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Große Oper

Große Oper
Gestern war er wieder ganz süß! Ist er ja eigentlich immer, aber manchmal läuft er so richtig zu Hochform auf.
Ich musste den ganzen Samstag im Laden stehen, hatte meinem Herzbuben aber gesagt, dass ich abends durchaus noch ausgehen könnte – essen gehen, ins Kino oder so – Hauptsache im Sitzen!
In der Mittagspause las ich seine sms: erwarte dich um halb sieben beim Lieblingsitaliener, danach Oper... beeil dich! J
Na prima, ich jetzt schon verschwitzt und dicke Füße – aber andererseits musste man die Feste feiern wie sie fallen - wenigstens hatte ich ein nettes Kleid dabei!
Also kurz nach sechs die letzten Kunden rauskomplimentiert, frisches Deo unter die Achseln gesprüht, raus aus dem Laden und flotten Schritts rüber zum Italiener. Da sitzt er, im feinen Anzug, vor ihm zwei Salatteller mit Putenbrust, Apfelschorle perlt im Glas... ach, er ist wunderbar!
Wir essen, zahlen, im Auto mach ich noch mal frisch make up und ein Viertelstunde später sitzen wir im Theater.
Ich bin ein wenig skeptisch: Barockoper, 240Jahre nicht gespielt (oh oh), von dem Komponisten haben wir noch nie gehört (oh oh oh) – wenn`s fad wird, schlafe ich wahrscheinlich schon im ersten Akt ein.
Wir lesen im Programmheft: Die Opera seria (das heißt nicht, dass nächsten Samstag die nächste Folge kommt, sondern dass es um was Ernstes geht) bedient das festliche Repräsentationsbedürfnis der Epoche...aha!... der Komponist gilt als geschickter Verfertiger eleganter und geschmackvoller Arien im galanten, für viele seichten Stil... ach so!... aber dann kommt`s dicke: ...
die Arie im ersten Akt, wo zwischen Quart- und Quintsprüngen... ein Gleichgewicht von Spannung und Formprägung erreicht wird... oh je! ob ich solche Feinheiten heute noch hören kann?...
oder: typisch für die Arie ist der Einsatz des lombardischen Rhythmus, der in einer Achtelbewegung durch Halbierung eines Notenwerts und Punktierung des folgenden einen spezifischen Bewegungsimpuls freisetzt... ja, jetzt ist alles klar!
Ich fühle mich ein wenig überfordert und schaue mich um, ob die Damen und Herren auf den Plüschsitzen alle so ein feines Gehör haben, und ich womöglich die Einzige bin, die nur einen unterhaltsamen Abend haben will?
Das Bühnenbild ist sehr modern – was mich nach dem festlichen Repräsentationsbedürfnis ein wenig erleichtert: Überdimensionale Klarsichtluftmatratzen sind zu Wänden und Decken des Königspalastes aufgetürmt, in der Mitte eine Couchgarnitur mit Tischchen, im Hintergrund eine Leinwand mit Wüstenlandschaft, in deren Maserung später Köperumrisse und darauf streichelnde Hände zu erkennen sind.
Die Handlung von „Dido abbandonata“ ist nicht weniger kompliziert als die Musiktheorie – allerdings dann doch (fast) wie im richtigen Leben, d.h. ich kann es nachvollziehen!
Dido (die Sängerin ein wenig drall und ungeschickt in enge Minis gezwängt), die Königin von Karthago, hat ihren geliebten Gatten im Krieg verloren, und weist schon einige Zeit standhaft in liebevollem Angedenken alle Werber um ihre Hand und den Thron ab – ja, so eine Frau, allein mit Macht und Geld, die hat´s nicht leicht!
Eines Tages wird ein Schiffbrüchiger namens Äneas an ihr Gestade gespült ( ein langhaariger Bärtiger im weißen Staubmantel) und in den, der ohne Titel und Habe ist, aber jung und ganz schmuck, in den ausgerechnet verguckt sie sich. Und nicht nur sie, auch ihre kleine Schwester (blaß, im braunen Rüschenkleidchen passend als glücklos Liebende verkleidet)– aber das erfahren wir erst später. Da haben wir schon mal das erste Problem!
Äneas ist ganz froh, dass er erst mal wieder festen Boden unter den Füßen, was zu essen und ein Bett hat, und da Dido blond und ganz proper ist, darf´s auch das königliche Bett sein. Erst mal – bis nachts die bösen Träume kommen, die ihn an den Auftrag des toten Vaters und der unsterblichen Götter erinnern, dass er nämlich in Italien ein zweites Troja aufbauen soll, weil ja seine Heimatstadt nach dem Fehler mit dem hölzernen Pferd der Griechen in Schutt und Asche liegt.
Er hätte also woanders was ganz anderes zu erledigen. Da haben wir Problem Nummer zwei: wie sagt er´s der schönen Witwe, die nur darauf wartet, dass er ihr endlich einen Heiratsantrag macht?
Und damit die Sache so richtig in Fahrt kommt, taucht auch noch so ein Barbarenfürst irgendwo aus dem tiefsten Afrika nebst Adjutanten auf (beide in Rocker-Ledermontur, der Fürst mit dreadlocks erinnert an Lenny Kravitz, sein Begleiter wird mit Hingabe von einer androgynen Lady verkörpert), der Dido und das schicke Karthago haben will, und wenn er´s nicht kriegt, alles mit seinem Heer kaputt zu machen droht.

