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Illusion, oder?

Illusion, oder?
Es war nicht so, wie es auf den ersten Blick schien. Nichts war wirklich so, wie es aussah. Die Wohnung gegenüber, hinter deren schwarzen Fenstern nie irgendwas passierte, war gar nicht leerstehend. Die seltsamen Laute, die sie nachts vernahm, kamen nicht von streunenden Katzen oder vom Fernseher der Nachbarn unten.
Klara hatte schon oft daran gezweifelt, ob sie die Realität genauso wahrnahm wie andere. Ob die nicht vielleicht recht hatten, wenn sie ihr sagten, sie solle sich nicht immer diese haarsträubenden Dinge einbilden, wenn sie sie warnten, ihre Hirngespinste würden zu nichts Gutem führen. Oder ob ihre eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit vielleicht näher kam, als die Anderen sich einzugestehen trauten.

Sie hatte sich lange solche Mühe gegeben, die Dinge zu sehen wie alle anderen. Wie normale Leute. Begierig saugte sie Geschichten aus Büchern und dem Fernsehen auf, beobachtete die Anderen, wie sie das machten: normal sein. Ohne ständig bei jedem Geräusch ängstlich zusammenzuzucken, ohne hinter jeder Ecke eine Überraschung zu erwarten und vor allem ohne Furcht, jeder nächste Schritt könnte ihr letzter sein.

Klara hatte gute Tage, in denen sie, ohne allzuviel nachzudenken, einfache Tätigkeiten verrichten konnte, einfach tat, was getan werden musste. Aufstehen, anziehen, sich waschen, selbst einkaufen gehen, planen, was sie am Abend essen würde. Mit viel Konzentration und sich immer wieder wie ein Mantra vorsagend: kein Problem, das ist ganz normal, keine große Sache, das schaffst du. Aber die schlechten Tage waren häufiger - die Tage, an denen sie sich nicht entscheiden konnte, was als nächstes zu tun sei.

Mit welchen Fuß sie zuerst den Bettvorleger berühren sollte, denn das könnte ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der Dinge sein, überlegte sie so lange, dass es Nachmittag war, bevor sie sich erschöpft erhob. Ob sie ein Brot essen oder Müsli zu sich nehmen sollte, beschäftigte sie so sehr, dass sie den Hunger gar nicht verspürte, bis es Abend wurde. Wenn ihr durch den Kopf schoss, sie hätte vielleicht Lust auf eine Zigarette, quälte sie sich stundenlang damit, die Warnhinweise auf der Packung zu lesen. Dann beschloss sie, für immer damit aufzuhören, legte dann doch eine vor sich hin, legte nach einigem Aufraffen ein Feuerzeug daneben und stellte sich dann vor, was mit ihrem Körper passieren würde, wenn sie sie tatsächlich anzündete. Meist reichte das, dann doch nicht zu rauchen, manchmal aber rauchte sie eine nach der anderen, als würde sie sich damit betäuben können.

Ihre Medikamente waren dazu gedacht, sie dumpf und abgestumpft genug zu machen, um relativ normal zu wirken. Wenn sie ihre vorgeschriebene Dosis regelmäßig nahm, schaffte sie es ein paar Tage lang, die Zweifel und das unentschiedene Herumsitzen zu vermeiden. Aber sie wurde so müde davon. Und sie konnte die schönen Dinge nicht so genießen, sie fing an, es zu vermissen, wie hingerissen sie vom Anblick rabblätternder Farbe oder Unkraut auf dem Balkon sein konnte.

Dann nahm sie bewusst die Pillen nicht und saß einfach nur da. Unschlüssig, was sie anziehen sollte, verbrachte sie Tage im Nachthemd, unsicher, was sie essen sollte, hungerte sie ohne große Mühe, denn sie war einfach zu sehr beschäftig mit da sein, mit zuhören, mit sehen, mit atmen. Fasziniert lauschte sie ihrem Puls oder den Geräuschen der Wasserleitung im Haus. Ihre Gedanken schweiften ab, zu Erinnerungen an ihre Kindheit, in der sie diese Ruhe bereits so geliebt hatte, zu Erlebnissen ihrer kurzen Perioden des Normalseins, die sie soviel Kraft gekostet hatten.

Irgendwann würde sie den Punkt erreichen, an dem es einfach zu anstrengend war, jede Bewegung, jede Drehung des Kopfes, jedes Lockern der Muskeln zu bedenken und zu planen. Wenn die Anstrengung, über jede Handlung, jedes Wenn und Aber nachzudenken, zu groß wurde, wenn die Gedanken sich nicht mehr um eine bestimmte Sache, sondern um das Ganze zu drehen schienen, fand sie Ruhe. In Unbeweglichkeit, Starre, Empfindungslosigkeit zu versinken, war die Betäubung schlechthin, nach der sie suchte.

