Im Harem geht es weiter ;-)
Jetzt mussten sie nur noch die Dunkelheit abwarten, was sich in dieser Gegend als problematisch erweisen mochte, denn es gab nur wenig Raum für Deckung, wollten sie nicht gleich in den Wald vordringen. Langsam schritt Ulf auf der Verkehrsinsel herum, begutachtete die Mülleimer und tat alles in allem so, als würde er auf den nächsten Bus warten. Fritz dahingehend konnte kaum an sich halten, nervös saugte er an der Unterlippe und nestelte an seiner Kleidung. Er wollte unbedingt, dass es weiterging, weg von der Straße, oder wenigstens Informationen. Schon begann er wieder mit Fragen, da trat Ulf zu ihm und fragte: „Magst du auch?“ Damit nötigte er ihm eine Zigarette auf und zündete sich selbst ebenfalls eine an. Rauchend ging er zum Wartehaus und setzte sich auf die einzige Bank. Zögernd folgte ihm Fritz. Mit geschlossenen Augen inhalierte Ulf und es sah so aus, als würde er oft diese Rauchpausen brauchen und sie auch genießen. Scheinbar träge blinzelte er in die Sonne, ein fauler Müllarbeiter, der seinen Arbeitstag verstreichen ließ. Da fuhr abermals ein Bus ein. Mehrere Fahrgäste stiegen aus und schauten sie wütend an, denn sie blockierten die Bank, schlimmer noch sie war jetzt unrein. „Raus hier!“, befahl der Busfahrer streng, der zornig und heftig gestikulierend auf sie zugelaufen kam. Ulf grinste verhalten und meinte schon im Aufstehen begriffen: „Klar Chef, sind schon weg. Nur ne Rauchpause.“„Elendes arbeitsscheues Gesindel, mit euch Dhimmipack sollte man abfahren, wenn ihr nicht gehorcht!“ Da musste sich Ulf allerdings schwer beherrschen, um dem Mann nicht ins Gesicht zu schlagen. Er schaffte es sogar, Fritz ohne Aufsehen zu erregen, aus dem Wartehäuschen zu schaffen, als er selbst meinte, gleich zu explodieren, denn der Busfahrer lief ihnen nach, wobei er noch einige Beschimpfungen loswurde und ihm einen Schlag mit der Kelle verpasste. Ulf ignorierte das, biss die Zähne zusammen und atmete tief durch, dann zog er Fritz mit sich weiter die Straße entlang. Es hatte keinen Zweck, die Tarnung zu gefährden, schon gar nicht wegen einer unbedeutenden Beleidigung. ‚Verdammte Konvertiten, die sind die schlimmsten’, dachte er trotzdem ärgerlich. ‚Man sollte sie allesamt in der Donau versenken.’
Nur langsam verstrich die Zeit. Innerhalb einer Stunde hatten sie den Kern der kleinen Ortschaft am Rande Viyannas umrundet, waren im Park gewesen und an der Donau. Sie hatten das Schloss gesehen und waren wieder gegangen. Dann besuchten sie abermals den Park und Ulf bückte sich eben nach einem Pappbecher, da blickte er auf blankpolierte Stiefel. ‚Scheiße’, war das erste, das er dachte, dann schaute er auf und zum Glück war es kein richtiger Polizist, sondern jemand vom Ordnungsamt, der sich wichtig machen wollte. ‚Diese Typen sind eine verdammte Pest’, dachte er angewidert und lächelte freundlich. „Was macht ihr hier?“, fragte der Beamte unwirsch. Ulf lächelte gezwungen, er war ein guter Schauspieler, wenn es darauf ankam, hob die Arme in einer entschuldigenden Geste und zeigte auf den Müll in einem Beutel, den er am Gürtel trug. „Ah so. Aber wir haben unsere eigenen Leute. Da muss ein Irrtum vorliegen. Kehrt in die Stadt zurück.“
„Sicher, Chef, sobald wir hier fertig sind. Wir sind auf Anweisung des Magistrats hier“, antwortete Ulf, wobei er sich erneut bückte und einen Zigarettenstummel aufhob, den er vorher schon vorsorglich fallen gelassen hatte. Eben wollte der Ordnungshüter zu diskutieren beginnen, da lenkte Ulf ein: „Chef, wenn wir zu früh wieder im Department sind, dann bekommen wir Ärger, wo wir doch nur unseren Auftrag ausführen.“ Dabei blickte er betreten zu Boden und tat so als würde ihm diese Peinlichkeit, am falschen Ort zu arbeiten, ständig passieren. „Na schön, dann will ich mal Gnade walten lassen und melde euch nicht, wenn ihr euch hier heraußen einen schönen Tag machen wollt. Aber vor Dunkelwerden seid ihr weg und nie wieder will ich euch hier sehen.“
„Sicher Chef, danke Chef“, murmelte Ulf devot und verbeugte sich. Dann überlegte er, dass es höchste Zeit war, von der Bildfläche zu verschwinden. Er blickte auf und berechnete rasch die Zeit bis zum Sonnenuntergang. Eine Weile würden sie noch aushalten müssen.
