[RF] ‚Chili Con Carne‘ hat fünf Silben
Chili Con Carne hat fünf Silben.Streichen wir Carne und nehmen Queso, Käse statt Fleisch für den Antaghar, bleiben es dennoch fünf Silben.
‚Wieso muss ich gerade jetzt daran denken?‘
Seit einiger Zeit betrachte ich die Welt, die mich umgibt, in Silben. In siebzehn Silben, um genau zu sein. In siebzehn Moren, um noch exakter zu werden. Ich zähle mich in kleinen Schritten durch mein Leben.
Chi-Li Con Car-Ne
Eins, zwei, drei, vier, fünf Silben.
Mein Blick wendet sich wieder der Welt vor dem Küchenfenster zu. ‚Es ist kaum noch Laub auf den Bäumen‘, stelle ich fest.
Bun-te Blät-ter im Win-de
Sieben Silben. Aber wieso Wind? Es ist windstill.
Sieben Silben sind gut für eine zweite Zeile. 5-7-5 ist die Silbenfolge, die ich für die drei Kopfzeilen benötige.
Zunächst benötige ich eine Zeile mit fünf Silben. Ich lehne mich zurück und kaue auf meinem Bleistift herum, ohne es zu realisieren. Vielleicht auch nur:
Blät-ter im Wind.
Nein:
Blät-ter im Win-de!
Fünf Silben. Das könnte gehen. Aber auch…
Herbst-bun-te Blät-ter
Das hat mehr Leben und ist im wahrsten Sinne bunter. Ja, ich beschreibe die Welt in Haiku. Das zwingt mich zur Konzentration auf das Wesentliche. Den Regen muss ich ausblenden, wie es Sinn der Haiku ist, alles Unrelevante zu vergessen. In meinen siebzehn Silben findet der Regen nicht statt. Oder doch?
Re-gen pras-selt nie-der.
Nein. Tut er nicht. Es ist kein Prasseln zu hören. Ich schaue auf und lausche. Ein Plätschern? Nein. Regen plätschert nicht. Ebenfalls Fehlanzeige. Zur Erkundung des Regens ziehe ich mich an, gehe ein paar Schritte im Garten auf und ab und lausche. Ein leises Klopfen ist zu vernehmen. Nur passt dieses Klopfen nicht zu den Worten, die ich gerne im Haiku hätte. Aber ich könnte auch ganz auf das Verb verzichten.
Ein Haiku fängt nur Wesentliches ein und bleibt hierbei immer gegenständlich. Die Blätter und deren Farben sind gegenständlich. Der Regen aber auch.
Die Gefühle, die ein Haiku ausdrücken soll, werden nicht niedergeschrieben, sondern beim Leser geweckt.
Chili Con Gaffel
Unsinn. Ich konzentriere mich liebe auf die Farben:
Herbstbunte Blätter
Aber es ist mir noch nicht bunt genug. Ein wenig mehr Betonung, damit auch der blindeste Leser merkt, dass der Reiz in der Variation liegt:
Far-ben-spiel in Rot, Gelb, O-(range)
Eins, zwei drei… neun Silben, acht Moren. O-range hat nur zwei Laute. Schlecht. Also muss ich wieder einkürzen. Was ist mir wichtig? Das Spiel der Farben? Kann ich auf Orange verzichten? Braun statt Orange ginge und spart obendrein eine Silben.
Farbenspiel in Rot, Gelb, Braun
Gold wäre auch schön und stimmungsvoller:
Rot, Gelb, Gold!
Ginge dies auch? Gelb und Gold liegen doch so nahe. Oder eine Metapher für Bonnie Faust: Blond an Stelle von Gelb. Geht nicht! Dann verliert das Haiku die Gegenständlichkeit.
Als verwerfe ich den Gedanken an Bonnie. Oder vielleicht eher Rhabias Haarfarbe (die auf dem Kopf)? Ich muss bei diesem Gedanken schmunzeln. Nun habe ich mich festgelegt:
Farbenspiel in Rot, Braun, Gold
Das Gedicht bekommt Konturen. Nun benötige ich nur noch fünf abschließende Silben. Mein Blick schweift wieder nach draußen. Nachdem der Regen nicht trommeln darf und auch nicht prasselt, nehme ich doch etwas, was viel besser zum Herbst passt: Den Wind.
Warum bescheiden sein? Wenn man Wind säht, erntet man – richtig gesehen – Sturm.
Stürme gehören einfach zum Herbst und zum Drängen in meinem Herzen. Kann man sich gegen den Sturm wehren? Können Blätter widerstehen? Sie werden eher ausweichen; werden zum Spielball:
Spielball der Stürme
Ich lehne mich zufrieden zurück und nehme den Bleistift aus dem Mund. Dann rolle ich ihn zwischen meinen Fingern und notiere drei schnelle Zeilen.
Für ein Haiku brauche ich lediglich dreißig kurze Sekunden:
Herbstbunte Blätter
Farbenspiel in Rot, Braun, Gold
Spielball der Stürme
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Anmerkung 1:
Was gab es bei mir heute zu Essen?
Anmerkung 2:
Kritik wird gerne gelesen, wenn sie denn 17 Silben umfasst.