Das erste Treffen
Sie saß auf der steinernen Bank und wartete auf ihn. Nach einigen Email Kontakten war nun der Zeitpunkt des Treffens gekommen. Ihr Kopf schmerzte und die Nase war verstopft, der Hals kratzte - eigentlich wäre sie am liebsten im Bett geblieben. Große Erwartungen hatte sie nicht. Sie hatte schon einige „Herren“ zum Kaffee getroffen und war jedes Mal froh gewesen, wenn eine Anstandsstunde vorbei war und sie – notfalls mit einem Vorwand – nach Hause gehen konnte. Sie überlegte, was Sie zu Hause alles noch vorzubereiten hatte für den Besuch von Freunden am nächsten Tag. Morgens war es ihr zu schlecht gegangen und so hatte sie alles auf den Abend geschoben, in der Hoffnung, dass es ihr dann besser ginge.Für fünf Uhr war das Treffen angesetzt, dann war sie wahrscheinlich um sieben wieder zu Hause. Das müsste reichen.
Eigentlich hätte sie absagen sollen, aber irgendwas hatte sie davon abgehalten. War es reine Neugier? Das Profil von ihm hatte sie angesprochen. Die Emails waren aber sehr knapp gehalten, das Bild, das er ihr geschickt hatte war auch nicht der Grund, da sah er eher witzig aus, gar nicht so wie der „autoritäre Mann“ den sie sich in ihren Träumen so vorstellte.
Hm, es war ihr wirklich nicht klar was sie bewogen hatte, hier zu sitzen.
Achtung, er kommt. Eigentlich geht er eher schüchtern auf Sie zu, er ist kleiner als erwartet und hat ein Hitler-Bärtchen. Oje!
Sie bahnen sich den Weg durch die Marktstände zum Biergarten. Ok, er ist höflich, sie suchen einen Platz aus, er lässt sie wählen, sie bestellen Getränke. Er beginnt zu reden, allgemeines, vom Beruf und so. Sie wartet auf die üblichen Fragen wie zum Beispiel „was hast du schon für Erfahrungen, was sind deine Grenzen?“, aber sie kommen nicht. Das ist mal eine angenehme Abwechslung.
Hm, es ist nett, mit ihm zu reden. Er ist gebildet, hat eine natürliche Ausstrahlung, kann auch mal zuhören … die Zeit verfliegt. SM war immer noch kein Thema. Sie bemüht sich noch, ihn wie gewünscht zu siezen, aber es wird immer schwieriger, je sympathischer er ihr wird.
Irgendwann fragt er dann doch nach ihrer negativen Erfahrung, die sie in einer Email angedeutet hat. Erstaunlicherweise macht es ihr jetzt nichts aus, offen darüber zu reden. Normalerweise ist ihr das eher peinlich und die Erinnerung daran ist unangenehm, ebenso wie die Reaktion anderer auf die Geschichte (das entsetzte Kopfschütteln - mehr oder weniger deutlich) auf ihre Dummheit oder Naivität. Er reagiert gelassener darauf, wertet nicht und nimmt dadurch den emotionalen Druck weg. Kein übertriebenes Mitgefühl, sondern eher ein inneres Abwägen, wie mögliche Auswirkungen der Geschichte ihm später in die Quere kommen könnten.
Sie fragt nun auch nach seinen Erfahrungen, was er sucht und sich wünscht. Er kann offen darüber reden, wieder ist nichts peinlich und er wird auch nicht plötzlich zum Steinzeitmenschen, bloß weil sie über Sex reden.
Ihr ist klar, dass er sehr viel Erfahrung hat. Diese „Ausbildung“, die er im Sinn hat, kann sie sich noch nicht so recht vorstellen, aber vieles reizt sie schon daran. Immer begleitet von der Angst, dass es ihr doch zu heftig werden könnte, sie sich der Sache nicht gewachsen fühlen wird. Andererseits hat er Erfahrung genug, um sie nicht zu überfordern, das sagt er auch – und sie kann nur hoffen, dass es auch stimmt. Immer wieder merkt sie, dass er sich scheinbar mentale Notizen macht, wenn er sie einzuschätzen versucht, oder etwas über ihre Vorlieben, Abneigungen erfährt.