Müßig zündete er sich eine weitere Zigarette an, reichte auch Fritz eine, und dann schlenderte er rauchend durch den Park und machte wieder einmal Pause. Es war die effektivste Art, unsichtbar zu sein, sich möglichst sichtbar zu geben. Jeder Passant sah nur einen rauchenden orangeroten Overall, aber keiner würde sich an sein Gesicht erinnern. So ließ er die Zeit verstreichen und als die Dämmerung tiefer zog, wurde er ein wenig lebendiger. Kaum merklich beschleunigte er seinen Schritt und genervt folgte ihm Fritz. Er hatte noch so viele Fragen aber er wagte es nicht, eine zu stellen, denn seit Stunden benahm sich Ulf sehr eigenartig. Schaute immer wieder zum Himmel hinauf, rauchte und sammelte Müll ein. Dabei kamen sie stetig vorwärts und waren mittlerweile außerhalb des Siedlungsgebiets in einem kleinen Waldgebiet angelangt. Ulf summte leise vor sich hin und es hörte sich nicht an wie ein Lied, welches die herrschende Kaste goutieren würde. So kam Fritz endlich dazu, das alte Kampflied einmal ganz zu hören. Bald sang auch er mit: „Wir sind des Kreuzers weißer Haufen, heia hoho, und wollen mit den Musels raufen, heia hoho. Spieß voran, flieht voll Schmach, wir holen euren Sichelmond vom Dach. Spieß voran, flieht voll Schmach, wir holen euren Sichelmond vom Dach.“ Eine Weile sang er noch so dahin, dann wurde es ihm zu langweilig und er beobachtete erneut die Gegend und schätzte die Zeit bis zum Sonnenuntergang. Lange würde es nicht mehr dauern. Endlich war es so weit und er wandte sich dem großen, hell erleuchteten Gebäude zu. „Schloss Laudon“, verkündete er und grinste vielsagend. „Unser Ziel, das sicherste Haus auf viele Kilometer im Umkreis.“ Fritz schauderte noch mehr, denn das Schloss gehörte niemand geringerem als dem Minister für innere Angelegenheiten und Leiter des Heeresnachrichtendienstes Wesir Harim Öztürk. „Das nennst du sicher?“ fragte er sogleich erbost, aber Ulf antwortete nicht, sondern ging gleich weiter. Er musste den versteckten Eingang finden, das Zeichen, welches auf die Sicherheit des Weges hinwies. Konzentriert schlich er sich an den Hintereingang heran und wartete bis Fritz aufgeholt hatte. Ulf tastete das Mauerwerk ab. Nur ab und zu ließ er die Taschenlampe aufleuchten und ihr Schein enthüllte eine etwa zwei Meter hohe, sehr glatte Wand, die mit Stacheldraht gekrönt war. In unregelmäßigen Abständen waren Kameras angebracht und bewegungssensitive Scheinwerfer waren gut zu erkennen. Etwas anderes als Probleme hatte Ulf auch nicht erwartet und er hoffte, dass die sich nicht zu wirklichen Schwierigkeiten auswachsen würden. Langsam schlichen sie weiter durch das hohe Gras und versuchten nicht in den Suchkreis eines Scheinwerfers zu geraten.
