Chalus, den 25. September 1945
Nun haben wir die vergangenen Wochen doch noch gewinnbringend zu nutzen vermocht, auch wenn ich beinahe glaubte, wir würden nun alle Tage mit Höflichkeitsbesuchen zubringen.
Gemäß Jörgs Eingabe habe ich das sogenannte „Deutsche Kreuz“ erhalten, im Sprachgebrauch der Truppe auch das „Spiegelei“ genannt, eine schwere und ausnehmend hässliche Auszeichnung, welche auf der rechten Brustseite getragen wird und trotz ihres grobschlächtigen Aussehens beträchtliches Ansehen mit sich bringt, denn sie wird nur für wiederholte Tapferkeitstaten verliehen, deren jede einzelne des Eisernen Kreuzes wert wäre. Damit einher ging die verspätete Verleihung der Nahkampfspange für die schweren Kämpfe um Ehrenfels. Neben dem Heinz bin ich nun eine der am höchsten dekorierten Personen bei uns, und der Jörg hat mir zur Verleihung noch eine Flasche Weinbrand spendiert.
In unserer Gegend herrscht verhältnismäßige Ruhe, was auch daran liegt, dass sich bis jetzt noch keine englischen Kolonnen so weit nach Westen bis zu uns vorgewagt haben. Insgesamt haben wir die lage recht gut im Griff, es ist uns gelungen, die Dorfältesten zumindest zeitweise von dem unmittelbaren Nutzen einer Zusammenarbeit zu überzeugen, und so lange wir sie bei der Stange halten können, behalten wir auch unseren Frieden. Mit der einen oder anderen kleinen „Expedition“ haben wir auch einige umliegende Ortschaften dazu bringen können, sich unserem Bündnis anzuschließen. Lediglich an den äußeren Grenzen des von uns unmittelbar verwalteten Gebietes gibt es immer wieder Knallereien aus dem Hinterhalt, einzelne Scharmützel mit Freischärlern oder Anschläge auf die Fahrstraßen.
Dafür sind einzelne Provinzen im Norden umso schwerer umkämpft, dort herrschen blutige Unruhen und Pogrome, derer wir im Moment nicht Herr zu werden vermögen. Auf diese Gebiete konzentrieren sich naturgemäß nun auch die Überfälle der sowjetischen Marine-Schützen. Berichten gemäß sollen im Gefolge der Engländer nun auch freifranzösische Legionäre in Erscheinung getreten sein, gut motiviert, mit englischem Material.
Wie steht die Lage auf dem amerikanischen Kontinente? Nach dem zu urteilen, was man in den Zeitungen liest, und das ist nicht eben viel, haben die Säuberungsmaßnahmen in Folge des schweren Attentates auf die deutsche Flotte einen eher mäßigen Erfolg erbracht, von der Auffindung zahlreicher Waffenlager einmal abgesehen. Was an Verhafteten oder Toten gemeldet wird, scheinen doch in der Mehrzahl kleine Fische zu sein, mehr Ganovenbanden, Schmuggler und sonstige Kleinkriminelle denn wirkliche separatistische Agenten. Insgesamt aber scheinen die frischen Garnisonen der Fallschirmjäger eine vernünftige Arbeit zu machen, was das Niederkämpfen von Unruhenestern angeht, und es lässt sich auch nicht leugnen, dass die kriminelle Halbwelt mit ihren zwielichtigen und undurchsichtigen Charakteren stets einen fruchtbaren Nährboden für die Sache der Separatisten gebildet hat. Dieser Boden wird nun nach und nach abgegraben.
Denke dir, ich habe einen Brief von Dieter erhalten! Er hat mir keinen Ort genannt, an dem er sich aufhält, doch schreibt er, tief im Herzen Russlands zu stehen, und seine Feldpostnummer ist immer noch die vertraute ehrenfelser Nummer. Er hat sich sehr über meinen Brief gefreut, welcher ihn vor mehreren Wochen erreichte, auch darüber, dass ich ihm über den Verbleib von Horst Auskunft zu erteilen vermochte, und ich freue mich meinerseits, durch seine Schilderungen meine übrigen alten Freunde wohlauf zu wissen.
