Liebe auf Rädern
Meine Schwester konnte eine extreme Nervensäge sein. Ich hätte mich inzwischen daran gewöhnt haben müssen, dass sie mich rumkommandierte, mein Leben plante und mich immer wieder zu Dingen überredete, die ich eigentlich nicht wollte, aber es war unmöglich. Natürlich war ich ihr dankbar für ihre No-Nonsense-Einstellung und die Tatsche, dass sie zu mir gezogen war, als ich sie brauchte. Sie war sofort nach meinem Unfall bei mir gewesen, zu Allem bereit, aber erst hatte ich nicht zugelassen, dass sie irgendwas für mich aufgibt. Da ich aber ziemlich am Ende war und sie alleine und ohne aktuelle Perspektive in einer fremden Stadt wohnte, nachdem sie sich von Theo getrennt hatte, war ich schließlich damit einverstanden, dass sie zu mir zog. Es erleichterte einiges und ich hatte endlich wieder jemanden zum Reden. Auch wenn ich Einzelgänger blieb. Zum Glück hatte sie einen interessanten Job ganz in der Nähe gefunden und nette Kollegen.
Von einer schwärmte sie mir seit dem ersten Tag vor, einer gewissen Stella. Aber ich hörte nur halb hin, froh, dass sie sich mit anderen traf und von mir nicht verlangte, ihr ständig Gesellschaft zu leisten. Sie wusste genau, wie sie mich rumkriegen konnte zu fast allem, das hatte sie schon als Kind gekonnt. Sie ahnte, dass ich damals allein gelassen auf dumme Gedanken gekommen wäre, fuck, ich war bereits mittendrin und niemand konnte mir noch helfen – außer ihr. Ich war bereit, mein Leben zu beenden, als ich diesen Scheiß-Unfall nur knapp überlebt hatte. Ein Fehler in der Planung, da oben oder da unten, ich hätte bereits tot sein müssen. Aber nein, die Wunder der heutigen Medizin halfen den Ärzten, mich zusammenzuflicken und notdürftig wieder funktionieren zu lassen. Und damit sollte ich gefälligst zufrieden sein. Ob ich ein so verficktes Leben überhaupt noch wollte, hatte keiner gefragt.
Marian pushte mich, jeden Tag, mein Leben in den Griff zu kriegen, ermutigte mich, weiter zu programmieren, meine Ideen aufzuschreiben und zu zeichnen, die nie aufhörten. Sie zwang mich zum Reha-Sport, dem ich nicht zutraute, das er mir wirklich gut tun würde, doch ich bekam so langsam wieder Hoffnung, es könnte sich doch noch was ändern. Ich hatte nach ungefähr drei Monaten Marian in meinem Leben eine Erleuchtung gehabt, als ich meine Zehen wieder spürte. Die Ärzte waren sich nicht sicher, aber glaubten an die Heilkraft des Körpers, auch wenn zuerst nichts darauf hingewiesen hatte, ich könnte nicht für den Rest meines Lebens an diesen Mist-Stuhl gefesselt bleiben.
Ich trainierte hart, jeden Tag und forderte das Äußerste von meinem Körper. Ich hasste meine unnützen Beine, aber konnte nach einem halben Jahr einen Großteil dessen wieder tun, das ich schon für unmöglich gehalten hatte. Beim Training schaffte ich es, einige Meter auf Krücken zurückzulegen und meine Arme waren stärker, als ich je für möglich gehalten hatte. Ich ernährte mich gesund und wartete ab, es könnte noch Jahre dauern, aber ich wollte wieder gehen können.
Was heil geblieben war neben meinem Oberkörper, war ein Teil meiner Anatomie, dessen Gebrauch viele andere Gelähmte, die ich in den letzten Monaten kennengelernt hatte, schmerzlich vermissten, aber ich war nicht so sicher, ob sie mich darum beneiden sollten. Was nützte einem eine funktionstüchtige Latte, wenn keine Frau einen mehr ansah? Beziehungsweise, sie sahen mich noch an, starrten, fingen an zu flirten, wenn sie mich irgendwo sitzen sahen, wie ich es gewohnt war, aber wenn sie merkten, dass ich nicht aufstehen konnte, blickten sie betreten weg.