„Achtung, hier könnten gleich einige Überraschungen auftauchen. Bleib wo du bist und lass mich mal vorgehen“, flüsterte Ulf. Vorsichtig schritt er im Schein der Taschenlampe dahin, dann sah er endlich das Zeichen, welches auf die gesicherte Tür hinwies. Nur der Gefahrenhinweis gefiel ihm gar nicht. Die Donau führte Hochwasser, also war dir Tür nicht so ohne weiteres zu erreichen. Verstimmt blickte er sich um und winkte dann Fritz. Es half nichts, hier auf bessere Zeiten zu warten war ein größeres Risiko als ein Tauchgang in der Dunkelheit. Diese Tür war ohnehin nie einfach zu erreichen aber bei Hochwasser war es fast unmöglich. Sicherheitshalber zog sich Ulf aus, steckte die P80 mitsamt einem Ersatzmagazin in einen wasserdichten Beutel, den er am Gürtel befestigte, anschließend packte er alle ihre Sachen in zwei große Müllbeutel, da würden sie trocken bleiben und es konnte nichts gefunden werden. Ihn fröstelte in der Unterwäsche und er wusste, im Wasser würde es noch kälter werden. Er zögerte nicht länger und schritt in die dunklen Fluten. Es dauerte nicht lange und das Wasser ging ihm bis zum Hals und er musste schwimmen. Nach etlichen hundert Metern, ihm kam es wie Kilometer vor, sah er die Markierung an der Mauer auftauchen. Er war froh, dass sie über der Hochwassermarkierung lag, denn die tatsächliche Tür war noch unter Wasser. Im Schein seiner Taschenlampe erkannte er den Öffnungsmechanismus, dann musste er tauchen. Das einströmende Wasser zog ihn beinahe durch die Öffnung und beinahe hätte es ihn gegen die Mauer gedrückt. Gerade noch schaffte er es in den Gang und ohne Verletzungen ans Ende zu gelangen. Von hier aus ging es steil nach oben, einen ehemaligen Kamin hoch. Es war dunkel und eng und er musste sich beeilen wenn er nicht ertrinken wollte. Immer wieder stieß er mit den Füßen oder den Händen an den Wänden an und dann tauchte er endlich auf. Die Sprossen der Leiter fand er beim zweiten Anlauf und sofort begann er sie zu ersteigen. Es war zum Glück nicht weit und der alte Schacht endete in einem niedrigen Gang. „Wir sind gleich da, Freund. Komm, ein Stück noch“, sagte er unerwartet freundlich, als Fritz auftauchte. Dann schaltete er die Taschenlampe wieder ein und rannte vorwärts. Sie waren hier in dem ältesten noch erhaltenen Teil des Schlosses, der aus einer Zeit datiert war, welchen man einmal 18. Jahrhundert genannt hatte. Alles andere war in der Zeit der Großen Erhebung vernichtet worden. Die Vorfahren von Wesir Öztürk hatten die Ruine erbeutet, renoviert und für ihre Zwecke neu eingerichtet. Es war nun so eine Art Lustschloss für den Wesir und diente ab und zu auch repräsentativen Zwecken.
Seit Stunden fühlte sich Fritz unter Schock stehen und keine Minute brachte ihm Beruhigung, er dachte, gleich müsste er aus der Haut fahren, zusammenbrechen oder sonst etwas drastisches unternehmen, um sich Erleichterung zu verschaffen. Doch jedes Mal, wenn er etwas sagen wollte, erwiderte Ulf: „Gleich, Fritz. Sei ruhig, ich muss mich konzentrieren.“
Aber er sah, dass Ulf ebenso verfroren und müde aussah wie er selbst, also schwieg er und verbiss sich jede Bemerkung.
