Task Force Butterfly
„Kleine Ursachen – große Wirkungen“ - Henk fand das Plakat schon immer albern. Der Chef bestand aber darauf, dass es in jedem Dienstzimmer zu hängen hatte. Er hatte Henk schon so manches mal rausgehauen, wenn es auf Messers Schneide stand, sich sofort nuschelnd ans Telefon gehängt, wenn ein Sesselfurzer aus dem Ministerium ihm ins Handwerk pfuschen wollte. Da war es nur vernünftig, bei solchen Lappalien artig zu kuschen, mehr noch, es war eine Sache der Ehre. Henk war jetzt fünf Jahre bei der Truppe, ein Mann der ersten Stunde. Er hatte in dieser Zeit eine endlose Reihe ambitionierter junger Männer kommen und gehen gesehen, die einfach zu weich für den Job waren. Luschen eben, Wirrköpfe, die die Welt verbessern wollten, aber vom Handwerk nichts verstanden. Noch schlimmer waren die, die von ihren verhuschten Öko-Tussis zum Vorstellungsgespräch geschickt worden waren, die schafften es noch nicht einmal mittags in die Kantine, so schnell waren sie wieder draußen.
Er selbst war als Sohn eines deutschen Vaters, der lange Zeit im diplomatischen Dienst tätig gewesen war - immer an den Brennpunkten des Weltgeschehens - und einer südafrikanischen Mutter, die sein Vater im Busch von Papua-Neuguinea kennengelernt hatte, während ihnen die Kugeln der Befreiungsarmee um die Köpfe geflogen waren, aus einem anderen Holz geschnitzt. Henk tat die Dinge, die getan werden mussten. Präzise, lautlos, effektiv, so, wie sein Vater es ihn manchmal mit Liebe, oft aber mit Grausamkeit, gelehrt hatte.
Gegründet worden war der Laden, von dem nicht einmal alle Abgeordneten wussten, nach einer verheerenden Epidemie, die im Frühjahr 2011 ganze Landstriche in Norddeutschland entvölkert hatte. 'EHEC' - das sah nicht nur aus wie eine hastig auf den Bauch einer Bombe schablonierte Verhöhnung des Gegners, es war auch mindestens so gefährlich. So manchem, der anfangs noch geulkt hatte, die infizierten Salatgurken seien lediglich erfunden worden, um die Saure-Gurken-Zeit zu überbrücken, verging das Lachen, als die Pestkarren in endloser Reihe an seinem Fenster vorbeigeschoben wurden.
Dabei war die Ursache für die Katastrophe winzig klein und wäre unbemerkt und unaufklärbar in den Tiefen der Zeit versunken - hätte nicht die wachsame Pressesprecherin einer spanischen Gemüsekooperative ein Fax aufgehoben, in dem unmissverständlich dargelegt war, wie ein hanseatischer Staplerfahrer, wuschig geworden durch eine mit einem waffenscheinpflichtig kurzen Rock bekleideten Volontärin des auf dem Gelände des Hamburger Gemüsegroßmarkts ansässigen Verlags der Bäckerblume (Ausgabe Nielsen 2), die zur fraglichen Zeit am Rolltor des Grüngemüselagers vorbeilief, mit einer Palette Schlangengurken von der Laderampe gerutscht war, so dass ein Teil der wertvollen Fracht mit dem bekannt unsauberen Pflaster Elb-Venedigs in Berührung kam.
Noch wäre das Unheil einzudämmen gewesen, doch Deutschland war in jener dunklen Zeit in keiner Weise auf derart maliziös hereinbrechende Verheerungen vorbereitet. So wurden die zerbrochenen Kisten achtlos wieder zusammengenagelt, unleserliche Barcodes mit Tusche nachgezogen und die kontaminierte Ware mit den bekannten Auswirkungen hinterlistig weiterverkauft, als sei nichts geschehen.
Nachdem dann aber beinahe jede Familie ein Opfer dieser Seuche zu beweinen hatte, die keinen Unterschied zwischen arm und reich, schön und hässlich, berühmt und unbekannt machte, ja nicht einmal vor Politikern aller Couleur halt machte, wurde die 'Task Force Butterfly' gegründet, um für alle Zukunft gerüstet zu sein. Aufgabe der Task Force, so definierte es ein eilig durch Gremien und Parlamente gebrachtes Geheimgesetz, war es seitdem, solche eher unscheinbaren Geschehnisse zu erfassen, in ihren Think-Tanks zu analysieren und, wenn ein Eingreifen geboten schien, die Truppe, zu der Henk gehörte, auf ihre mit weitreichenden Vollmachten ausserhalb jeglichen Völkerrechts ausgestatteten Missionen zu entsenden.
An diesem grauen Dienstag hatte Henk seine Waffen schon zum zwölften Mal auseinandergebaut, gereinigt und wieder zusammengesetzt. Keine Fluse verunzierte mehr seinen Ninja-Dress, jedes Segment der zahlreichen Reißverschlüsse an seinem Kampf-Overall strahlte klarer als der Kohinoor-Diamant. Am Montag hatte er jede einzelne Heftzwecke aus einem Zweihunderterpack in die Filztafel seiner Bürowand gedrückt, sie vorsichtig wieder herausgezogen, die verbogenen aussortiert und die makellosen in die Packung zurückgezählt.
Die Woche davor hatte er damit verbracht, die Zeitunterschiede zu stoppen, die sich ergaben, wenn man eine mit leichtem, mittlerem oder kräftigen Druck beschriftete Bleistiftnotiz mit der roten oder der blauen Seite des Gummis wieder ausradierte, seine Ergebnisse in einer Excel-Tabelle festgehalten und grafisch ausgewertet. An die Woche davor konnte er sich nicht mehr genau erinnern.
Aber er blieb in all der Zeit wachsam, wartete mit gespannten Muskeln und geschärften Sinnen auf den Ernstfall. An diesem Dienstag war es dann so weit. Der Alarm schrillte los, gefolgt von der Durchsage 'Dies ist keine Übung'. Henk sprang auf, hechtete in seinen Overall, steckte sich seine Waffen in Holster und Gürtel, schnallte sich den Rucksack mit dem Überlebenspack um, stürmte durch den Flur ins Treppenhaus und rannte nach oben auf das Dach zum Helipad, wo bereits eine Maschine mit heulendem Triebwerk auf ihn wartete.
Henk war, wie bei allen Einsätzen bisher, der Erste an Bord, schnallte sich an und betätigte den Drucker, der dem Einsatzteam die Anweisungen und Umstände der Mission ausspuckte. Henk las:
>GEHEIM GEHEIM GEHEIM<
>DEUTSCHE GESANDSCHAFT PEKING/frgd.99.43.s<
HABEN SOEBEN BESTUERZENDE MITTEILUNG AUS NINJANG, PROVINZ SZEZUAN ERHALTEN. UM 0741 ORTSZEIT BEI LADEARBEITEN IN PIER 7, NINJANG PORT, REISSACK UMGEFALLEN. PANIK IN BEVOELKERUNG ZU BEFUERCHTEN. DRINGENDES EINGREIFEN ERFORDERLICH.
>auz54.8.pk<