Max und Moritz
Max und MoritzGott, hoch oben, hält sich die Ohren zu, und damit die Hände frei bleiben greift er zu Ohrstöpseln.
„Ich kann es nicht mehr hören. Dieses Gejammer wegen Nichtgewolltsein und Nichtdaseindürfen. Ich hab’s satt. Es gibt doch Leute, die sind mit nix zufrieden. Ständig haben die was zu meckern, ständig irgendwelche Ausreden um nicht das zu tun, was sie sollen, wozu sie da sind: Leben!!! Einfach nur leben, ausleben, was in ihnen steckt.“
„Und der da ist der Schlimmste.“ Gott wirft einen wütenden Blick nach Europa.
Dieser zornige Blick trifft, wie kann’s anders sein: den Heinrich.
„Dem werd ich jetzt mal endgültig klar machen, dass es keinen Grund zum Heulen gibt, dass die Geschichten aus der Kindheit passé sind. Der Mann hat doch alles, um sich auszuleben, um Spass und Erfolg zu haben.“
Er überlegt, was es geben könnte, dieses miesmachende Grundgefühl beim Heinrich zu ändern. Seine Lösung lautet: Ein Wunder muß her. Ein Wunder, dass dem Heinrich die Gewissheit gibt: „Ich bin gewollt.“
Er weiß auch schon, wie’s gehen soll.
Er ruft nach Max und Moritz.
Die Beiden eilen herbei. Es sind zwei Engel, die noch einen Job zu erledigen haben, bevor sie endgültig erlöst sind und zu Papa Wilhelm in den Busch dürfen.
Gott erklärt den Beiden ihren Job.
Max daraufhin: „Muß das sein? Gibt es keinen anderen Job für uns? Wir wollen auch alles tun, was du willst. Aber tu uns nicht den Heinrich an. Sein Geheul treibt uns in den Wahnsinn.“
Moritz: „Ich hätte da auch ein paar Alternativen…“
„Nix da! Dieser Job oder keinen. … Ihr wollt doch zu Papa?“
Die Beiden schauen sich resigniert an und senken ergeben die Köpfe.
Am Freitag, den 15. März, Anno 2011, fährt Heinrich nun gegen Mittag zu einem, für ihn, äußerst wichtigen Geschäftstermin mit dem Pkw Richtung Lüneburg. Unsichtbar begleiten Max und Moritz ihren Schützling.
Schon kurz nach dem Start bemerkt Heinrich fremde Geräusche unter der Haube seines Autos.
Sie sind ihm neu. Er kann sie nicht einordnen. Doch wegen der Wichtigkeit will Heinrich die Fahrt trotzdem fortsetzen.
Die Geräusche werden stärker. Während der Fahrt ruft er seinen Kfz-Meister an.
„Fahr auf den nächsten Parkplatz und ruf den ADAC. Wegen einer Stunde den Motor zu riskieren lohnt nicht.“
Wie empfohlen stoppt Heinrich auf dem nächsten Rastplatz in Höhe Buchholz.
Der Motor hört sich so im Stehen und im Leerlauf ganz normal an. Die verdächtigen Nebengeräusche sind weg.
Er umkurvt das Auto mehrfach, öffnet die Haube und tritt gegen die Räder: Nichts Verdächtiges ist zu bemerken.
Als Heinrich mit seinem neuen Touchscreen-Handy nun den ADAC rufen will hat er ein Problem: Er kann nicht durchwählen, weil die Tastatur nach der ersten Durchwahl verschwindet.
Es ist mehrfach das gleiche: 22222 „Hallo, hier ist der ADAC-Notruf. Wenn sie eine Panne haben wählen Sie die Eins.“
Er kann die Eins nicht drücken, weil keine Tastatur da ist. Er ist halt ein Handy-Analphabet.
Heinrich gibt nach mehreren Versuchen wütend auf und beschließt Weiterzufahren. Gleich bei der Anfahrt sind die Geräusche wieder da.
„Ich fahr halt langsam“, denkt er bei sich, „ nur so schnell, dass ich den Verkehr nicht behindere. Das werden wohl die Stoßdämpfer vorne sein.“
Doch sind es nicht diese. Die Schrauben der Räder sind lose und lockern sich mehr und mehr, je länger die Fahrt dauert.
Bald hecheln Max und Moritz rechts und links vom Wagen nebenher und drücken die Räder auf die Bremsscheibe zurück, denn hier soll das Unglück noch nicht passieren.
„Man, is das ein scheiß Job“, flucht Max. Moritz nickt zustimmend.
„Warum wir? In Japan gibt’s jetzt viel wichtigere Jobs.“
„In Lybien gäbe es auch jede Menge zu tun.“
„Aber nein, Reifen halten und nem Spinner ne Lektion erteilen.“
Ein Grollen aus der Ferne läßt die Beiden jäh verstummen und die Köpfe einziehen.