Der Umgang mit meinen Mitmenschen beschränkte sich auf das Nötigste, und ich sagte nicht mal Marian, wie sehr ich unter den Blicken litt. Ich war ein Aussätziger, eine Fehlmeldung, die man wegklickte, einfach ignorierte, so weit es ging. Und ich hatte einfach keine Chance, jemals wieder einfach eine Frau abzuschleppen, wie ich es früher tat. Das Flirten, das Köder auswerfen und dann einziehen, das Gefühl des Erfolgs, des Gewollt-werdens, das würde ich nie wieder erleben. All das ging verloren durch den Scheiß, der mit mir passiert war. Mein Lebensstil in jedem Sinn des Wortes.
Umso härter traf es mich deshalb, als ich diese faszinierende Frau traf und ich wusste, ich konnte ihr nicht gegenüber treten, da ich saß, ich konnte niemals auf die Knie vor ihr fallen, da ich an diesen verfluchten Stuhl gefesselt war. Ich konnte ihr nicht mal in die Augen sehen, nicht nur wegen dem Höhenunterschied, sondern da ich mich so vor ihrem Mitleid fürchtete. Das lernte ich natürlich erst allmählich, ich brauchte verdammt lange, bevor ich mir das eingestand. Dass ich endlich eine gefunden hatte, für die es sich lohnte, mich anzustrengen, spürte ich sofort, aber ließ den Gedanken nicht zu. Es machte mir Angst.
Marian hatte mich überredet, mit ins Zentrum zu gehen, mittels Erpressung ehrlich gesagt, gutem Schokoladeneis konnte ich nicht widerstehen und sie würde mir keins mitbringen, ich musste es mit ihr essen gehen. Wir saßen auf der Terrasse draußen und ich beobachtete die Leute. Ich vermied Blickkontakt, aber vergnügte mich damit, mit Marian Theorien darüber auszutauschen, wohin die Leute gingen, was sie taten, ob sie Single oder schwul waren.
„Schau mal, dieser blaue Anzug. Wo gibt es so was denn noch? Bei der Heilsarmee?“, meinte sie, immer auf Mode fixiert.
„Der passende Schnauzer dazu sagt doch eindeutig, dass er geistig in den 80zigern stecken geblieben ist. So wie der da. Wie nannten wir diese Frisur noch? Popper?“
„Ja, genau. Popper poppen war populär.“, kicherte sie und ich schüttelte mich bei dem Gedanken.
Plötzlich sah ich eine Frau in der Menge, die langsamer lief als die anderen.
Nicht, weil sie in die Schaufenster starrte, sondern weil sie ein Buch in der Hand hielt und im Gehen las. Ging das überhaupt? Ich hatte das immer für prätentiös gehalten. Mein Blick wanderte über ihre schlanken Beine in engen Jeans, blieb etwas zu lange an ihrem Ausschnitt hängen und verfing sich dann in ihren Haaren, wilde, fast schwarze Locken, die aus dem Knoten am Hinterkopf sprangen, in denen das Licht aus den hohen Glaskuppeln goldene, rötliche und fast blonde Reflexe malte.
Ich sah zu, wie jemand sie anrempelte und sie erschrocken aufsah. Sie schien wirklich vertieft gewesen zu sein in das, was auch immer sie da las. Ihr verwirrter Gesichtsausdruck machte mich lächeln. Ihre großen braunen Augen sahen kurz verloren aus, wurden aber schnell zornig und sie stampfte weiter wie ein Mädchen, dem die Geduld ausging.
Sie war kein Mädchen mehr, sah ich, als sie näher kam, nur wenig jünger als ich, so Anfang bis Mitte dreißig, schätzte ich. Irgendwie schien sie hier nicht hinzugehören und hier nicht sein zu wollen. Sie bewegte sich wie eine Tänzerin, eine ungeduldige, wenn das ging, aber ihre Schritte waren trotz der hohen Schuhe sicher und das sanfte Schaukeln ihrer Hüften unter der kurzen Jeansjacke sah sehr einladend aus. Als sie suchend den Kopf in alle Richtungen streckte, um jetzt doch in die Schaufenster zu sehen, als ob sie nach etwas Bestimmtem Ausschau hielt, sah ihr langer Hals elegant und gleichzeitig stark aus. Den würde ich gerne küssen. Wie sie wohl schmeckte?
