Feuerschlund
Ich habe einige Anfragen zu "Schutzengel" (Kurzgeschichten: Schutzengel (anders als erwartet))
erhalten, wer denn Bardo sei etc. . Wie ich schon sagte, ist es eine Geschichte aus einem Fantasyroman, der zu zwei Dritteln fertig ist. Natürlich kann ich das hier nicht komplett einstellen, aber zumindest den unmittelbar davor liegenden Teil kann ich hier einmal kurz als Wochenendlektüre schreiben.
Viel Spaß
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Im gleichen Moment, in dem der König die Schriftrolle fallen ließ und in die Knie brach, spürte Bardo das Echo des Schlages, mit dem Theodoran das Blut des Königs zum Kochen brachte. Kein Angriff war zu sehen, alle standen nur stumm vor Entsetzen und sahen zu, wie der König sich vor Schmerzen krümmend, am Boden wälzte. Er schaute zu Theodoran dem Magier und sah ihn stocksteif stehen, wie jemand, der konzentriert über etwas nachdenkt. Während er sich verzweifelt bemühte, den Überblick über die zur Hilfe herbeieilenden Verwandten und ihr Tun zu behalten, brach auch die neben dem König kniende Königin zusammen und begann laut zu schreien. Der Hauptmann der Garde blickte wie hypnotisiert auf das sich vor seinen Augen abspielende unglaubliche Geschehen und war völlig hilflos. So entging ihm, wie hinter seinem Rücken Theodoran’s Mann ganz dicht an ihn herantrat, als ob er besser die Vorgänge um den König beobachten wollte und ihm dabei aus nächster Nähe einen Dolch unter das linke Schulterblatt rammte.
Aus den Augenwinkeln sah Bardo den Offizier zusammenbrechen, hatte aber keine Zeit, sich darum zu kümmern, denn irgendetwas sagte ihm, wo die Ursache dieses Chaos zu suchen war. Mittlerweile schlugen Flammen aus dem sich am Boden in namenloser Qual wälzenden König, die Königin war bereits bewusstlos geworden und alle Verwandten des Königs wälzten sich ebenfalls laut schreiend am Boden. Im Saal brach Chaos aus, die meisten Gäste flüchteten in Richtung Tür, sich dabei gegenseitig behindernd und nur einige wenige harrten aus und verfolgten gebannt das Drama, dass sich hier abspielte. Doch einer stand noch immer auf seinem Platz, völlig bewegungslos, den Kopf gesenkt, den Rücken gekrümmt und die Arme auf seinen Knotenstock gestützt – Theodoran der Magier.
Alles das spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab, doch diese Sekunden kamen Bardo vor wie eine Ewigkeit. Er stand einen Meter hinter dem mittlerweile lichterloh brennenden Körper des Königs und seine Nase füllte sich wieder mit dem Gestank brennenden Fleisches. Er wusste, wer der Verursacher war und wollte seine Waffe ziehen und zu Theodoran stürmen, der noch immer völlig bewegungslos dastand, doch der Befehl seines Gehirns kam nie bei den Muskeln an. Genau in diesem Moment änderte Theodoran ein klein wenig seine Körperhaltung und mit Bardo geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Er spürte einen Schlag in die Magengrube, in dessen Folge sich Hitze in seinem ganzen Körper ausbreitete und gleichzeitig wurden alle seine Muskeln blockiert. Seit dem Moment, an dem ihm die Erinnerung wieder gekommen war, wusste Bardo, was hier passierte, doch er hatte alles, was damit zusammenhing, ganz tief in sich vergraben. Fünfzehn Jahre hatte es in den Tiefen seines Unterbewusstseins geschlummert und sollte niemals wieder an die Oberfläche kommen.