Dieses Szenario weitet sich zum wilden Liebeskarussel aus, jeder begehrt, aber immer den Falschen, und ich werd immer wacher und verfolge das muntere Treiben auf der Bühne gespannt:
Dido flippt aus, als Äneas von Kofferpacken spricht, und sticht mit dem Messer mal kurz in die Matratzenwand, die Schwester weint über mehrere Oktaven, da sie, wenn ihr Herz schon brechen muss, nicht auch noch die Schwester unglücklich sehen will, der wilde Afrikaner zückt auch das Messer und will mal gleich den Nebenbuhler meucheln, wird aber von seinem Adjutanten daran gehindert, der erfolglos an die Schwester hinschmachtet. Im Hintergrund machen Soldatenstatisten stetig mobil. Dido versucht Äneas mit dem Afrikaner eifersüchtig zu machen und so zum Bleiben zu bewegen, erreicht aber genau das Gegenteil - denn woanders kann´s ja kaum schlimmer kommen! Äneas geht endlich, nachdem er seine Reisekleidung aufgebügelt und sein Abschiedslied geträllert hat, die Luft weicht zunehmend aus den angestochenen Matratzen und Karthago fällt langsam die Decke auf den Kopf. Die Schwester nimmt unter herzzerreißendem Gesang Gift und Dido verbrennt dramatisch in den Trümmern ihrer Stadt, der Afrikaner und sein Junker ziehen mit den Truppen wieder heim... mission accomplished!
Und zu all dem schmissig bis zärtliche Barockmusik und Stimmen, die selbst im wilden Liebes- und Kriegsgetümmel tonsicher und leicht wie Frühlingsblüten durch den Raum schweben – ich bin begeistert, und mein Süßer auch!
Für unseren Gechmack sind ausreichend Bewegungsimpulse freigesetzt worden, auch ist unsere Epoche treffend repräsentiert (das war ja unterhaltsamer als Gala lesen!) und das Gleichgewicht aus Spannung und Genuss war zu jeder Zeit gewährleistet – standing ovations und ein dicker Kuss für meinen Liebsten!


©tangocleo 2011
PS: Infos zum Stück: http://www.facebook.com/page … ater/113002668710291?sk=wall
Als Kompliment: Nicht großes Kino, sondern dieses Mal große Oper!

Schön geschrieben, liebe tangocleo, und mir fiel dabei spontan ein, daß ich schon viel zu lange nicht mehr in der Oper war...

LG Sami

*bravo*
*****e_M Frau
8.519 Beiträge
Toll! Die Stimmung ist sehr gut transportiert und ich fragte mich wann, mit wem und wo ich das Stück zuletzt gesehen habe....

Jetzt wühle ich mal schnell die gesammelten Opernprogramme durch *zwinker*

Danke Cleo!

LG, Odette
********ride Frau
1.212 Beiträge
Nie wieder
brauche ich einen Opernführer - ich gehe nur noch in die Stücke, die Du beschreibts! Deal?

So essentiell können es die Musikwissenschafter eh nicht. Kompliment!
*****e_M Frau
8.519 Beiträge
PS. Selbstverständlich war ich in Deinem Stück nie drin...sonst müsste ich mein Alter hier ja jetzt auf mind. 250 korrigieren..... *zwinker*

Dido und Aeneas vonH. Purcel wars, was mir sofort in den Sinn kam....

LG, Odette
deal!
danke dir! *g*
Dido flippt aus, als Äneas von Kofferpacken spricht, und sticht mit dem Messer mal kurz in die Matratzenwand, die Schwester weint über mehrere Oktaven, da sie, wenn ihr Herz schon brechen muss, nicht auch noch die Schwester unglücklich sehen will, der wilde Afrikaner zückt auch das Messer und will mal gleich den Nebenbuhler meucheln, wird aber von seinem Adjutanten daran gehindert, der erfolglos an die Schwester hinschmachtet.

Wunderbar langer Satz! Wer sie - die langen Sätze - , wie du, beherrscht, dem ist die Spannung beim lesen gewiss.