Hey, Stopp, woher kommt dieser Gedanke. Pass auf, Jo. Aber ich konnte schon nichts mehr dagegen machen. Sie kam näher und ich bewunderte ihren Körper, bestaunte ihr Gesicht, so anders als die, die bis jetzt hier vorbeigekommen waren, so anders, als die oberflächlich hübschen Frauen, die ich hin und wieder sah. So ernst, so erwachsen mit ihren dunklen Augen, so mädchenhaft mit den losen Strähnen gelockten Haars, so sinnlich mit dem herzförmigen Mund und den hohen Bögen über ihren Augen. Ich fing an, davon zu träumen, wie sich ihre wohlgeformten Beine um meine Hüften wickeln würden.
Sie leckte sich abwesend die roten, vollen Lippen und ich stöhnte auf und stellte mir vor, was sie mit dieser Zunge auf mir machen könnte. Ich spürte meine Erregung in meiner zum Glück nicht allzu engen Jeans und schob mich vorsichtig weiter nach vorne auf meinem Stuhl, um die Beule zu verdecken, aber vor allem um sie weiter zu beobachten. Fuck. Sie würde nur wenige Meter vor mir vorbei gehen und ich wollte ihren Hintern sehen. Ich könnte mir ja Material für meine Fantasien holen und heute Nacht von ihr träumen.
Ich sah sie wie in Zeitlupe zwischen all den hektischen Leuten um uns herum, und in meinem Kopf spielten sich die verschiedensten Szenarios ab, was ich mit ihr tun wollte und meine Hände ballten sich zu Fäusten, um dem Drang zu widerstehen, loszufahren und mich auf sie zu stürzen. Das würde gut ankommen, sicher, mit meinem Stuhl gegen ihre Beine fahren, verführerisch lächeln und sie zu einer Fahrt einladen oder was? Yeah. In meiner Fantasie lief ich auf gesunden Beinen zu ihr, drückte sie gegen die Wand und hob sie auf meinen pochend harten Schwanz. Gott, Sie war jetzt so nah, dass ich sie fast riechen konnte. Sie sah sich immer noch suchend um und bemerkte mein Starren nicht, zum Glück.
Ich zog sie mit meinen Augen aus und hatte meinen Spaß mit ihr, ich war bei der dritten Lektion des Kamasutra, als Marian plötzlich neben mir schrie „Stella, oh, mein Gott, Liebes, was machst du denn hier?“ Und mit schockgeweiteten Augen sah ich, wie meine Traumfrau zu uns rüberschaute, stehen blieb und sich dann ein breites, wundervolles Lächeln auf ihrem Madonnengesicht ausbreitete. Shit, Stella, die Stella? Das durfte doch nicht wahr sein.
Marian hatte viel von ihr geredet, diese Kollegin, die sie so faszinierte. Sie schien immun gegen die Unwiderstehlichkeit meiner Schwester zu sein und hatte ihr doch tatsächlich mehrmals abgesagt, als Marian mit ihr shoppen oder einen trinken gehen wollte. Dafür verdiente sie in meinen Augen bereits Respekt. Nicht viele trauten sich, zu meiner Schwester Nein zu sagen. Sie war interessiert an ihr, so ein einsames, unglückliches Mädchen, aber so anders. Da musste mehr dahinter stecken und meine Schwester kennend, war das eine Herausforderung für sie. Ich hatte meistens nur mit halbem Ohr hingehört, wenn sie von ihr redete und ich ärgerte mich jetzt natürlich darüber.