Die Russen unternehmen wohl weiterhin verbissene Gegenangriffe auf die vorgeschobenen deutschen Angriffsspitzen, bestrebt, diese zurückzudrängen, bisher jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Andererseits macht wohl auch die deutsche Seite derzeit keine nennenswerten Fortschritte mehr.
Die Ausbildung unserer Schutzmannschaften macht Fortschritte, auch wenn es durchaus ein zähes Geschäft ist, denn einem persischen Bauern den Nutzen eines Postendienstes beibringen zu wollen, scheint größtenteils vergebliche Liebesmühe, die Brüder vermögen es einfach nicht, länger als einige Minuten stille zu verharren. Sie beginnen bald zu schwätzen und umher zu gehen, zu rauchen und zu essen, so dass ihre Aufmerksamkeit bald auf dies, bald auf jenes gerichtet ist, nicht jedoch auf ihren Auftrag.
Als Fußstreifen machen sie sich dafür bedeutend besser, auch wenn man sie mit scharfer Disziplin angehen muss, damit sie nicht durch beständiges Palaver ihr Näherkommen verraten. Für den Postendienst gebrauchen wir bevorzugt unsere eigenen Leute.
Zur Ausstattung unserer Freiwilligen haben wir eine bunt gemischte Lieferung Kriegsbeute erhalten, in der Hauptsache Uniformen und Helme, aber auch Gewehre.
Es ist in der Masse russisches Zeug darunter, aber auch estnische, lettische und dänische Uniformteile, der Aufschrift auf den Packzetteln nach zu urteilen jedenfalls, und die Gewehre sind ausnahmslos russische Mosin-Nagants. Amerikanisches Gerät konnte ich nicht ausfindig machen, was mich verhalten optimistisch stimmt, denn das kann bedeuten, dass es für die Aufstellung weiterer amerikanischer Divisionen gebraucht wird, und vielleicht sehe ich dann einige meiner Landsleute, ein Vergnügen, welches mir seit dem Zusammentreffen mit dem Regiment „John Mosby“ nicht mehr vergönnt war.
Das Ganze ergibt jedenfalls ein sehr heterogenes Erscheinungsbild, trotz aller unserer Bemühungen, ein einheitliches Element in unserer wackeren Truppe herzustellen. Und die russischen Stahlhelme können in einem nächtlichen Treffen oder bei einem erneuten Überfall, wenn es durcheinander geht, dazu führen, dass man nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann.
Wir sind bestrebt, das Problem dadurch zu lösen, dass wir die Dinger hauptsächlich an die Besatzungen unserer Blockhäuser und Erdbunker ausgeben, die sich weniger dem Schützenfeuer aussetzen müssen und nicht Gefahr laufen, unter den Feind zu geraten. Von solchen Unterständen haben wir im Umkreis der Dörfer bereits eine ganze Menge angelegt, und wir üben beständig des Tags und des Nachts das alarmmäßige Aufsuchen und Besetzen der Stellungen, bis unsere Leute es zuverlässig und mit Behändigkeit beherrschen.
Besonders stolz sind wir dabei auf einen Vorposten, den wir direkt neben einer wichtigen Straßenkreuzung angelegt haben, über welche nicht nur ein beträchtlicher Teil unseres Nachschubes rollt, sondern auch insbesondere viel Personen- und Güterverkehr zwischen den umliegenden Dörfern, und also behalten wir dadurch auch einen Überblick darüber, wer zu welchen Zeiten im Umkreise verkehrt.