Max leise zu Moritz: „Immer diese Über-Ichs; nie lassen die einen zufrieden. Kriegen alles mit und lassen nix anderes gelten.“
Ein erneutes Grollen läßt die Beiden nun endgültig schweigend ihren Job machen: Den Heinrich heile nach Lüneburg geleiten.
Die Gespräche laufen gut. Zufrieden und erleichtert will Heinrich die Heimreise antreten.
Es erfolgt aber noch eine Probefahrt mit Jürgen, seinem Ansprechpartner. Doch es ist nichts festzustellen.
„Wird wohl nicht so schlimm sein.“
Es ist jetzt Freitagabend, 18.00 Uhr. Alle Werkstätten haben geschlossen. Deshalb geht es im LKW-Tempo auf die Autobahn nach Hause.
Die Geräusche werden immer heftiger, Heinrich immer nervöser und angespannter; die Engel immer müder vom Räderhalten und vom Rennen.
„Bald ist es geschafft.“ Max schaut zum Moritz. Sie sprechen ihren Einsatz kurz ab und konzentrieren sich.
„Nur noch 50 Kilometer, dann bin ich Zuhause. Hoffentlich hält das Auto durch.“
Doch dies ist so nicht vorgesehen. Kurz nach der Abfahrt Bokel, so um 19.30 Uhr, als alle Welt ins Wochenende will, auf einem, bereits auf 3 Spuren erweiterten, neuen Teilabschnitt der A1 passiert es bei Tempo 90:
Moritz, auf der Fahrerseite im Einsatz, läßt das vordere Rad los. Sofort macht es sich selbständig. Der Wagen schlägt vorne links auf den Asphalt auf. Geistesgegenwärtig und, sicher geleitet von Max, lenkt Heinrich den Wagen auf die gut ausgebaute Standspur und kommt langsam zum Stehen.
Doch sein entsetzter Blick geht woanders hin. Er folgt dem Rad, das bei dichtem Verkehr schräg in Fahrtrichtung zwischen den Autos hindurchrollt und auf die mittleren Leitplanken zurollt. Mit stummem Entsetzen muss Heinrich mit ansehen, wie das Rad auf einen PKW zurollt und diesen zu rammen droht.
Doch Moritz passt auf: Das Rad verpasst das Auto und rollt hinter dem Wagen entlang ungehindert auf die Leitplanken zu.
Diese Lenken das Rad in Fahrtrichtung ab. Ungehindert rollt es nun an den Planken entlang.
„Nur nicht umkippen, nur nicht umkippen, bleib da, bleib da“, betet und bettelt Heinrich in seinem kaputten Volvo.
Das dies so geschieht, ist das Verdienst vom Moritz. Ungesehen und mit ruhiger Hand hält er das Rad in der Spur. Schliesslich nach einer gefühlten Ewigkeit kommt das Rad zum Stehen und bleibt aufrecht, direkt an der Leitplanke, ohne umzufallen stehen.
„Gott sei Dank, Gott sei Dank.“ Ein paar Tränen der Erleichterung zeigen sich.
Doch die Freude währt nur kurz.
„Was ist, wenn der Reifen durch die Luftwirbel umfällt?“
„Der muss da weg.“
Heinrich steigt aus, rennt das Stück bis auf Höhe des Reifens und wartet angespannt auf eine Lücke im Verkehr.
„Der ist wohl verrückt! Der tut das wirklich.“
Schnell eilen die Engel dem Verkehr entgegen und drücken in der vorherigen Baustelle sanft einen LKW in die Fahrbahnmitte. Dadurch können die PKW nicht mehr überholen.
Diese Lücke reicht dem Heinrich. Schnell hin und zurück.
Gedacht, getan.
Heil findet sich der Heinrich samt Rad auf der Standspur wieder, rollt das Rad zum Auto und verstaut es im Kofferraum.
Jetzt erst kommt die Erleichterung, das erlösende Aufatmen. Alles ist gut.
Das bisschen Blech, gegenüber dem, was hätte sein können, läßt dem Heinrich ein paar Tränen der Erleichterung aus den Augen schießen.
Langsam kommt er runter.
Der Rest ist ADAC-Service und Freundschaftsdienst.
Doch läßt das Geschehene den Heinrich in den folgenden Tagen nicht zur Ruhe kommen. Immer wieder tauchen Bilder und Szenen auf mit dem, was hätte geschehn können.
Viele verständige, liebevolle Gespräche mit Freunden helfen ihm, des Erlebte zu verarbeiten
Unter anderem sagt Claudia zu ihm: „Herzlichen Glückwunsch zur zweiten Geburt.“
Da erst fällt es ihm ein, jetzt versteht er die Botschaft dieses Wunders:
„Ich bin gewollt. Ich bin tatsächlich gewollt.“
Erleichterung einige Etagen höher:
Max und Moritz dürfen jetzt zu Papa Wilhelm in den Busch und Gott entfernt, mit sich und dem Heinrich zufrieden, die Ohrstöpsel.
Und weil er nicht gestorben ist, freut er sich noch heut.