Was hatte sie erzählt? Lachend hatte sie vorgestern Abend die Anekdote gebracht, wie Stella den Boss mit wenigen Worten mundtot gemacht hatte und ihnen ein Millionenprojekt gesichert hatte durch ihr einzigartiges Gespür für den neuesten Literaturtrend. Wie Stella rot wurde und wegrannte, als ihr ein Kollege in eindeutiger Absicht Komplimente machte. Dass sie jeden Abend wieder allein nach Hause ging und las, obwohl sie das bereits den ganzen Tag tat. Wie peinlich es ihr gewesen war, dass sie Marians Tipp befolgt und engere Jeans gekauft hatte. Das war`s ungefähr, an das ich mich erinnerte. Die Jeans, die sie heute trug, betonten sicher ihre Figur, sie hatte lange Beine und bewegte sich so anmutig. Hey, hatte sie gerade was zu mir gesagt? Nein, Marian war noch bei der Vorstellung.
„Und das ist mein Bruder Joshua. Ich hab dir ja von ihm erzählt. Joshua, das ist Stella, der aufgehende Stern am Lektorenhimmel.“
„Hallo, Joshua. Freut mich, dich kennen zu lernen.“
Sie streckte ihre Hand zu mir aus. Ich sah in ihre Augen, sie sah direkt in mein Gesicht, nicht an mir runter. Ihr Blick war freundlich, aber irgendwie schien sie den Atem anzuhalten. Sie biss sich auf die Lippen, als ich sie anstarrte und keine Anstalten machte, ihre Hand zu nehmen. Oh, nein, das sollte sie nicht tun. Ihre bloße Anwesenheit hatte bereits eine Wirkung auf mich, wie ich es nie erlebt hatte, diese Lippe sollte nur von mir gebissen werden, von sonst niemandem. Ich musste mich zusammenreißen. Ich nahm endlich ihre immer noch hingehaltenene Hand und sie war warm und der Händedruck fest und kurz. Ich schaffte es, sie anzulächeln und ihr schoss Blut in die Wangen. Herrgott, merkte sie denn nicht, was sie mir antat. Das war so attraktiv.
„Jo, einfach Jo, Marian ist die Einzige, die mich bei meinem vollen Namen nennt.“
Ich zog die Hand schnell zurück und nahm eine Serviette, die ich in meinem Schoß auseinanderfaltete, um meine Erektion zu verbergen. Marian lud sie ein, sich zu uns zu setzen, auch wenn ich ihr böse Blicke zu warf, aber sie lächelte mich nur an. Stella schob einen Stuhl vom Nachbartischchen rüber und setzte sich neben mich, Marian gegenüber. So konnte sie meine Beine unter dem Tisch nicht sehen.
„Was machst du hier, ich dachte, du hasst shoppen?“
„Ich bin hier nicht zum Spaß, Marie, ich brauche neue Laufschuhe.“
„Du brauchst? Wieso?“ „Na, weil sie kaputt sind.“ Marian sah schockiert aus und aus den Augenwinkeln sah ich, dass Stella sich kaum ein Lächeln verkneifen konnte. Meine Schwester schien um Luft zu ringen. „Kaputt? Wie alt waren sie denn um Himmels Willen?“ Stella zuckte mit den Schultern, „Acht Jahre oder so.“ „Das ist unglaublich. Ich habe noch nie Schuhe länger als eine Saison getragen. Ich habe noch nie im Leben jemanden gekannt, der Schuhe tatsächlich so lange trägt, bis sie kaputt gehen.“ Marian sah mich an. „Ich hab dir doch gesagt, Stella ist was Besonderes. Hast du so was schon mal gehört.“
Ich schüttelte möglichst uninteressiert den Kopf und konzentrierte mich auf meinen Espresso. Stella machte sich insgeheim über Marian lustig und sah mich verschwörerisch von der Seite an, ich konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln. Ihre Augen waren braun und tief, sehr ausdrucksstark, sie konnte nichts verbergen, denn diese Augen zeigten jede Empfindung. Sie ließen jetzt ein schelmisches Blinzeln sehen, aber nachdem sich unsere Blicke gekreuzt hatten, änderte sich ihr Ausdruck. Stella holte Luft und sah in meine Augen. Neugier und Schüchternheit sah ich, und etwas wie Verwunderung, bis sie wieder weg sah. Diese Frau war wirklich interessant.
