Dämonenfütterung
Ächzend richtete sich sein Oberkörper in die Senkrechte auf. Mit der Innenseite des rechten Oberarmes fuhr er über sein schweißnasses Gesicht, zog dabei eine Grimasse, schloss die Augen, stöhnte gequält auf und sank auf die Knie.
Auf beide Hände gestützt atmete er unregelmäßig seine Panik aus sich heraus. Unter dem schlackernden Hemd hoben sich seine Flanken bis die belasteten Arme anfingen zu zittern. Langsam hoben sich seine Lider und sein Blick fiel auf das, was vor ihm lag. Seine blutverschmierten Hände zeugten von seiner Tat, die seine letzte sein sollte. Er konnte nicht mehr. Es musste endlich vorbei sein. Jedes Mal schwor er es sich, doch das, was in seinem Hinterkopf saß, führte Regie. Er war machtlos dagegen und gleichzeitig verlor er sich selbst.
Sein neuestes Opfer lag kaum mehr identifizierbar vor ihm. Die Bauchhöhle stand klaffend offen, in der seine Hände eben noch wühlten, im langsam gerinnenden Blut suhlten, bis sein Dämon vor Lust und Befriedigung laut aufstöhnte. Erst danach durfte er sich aus dem noch warmen Körper zurückziehen.
„Wer bist du? Verdammt noch mal, ich will das nicht mehr, lass mich endlich in Ruhe“ schrie er das zerfetzte Bündel Fleisch auf dem Boden an, doch die gehässige Antwort erfolgte prompt in seinen Gedanken.
„Du weißt wer ich bin. Viel mehr, WAS ich bin. Wie kannst du das nur vergessen. Hätte ich einen Kopf würde ich diesen jetzt schütteln. Ich bin dein ständiger Begleiter, seit deiner Kindheit an. Weißt du es nicht mehr? Damals, als wir anfingen den Stubenfliegen genüsslich die Flügel auszureißen?“
„Halt die Klappe! Hör sofort auf damit!“ brüllte er und presste seine klebrigen Hände auf die Ohren. Doch dies nützte nichts, das gackernde Lachen hallte in seinen Schädelknochen, während die Erinnerungen in farbigen Bildern wieder auftauchten. Die Fliegen waren noch das harmloseste. Es steigerte sich über Mäuse und Ratten, bis hin zu Katzen, Hunden und Hasen aus der Nachbarschaft. Wie schlecht fühlte er sich damals, als er scheinheilig mithalf, die vermeintlich entlaufenen Haustiere zu suchen. Nur er wusste, wo sie wirklich waren. Im Wald, gehäutet an einen Baum genagelt, lebendig in einem mit Steinen beschwerten Sack im Fluss versenkt, mit Benzin übergossen und als lebende Fackel die Nacht erhellend.
Heiße Tränen rannen brennend über seine verschmierten Wangen. Er wollte diese Erinnerungen nicht mehr. Die von früher nicht, und auch nicht die neueren.
„Du Narr!“ meldete sich die Stimme abseits des Lichts. „Hast du es noch immer nicht verstanden? Du bezahlst den Preis für deine Taten in Form des Vergessens deiner schönen Erinnerungen!“
Schluchzend nickte er, weil es stimmte. Je mehr Futter er dem Dämon reichte, umso weniger erinnerte er sich an das Angenehme in seinem Leben.
Dafür konnte er sich jedoch an jedes seiner zahllosen Opfer erinnern. An das was er mit ihnen anstellte, um den Dämon ruhig zu stellen, der im Lauf der Jahre immer gieriger wurde. Anfangs gab er sich mit Mahlzeiten alle paar Monate zufrieden, doch steigerte sich sein Hunger rasant. Inzwischen musste er alle drei bis vier Tage nach neuen Opfern suchen.
Er war durch die Jagd ausgezehrt, abgemagert, während der Teufel in ihm sich fett und zufrieden fraß. Trotz allem schaffte er es nicht, diesem Ungeheuer zu widerstehen. Der Drang, der dieses Monster in ihm auslöste war übermächtig.