Dieser Vorposten besteht nun im Wesentlichen aus einem befestigten Blockhause, in welchem sich ein Büro der Feldpolizei befindet, dazu gibt es ein Koch- und Backhaus sowie ein Munitionslager. Die Befestigungen, welche ich mit anlegen half, bestehen aus gedeckten Erdbunkern und Laufgräben, dazu gibt es auch eine verschalte Erdstellung für einen Mörser oder ein Feldgeschütz – auch wenn wir zur gegenwärtigen Zeit keine einzige derartige Waffe besitzen, sie wäre für uns von beträchtlichem Wert. Immerhin haben wir durch das Schlagen von Bäumen und das Abbrennen des Unterholzes einen breiten Bereich um die Straßenkreuzung geschaffen, das wir ohne große Schwierigkeiten überwachen können.
Auf eine Besonderheit der hiesigen Gepflogenheiten will ich dazu noch zu sprechen kommen, die vielleicht zu veranschaulichen geeignet ist, mit welchen unerwarteten Schwierigkeiten wir hier teilweise umzugehen lernen müssen.
Dass unser Fortkommen stark davon abhängt, mit welchen Dorfältesten wir uns hier besonders gut stehen, berichtete ich dir bereits, auch davon, dass das Ausmaß dieser Unterstützung sehr davon abhängig ist, über welchen Einfluss und Mittel dieser Älteste verfügt. Nun aber nimmt dies solcherlei Formen an, dass, wenn wir beispielsweise für eine Such- oder Streifaktion Schützenkontingente verschiedener Dörfer versammeln wollen, sich der Erfolg einer solchen Zusammenziehung beständig davon abhängig macht, welche Rivalitäten die Ältesten untereinander haben. Da fehlt dann des Abends beim Antreten schon einmal ein komplettes Kontingent, da sich der verantwortliche Älteste nicht in Konkurrenz zu einem mächtigeren Nachbarn bringen will, dafür erscheint – ungefragt – von jenem Mächtigeren ein Kontingent seiner persönlichen Dorfmiliz, welches die Lücke füllt. Wir machen diplomatische Miene zu jenem sonderbaren Spiel und sind doppelt auf der Hut, denn die Miliz ist noch weniger für ihre Zuverlässigkeit bekannt als die Schutzmannschaften. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir am Morgen feststellen, dass die von uns ausgestellten Feldposten sich kurzerhand schlafen gelegt haben oder gleich nach Hause gegangen sind.
Ich bin nun, da ich etwas mehr Zeit zu meiner persönlichen Verfügung habe, hingegangen und habe etwas unternommen, darüber ich schon geraume Zeit nachgesonnen habe. Ich habe eine Gruppe von Arbeitsdienstlern um mich geschart, denen ich dem persönlichen Anschein nach etwas zutraue und welche über Tüchtigkeit und Erfindungsgeist verfügen, und ich schule sie in jenen Fertigkeiten des Pionierdienstes, welche ich einst meinerseits von Dieter lernen durfte.
Das Schanzwerk und die Grundlagen des Felddienstes beherrschen die Burschen ja bereits, und ich lehre sie das Bezwingen von Hindernissen und Befestigungen, den Gebrauch des Granatbündels und des Grabendolches, das Anpirschen und das Unterkriechen von Drahtsperren, ich lehre sie, eine wahrhaftige Rede zu führen und ihren Waffenstolz zu pflegen. Kurz und gut, ich habe mir meinen eigenen kleinen Pioniersturmtrupp geschaffen, denn ich denke, dass wir ihn brauchen können. Da wir nun einmal solch hervorragende Feldbefestigungen geschaffen haben, so sollten wir auch in der Lage sein, sie wiederzunehmen, im Falle dass sie einmal in die falschen Hände gelangen.
Mein Jörg stimmt mir dabei unumwunden zu und lässt mir freie Hand, und es tut gut, wieder in eigener Verantwortung eine Aufgabe in Angriff nehmen und zu ihrem Erfolge führen zu können. Wir sind schon ein verwegener Haufen bunter Hunde, meine frisch gebackenen Pioniere und ich. Ein jeder von uns hat eine russische Maschinenpistole, und wir unterscheiden uns auch äußerlich in unserer Tracht von den regulären Soldaten und Feldgendarmen, denn wir haben unsere Uniformen nach der Art der Sturmtrupps des Weltkrieges abgeändert, mit ledernen Flicken an Ellenbogen und Knien und Fußwickeln um die Waden statt der üblichen Gamaschen, und unsere Helme haben wir mit farbigen Streifen und Flecken gemalt, der Tarnung wegen.