Solche Augen hätten mich früher sofort in Jagdmodus versetzt. Diese langen Wimpern und der expressive Mund mit Lippen, die so weich und voll und küssbar aussahen, machten mich neugierig und ich musste die Fantasien blockieren, die mich zu überfallen drohten, als sie wieder ihre Lippen leckte. Sie zog sich die kurze schwarze Jeansjacke aus und ihr knappes, mit einem grauen Blumenmuster bedrucktes Shirt schob sich dabei hoch. Stella drehte sich leicht in ihrem Stuhl, hängte die Jacke über ihre Rückenlehne und meine Augen fielen auf einen Streifen Haut über ihrer Hose und den Rand von etwas, das wie ein pinkes Höschen aussah.
Musste es gerade pink sein? Trug sie den passenden BH dazu? Pink war so süß bei einer Frau ihres Alters, so verspielt. Ich pustete auf den längst kalt gewordenen Kaffee, um mein leises Stöhnen zu unterdrücken und sah weg, direkt in Marians wissenden Blick. Sie fing an zu grinsen und ich sah, wie sich die Rädchen in ihrem überaktiven Gehirn drehten. Sie brütete etwas aus und sie hatte eindeutig bemerkt, dass diese Frau, ihre Freundin, mich nicht so kalt ließ, wie ich vorgab.
Ich musste was sagen, Konversation machen und Marians Gedanken in eine andere Richtung lenken. „Meine Schwester hat mir allein letzte Woche drei paar Schuhe gekauft. Als ob ich die brauchen würde.“ Shit, ich machte sie auch noch aufmerksam auf meine Lage. Sehr schlau. „Du willst du nicht ständig mit den gleichen, alten Turnschuhen gesehen werden, Joshua. Selbst wenn du meistens sitzt, kannst du dabei gut aussehen. Und es war verdammt schwer, diese Schuhe zu kriegen, in deiner Größe, Kindersärge sind das.“, lachte Marian.
Stella lachte mit, es klang angenehm in meinen Ohren. Dann blickte sie mich wieder schelmisch an, sagte dann aber zu Marian gewandt „Du weißt, was man über Männer mit großen Füßen sagt?“ Shit, sie machte anzügliche Witze. Und wurde nicht rot dabei. Das gefiel mir. Mit geweiteten Augen wartete ich die Pointe ab. Was würde jetzt kommen? „Große Füße, große Schuhe.“ Marian kicherte und sah mich mit einem Blick an, der ungefähr sagte `Ich hab dir doch gesagt, mit ihr wird es nicht langweilig. ` Ich lächelte schwach, wollte ihr nicht mein breites Grinsen zeigen, das ich vor Erleichterung, dass das nicht wirklich sexuell war, nur innerlich grinste. Dann wandte sie sich an mich.
„Also, Jo, du bist Programmierer? Was programmierst du denn genau?“ Ich sah überrascht auf. Stella lächelte mich verlegen an. Arbeit, war das Alles was ihr einfiel? Lahm. Sollte ich jetzt Konversation machen? Sollte ich mich von meiner besten Seite zeigen, sie besser kennenlernen? Und dann? Flirten? Mich mit ihr anfreunden? Shit, ich wollte kein Freund sein, ich wollte sie besitzen. Aber das würde nie passieren, ich war ein Krüppel. Sie würde mich niemals so mögen, wie ich war. Sie gab sich mit mir ab, weil ich der Bruder ihrer Freundin war. Sonst hätte sie mich wahrscheinlich genauso abschätzig begutachtet wie alle anderen. Ich spürte wie mein Gesicht den üblichen, harten Ausdruck annahm, die Maske, mit der ich mich vor meiner Umgebung zu schützen versuchte. Sie sah die widerstrebenden Emotionen auf meinem Gesicht und es schien, als ob ihr Atem schneller wurde, sie schaute runter auf ihre im Schoß verschränkten Hände und sah verletzt aus.
Shit, das wollte ich nun auch wieder nicht. Ich musste was sagen, musste freundlich sein, ich hatte kein Recht, ihr weh zu tun, aber sie sollte bloß nicht denken, ich wäre abhängig von ihrem Interesse.