Der Gang führte aufwärts, war schmal und niedrig, sodass sie einen Teil gebückt laufen mussten, dennoch dauerte es nicht lange und sie stießen an eine weitere Tür, die schon ein Stockwerk höher als das Kellerverlies lag, wie Ulf den Durchgang zu nennen pflegte. Bislang war ihnen das Glück zur Seite gestanden und er hoffte inständig, dass es so blieb. Er atmete tief durch, sammelte sich und dachte angestrengt an den Morsecode, den er vor Jahren einmal gelernt hatte und dann nur wenige Male gebraucht hatte. Dann klopfte er sein Zeichen auf das Holz. Lange Minuten mussten sie warten und er wiederholte das Klopfsignal. Dann endlich hörten sie eine Antwort. Ulf atmete erleichtert aus und gab ein anderes Zeichen durch. Erst danach öffnete sich die Tür ein Spaltbreit und sie sahen in ein erstaunt blickendes, männliches Gesicht. „Ich hoffte, dich noch einmal zu sehen, Ulf. Und nicht nur ich“, sagte er wobei er die durchfrorenen Männer sogleich durchwinkte und ihnen Decken reichte. „Danke, David. Ist Emma da?“
„Ja. Was ist mit ihm?“ Er deutete mit dem Kopf auf Fritz, der sich in die Decke gewickelt hatte, als ginge es ums Überleben. „Ein Freund. Ich bürge für ihn“, war die knappe Erwiderung. „Gut, folgt mir.“ David ging vorneweg eine schmale Stiege empor, dann durch eine Tür, die in ein behaglich eingerichtetes Zimmer führte. Es war eine Art Hinterzimmer zum Haremsbereich und die Zugänge waren gut getarnt. Emma hatte im gesamten Schloss gute Arbeit geleistet, dachte Ulf anerkennend.
„Hier könnt ihr euch ausruhen und aufwärmen. Ich werde mich beeilen.“ David deutete auf eine Bank und verließ umgehend den Raum, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Tapetentür unsichtbar und gut verriegelt war.
„Ich bin froh, hier zu sein“, murmelte Ulf und streckte sich müde auf der Bank aus. „Na, ich weiß nicht. Du weißt, wem das Haus hier gehört?“
„Natürlich“, das Grinsen in Ulfs Gesicht wurde breiter. „Welch besseres Versteck könntest du dir vorstellen?“ Er wartete eine Weile, dann meinte er heiter: „Gib es zu, es gibt keines.“ Dann wickelte er sich fester in die Decke und schloss einen Moment die Augen. Er war so müde wie seit seiner großen Forschungsfahrt durch Europa nicht mehr. In den vergangenen Tagen hatte er nie mehr als zwei Stunden am Stück geschlafen und langsam machte sich die Erschöpfung bemerkbar, er wurde zunehmend reizbar und unkonzentriert.
Doch noch ehe die Tür aufging und David sie abholte, stand er bereits lauschend da, die P80 schussbereit in der Hand. Das Haus galt zwar als sicher, aber Ulf wollte sich auch hier einen Rückweg offen halten. Endlich hörte er, wie sich jemand an der Tür zu schaffen machte und er positionierte sich so, dass er bei Gefahr schießen konnte. Er entspannte sich erst, als er David erkannte und packte die nun gesicherte Waffe wieder weg.
„Kommt mit“, meinte der Diener feierlich und ging vorneweg. „Wird auch höchste Zeit“, murmelte Fritz, aber gerade leise genug, damit niemand reagieren musste.
Einen schmalen Gang gingen sie entlang, der nur von einer einzigen Glühbirne erhellt wurde, an seinem Ende befand sich abermals eine kaum sichtbare Tapetentür und da durch führte sie David nun.
Es war als kämen sie in eine andere Welt. Hier herrschten Luxus und Überfluss. Die Möbel gediegen und teuer, strahlten barocke Eleganz aus aber das wirklich faszinierende war die Person, die an einer Seite des Raumes vor einem Spiegeltisch thronte. Fritz fand, er hätte noch nie so eine bezaubernde Frau gesehen. Selbstbewusst saß sie in einem Hauch von Nichts vor dem Spiegel und kämmte sich das lange blonde Haar.