Tief in ihr wusste sie, dass es nicht normal war, nicht gut für sie, nicht das, wogegen sie kämpfen musste, damit sie eines Tages wie die anderen sein könnte. An klaren Tagen, wenn sie die Pillen nahm, gab sie den Ärzten recht, dass sie dagegen angehen, sich Mühe geben musste. Doch immer wieder sehnte sie sich nach diesem Zustand des Nicht- mehr- Müssens, des Nichts-Brauchen. Es konnte so schön sein, die Muster der Tapete oder die sich im Wind bewegenden Blätter des Baumes vor ihrem Haus zu betrachten, ohne auf die auf- oder untergehende Sonne, den Lärm der Nachbarn, das Klingeln des Telefons achten zu müssen. Es war so angenehm, die Welt da draußen auszuschalten und auf die kleinen Dinge zu achten, dass sie wie ein trotziges Kind ihrem Arzt sagte, was er hören wollte, damit er sie in Ruhe ließ.

Heute Morgen hatte sie sich mit einer Tasse Kaffe auf den Balkon gesetzt, erstaunlich voraussichtig mit einer Decke auf den Knien, um die frische Luft einzuatmen, von der ihr Arzt geredet hatte. Es war zugig und laut, aber sie schloss die Augen, ließ das alles auf sich einwirken, die Gerüche sie benebeln, die Brise auf der Haut sie frösteln machen, die ab und zu zwischen den Wolken hervorbrechende Sonne auf ihre Haut strahlen.

Jetzt war es dunkel und sie machte große Augen, als sie die Sterne betrachtete, wie anders und geheimnisvoll das Laub ihres Baumes jetzt wirkte, wie ruhig es in den Häusern wurde. Es gefiel ihr und sie kuschelte sich in die Decke und würde wohl die Nacht dort verbringen, ganz aufgeregt, neue Erfahrungen machen zu können. Da bemerkte sie ein Licht in der gegenüberliegenden Wohnung, in der die verblichenen Gardinen sich schon seit Wochen nicht bewegt hatten. Das Fenster stand auf, sah sie. Sie sah gern in die anderen Wohnungen hinein und könnte von jedem der Fenster eine Geschichte über die Bewohner erzählen. Das hier aber war neu für sie.

Als ihre an das Dunkel gewöhnten Augen im Lichtschein aus dem geöffneten Fenster da drüben etwas erkennen konnten , erschrak sie, als sie eine Person erkannte, die dort stand und eindeutig zu ihr hinüber sah. Klara zog die Decke bis ans Kinn und rutschte in ihrem Stuhl runter. Dieser Schatten bewegte sich nicht, stand nur ganz ruhig da und hob den Kopf zu ihr. Sie beobachtet ihn durch ihr Balkongeländer und wartete, bis er wieder reingehen würde. Sie konnte warten, dachte sie fast schelmisch grinsend bei sich. Doch nach einer halben Stunde oder so hatte sich noch nichts verändert. War das ein Mensch? So unbeweglich konnte kaum einer bleiben. Das erforderte Übung.

Klara klämpfte mit sich, ob sie sich aufsetzen und genauer hinsehen oder besser reingehen sollte. Die Nacht wurde schwärzer, die Kühle deutlicher, doch Klara blieb zitternd auf ihrem Stuhl und überlegte, wieso diese Person da war. Er – es sah wie ein Mann aus – war völlig unbeweglich, bis auf ein plötzliches Abstützen seiner Arme auf der schmalen Brüstung vor sich, hatte sie seit Stunden keine Regung wahrgenommen. Der Morgen dämerte bereits, als der langsam deutlicher sichtbare Mann auf einmal zurücktrat und das Fenster schloss. Sie schlief irgendwann ein und wurde verkrampft und durchgefroren vom Lärm der Straßenbahn geweckt. Hatte sie das nur geträumt?

So ging es einige Abende hintereinander – sobald es dunkel wurde, ging drüben das Licht an und das Fenster auf, der Mann erschien, stand da und sah rüber. Klara entdeckte ihn, nahm ihre Decke und setzte sich draußen hin, halb versteckt, halb neugierig spähend. Es wurde eine liebe Angewohnheit, darauf zu warten, dass er sich als ganz normaler Nachbar zu erkennen geben würde und etwas Normales tat. Doch es passierte nichts, außer dem Starren.