Gegen sieben Uhr wird es kalt, er fragt, ob sie etwas essen möchte. Ein kurzer Gedanke an die unaufgeräumte Wohnung zu Hause und was noch alles zu tun ist – aber der wird schnell beiseite geschoben. Sie möchte noch nicht gehen sondern weiter mit ihm reden.
Also ziehen sie um ins Restaurant.
Er ist fürsorglich, schließt die Außentür, weil es Ihr zieht. Beim Auswählen, erzählt sie ihm von der Laktose-Intoleranz und dass sie beim Kellner nachfragen müsste, bevor sie bestellt.
Als der Kellner kommt, erklärt er ihm sofort, dass die Bestellung bei ihr wegen der Intoleranz schwieriger wäre. Sie ist irritiert, das kann sie dem Kellner doch selbst sagen! Aber dann dämmert ihr, dass sie sich an solche Situationen besser gewöhnen sollte, wenn er zukünftig bestimmen wird, wo es lang geht. Hm, und so schlimm ist es ja auch nicht, dass er das für sie regelt. Nur sehr ungewohnt. Bisher musste sie sich um alles selbst kümmern.
Sie plaudern weiter. Beide sind weit gereist. Er erzählt spannend ohne anzugeben, streut witzige Anekdoten ein, aber hört ihr auch zu, wenn sie erzählt. Eine angenehme Atmosphäre.
Als eine Kellnerin die Tischkerze austauscht, meint er nur, damit könne man auch gut spielen und guckt das geschmolzene Wachs an. Sie schluckt ob des plötzlichen Themenwechsels. Stimmt, deswegen sind sie ja eigentlich hier. Und uh, heißes Wachs auf ihrem Körper? Der Gedanke schüttelt sie etwas, sie findet eine ausweichende Antwort und versucht, das Thema wieder zu den Reisen zu bringen. Er geht darauf ein und sie plaudern weiter. Sie muss aber immer wieder die Kerze ansehen. Würde sie ihm genug vertrauen? Er weiß sicher, was er tut und sie hat nun oft genug betont, dass sie nicht maso ist - aber ob ihn das wirklich stören würde?
Irgendwann sucht er die Toilette auf. Er bleibt länger weg als erwartet. Sie grinst etwas und überlegt, dass sonst nur Frauen so lange brauchen. Aber vielleicht checkt er ja Emails oder telefoniert. Sie merkt, dass es spät geworden ist, aber sie möchte noch nicht wirklich gehen. Zum „Wohnung aufräumen“ ist es sowieso schon zu spät. Nur die Erkältung nervt sehr, die Wirkung der Medikamente scheint nachzulassen.
Als er zurückkommt, meint er, dass er eine Aufgabe für sie habe. Sie ist gespannt was nun kommt. Einen Aufsatz soll sie schreiben über das erste Treffen. So, hm, ja, das kann sie machen. Das sollte nicht so schwierig sein. Sie sagt zu.
Dann versteht sie. Das hat er also so lange gemacht, er hat sich überlegt, wie er sie doch testen kann nachdem sie früher am Abend jegliche Tests kategorisch abgelehnt hatte. Sie grinst innerlich und findet, dass er das clever gelöst hat. Es „Aufgabe“ zu nennen, und dann nicht das „übliche“ zu verlangen … und schon hat er sie so weit, dass sie zustimmt.
Gut, auf solche „Psychospielchen“ steht sie ja, und es freut sie, dass er sie ausgetrickst hat – auch wenn sie das natürlich nicht zugibt. Diese Gedanken behält sie schön für sich selbst.
Sie plaudern noch etwas und er merkt auch, dass sie am Ende ihrer Kräfte ist. Also verabschieden sie sich nach fünfeinhalb Stunden.
Auf dem Nachhauseweg überlegt sie schon, was sie schreiben soll, was da so alles passiert ist beim ersten Treffen und wie es wohl weitergehen könnte. Sie ist gespannt.