*g* cazyz
danke dir! *g*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Und nun auch ein Mann:

Wieder mal typisch cleogut - auch wenn's wohl eher eine "Frauengeschichte" ist!

*top*

(Der Antaghar)
Frauengeschichte
außer, der Herr wäre ein Opernfan - oder nutzte den Tipp für einen "Verführerabend" seiner Liebsten... *g*

danke dir!
Ich finde diesen Text auch sehr flüssig, unterhaltsam und mit spürbarem Vergnügen geschrieben. Es ist angenehm, wenn der Bau der Sätze eine solche Balance zwischen Leichtigkeit und Komplexität halten kann. Der Satz, den cazyz zitiert, ist mir als langer Satz wohl aus diesem Grund nicht aufgefallen. Ich zitiere ihn nochmal – mit Änderungen der Satzzeichen, wie ich sie als richtig empfinde. Er ist nämlich ein schönes Beispiel für den Stellenwert des Semikolons.

Dido flippt aus, als Äneas von Kofferpacken spricht, und (er) sticht mit dem Messer mal kurz in die Matratzenwand; die Schwester weint über mehrere Oktaven, da sie, wenn ihr Herz schon brechen muss, nicht auch noch die Schwester unglücklich sehen will; der wilde Afrikaner zückt auch das Messer und will mal gleich den Nebenbuhler meucheln, wird aber von seinem Adjutanten daran gehindert, der erfolglos an die Schwester hinschmachtet.
@ kamm
Der Strichpunkt macht die Sache deutlicher - allerdings sticht (sie) in die Matratze! *g*

danke *g*
Ach so, ja!
Kulturgenuss
Ein Kulturgenuss der besonderen Art und ein Vorrecht, die Oper mit deinen Augen zu verfolgen und als Gast deiner zu Papier gebrachten Gedanken zu erleben. Es war mir ein Vergnügen.
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Hat Spaß gemacht, das zu lesen!
Ich fühlte mich sehr an meinen letzten Opernbesuch erinnert.
(Auch wenn es nicht Dido und Äeneas, sondern Faust und Gretchen waren)
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Nebenbei bemerkt: Ich hab diese Geschichte sehr gern gelesen und für klasse befunden - obwohl ich Opern gar nicht leiden kann.

Ich muss immer lachen, wenn ich sehe, wie der Held sich auf einen Schurken stürzt, dabei innehält und erstmal fünf Minuten lang eine Arie schmettert - und der andere in dieser Zeit nicht etwas abhaut oder selbst zuschlägt, sondern geduldig wartet und auch noch selber zwischendurch zwei oder drei Mal selber was singt.

*nixweiss*

Oder wenn sie, die Angebetete, ungeduldig seinen Kuss herbei sehnt, aber erstmal stundenlang singt, wie sehr sie sich danach sehnt, dabei hält er sie längst im Arm - und ich frag mich, warum sie sich nicht endlich küssen anstatt ewig zu trällern.

Und so weiter ...

*schiefguck*

(Der Antaghar)
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Banause! *ggg*
@ Antaghar
früher habe ich das auch so gesehen - liegt natürlich auch an den mehrheitlich drögen Inszenierungen, die die Sänger einfach nur dekorativ in die Bühnenlandschaft stellen.
Inzwischen empfinde ich diese Arien als den inneren Monolog, das Darstellen (oft widerstreitender) Emotionen, die erst zu einer Handlung führen - wie ein Filmanhalten, bevor es weitergeht.
In dieser Inszenierung haben sie das aber genial gelöst, mit viel Aktion, die das emotionale Chaos auch angemessen darstellten.
*g*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ich weiß, ich bin in dieser Hinsicht ein Banause, und was für einer (denn ich verstehe auch die moderne Kunst nicht, die sogar eine meiner Katzen noch in besoffenem Zustand malen könnte, die aber für viel Geld zu kaufen ist oder sogar in Museen hängt ...).

Danke, liebe Cleo, so sehe ich das ja auch. Und oft sind Opern schrecklich inszeniert. Aber trotzdem: auch bei bester Darstellung kann ich nicht anders: Sehe ich zwei Recken mit erhobenem Schwert aufeinander zustürmen, innehalten und zehn Minuten lang singen, dann kann ich das einfach nicht mehr ernst nehmen.

Aber vielleicht sollte ich nun, nach dieser wunderbaren Geschichte, es noch einmal versuchen - das letzte Mal ist sicher schon zwanzig Jahre her. Und im Fernsehen kommt das, was eine Oper wirklich ausmacht, sicher nicht wirklich rüber ...

(Der Antaghar)
es ist nie zu spät, es noch einmal zu versuchen! :-))

( außerdem sollte einem die Musik schon gefallen - sonst nützt die beste Inszenierung nix!) *g*
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