Tiefseetauchen
Wir hatten uns nur knapp verpasst, ich bin schon fast im Erdgeschoss, als er aus der Wohnungstür kommt. Er geht nach oben, um mich zu holen. Denn er will mich. Es gelüstet ihm nach mir. Ich schnalze mit der Zunge, er hört es und kommt die Treppe herab. Ich sehe seine Beine, seinen Schritt, seine Hände, sein Gesicht. Er steht vor mir und nimmt mir die Luft. Ich sage: Schön dich zu sehen.
Er sagt: Hallo.
Wir küssen uns. Nur so gibt es ein uns.
Wir wollen uns, doch wir haben keinen Platz an dem wir es ungestört und wie zwei Karnickel treiben könnten. Er deutet mit dem Kopf in Richtung Kellertür: Da hinten. Ich bin dabei, er ist so angetörnt von mir es macht mich fast besinnungslos. Ich will ihn, er will mich, ich stöhne seinen Namen, das einzige Mal. Nie wird er meinen sagen. Im Dunkeln betasten wir uns, wir finden auch ohne Licht die richtigen Stellen. Er kommt, ich küsse seine Finger. Ich hatte ihn vermisst.
Wir kommen aus dem Dunkeln gekrochen, ans Licht, kneifen die Augen zusammen, blicken ungläubig um uns. Zumindest ich tue es. Er muss gehen, er fährt wieder zurück, sein Zug geht in ein paar Minuten. Ich küsse ihn noch einmal, laufe ihm hinterher zur Tür.
Er dreht sich um zu mir: Und wo musst du hin?
Nirgends, gebe ich zu. Ich hatte vorher gelogen um mich rar zu machen. Er will nicht, dass ich ihm folge.
Ich gehe woanders hin, sage ich beschwichtigend.
Nacheinander treten wir aus der Haustür, ich blicke ihn an, er mich, dann sehen seine Augen an mir vorbei eine andere an, die ihm entgegen kommt. Ich folge seinem Blick und schon habe ich ihn aus den Augen verloren. Als ich mich wieder zu ihm umdrehe, ist er bereits kleiner geworden und läuft aus meiner Welt.
Ich bin wie ein Tiefseetaucher, unter dem Ozean, ohne Gehör, ohne Sicht, taste ich mich auf dem Meeresgrund voran. Meine Füße laufen, doch ich weiß nicht wohin, ich bin benommen. Die Menschen gleiten wie Fische an mir vorbei, ihre kalten, leeren Augen starren mich an, die Stadt liegt unter Wasser. Tausend Tonnen Tief. Das Gewicht zerdrückt meine Lungen, presst die Luft aus ihnen heraus. Ich ringe nach Atem, doch hier gibt es keinen Sauerstoff.
Im Supermarkt erwache ich aus meiner Trance, ich stehe vor dem Kaffeeregal, suche nach Espresso. Meine Hände greifen nach den schwarzen, glatten Packungen. Ich halte zwei im Arm wie kleine, schwarze Kätzchen. Ich streichle über die beiden Kartons aus beschichteter Pappe, zärtlich befühle ich die glänzende Oberfläche. Mein Ersatz für Mr. Hyde.
Ich schicke ihm noch eine sms hinterher. Ich will ihn irgendwie erreichen, irgendetwas von mir soll an ihm haften bleiben. Ich will ihm sagen, dass ich ihn vermisse, dass er mir wichtig ist, dass ich ihn liebe.
'Ich kann immer noch deinen Schwanz in mir fühlen.' Ich weiß, alles andere straft er mit Verachtung.