Meine beiden Ältesten sind Wilfried und Thorsten, beides zuverlässige, lang gediente Arbeitsmänner mit Fronterfahrung aus dem Rheinländischen, die tüchtig zupacken können, dazu kommen noch Johann aus Königsberg, ein ehemaliger Hafenarbeiter, und Albrecht, das Raubein, ein sogenannter Bewährungsschütze, ein ehemaliger Panzerjäger des Heeres, der wegen wiederholter geringfügiger Disziplinlosigkeiten zum Arbeitsdienst versetzt wurde. Auf ihn habe ich ein gewisses Auge, doch hat er mir bisher keinen Anlass zur Klage gegeben – die neue Perspektive scheint ihn bei der Stange zu halten.
Flammenwerfer oder moderne Sprengmittel haben wir keine in unserem Besitz, doch verfügen wir über Panzerfäuste und einige Dynamitbündel, dazu englische Handgranaten und Pistolen, so dass wir insgesamt recht gut ausgerüstet sind, und da wir sonst keine gestickten Abzeichen auftreiben konnten, so haben wir uns halt den Anker der Marine auf den Oberarm genäht, davon wir von unseren Kameraden einige ertauschen konnten, und da wir nun in der Nachbarschaft eines Hafens leben, so finden wir es auf eine gewisse Weise passend. Nun brennen wir natürlich einerseits darauf, uns zu bewähren, andererseits weiß ein jeder von uns, dass eine solche Bewährung nur mit einer gravierenden Verschlechterung der Lage bei uns einhergehen könnte, und somit sind wir auch froh um jeden Tag, den diese Bewährung noch auf sich warten lässt.
Mit den besten Wünschen,
Carl
Nun haben wir die vergangenen Wochen doch noch gewinnbringend zu nutzen vermocht, auch wenn ich beinahe glaubte, wir würden nun alle Tage mit Höflichkeitsbesuchen zubringen.
Gemäß Jörgs Eingabe habe ich das sogenannte „Deutsche Kreuz“ erhalten, im Sprachgebrauch der Truppe auch das „Spiegelei“ genannt, eine schwere und ausnehmend hässliche Auszeichnung, welche auf der rechten Brustseite getragen wird und trotz ihres grobschlächtigen Aussehens beträchtliches Ansehen mit sich bringt, denn sie wird nur für wiederholte Tapferkeitstaten verliehen, deren jede einzelne des Eisernen Kreuzes wert wäre. Damit einher ging die verspätete Verleihung der Nahkampfspange für die schweren Kämpfe um Ehrenfels. Neben dem Heinz bin ich nun eine der am höchsten dekorierten Personen bei uns, und der Jörg hat mir zur Verleihung noch eine Flasche Weinbrand spendiert.
In unserer Gegend herrscht verhältnismäßige Ruhe, was auch daran liegt, dass sich bis jetzt noch keine englischen Kolonnen so weit nach Westen bis zu uns vorgewagt haben. Insgesamt haben wir die lage recht gut im Griff, es ist uns gelungen, die Dorfältesten zumindest zeitweise von dem unmittelbaren Nutzen einer Zusammenarbeit zu überzeugen, und so lange wir sie bei der Stange halten können, behalten wir auch unseren Frieden. Mit der einen oder anderen kleinen „Expedition“ haben wir auch einige umliegende Ortschaften dazu bringen können, sich unserem Bündnis anzuschließen. Lediglich an den äußeren Grenzen des von uns unmittelbar verwalteten Gebietes gibt es immer wieder Knallereien aus dem Hinterhalt, einzelne Scharmützel mit Freischärlern oder Anschläge auf die Fahrstraßen.