Konnte er es nach einer Tat locker damit unterdrücken, während der Dämon im Verdauungsschlaf dahindämmerte, in dem er sich sagte, dass es diesmal das letzte Opfer gewesen war.
Auch am nächsten Tag funktionierte es einigermaßen, allerdings mit dem Zusatz, dass er einfach ein wenig mehr Zeit vergehen lassen wollte, bis zur nächsten Fütterung.
Doch danach verlor er die Macht über sich und der Dämon umschwamm seine Gedanken und zog sie wie ein Strudel in eine Richtung – nach unten. Ganz nach unten und kein anderer Gedanke hatte mehr Platz in seinem Kopf, außer die Erfüllung der Gier des Tieres in seinem Innern.
Der erkaltende Leichnam vor ihm ließ ihn würgen, das Blut auf seiner Haut zog sich, während es trocknete, zusammen und spannte. Der metallische Geruch verursachte ihm schon immer Übelkeit. Er erhob sich langsam, um zu verschwinden. So viel musste noch erledigt werden. Das Messer zusammen mit seinen Kleidungsstücken musste verschwinden, er sich von oben bis unten schrubben, bis seine Haut sich fast vom Körper schälte.
„Du bleibst stehen!“ Abrupt stoppte er in seiner Bewegung, als der scharfe Befehl ertönte. „Schau es dir genau an, unser Werk. Ist es nicht wundervoll? Ich will es noch ein wenig genießen!“
„Nein!“ flüsterte er. „Diesmal nicht. Ich will nicht mehr.“ Als Beweis für seine Entschlossenheit schloss er seine Augen erneut. Zumindest versuchte er es. Es begann ein innerer Kampf der beiden Mächte, die in ihm herrschten. Er begann zu schwitzen und ein Zittern erfasste seinen Körper, das ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er stürzte zu Boden, das Messer fiel klappernd beiseite, er schürfte beim Aufkommen auf dem Kiesweg seine Handflächen auf und sein Blut mischte sich mit der dunklen, stockenden Lache, die aus seinem Opfer stammte.
„JA, so ist es gut. Ah, wie sehr ich das genieße. Greif hinein. Berühre den kostbaren Lebenssaft, der so vergänglich ist.“
Der wollüstige Klang der Dämonenstimme ließ ihn erschaudern. Es ekelte ihn an. Die Fantasien, die er glaubte, mit ihm zu teilen, gehörten nicht mehr zu ihm. Er fühlte sich als Werkzeug für diesen Abschaum. Ein willenloses Werkzeug, das nicht mehr das empfand, was ihm früher Befriedigung schenkte. Der Dämon war damals in ihn eingezogen und dachte gar nicht daran, wieder aus ihm zu verschwinden. Die Bestie fühlte sich sehr wohl in ihrem Handlanger.
Genau dies ließ ihn verzweifeln. Er wollte, er konnte das alles nicht mehr tun.
„Lass mich endlich in Ruhe“ flüsterte er. Wusste er doch, dass das Monster ihn sehr wohl verstehen würde. Selbst seine Gedanken gehörten nie nur ihm allein.
„Nie! Das weißt du auch, dass ich dich nie mehr verlassen werde“ kam die schneidende Antwort zurückgeschossen.
Ihm wurde kalt. Zu schwach und müde, um seine Lippen zu bewegen, formte er die Gedanken für seinen Dämon
‚Ich werde jetzt gehen und nie mehr für dich sorgen. Vielleicht überlegst du es dir ja dann noch mal, ob du bei mir verhungern willst.’
Der Dämon lachte in seinem Inneren, doch schnell erstarb das Gackern, als sich sein Sklave tatsächlich in Bewegung setzte, das Messer aufhob und ging.