Nach einer Woche war Klara erkältet und tat ihr der steife Nacken weh, aber sie nahm ihre Pillen nicht mehr und hoffte, durch Zurückstarren hinter sein Geheimnis zu kommen. Es war gerade sieben Uhr, noch nicht dunkel genug und sie saß mit zappelnden Füßen bereit, ihm gleich gegenüber zu treten. Das Klingen der Türglocke war ein so ungewohnter Klang, dass sie zuerst an eine Hupe oder einen Eiswagen draußen dachte. Erschrocken wartete sie dann das zweite und dritte Klingeln ab, stand auf, lief mit verschränktne Armen im Zimmer umher, näherte sich der Tür beim vierten und fünften Klingeln und horchte, als das sechste Mal viel später kam, ob der hartnäckige Mensch vor ihrer Tür endlich aufgeben würde.

Da hörte sie: „Hallo? Ich weiß, dass Sie zuhause sind. Bitte, machen Sie auf, ich möchte... mit Ihnen reden.“

Klara war wie vor den Kopf gestoßen und wusste sich keinen Rat. Ein Wildfremder bat um Einlass, jemand, den sie sicher nicht kannte oder kennen wollte. Sie hielt sich die Ohren zu und kroch in ihren Sessel zurück.

„Hallo? Bitte, haben Sie keine Angst. Ich bin Max, von gegenüber, ich meine, aus der Wohnung gegenüber – Sie kennen mich, jedenfalls haben Sie mich schon mal gesehen. Bitte. Es war nicht leicht, hierher zu kommen, aber ich muss Sie sprechen, bitte..“

Er hatte Geduld, das wusste sie ja schon. Aber dass er tatsächlich so hartnäckig vor ihrer Tür ausharrte, im Viertelstundentakt klopfte und sie ansprach, während es draußen dunkel wurde und Klara fast sehnsüchtig zur Balkontür sah, weil ihre liebgewonnene Angewohnheit unterbrochen wurde, war schon erstaunlich. Es war fast Mitternacht, als sie ihren eingeschlafenen Fuß aus der unbequemen Lage befreite, mit der sie sich an den Sessel klammerte und in diesem Moment ein erneutes Schaben und Flüstern an der Wohnungstür hörte. Jetzt reicht es aber, dachte sie und stand auf. In einem Anfall der Entscheidungsfreudigkeit, ausgelöst durch diesen ihrer langatmigen Gleichmut Widerstand leistenden Fremden, ging sie zur Tür und machte auf.

Er war der Mann vom Balkon, er trug dunkle, einfache Sachen, war so groß und hager, wie sie ihn als Umriss hatte erkennen können und machte keine Anstalten, sich zu bewegen, als sie vor ihm stand. Er streckte nicht, wie andere sofort seine Hand nach ihr aus, er lächelte nur ganz leicht, verlegen und unschlüssig. Was sollte sie jetzt tun? Sie ließ die Tür halb offen stehen, ging zurück in die Wohnung und automatisch auf die Balkontür zu. Sie hörte ihn hinter sich, wie er langsam und vorsichtig näher kam. Sie setzte sich auf den Stuhl da draußen, nahm ihre Decke und bezog ihre übliche Stellung. Und er kam ihr nach. Er fand keinen zweiten Stuhl, also blieb er stehen, in einer Ecke des Balkons und sah in die gleiche Richtung wie sie. Seine Wohnung gegenüber blieb dunkel. Nach einer Weile traute sie sich, ihn anzusehen und er drehte sich um und sah zurück. Regungslos, wie jeden Abend, sahen sie sich an, nur nicht mehr durch eine Straße getrennt.

Als es Morgen wurde, verabschiedete er sich mit einem gehauchten „Danke.“ und verschwand. Klara nahm ihre Pillen, denn sie war durch die Sache zu aufgewühlt.
Am Abend kam er wieder. Diesmal sah er sich ihre Wohnung und den Balkon genauer an und sie beobachtete ihn dabei, wie er sich fasziniert die abblätternde Farbe an ihrem Balkongeländer ansah. Bis es dämmerte. Dann fragte sie, ob er einen Kaffee trinken wolle und er nickte. Zusammen blieben sie stundenlang am Küchentisch sitzen und tranken, bis er ohne ein Wort ging.

Erst nach einer Woche regelmäßiger Besuche von Max, von denen Klara nicht mal ihrem Arzt erzählte, passierte es. Sie fing an, ihre Gedanken laut zu äußern und er hörte zu. Etwas später begann auch er, zu erzählen, was ihm im Kopf herumging und fragte, nicht speziell sie, eher so allgemein, zum Beispiel, was es wohl bedeuten könnte, dass alles verfällt, nur die Bäume jedes Jahr wieder neue Triebe hätten. Sie überlegte ein paar Tage und teilte ihm ihre Ansicht mit.