Dafür sind einzelne Provinzen im Norden umso schwerer umkämpft, dort herrschen blutige Unruhen und Pogrome, derer wir im Moment nicht Herr zu werden vermögen. Auf diese Gebiete konzentrieren sich naturgemäß nun auch die Überfälle der sowjetischen Marine-Schützen. Berichten gemäß sollen im Gefolge der Engländer nun auch freifranzösische Legionäre in Erscheinung getreten sein, gut motiviert, mit englischem Material.
Wie steht die Lage auf dem amerikanischen Kontinente? Nach dem zu urteilen, was man in den Zeitungen liest, und das ist nicht eben viel, haben die Säuberungsmaßnahmen in Folge des schweren Attentates auf die deutsche Flotte einen eher mäßigen Erfolg erbracht, von der Auffindung zahlreicher Waffenlager einmal abgesehen. Was an Verhafteten oder Toten gemeldet wird, scheinen doch in der Mehrzahl kleine Fische zu sein, mehr Ganovenbanden, Schmuggler und sonstige Kleinkriminelle denn wirkliche separatistische Agenten. Insgesamt aber scheinen die frischen Garnisonen der Fallschirmjäger eine vernünftige Arbeit zu machen, was das Niederkämpfen von Unruhenestern angeht, und es lässt sich auch nicht leugnen, dass die kriminelle Halbwelt mit ihren zwielichtigen und undurchsichtigen Charakteren stets einen fruchtbaren Nährboden für die Sache der Separatisten gebildet hat. Dieser Boden wird nun nach und nach abgegraben.
Denke dir, ich habe einen Brief von Dieter erhalten! Er hat mir keinen Ort genannt, an dem er sich aufhält, doch schreibt er, tief im Herzen Russlands zu stehen, und seine Feldpostnummer ist immer noch die vertraute ehrenfelser Nummer. Er hat sich sehr über meinen Brief gefreut, welcher ihn vor mehreren Wochen erreichte, auch darüber, dass ich ihm über den Verbleib von Horst Auskunft zu erteilen vermochte, und ich freue mich meinerseits, durch seine Schilderungen meine übrigen alten Freunde wohlauf zu wissen.
Die Russen unternehmen wohl weiterhin verbissene Gegenangriffe auf die vorgeschobenen deutschen Angriffsspitzen, bestrebt, diese zurückzudrängen, bisher jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Andererseits macht wohl auch die deutsche Seite derzeit keine nennenswerten Fortschritte mehr.
Die Ausbildung unserer Schutzmannschaften macht Fortschritte, auch wenn es durchaus ein zähes Geschäft ist, denn einem persischen Bauern den Nutzen eines Postendienstes beibringen zu wollen, scheint größtenteils vergebliche Liebesmühe, die Brüder vermögen es einfach nicht, länger als einige Minuten stille zu verharren. Sie beginnen bald zu schwätzen und umher zu gehen, zu rauchen und zu essen, so dass ihre Aufmerksamkeit bald auf dies, bald auf jenes gerichtet ist, nicht jedoch auf ihren Auftrag.
Als Fußstreifen machen sie sich dafür bedeutend besser, auch wenn man sie mit scharfer Disziplin angehen muss, damit sie nicht durch beständiges Palaver ihr Näherkommen verraten. Für den Postendienst gebrauchen wir bevorzugt unsere eigenen Leute.
Zur Ausstattung unserer Freiwilligen haben wir eine bunt gemischte Lieferung Kriegsbeute erhalten, in der Hauptsache Uniformen und Helme, aber auch Gewehre.
Es ist in der Masse russisches Zeug darunter, aber auch estnische, lettische und dänische Uniformteile, der Aufschrift auf den Packzetteln nach zu urteilen jedenfalls, und die Gewehre sind ausnahmslos russische Mosin-Nagants. Amerikanisches Gerät konnte ich nicht ausfindig machen, was mich verhalten optimistisch stimmt, denn das kann bedeuten, dass es für die Aufstellung weiterer amerikanischer Divisionen gebraucht wird, und vielleicht sehe ich dann einige meiner Landsleute, ein Vergnügen, welches mir seit dem Zusammentreffen mit dem Regiment „John Mosby“ nicht mehr vergönnt war.
