Liebe auf Rädern 2
2. Teil – Stellas Sicht Hier findet ihr den ersten Teil: Kurzgeschichten: Liebe auf Rädern
Meine erste Begegnung mit Jo war nicht besonders denkwürdig, von außen betrachtetet, sogar eher enttäuschend, so fand Marian zumindest. Aber für mich war es, als ob die Erde anhielt. Ziemlich kitschig, ich weiß, aber ich kann es nicht anders beschreiben. Ich hatte erwartet, dass Marians gelähmter Bruder ein schlecht gelaunter, da verbitterter, kranker Mann sei. Meine Kollegin Marian, die langsam aber sicher zu einer richtig guten Freundin wurde, hatte in Einzelheiten geschildert, welche Fortschritte er machte, aber auch, wie schwer es ihm fiel, seine Situation zu akzeptieren. Daher war sein Benehmen nicht überraschend.
Was mich aber total aus den Socken haute, war sein Aussehen, seine Blicke und seine Wirkung auf mich. Sobald sich unsere Blicke trafen, wurde mir heiß, ich zitterte förmlich wie mit Schüttelfrost und hatte Schwierigkeiten, mich an die richtige Atemtechnik zu erinnern.
Er war wunderschön. Bisher hatte ich gedacht, ein Mann könnte nur attraktiv sein, oder gutaussehend. Er war ungekämmt und unrasiert, seine Kleidung war zerknittert, obwohl man ihr ansah, dass sie nicht billig war – Marian beriet ihn sicher auch, was das anging. Er hatte Ringe unter den Augen und benahm sich wie ein Arsch, aber er war trotz allem das Schönste, das ich je gesehen hatte, als ob eine Aura um ihn schien, die alles in ein anderes Licht tauchte.
Seine Augen, mit ihrem unergründlichen Grün, wie ich es nie gesehen hatte, wie ein undurchdringliches Dickicht, brannten auf meiner Haut. Seine Finger, mit denen er die kleine Espressotasse hochnahm, waren lang und schmal und doch so stark. Sein Oberkörper in dem knappen, schwarzen T-Shirt, über das er lose ein helles Hemd trug, war muskulös, aber nicht übertrieben, eher sehnig und schlank. Seine langen Beine steckten in dunklen Jeans und der Rollstuhl, der mich nicht schockierte, ich wusste ja von seiner Geschichte, war dunkelgrün und mit allen technischen Finessen versehen, selbst einem kleinen Computer an der Armlehne. Er ließ seine Augen nicht von mir, sah mich die ganze Zeit an, von oben bis unten, dann sah er tief in meine, ohne Scham, vielleicht war er sich dessen gar nicht wirklich bewusst.
Als ich mit Marian redete, fühlte ich seinen Blick von der Seite und spürte ihn körperlich so nah neben mir, seine Körperwärme, diese Aura, eine Ausstrahlung von purem Sex. Ja, die Funken sprühten, und wie. Ich hatte ihn kaum richtig angesehen, da hatte mein Körper bereits reagiert, ich wurde feucht und mein Herz schlug mir im Hals. Er hatte nur widerwillig meine Hand genommen und fast ängstlich ausgesehen, als ich sie ihm hinhielt. Unsere Berührung löste einen Schauder bei mir aus. Mir wurden seine Blicke unangenehm und ich merkte, dass Marian ihn ebenfalls böse ansah. Als er es bemerkte, zuckte er nur mit den Achseln. Ich nahm mir vor, mich nicht von den tausenden von intensiven Empfindungen überumpeln zu lassen, die mich überfielen und versuchte einfach, Konversation zu machen.
Ich fragte ihn nur nach seiner Arbeit, verflucht noch mal, ein unschuldiges Thema oder? Meine Stimme hatte nicht geschwankt und es waren klare Worte aus meinem Mund gekommen, während meine Hormone wie im Sturm wirbelten. Er sah mich an, als hätte ich gerade das Ende der Welt verkündet, während mir Flammen aus den Ohren schossen.
Dann sah ich die unterschiedlichsten Emotionen über sein Gesicht huschen in einem Tempo, das Kopfschmerzen bereitete. Verärgerung, Neugier, Faszination, Genervtheit, Zweifel und schließlich blanke Wut.
Lieber Himmel, dieser Mann kannte mich überhaupt nicht und er sah mich an, als ob ich sein Lieblingskätzchen überfahren hätte, er hasste mich! Ich bekam die Antwort, zu der er sich schließlich herabließ, kaum mit, so was wie „Marian hat dir doch schon alles erzählt.“ Ich konnte mir das nicht länger antun.
Ich ging und es tat mir leid, dass Marian es nun ausbaden müsste, aber ich hoffte, sie könnte mit seiner schlechten Laune besser umgehen als ich. Mein Körper wollte nur in seiner Nähe bleiben, aber ich wusste, ich musste hier schnellstmöglich weg, er legte einen Zauber um mich, der mich dazu brachte, das zu wollen, was mir nur weh tun würde. Ich dürfte ihn nie wieder sehen, denn ich wollte das nicht akzeptieren. Als er mich mit dieser Wut in den Augen angesehen hatte, hätte ich mich ihm am liebsten vor die Füße geworfen, bereit, alles zu tun, um sein Wohlwollen zu erringen. Wie eine Wölfin im Rudel, die ihren nackten Bauch dem Alpha-Männchen hinstreckte, wenn er heulte. Oh mein Gott.
