, in feierliches Schwarz und Silber gehüllt, so gewahrte ich, vom Rande des Waldes her beobachtend, wie das ganze Werk seinen Verlauf nahm. Es hoben zunächst zwei der Männer einen Rhythmus auf Trommeln an, welcher einen monotonen Hintergrund bildete, dann stimmte von der Esch mit gravitätischer, voller Stimme einen Gesang in einer mir unbekannten, harten Sprache an, und vom anderen Rande des Zirkels gab Völkersam ihm im gleichen Wortlaute Antwort, woraufhin der Chor der umstehenden Männer es erneut wiederholte.

Und immer weiter ging dieses Wechselspiel von Gesang und Gegengesang, steigerte sich in Tempo und Intensität, und alsbald strömten auf ihren Befehl am Himmel die Wolken zusammen und ich wurde Zeuge, wie sie den Donner und den Blitz herbeiriefen, wie die Runen der Steine in innerem Feuer erglühten und Funken daraus schossen, wie Elmsfeuer über die Steine lief und dann zwischen ihnen züngelte wie Entladungen, und von dort auf die Männer übergriff, welche die Arme zum Himmel reckten, indem sich der Wechselgesang zu seinem Höhepunkte emporschwang, und ich sah, wie sie im Elmsfeuer badeten, von ihm umspült wurden wie Felsen von der Flut, derweil am Himmel sich Polarlichter zeigten, und alsbald vibrierte der Wald um mich herum vor Energie, und gleichsam vibrierte auch ich, während sich vor statischer Ladung jedes Haar meines Hauptes und meines Körpers abspreizte.

Und wie mein Name gerufen wurde, so trat ich unweigerlich vor in den Kreis, obgleich mir das Herz im Halse wie wild pochte, und ich schwor meinen Eid und wurde einer von ihnen.
„Es ist recht getan“, sprach da von der Esch zu mir mit einer Stimme, die ich nicht wiedererkannte. „Nun habe ich ‚Von der Esch ist hier!‘ mit Zeichen geschrieben, die jeder lesen kann, von hier bis zum Hindukusch. Und morgen brechen wir auf.“

Und wie er es befahl, so geschah es.

Fortsetzung folgt.
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