Das Ganze ergibt jedenfalls ein sehr heterogenes Erscheinungsbild, trotz aller unserer Bemühungen, ein einheitliches Element in unserer wackeren Truppe herzustellen. Und die russischen Stahlhelme können in einem nächtlichen Treffen oder bei einem erneuten Überfall, wenn es durcheinander geht, dazu führen, dass man nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann.
Wir sind bestrebt, das Problem dadurch zu lösen, dass wir die Dinger hauptsächlich an die Besatzungen unserer Blockhäuser und Erdbunker ausgeben, die sich weniger dem Schützenfeuer aussetzen müssen und nicht Gefahr laufen, unter den Feind zu geraten. Von solchen Unterständen haben wir im Umkreis der Dörfer bereits eine ganze Menge angelegt, und wir üben beständig des Tags und des Nachts das alarmmäßige Aufsuchen und Besetzen der Stellungen, bis unsere Leute es zuverlässig und mit Behändigkeit beherrschen.
Besonders stolz sind wir dabei auf einen Vorposten, den wir direkt neben einer wichtigen Straßenkreuzung angelegt haben, über welche nicht nur ein beträchtlicher Teil unseres Nachschubes rollt, sondern auch insbesondere viel Personen- und Güterverkehr zwischen den umliegenden Dörfern, und also behalten wir dadurch auch einen Überblick darüber, wer zu welchen Zeiten im Umkreise verkehrt.
Dieser Vorposten besteht nun im Wesentlichen aus einem befestigten Blockhause, in welchem sich ein Büro der Feldpolizei befindet, dazu gibt es ein Koch- und Backhaus sowie ein Munitionslager. Die Befestigungen, welche ich mit anlegen half, bestehen aus gedeckten Erdbunkern und Laufgräben, dazu gibt es auch eine verschalte Erdstellung für einen Mörser oder ein Feldgeschütz – auch wenn wir zur gegenwärtigen Zeit keine einzige derartige Waffe besitzen, sie wäre für uns von beträchtlichem Wert. Immerhin haben wir durch das Schlagen von Bäumen und das Abbrennen des Unterholzes einen breiten Bereich um die Straßenkreuzung geschaffen, das wir ohne große Schwierigkeiten überwachen können.
Auf eine Besonderheit der hiesigen Gepflogenheiten will ich dazu noch zu sprechen kommen, die vielleicht zu veranschaulichen geeignet ist, mit welchen unerwarteten Schwierigkeiten wir hier teilweise umzugehen lernen müssen.
Dass unser Fortkommen stark davon abhängt, mit welchen Dorfältesten wir uns hier besonders gut stehen, berichtete ich dir bereits, auch davon, dass das Ausmaß dieser Unterstützung sehr davon abhängig ist, über welchen Einfluss und Mittel dieser Älteste verfügt. Nun aber nimmt dies solcherlei Formen an, dass, wenn wir beispielsweise für eine Such- oder Streifaktion Schützenkontingente verschiedener Dörfer versammeln wollen, sich der Erfolg einer solchen Zusammenziehung beständig davon abhängig macht, welche Rivalitäten die Ältesten untereinander haben. Da fehlt dann des Abends beim Antreten schon einmal ein komplettes Kontingent, da sich der verantwortliche Älteste nicht in Konkurrenz zu einem mächtigeren Nachbarn bringen will, dafür erscheint – ungefragt – von jenem Mächtigeren ein Kontingent seiner persönlichen Dorfmiliz, welches die Lücke füllt. Wir machen diplomatische Miene zu jenem sonderbaren Spiel und sind doppelt auf der Hut, denn die Miliz ist noch weniger für ihre Zuverlässigkeit bekannt als die Schutzmannschaften. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir am Morgen feststellen, dass die von uns ausgestellten Feldposten sich kurzerhand schlafen gelegt haben oder gleich nach Hause gegangen sind.