„Emma“, sagte Ulf nur. Er achtete nicht mehr auf Fritz oder David. Nun stand sie auf und schritt auf ihn zu. Zur Begrüßung umarmte sie ihn. „Schön dich zu sehen, Ulf. Nach dem Vergeltungsschlag unter Sankt Stephan dachte ich nicht mehr, dich jemals wiederzusehen. Bei Livia wäre ich mir dagegen fast sicher gewesen. Wo ist sie? Hat sie …?“
„Alles zu seiner Zeit, Emma. Was wir brauchen ist etwas Ruhe und trockene Sachen.“
„Natürlich. Wie ungastlich von mir, zuerst ein Bad, das ist am vordringlichsten, will mir scheinen.“ Ein Lächeln stahl sich um ihre Lippen und sie klatschte gebieterisch in die Hände. Umgehend erschien David. „Was kann ich …?“
„Such für Ulfs Gast ein Zimmerchen und dann sieh zu, dass wir hier nicht gestört werden. Besorge ihm auch Erfrischungen und vielleicht wünscht er ein Bad … Frag ihn einfach. Und schick Diana und Myra her.“
„Wird erledigt.“ Dann wandte er sich an Fritz, der noch immer staunend und frierend in der Mitte des Raums stand, und meinte: „Komm mit.“ Zögernd ließ sich Fritz aus dem hell erleuchteten Raum führen, der nur durch die Präsenz der Frau übervoll zu sein schien, denn außer dem Bett, einem Diwan mit Couchtisch, dem Spiegeltisch und einem Hocker davor, war er leer.
„Ich bringe dich jetzt mal ins Bad. Du siehst reichlich verfroren aus und sei mir nicht böse, du stinkst.“
„Kein Wunder, wo ich mich aufgehalten habe, danke für das Bad. Kommst du mit? Dann können wir gleich ein wenig reden.“ Doch sie schüttelte verneinend den Kopf. „Ich sorge hier für Ruhe. Lass dir Zeit, Ulf und genieße den Luxus, wenn du willst helfen dir Myra oder Diana oder beide.“ Er zog die Schultern hoch und ließ sie ergeben wieder fallen. Das hier war ihr Reich, es galten ihre Regeln. „Dann lieber allein. Deine Gänschen sind zwar recht nett, aber du kennst mich ja, ich gebe mich selten mit der zweiten Wahl zufrieden.“ Er grinste mehrdeutig und verschwand rasch ins Bad, das ebenso gediegen eingerichtet war wie das Schlafzimmer. Dankbar entfernte er die nasse Kleidung, die von einer der jungen Damen geholt wurde, und stellte sich unter die Dampfdusche. Es war angenehm wieder warm zu werden und es schien ihm als würde die Müdigkeit mit dem Wasser weggespült. Einige Minuten genoss er das Gefühl, dann stieg er heraus und wickelte sich in ein flauschiges, angewärmtes Badetuch. Angenehm erfrischt und hungrig ging er zurück ins Schlafzimmer. Emma hatte hier Ordnung schaffen lassen, das Bett sah frisch bezogen aus, was Ulf freute, denn in einem Bett, wo sie sich vorher mit einem anderen mehr oder weniger amüsiert hatte, wollte er nicht so gerne übernachten. Auch hatte sie für Essen gesorgt und nun trat sie ihm mit einem Glas Apfelsaft entgegen. Sie selbst trug immer noch diesen Hauch von schwarzer Spitze. Es schien sie nicht im Mindesten zu stören, dass sie wie die personifizierte Sünde aussah, im Gegenteil, ihre Bewegungen deuteten darauf hin, dass sie das Schauspiel genoss, denn ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen als sie ihn anblickte.
„Tut mir Leid, wir haben hier nur alkoholfreie Getränke“, meinte sie entschuldigend. Dankbar nahm er das Glas und erst als er ausgetrunken hatte, antwortete er: „Das macht nichts. Es ist ohnehin besser, nüchtern zu bleiben.“ Er schaute sie an, doch sie drehte sich um und ging zum Bett. Bequem nahm sie darauf Platz und bedeutete ihm, sich zu ihr zu setzen. Zögernd trat er näher und blieb dann vor ihr stehen. „Was ist, Ulf? Sagst du mir jetzt was genau passiert ist? Ich weiß nur von den Lügen, welche Harim mir erzählt hat. Aber eines weiß ich ganz bestimmt, Livia, sollte sie noch leben, ist eine elende kleine Spionin, eine Verräterin der Sonderklasse, von Harims Leuten ausgebildet. Über Simineon brauchst du nicht nachzudenken, der war in meinen Augen ein Vollidiot, gutmütig und blind.