Philostase
Nummer 39, 426. JahrgangThe Ledbam Academy Courant
Geleitwort des Herausgebers
Nicht oft in der Geschichte unseres Blattes hat sich der Herausgeber an so prominenter Stelle an Sie, meine geschätzten Leser und Leserinnen, gewandt. Was hat mich gerade heute dazu bewogen? Es ist mein tief empfundener Wunsch, Ihnen meine fast schon ekstatische Freude zu vermitteln, Ihnen ein Gespräch mit Professor Loove, dem wohl bedeutendsten Wissenschaftler unseres Millenniums, präsentieren zu können. Kein Medium, ob Funk, Fernsehen oder Presse war bisher in der Lage Ihnen den eminent bedeutungsvollen Inhalt seiner Forschungsergebnisse ohne grobe Entstellungen und Verkürzungen aufzubereiten, geschweige denn die enorme Tragweite seiner Entdeckung auch nur ansatzweise zu vermitteln. Gerade deshalb wünsche ich Ihnen beim Lesen keineswegs Vergnügen, sondern Erkenntnis; nicht wohlwollendes Nicken, sondern den gleichen intellektuellen Schauer, den ich empfand als ich mit Professor Loove sprach.
Sensationeller wissenschaftlicher Durchbruch – Das Exklusivinterview
Mit Professor Loove sprach der Herausgeber persönlich
„Herr Professor, lassen Sie mich Ihnen zunächst dafür danken, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Sie haben, zwar mit grosser Anteilnahme der Öffentlichkeit, aber weitgehend unverstanden, den wohl bedeutendsten Durchbruch in der Geschichte nicht nur der abendländischen, sondern der weltweiten Forschung erzielt. Deshalb ist es für unsere Leser wichtig, aus Ihrem Munde zu erfahren, worum es eigentlich geht.“
„Nun, einerseits in der Tat, ich schäme mich fast ein wenig, das sagen zu müssen, um die Lösung einer jahrhundertelang sowohl in der größten denkbaren Breite, als auch von den Fähigsten unseres Geschlechts erfolglos bearbeiteten Frage, andererseits um ein bestechend einfaches Prinzip, das schon Grundschülern zu vermitteln ist, wenn man es nur richtig beginnt.“
„Sie nennen dieses Prinzip Philostase. Nun ist sicherlich nur ein Teil unserer Leserschaft in der griechischen Sprache bewandert genug, allein aus dieser Benennung auf Ihre bahnbrechende Idee zu schliessen. Worum geht es also?“
„Auf einen kurzen Nenner gebracht: Ich konnte zeigen, dass alle bisherigen zur menschlichen Liebe vorgebrachten Theorien und die seit urdenklichen Zeiten bis zum heutigen Tage dazu verfasste wissenschaftliche und populäre Literatur, schlicht gesagt, völlig falsch lagen. Liebe ist im Gegensatz zur landläufigen Auffassung eine messbare, feste physikalische Größe. Dieser Sachverhalt erlaubt endlich eine verlässliche Planung auf diesem Gebiet, wovon ich die fruchtbarsten gesellschaftlichen Veränderungen erwarte.“
„Mit Verlaub, Herr Professor, dies ist selbst bei Ihrem unangezweifelten Renommee eine sehr selbstbewusste Aussage. Was macht Sie so sicher?“
„Nachdem ich das Prinzip der Philostase einmal entdeckt und, glauben Sie mir das, über Jahre in fast schon manischer Weise auf Schwachstellen und logische Brüche untersucht hatte, habe ich mich schliesslich daran gemacht, es durch penible statistische Auswertungen auf seine Bewährung in der Praxis zu testen.“
„Und auch dabei haben Sie keinerlei Einschränkungen in seiner Gültigkeit vornehmen müssen?“
„Nein, das Prinzip der Philostase hat sich bei jeder einzelnen Frage als notwendig und hinreichend im mathematischen Sinne erwiesen.“
„Sie behaupten also, wie Sie mir im Vorgespräch bereits erläutert haben, im diametralen Gegensatz zu allen geistigen Koryphäen der vergangenen Zeiten, Liebe sei nicht wandelbar, sondern eine genetisch vorgegebene messbare Größe, die einfachen Naturgesetzen folgend der Berechnung zugänglich ist. Möchten Sie versuchen unserer Leserschaft, auch wenn dies ein wenig den Grundsätzen wissenschaftlichen Diskurses widerspricht, anhand von Beispielen zu erläutern, wie dies zu verstehen ist?“
„Gern. Haben Sie sich nicht schon einmal gefragt, warum die Liebe des Ehemannes zu seiner Gattin – ich will gleich hinzufügen: scheinbar - im Laufe der Jahre abnimmt? Nun, ganz einfach, sie bleibt gleich, einmal und für alle Zeiten von seinen Genen vorgegeben, verteilt sich aber auf eine größere Körpermasse. Wenn die Frau bei der Eheschliessung, sagen wir, um die erforderlichen Berechnungen nachvollziehbarer zu gestalten, fünfzig Kilogramm und zum Beobachtungszeitpunkt einhundert Kilogramm wiegt, läßt dies auf einen Rückgang der effektiven Liebe um exakt fünfzig Prozent schliessen. Genau dies zeigen meine statistischen Auswertungen.“