Würde er sich Theodoran mit der ganzen Macht seiner Kräfte stellen, wäre das Ergebnis noch viel schlimmer, als der Magier es sich in seinen kühnsten Träumen vorstellte. Nur ein Rauchpilz würde von dem Palast und seinen Bewohnern bleiben, ein Rauchpilz, der viele hundert Kilometer weit zu sehen wäre…
Bardo del Ljiores kämpfte verzweifelt einen einsamen Kampf, gegen die Blockierung seiner Muskeln und die Hitze in seinem Körper auf der einen Seite und gegen die Kräfte in seinem Innern, die mit Macht aus dem Kerker, in den er sie für immer eingesperrt glaubte, herauswollten. Genau in diesem Moment, als der König aufhörte, sich zu bewegen und das Feuer in Bardo drohte, ihn zu verbrennen, ertönte im Saal der Klang einer weiblichen Stimme. Sie sang und es war ein hoher, kristallklarer Ton, in einer Reinheit, wie ihn eigentlich keine menschliche Stimme hervorbringen konnte. Sie ließ in Bardo die Bilder einer längst untergegangenen Epoche erstehen. Er sah, wie das Monster von Aristophanes in der Nacht in das Zelt von Xerxes schlich und ihm die Kehle zerfetzte, spürte die Nägel in seinen Füßen, mit denen Spartacus, von den eigenen Freunden verraten, ans Kreuz genagelt wurde und er sah eine junge Erde im Licht einer gelben Sonne Leben zu gebären. Das Lied erzählte von einer wunderbaren Welt und dem Stolz, in ihr Mensch zu sein. Es war wie ein feiner, silberner Strahl aus Mondlicht und er zauberte auf die Netzhaut seiner Augen das Bild einer Wiese im Frühling, über der Schmetterlinge tanzen.
Der Mondstrahl zertrümmerte die Ketten, die Bardo hielten und so entfesselte er das Monster in seinem Innern. Wie ein wildes Tier zerfetzte das sich von ihm ausbreitende LEERCK den Söldner des Magiers in seinem Rücken, ließ seine Adern im überkochenden Blut förmlich explodieren und wendete sich noch im selben Moment Theodoran dem Magier zu.
Für einen Augenblick schien es, als wären hier ebenbürtige Kräfte aufeinander getroffen, doch so sah es nur ganz kurz aus. Dann brach Theodoran in die Knie, sein Knotenstab begann zu brennen, danach seine Beinkleider, bis das Feuer ihn selbst erfasste und er in einer Flammensäule verschwand.
Doch das war noch nicht das Ende, denn das in Theodoran’s Körper gespeicherte Leerck wirkte wie ein Katalysator und hatte den Hunger des Ungeheuers erst richtig entfacht. Die Energie, die Bardo entfesselt hatte, wurde zu einem gigantischen Feuerschlund. Blitzartig breitete sich die Flammenwand jetzt aus, sprang von einem Körper zum nächsten, verzehrte in Sekundenbruchteilen alles Brennbare in der Halle und als es nichts mehr fand, was es hätte verschlingen können, begann die Flamme, als wäre sie ein lebendes Wesen, an den Wänden emporzusteigen und die Balken der hölzernen Dachkonstruktion aufzufressen.
Verzweifelt bemühte sich Bardo, der als einziger in diesem Inferno noch auf den Füßen stand, die Energie wieder in sich zu verschließen, doch es war zu spät. Er war ihrer nicht mehr Herr, wie er es nie wirklich gewesen war. So konnte er nur hilflos dem Wüten der von ihm entfesselten Kräfte zusehen und darauf warten, dass sie auch ihn verschlangen.
Doch das seines Halts beraubte Dach war schneller als das Feuer. Mit einem gewaltigen Krachen barsten die letzten, vom Feuer noch nicht verschlungenen Dachsparren und die gesamte Dachkonstruktion stürzte in den Innenraum, alles, was noch keine Beute der Flammen geworden war, unter sich begrabend. Noch immer hörte Bardo diese wunderschöne, überirdisch klingende Stimme und es war, als wollte sie an seiner Seite bleiben bis zum letzten Moment. Dieser trat schnell ein, denn das herabstürzende Dach begrub in diesem Moment auch Bardo unter sich.
So sah er nicht mehr, wie sich die einzelnen Flammenherde zu einer riesigen, weißblauen Fackel vereinigten und mit einem gewaltigen Zischen als gigantische Feuersäule in den Himmel rasten, um dort als weithin im All sichtbares Leuchtfeuer über der Erde zu stehen. Doch bevor das Feuer die Wolken durchschlagen konnte, wurde es von einer gewaltigen Kraft auseinandergerissen und verlosch so plötzlich, wie es sich gebildet hatte. Alles was davon übrig blieb, war ein gigantischer Pilz aus Rauch, der viele hundert Kilometer weit zu sehen sein musste….