Ich kaufte keine Schuhe an dem Tag und traute mich nicht mehr in das Zentrum aus Angst, ihm zu begegnen. Am Montag auf der Arbeit entschuldigte sich Marian stellvertretend für sein Benehmen, sie wüsste gar nicht, was in ihn gefahren wäre. Aber ihre Augen blitzten dabei, als ob sie etwas verheimlichte. Sie fragte ziemlich offensichtlich, wie ich ihn denn sonst gefunden hätte. Ob ich ihr glauben würde, dass er eigentlich ein ganz netter Kerl sein könnte und sehr interessant sei. Erklärte, dass er viel besser aussehen würde, wenn er sich ein bisschen mehr um körperliche Hygiene kümmern würde. Oder ob mir der 3-Tage-Bart gefallen würde.
Noch besser. Himmel, ich durfte mir nicht anmerken lassen, was er in mir ausgelöst hatte. Meine Träume am Wochenende waren wild und bunt gewesen, mein Unterbewusstsein war von ihm in Beschlag genommen und ich erinnerte mich an seinen Geruch, an jede Einzelheit, die ich mit gierigen Augen aufgesogen hatte. Die kleinen gelben Flecken an seinen Fingern, die mir sagten, dass auch er rauchte, die sich kräuselnden Haare im Nacken, die einen Schnitt vertragen könnten. Die blauen Venen auf seinen starken Unterarmen, die unter dem aufgekrempelten Hemd zum Vorschein gekommen waren. Die fast unsichtbaren Sommersprossen auf seiner gebogenen Nase, die leicht schiefen Zähne, als er lächelte. Ich dachte konstant an ihn und versuchte doch ständig, ihn zu vergessen.
Meine Freundschaft mit Marian wuchs trotzdem, auch wenn ich mir hätte denken können, dass er zwischen uns stehen würde. Auch wenn sie immer wieder das Gespräch auf ihn brachte, mir von seinen Projekten erzählte, von seinem Leben vorher, von seinem Geschmack, der dem meinen so ähnlich ware, wie sie behauptete.
Als sie eines Abends, als wir uns auf einen Drink getroffen hatten – ja, sie überredete mich zum Ausgehen – davon schwärmte, wie stolz seine Ärzte auf seine Fortschritte waren und wie sie es kaum abwarten konnte, ihn endlich wieder laufen zu sehen, sagte ich ihr klipp und klar, dass ich das nicht hören wollte. Ich hätte nicht vor, ihn jemals wieder zu sehen, also brauchte sie mich nicht über jeden seiner Schritte zu informieren.
„Wieso? Weshalb sagst du das? Ihr könntet euch doch näher kennen lernen. Ich bin sicher, wenn du erst mal hinter seine Fassade schaust, wird er dir gefallen.“
Sie klang fast enttäuscht und da dämmerte mir etwas.
„Marian, du hast doch nicht etwa gedacht, ich und dein Bruder… ich meine, du hast doch nicht ernsthaft vor… Willst du uns verkuppeln?“
Sie zögerte und ich hätte ihr am liebsten eine geknallt.
„Ich habe dir bereits gesagt, ich habe dich nicht um Hilfe gebeten. Ich will nicht, dass du dich um mich kümmerst und meinst zu wissen, was gut für mich wäre. Denn eins weiß ich, dein Bruder ist es bestimmt nicht. Er hasst mich.“
„Nein, Stella, er hasst dich nicht, bestimmt nicht. Ehrlich gesagt habe ich noch nie gesehen, dass eine Frau eine solche Wirkung auf ihn hatte. Er hat Angst, siehst du das nicht? Er glaubt, die ganze Welt hält ihn nur für einen nutzlosen Krüppel, aber ich bin sicher, du siehst den Menschen. Ihr könntet einander viel bedeuten.“
Sie stoppte sich, als ob sie bereits zu viel gesagt hätte.
„Vergiss es.“, sagte ich nur und verließ die Bar.
In den nächsten Tagen redete sie aber immer wieder auf mich ein, sie versteckte ihr Anliegen nicht mehr. Sie wollte, dass wir uns kennen lernten und versprach mir, er wäre das nächste Mal nicht so grob.
„Ihr könntet Freunde werden, Stella, mehr muss es gar nicht sein. Sehr gute Freunde. Und das braucht er. Bitte, gib ihm eine Chance.“
Hab ich schon gesagt, dass Marian sehr überzeugend sein konnte? Und dass es einem schwer fiel, ihr eine Bitte abzuschlagen? Ich erwägte es, ihn wieder zusehen, ich redete mir ein, dass ich nicht so gemein zu einem Mann sein durfte, der schließlich Einiges hinter sich hatte. Der litt und Freunde bräuchte. Es würde sicher anders laufen.
Und Marian versicherte mir, er würde es ebenfalls wollen und sein Benehmen täte ihm leid. Fast drei Wochen nach dem desaströsen Samstag versprach ich, am Freitag mit in ihre Wohnung zu kommen, um mir mit ihr einen Film anzusehen. Joshua wäre da, aber wir würden ihm überlassen, ob er sich zu uns gesellen oder in seinem Zimmer bleiben würde. Gut, wir könnten probieren, Freunde zu werden, ich ahnte bereits, dass er mindestens so interessant wie seine Schwester sein musste.
Wenn ich nur meinen Körper unter Kontrolle behielt, würde alles gut gehen.