„Tja, was hat Marian dir denn noch nicht erzählt? Du weißt wahrscheinlich mehr über mich, als mir lieb ist.“
Meine Stimme klang gehässiger, als ich gewollt hatte, aber ich war enttäuscht und wurde langsam wütend. Was wollte ich von dieser Frau? Es könnte niemals etwas zwischen uns sein, also warum ließ sie mich nicht einfach in Ruhe. Als sie wieder hoch sah, waren ihre Augen nicht mehr lieb, nicht mehr tief und nicht mehr ausdrucksstark. Sie waren enttäuscht und leer.
„Du musst mir gar nichts erzählen, wenn du nicht willst, entschuldige meine Neugier.“
Sie stand auf und verabschiedete sich. Marian wollte sie aufhalten, aber sie wollte ihre Schuhe kaufen und dann nach Hause, sie hätte noch was vor. Die beiden umarmten sich und Stella nickte mir kurz zu, ihren Rücken mir schon zum Gehen zugedreht. Ich nickte zurück. Ich machte das wirklich nicht mit Absicht, ein Arschloch sein, es kam irgendwie ganz natürlich zu mir, eine angeborenen Gabe. Sie schwang ihre Jacke über die Schulter und lief rasch in die Menge. Endlich konnte ich ihren graziösen Gang von hinten bewundern und bestaunte ihren köstlichen Hintern, bis sie verschwunden war.
Als ich dann wieder zu meiner Schwester sah, waren ihre Augen wie kleine Schießscharten auf mich gerichtet. Revolveraugen. „Was?“ fragte ich.
„Du bist echt ein Arsch, weißt du das? Wie kannst du es wagen, meine Freundin so zu behandeln?“
„Ich hab doch gar nichts getan.“
„Das ist es ja. Du hättest dich zumindest wie ein zivilisierter Mensch unterhalten können, statt sie mit den Augen auszuziehen.“
„Wie bitte? Das hab ich nicht.“
„Du konntest doch deine Augen kaum aus ihrem Ausschnitt nehmen. Du hast sie angestarrt wie ein Perversling. Also wirklich, Joshua, ich wusste nicht, wie sehr du mal wieder eine Frau brauchst.“
„Du redest Blödsinn. Ich hab sie nicht angestarrt.“
„Das nennt man Eye-fucking, mein Lieber. Aber lass bloß die Finger von Stella, sie ist meine Freundin. Sie ist zu schade für ein Abenteuer.“
Ich schmiss meinen Löffel auf den Tisch.
„Lass die Finger von ihr? Was bildest du dir eigentlich ein, kleine Schwester? Du weißt, dass ich keine Chance hätte. Du weißt, dass keine einen Krüppel wie mich will. Es gibt keine Abenteuer mehr. Darauf brauchst du mich nicht auch noch aufmerksam zu machen.“
Ich holte meinen Geldbeutel raus, warf genug für uns beide hin und löste die Bremsen an meinem Stuhl, dann rollte ich von der Terrasse und in die Menschenmenge, rufend und fluchend, bis sie mir aus dem Weg gingen und fuhr so rasch mich meine brennenden Arme ließen raus aus der Mall. Kurz überlegte ich, ob ich nach ihr suchen, einfach ein wenig rumfahren sollte, bis ich sie sah. Nur gucken. Mich vergewissern, dass sie wirklich etwas Besonderes war. Sicher stellen, dass sie so beeindruckend war, wie sich das gerade angefühlt hatte. Sehen, ob sie sich irgendwo die Augen aus dem Kopf heulte, weil irgendein Dickhead sie ungebührlich behandelt hatte.
Ja, ich hatte ein schlechtes Gewissen. Aber ich verwarf den Gedanken schnell wieder und fuhr nach Hause, sollte Marian doch allein fahren. Es war besser, ich vergaß sie schnell und für sie wär’s auch gut, sich nicht an mich zu erinnern. Ich schloss mich in mein Zimmer ein, fuhr in die Dusche und hievte mich danach auf die Couch zum Fernsehen. Dort wachte ich am nächsten Morgen auf und ich wusste, ich hatte von Stella geträumt. Von mir mit ihr, und natürlich hatte ich im Traum laufen können.
War halt nur ein Traum.
Fortsetzung folgt