Ohne dass sie eine Entscheidung getroffen hätte,änderte sich Klaras Leben ganz von allein und sie wunderte sich oft, wieso und warum und wie er gerade sie gefunden hatte. Sie erfuhr, dass er wegen ähnlicher Probleme zu dem gleichen Arzt ging wie sie und dort von ihr gehört hatte. Er erzählte, dass es die größte und wichtigste Entscheidung gewesen sie, die er je getroffen hatte, als er beschloss, zu der Frau zu gehen, die er wochenlang nur aus der Entfernung von seinem Fenster aus gesehen hatte. Und so waren sie von nun an zusammen unentschlossen, aber nur halbwegs überzeugt davon, vielleicht nicht ganz normal zu sein.
*****_nw Mann
505 Beiträge
Wunsch: Jemand anderen zu finden, mit dem man vieles gemeinsam hat.

Klischee: Zwei, die anders sind, sind gemeinsam stärker.

Klara und Max: Wunsch und Klischee erfüllt, oder?

Man muss es zweimal lesen, denn diese Geschichte beginnt erst an ihrem Ende. Das Klischee wird zerbrechen, der Wunsch wird sich für die beiden erst in der Zukunft erfüllen. Vielleicht. Wahrscheinlich nicht.

Es ist nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint.
Man muss es zweimal lesen, denn diese Geschichte beginnt erst an ihrem Ende.

Und genau DAS habe ich getan - -
das 1. Mal vor vier Stunden und eben noch einmal - - -

für mich kommt diese Kraftlosigkeit so etwas von REAL herüber - - -

natürlich hängt das auch mit dem Schreibstil zusammen - der das Kopfkino einschaltet.
Ich sehe Klara sitzen und überlegen - oder nur einfach sitzen ohne zu denken.


*spitze*
mir hat die Beschreibung des beklemmenden Gelähmtseins gut gefallen - die Auflösung in die Zweisamkeit geht mir zu einfach und zu schnell.

Ich glaube nicht (Laienmeinung!), dass jemand mit so viel Alltagsangst eine solche Entwicklung auf diese Weise zuließe.
In einem Anfall der Entscheidungsfreudigkeit, ausgelöst durch diesen ihrer langatmigen Gleichmut Widerstand leistenden Fremden, ging sie zur Tür und machte auf.
das halte ich für eine Illusion, ebenso wie seine Langmut.
Es fiel mir leicht,
in beider Welt einzutauchen. Das Auftauchen daraus fällt mir nur einen winzigen Deut leichter. Der Traktor ist mir näher, denn der Maserati. Deshalb kommt mir ein solches Kennenlernen auch um Einiges seelennäher vor und ist für mein Empfinden damit realer als die gängigen Paarbildungsrituale, in deren rasanten Verlauf die wenigsten Projektionen / Illusionen überhaupt bemerkt werden.
Deshalb glaube ich die scheinbar schnelle, weil in dieser Form nicht langsamer zu beschreibende Annäherung. Auch kann ich nur bestätigen, dass gegenseitiges Erkennen in der Tiefe Entwicklungen beschleunigt, die sonst für unmöglch gehalten werden.
In mir löst deine Geschichte ähnlich ehrfürchtig staunende Gefühle wach, wie "Buntschatten und Fledermäuse".
Danke dafür! Olaf
vielen dank
Ich geb zu, dass war ein ziemlicher Schnellschuss, für ein glaubwürdigeres Ende (bzw Anfang) hätte ich mir mehr Zeit nehmen müssen.
Es entstand sehr spontan und ich habe viel zu wenig Erfahrung mit dieser Art von seelischen Problemen, um auch nur andeuten zu wollen, dies sei eine realistische Geschichte über die Annäherung von zwei so verschlossenen Personen.
Mir gefiel aber das Bild des sich Erkennens, sich automatisch zueinander Hingezogen- fühlens zweier verwandter Seelen. Ich sage ja gar nicht, dass sie nun glücklich sind, aber Teilen macht vieles leichter, einfach zu wissen, da ist jemand, der das Gleiche empfindet.

Olove@ - du hast sicher recht. Ich finde, dass viele Kennenlerngeschichten von Paaren, die wir als normal bezeichnen, wesentlich unrealistischer klingen können als diese.

wir können froh sein, immer wieder ein - und auftauchen zu können in den diversen Gedankenspielchen - das Schreiben ist ja auch nur eine Art davon...
liebe grüße
dea
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