“ Ihre Augen wurden schmal als sie redete und dann merkte sie, wie Ulf erleichtert ausatmete. „Was ist passiert?“, fragte sie interessiert. Einladend reichte sie ihm die Hand und diesmal setzte er sich neben sie. Sein Oberschenkel berührte dabei ihren und einen Moment schaute er sie an. Dann lächelte er leicht und berichtete ruhig und gefasst, was sich seit dem Überfall auf die Versammlung in den Katakomben zugetragen hatte, auch wie er Livia beseitigen musste, berichtete er. Emma schien nicht sonderlich überrascht zu sein. Einiges davon hatte sie auf ihrem üblichen Weg erfahren, anderes hatte sie erraten. Als er endlich fertig war, bediente sie ihn mit Erfrischungen, die David oder ein anderer seiner Zunft unbemerkt serviert hatte. „Die Eunuchen sind auf unserer Seite, denn keiner von ihnen ist es freiwillig geworden. Harim ist zwar nicht blöd, aber er unterschätzt seine Diener und uns Haremsdamen sowieso. Du hättest ihn heute erleben sollen. Wenn der dich findet, dann macht er haram Hackfleisch aus dir und verfüttert dich an die Fische. Er war so zornig, ist richtig gehend die Wände hochgegangen, weil du mit deiner klitzekleinen Aktion zehn Männer seiner Eliteeinheit auf einen Schlag erwischt hast. Wie viel Polizisten noch getötet oder verletzt wurden, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall ist das Haus komplett eingestürzt und man ist noch immer dabei, die Trümmer wegzuräumen und nach Opfern zu suchen“, erzählte sie. „In den Nachrichten war die Rede von einem gezielten Anschlag aber Harim weiß was läuft, er weiß nur nicht, bei wem er den Hebel ansetzen muss. Er ist regelrecht im Blutrausch und lässt alle Kuffar überprüfen. Alle Verdächtigen werden verhört, gefoltert oder hingerichtet. In der Stadt geht der Spruch: Wer nicht konvertiert, verliert.“ Sie schaute ihn an, dann atmete sie tief ein und wieder aus und ein Lächeln kam hinter ihren ernsten Worten hervor als sie weiterredete: „Was für ein Husarenstück, dass du gerade hierher kommst. Gut, dass du nicht markiert bist und er deinen Namen nicht kennt.“ Ulf hörte schweigend zu und aß. Erst als er alles aufgegessen hatte, schaute er Emma an. Ihr Gesicht war noch immer von makelloser Schönheit, so wie er es in Erinnerung hatte, als er sie das erste Mal in Zürich bei ihren Eltern getroffen hatte. Damals hatte er noch nichts davon gewusst, dass sie sich dem Geheimdienst verpflichtet hatte und sich in hohe Kreise einschleusen lassen wollte. Nun war sie hier und lebte ein sehr luxuriöses und mehr als gefährliches Leben. Jetzt fielen ihm einige Fältchen auf, die sich in ihre sonst so feine und sehr helle Haut gegraben hatten. Zart nahm er ihr Gesicht in die Hände und streichelte ihre Wangen. „Da habe ich ja ganze Arbeit geleistet“, sagte er schließlich und fragte dann ganz unvermittelt und für ihn ungewohnt liebenswürdig: „Wie ist es dir ergangen?“
„Gut genug, wenn ich an andere denke. Ich wusste von Anfang an worauf ich mich einlasse, also lass bitte die Fragen.“ Ihre Stimme klang müde als hätte sie sich einen Moment nicht in der Gewalt gehabt. Dann lächelte sie und ein anderer Mensch schien neben ihm zu sitzen. Nun erkannte er ihr Talent, mit dem sie den Innenminister und noch einige andere Männer betörte und um ihre Geheimnisse brachte.
Einer plötzlichen Eingebung folgend fragte sie: „Magst du heute Nacht hier verbringen oder soll ich dich zu deinem Freund führen lassen?“ Es kostete ihn keine Überlegung, und trotzdem wartete er mit einer Antwort, die aus einem Lächeln bestand, dann legte er sich zurück, umschlang ihre Taille mit den Beinen und zog sie zu sich. „Ich bleibe. Wer weiß, wann ich wieder Gelegenheit habe, mit dir allein zu sein.“
„Eine weise Wahl, mein Lieber“, meinte sie verhalten grinsend. Dann verschloss er ihren Mund mit meinem leidenschaftlichen Kuss in dem nichts mehr von der Müdigkeit zu kennen war, die er noch vor wenigen Minuten gefühlt hatte.