„Wirklich verblüffend. Wenn ich dennoch den Advocatus Diaboli spielen darf: wie erklären Sie dann den Ihrer Theorie zuwiderlaufenden liebesverstärkenden Effekt einer Brustvergrösserung?“
„Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass eine Brustvergrösserung in völliger Übereinstimmung mit meinen Voraussagen tatsächlich die Liebe reduziert. Was aber den bisherigen Beobachtern entgangen ist besteht in der Tatsache, dass diese Eingriffe so gut wie immer mit einer Fettabsaugung verbunden werden. Rechnet man diesen gegenläufigen Effekt ein, stimmt alles fast wieder. Es ist ein leicht unterproportionaler Rückgang der Liebe zu verzeichnen.“
„Herr Professor, ich bin sicher Sie kokettieren nur mit mir. Eine gute Theorie sollte doch exakte und nicht über- oder unterproportionale Ergebnisse liefern?“
„In der Tat, und glücklicherweise ist es auch so. Es gibt einen weiteren Effekt.“
„Das klingt äußerst spannend. Worin besteht dieser Effekt?“
„In der absoluten Menge der Haarsubstanz der geliebten Person. Ich konnte die zunächst auch für mich unerklärlichen Abweichungen auf einen deutlich schwächeren, aber ebenso streng linearen Zusammenhang zurückführen und gleichfalls statistisch absichern.“
„Sie kennen die alte Weisheit, dass jede mathematische Formel die Leserschaft halbiert. Daher möchte ich Sie aus Rücksicht auf unsere Leser und Leserinnen auch an dieser Stelle bitten, ein Beispiel anzuführen.“
„Natürlich. Besonders erhellend ist sicherlich das geläufige Phänomen, dass ein Frisörbesuch der Dame die Liebe des Herrn signifikant steigert. Dies hängt nicht, wie oft vermutet wurde, mit einer meist ins hellere vorgenommenen Veränderung der Haarfarbe, sondern schlicht mit dem Kürzen der Haare und damit der Verringerung der zu berücksichtigenden Haarmasse zusammen.“
„Das leuchtet ein. Doch zurück zu meiner Ausgangsfrage. Wieder glaube ich, Sie werden mir und dem Publikum die Antwort nicht schuldig bleiben, aber: mir ist nicht bekannt, dass zu Schönheitsoperationen Frisöre hinzugezogen werden.“
„Keineswegs. Jedoch zeigt sich auch hier, dass ein eigentlich offenkundiges Faktum auf einen vorbereiteten Geist treffen muss, um nicht übersehen zu werden.“
„Und worin besteht dieses?“
„Für eine Fettabsaugung müssen aus operationstechnischen Gründen die Beine rasiert werden. Und gerade hier sprechen wir in den meisten Fällen von bedeutenden Flächen und somit Haarmengen! Nebenbei bemerkt: auch das isolierte Rasieren der Damenbeine habe ich untersucht. Es zeigt sich eine perfekte Korrelation im Datenmaterial. Sogar die deutlich größere positive Wirkung der Haarentfernung an südländischen Beinen wird zwanglos durch die kräftigere und damit von der Masse her bedeutendere weibliche Behaarung im Mittelmeerraum erklärt.“
„Wirklich phänomenal. Sie haben mich fast überzeugt. Dennoch scheint mir, gerade nach Ihren bisherigen Ausführungen, dass Ihre Theorie zwar für das weibliche Geschlecht atemberaubende Erklärungskraft besitzt, beim männlichen Geschlecht aber doch wohl kaum zutrifft?“
„Sie irren.“
„Inwiefern? Obwohl ich vermeine, Ihren Erläuterungen und dem ihnen unterliegenden beeindruckenden Gedankengebäude bisher gut folgen zu können, will mir nicht einfallen, wie der uns allen geläufige Liebesverlust, der mit dem Lichterwerden des männlichen Haupthaares einhergeht, welches nach Ihrer Theorie aber im Gegenteil zu einer Steigerung der Liebe führen sollte, kompensiert werden könnte.“
„Nichts ist einfacher einzusehen als das. Ein weiteres Mal haben wir es mit den Folgen, verzeihen Sie mir diesen Ausdruck, schlampiger Naturbeobachtung zu tun: Zuallererst ist es die Vermehrung und Verlängerung der Nasenhaare. Dann nicht nur fortschreitend behaartere, sondern sich auch mit zunehmendem Alter teilweise grotesk vergrössernde Ohren, was die Wirkung potenziert. Bei den Augenbrauen das gleiche. Das läppert sich zusammen. Hinsehen, meine Herren, einfach nur hinsehen. Es ist zum Verzweifeln. Es liegt doch alles auf der Hand. Immer schon. Einfach nur hinsehen!“
„Herr Professor, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.“
Interne Mitteilungen
Wegen unvorhergesehener Verzögerungen bei den Umbauarbeiten bleibt es leider auch in dieser Woche bei der eingeschränkten Auswahl an Gerichten in der Kantine.
Ebenfalls im Zusammenhang mit den Umbauten ist es zu einer bedauerlichen Verwechslung gekommen. Wir bitten daher auch an dieser Stelle darum, eventuell in Ärzte- oder Schwesternzimmern oder der Anstaltsdruckerei vorhandene vermeintliche Süssstofftabletten nicht weiter zu verwenden, sondern der Hausapotheke zu übergeben.