„Bleib sofort stehen. Hörst du nicht?“ dröhnte es in ihm. „Ich habe langsam wieder Hunger. Du hast dafür zu sorgen, dass ich Nahrung bekomme. Frisches Blut, warmes Fleisch und sonstiges Gekröse. Gib es mir. Jetzt auf der Stelle!“
Ihm kam es so vor, als würde der Dämon wie ein Derwisch in seinem Hirn umherwirbeln, mit seinen Füßen aufstampfen und brüllen, dass die Schädeldecke erbebte. Schwindel erfasste ihn, doch fest entschlossen setzte er einen Fuß vor den anderen und entfernte sich von dem erloschenen Leben, für dessen vorzeitigen Abgang er verantwortlich war.
Das Toben in seinem Kopf schwoll an. Sein Kopf stand kurz vorm Platzen, so sehr schmerzte er. Vor seinen Augen verschwamm der Weg, der vor ihm lag. Schwankend lief er weiter. Fühlte sich wie in einer zähen Masse, die ihn zurückziehen wollte.
„Du Schwächling!“ keifte es erneut in ihm. „Wir haben noch so viel vor. Ich kann dir noch so viel zeigen, was du erleben kannst…..“
„Sei ruhig!“ unterbrach er den Wahnsinnigen. „ICH WILL NICHT MEHR! Das musst du jetzt endlich kapieren“ presste er zwischen seinen angespannten Kiefern hervor.
Bleierne Schwere hatte ihn erfasst. Jeder Schritt wurde zur Qual. Eiseskälte kroch über seine Haut, sein Körper versagte ihm den Dienst.
„Na bitte. Da hast du es ja. Du bist ein kümmerlicher Versager. Ohne mich bist du nicht in der Lage weiter zu leben.“
„Du bist hier der Idiot. Letztendlich lebst du von mir und wenn ich nicht mehr will, gibt es dich auch nicht mehr. Ganz einfach.“
Mit diesen Worten setzte er das blutverkrustete Messer an seinen Unterarm, stach knapp unter der Innenseite seines Ellbogens tief ins Fleisch und zog die Klinge hinab bis zum Handgelenk. Überrascht stellte er fest, dass es kaum schmerzte. Ein wenig brannte es, denn noch immer war die Klinge des Messers höllisch scharf. ‚Daran musste es wohl liegen’ dachte er, während er sein eigenes Blut beobachtete, als es tropfend aus ihm heraus floss.
„Das mein Lieber, war zuviel. Diese lächerliche Verbissenheit geht mir zu weit. Jetzt werde ich für mein eigenes Überleben sorgen. Deine Rebellion geht mir auf die Nerven. Die letzte Rate des Preises ist fällig. Jetzt hole ich mir den Rest deines armseligen Lebens.“
Noch bevor er sich richtig Gedanken machen konnte, was nun geschehen könnte, sah er einen wabernden Schatten auf sich zu kriechen. Langsam umschlang dieser seine Füße, fraß sich die Waden und Unterschenkel hinauf. Die Taubheit der Hüfte ließ ihn erneut zu Boden gehen, er verlor das Gleichgewicht. Hart schlug sein Hinterkopf auf dem Kies auf, doch den Schmerz nahm er bereits nicht mehr wahr.
Auch nicht, dass das Schwarz ihn völlig eingehüllt hatte und sich zwischen seine Lippen presste, um in seinem Hirn zu verschwinden. Die Dunkelheit fraß sich in seinen Leib.
Ein kräftiger Ruck durchzuckte den bewusstlosen Körper. Der Oberkörper richtete sich ungelenkt auf, dann folgte der Rest in ungeübten Bewegungen, bis die Hülle aufrecht stand.
Sich sammelnd und tief einatmend öffneten sich die Augenlider des Mannes und fixierten in der Ferne blinkende Lichter der Stadt. Mit weit ausholenden Schritten marschierte er los. Schneller und schneller, bis er rannte.
Laut kreischend und lachend, mit den Armen rudernd, stieß er zum allerersten Mal in seinem Jahrtausende alten Leben hörbare Worte aus:
„Ich habe Hunger!“