Ich bin nun, da ich etwas mehr Zeit zu meiner persönlichen Verfügung habe, hingegangen und habe etwas unternommen, darüber ich schon geraume Zeit nachgesonnen habe. Ich habe eine Gruppe von Arbeitsdienstlern um mich geschart, denen ich dem persönlichen Anschein nach etwas zutraue und welche über Tüchtigkeit und Erfindungsgeist verfügen, und ich schule sie in jenen Fertigkeiten des Pionierdienstes, welche ich einst meinerseits von Dieter lernen durfte.
Das Schanzwerk und die Grundlagen des Felddienstes beherrschen die Burschen ja bereits, und ich lehre sie das Bezwingen von Hindernissen und Befestigungen, den Gebrauch des Granatbündels und des Grabendolches, das Anpirschen und das Unterkriechen von Drahtsperren, ich lehre sie, eine wahrhaftige Rede zu führen und ihren Waffenstolz zu pflegen. Kurz und gut, ich habe mir meinen eigenen kleinen Pioniersturmtrupp geschaffen, denn ich denke, dass wir ihn brauchen können. Da wir nun einmal solch hervorragende Feldbefestigungen geschaffen haben, so sollten wir auch in der Lage sein, sie wiederzunehmen, im Falle dass sie einmal in die falschen Hände gelangen.
Mein Jörg stimmt mir dabei unumwunden zu und lässt mir freie Hand, und es tut gut, wieder in eigener Verantwortung eine Aufgabe in Angriff nehmen und zu ihrem Erfolge führen zu können. Wir sind schon ein verwegener Haufen bunter Hunde, meine frisch gebackenen Pioniere und ich. Ein jeder von uns hat eine russische Maschinenpistole, und wir unterscheiden uns auch äußerlich in unserer Tracht von den regulären Soldaten und Feldgendarmen, denn wir haben unsere Uniformen nach der Art der Sturmtrupps des Weltkrieges abgeändert, mit ledernen Flicken an Ellenbogen und Knien und Fußwickeln um die Waden statt der üblichen Gamaschen, und unsere Helme haben wir mit farbigen Streifen und Flecken gemalt, der Tarnung wegen.
Meine beiden Ältesten sind Wilfried und Thorsten, beides zuverlässige, lang gediente Arbeitsmänner mit Fronterfahrung aus dem Rheinländischen, die tüchtig zupacken können, dazu kommen noch Johann aus Königsberg, ein ehemaliger Hafenarbeiter, und Albrecht, das Raubein, ein sogenannter Bewährungsschütze, ein ehemaliger Panzerjäger des Heeres, der wegen wiederholter geringfügiger Disziplinlosigkeiten zum Arbeitsdienst versetzt wurde. Auf ihn habe ich ein gewisses Auge, doch hat er mir bisher keinen Anlass zur Klage gegeben – die neue Perspektive scheint ihn bei der Stange zu halten.
Flammenwerfer oder moderne Sprengmittel haben wir keine in unserem Besitz, doch verfügen wir über Panzerfäuste und einige Dynamitbündel, dazu englische Handgranaten und Pistolen, so dass wir insgesamt recht gut ausgerüstet sind, und da wir sonst keine gestickten Abzeichen auftreiben konnten, so haben wir uns halt den Anker der Marine auf den Oberarm genäht, davon wir von unseren Kameraden einige ertauschen konnten, und da wir nun in der Nachbarschaft eines Hafens leben, so finden wir es auf eine gewisse Weise passend. Nun brennen wir natürlich einerseits darauf, uns zu bewähren, andererseits weiß ein jeder von uns, dass eine solche Bewährung nur mit einer gravierenden Verschlechterung der Lage bei uns einhergehen könnte, und somit sind wir auch froh um jeden Tag, den diese Bewährung noch auf sich warten lässt.
Mit den besten Wünschen,
Carl